Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

»Klar. Das heißt ›Schwein gehabt‹.«
»Ja, aber weißt du auch, wo das herkommt? Was hat der culo, also der
Hintern, mit dem Glück zu tun? Weißt du es, oder plapperst du den anderen
nur alles nach wie ein Papagei?«
In der Klasse, wo gerade noch verschlafene Anarchie geherrscht hatte,
wurde es plötzlich mucksmäuschenstill. Alle lauschten dem unerwarteten
Schlagabtausch.
»Das weiß ich nicht«, gab der Junge zu.
»Dann werde ich es dir erklären. Dieser Ausdruck geht auf die
fürchterliche Demütigung der Römer nach der Niederlage an den
kaudinischen Pässen zurück, das sogenannte kaudinische Joch, 321 vor
Christus.«
»Als sie unter einem Bogen aus Schwertern durchziehen mussten?«,
fragte die Schülerin aus der ersten Reihe, die Ilaria dafür am liebsten umarmt
hätte, weil sie so wirkte, als lerne sie tatsächlich gern.
»Genau. In den Schulbüchern wird das nur ungern erwähnt, aber außer
dass sie unter dem Joch der Schande durchziehen mussten, wurden die
römischen Soldaten samt und sonders von den Samniten sodomisiert, also
von hinten penetriert, einer nach dem anderen. Wer den größten Anus hatte,
litt am wenigsten und wurde daher von den anderen beneidet.«
Achtundzwanzig Augenpaare, manche hinter dicken Brillengläsern, fast
die Hälfte stark geschminkt, viele umkränzt von Pickeln und anderen
Hautunreinheiten, starrten sie ungläubig an. Selbst die Zwillinge ganz hinten,
die sonst selten von ihren stummgeschalteten elektronischen Geräten
aufblickten, die man ihnen nicht wegzunehmen brauchte, weil ihre Eltern sie
ohnehin sofort ersetzten, hoben die Köpfe. Alle hielten den Atem an.
Mit derselben aseptischen Stimme, mit der sie in Erdkunde die
Staatsgrenzen aufzählte, beendete Ilaria ihre Ausführung: »Seitdem gibt es
den Ausdruck ›avere un gran culo‹, einen großen Hintern haben, als
Synonym für Glück haben, heil davonkommen. Wenn ihr das jetzt zu
jemandem sagt, wisst ihr immer, dass ihr in Wirklichkeit sagt: ›Donnerwetter,
was hast du für einen weiten Schließmuskel, anal penetriert zu werden würde
dir überhaupt nichts ausmachen‹.«
In diesem Moment hatte Ilaria eine Art Eingebung und nutzte sofort
diesen unwiederbringlichen Moment der Aufmerksamkeit für einen
Vorschlag. Sie wisse, so sagte sie, dass die Bitte, keine Schimpfwörter mehr

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