Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Dieser Hass hatte ihn vielleicht am Leben gehalten.
Was er auch dem Duce schrieb: »Der Amhare ist der Erzfeind Nummer
eins.« Somalier, Eritreer, Tigriner, Galla, Borana, kein anderes noch so
treuloses oder primitives Volk war für die Italiener so brandgefährlich. Das
wusste er nur zu gut seit dem Tag, als er auf dem Boden dieses Schachtes in
der Kirche von Jijiga gesessen hatte. Im Gedächtnis eines jeden Amharen gab
es einen Winkel, in dem die Erinnerung an Adua schlummerte, wie eine
scharfe Bombe in einem Keller. »Fünf Jahre und keinen Tag mehr«,
krakeelten ihre zerlumpten Wahrsager. Nun waren sie bezwungen und
vergaßen doch niemals, dass sie einmal, jenes eine Mal, den Italiener besiegt,
ihn ermordet und entmannt hatten. Und das wollten sie immer und immer
wieder – töten, entmannen. Wieder tastete seine Hand nach seinem
Geschlecht. Und wieder mischte sich seine Erleichterung mit dem Furor der
Empörung. Der Angriff hatte seiner Männlichkeit gegolten, mehr noch als
seinem Leben! Das nämlich waren die Amharen: ein gefangener Tiger, der
vor noch nicht allzu langer Zeit italienisches Fleisch gekostet hatte. Jeder
Tierbändiger mit Sinn und Verstand würde ihn töten, denn ein Tiger, der
Menschen frisst, darf nicht am Leben bleiben. Aber nein. Nun bekamen sie
gar nicht genug von so schönen Sätzen wie »Wir werden das römische Recht
in die Kolonien tragen«. »Nicht mit Gewalt werden wir herrschen, sondern
mit unserer überlegenen Kultur«, und was der Phantastereien mehr waren.
Ergebnis: Er lag in diesem Krankenbett und war nur durch Zufall noch am
Leben. Nur durch Zufall noch ein Mann.
Doch an der Spitze seines Hasses rangierte eindeutig Badoglio. Er spielte
sich nun als Vater des Vaterlandes auf, als großherziger und generöser
Anführer, doch in Libyen war er es gewesen, der falsche und gefallsüchtige
Piemonteser, der ihm befohlen hatte, voranzuschreiten, »und sollte die ganze
Kyrenaika dabei draufgehen«. Das hatte er ihm sogar geschrieben. Und sich
natürlich nicht beklagt, als er Omar al-Mukhtar zum Teufel gejagt hatte.
Noch heute erinnerte sich Graziani mit Freude an den alten Mann in seinen
Lumpen, der in die Luft trat, als der Strick ihm das Genick brach. Ein
Schwall bitterer Wut, schwarz und rasend, schwappte ihm durch die Venen,
wenn er an diese Sesselwärmer dachte, die keinen einzigen Tag selbst in der
Wüste gekämpft hatten und alle Schmutzarbeit Rodolfo Graziani überließen.
Um ihn danach einen »Schlächter« zu nennen.
Der Duce war überhaupt der Einzige, der eine klare Vorstellung davon

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