Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Holz und begrüßte Ernani äußerst liebenswürdig. Attilio stockte vor
Verlegenheit und schlechter Luft fast der Atem. Um nicht auf den Boden zu
starren, sah er mit großen Augen auf das breite Gesäß einer Brünetten, die
lasziv, aber abwesend in einem Türrahmen lehnte. Direkt vor ihm ging ein
Rock aus durchsichtigem Tüll vorbei, unter dem er verwirrt das Fehlen von
Unterwäsche und einen dichten Busch schwarzer Schamhaare erahnte. Das
also befand sich da in der Mitte, zwischen den Beinen der Frauen. Das hatte
er noch nie im Leben gesehen.
Der Vater winkte einer jungen Frau, deren Bluse über dem von
Dehnungsstreifen gezeichneten üppigen Busen offen stand, sie solle sich um
seine Söhne kümmern. Sie kam näher, stellte sich vor das Brüderpaar und
lächelte, als habe sie einen Preis gewonnen.
»Willkommen, schöne Jugend!«, sagte sie mit freudiger Stimme und
versenkte ihren Blick in Attilios blaue Augen. »Und wie heißt unser
Neuankömmling hier?«
Ernani blickte mit wohlwollendem Vaterblick, zwischen Ironie und Stolz,
auf diesen Sohn, der jener Frau viel zu ähnlich sah, die er hoffnungslos liebte.
»Attila«, erwiderte er.
Die Puffmutter brach in ein breites Gelächter aus, das in einem
Wimpernschlag ihre würdevolle Haltung Lügen strafte.
»Mädchen, aufgepasst! Die Geißel Gottes ist da!«
Und alle zusammen, Kunden, Prostituierte, Puffmutter und auch Ernani
und Attilio, stimmten in den Heiterkeitsausbruch ein. Der Einzige, der nicht
lachte, war Otello, doch das fiel niemandem auf.
Um Attila standesgemäß im Erwachsenenalter willkommen zu heißen,
erklärte die Prostituierte mit lauter Stimme, würde sie ihm und seinem Bruder
eine besondere Behandlung zukommen lassen: zwei Huren zum Preis von
einer. Ernani lächelte der Maitresse zu, die ebenso großmütig wie berechnend
ihre Zustimmung signalisierte. Die anderen Anwesenden applaudierten zu der
bevorstehenden Entjungferung.
Otello jedoch hatte nur zu gut verstanden, dass das Angebot der
Prostituierten nicht wirklich für beide ein Schnäppchen war. Es bedeutete
eine Hure gratis für Attilio.


Mussolinis Züge hatten fast immer Verspätung. Vor allem auf den
Nebenstrecken wie Bologna – Ravenna. Die Fahrpläne, die am Bahnhof von

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