Fratzen nicht, die Sie jeden Morgen sehen?«
»Ehrlich gesagt, der chinesische Händler unten im Haus nimmt immer
meine Einschreiben an ...«
Verärgert bemerkte Ilaria, dass ihre Stimme sofort leicht quäkend und
defensiv klang. Der Händler antwortete mit einem nachsichtigen Lächeln.
»Ja, ja, ich weiß, am Anfang redet ihr alle so. Ihr von außerhalb wisst
eben nicht, wie die Dinge hier wirklich liegen.«
Und mit der gut geölten Eloquenz desjenigen, der eines seiner Leib-und-
Magen-Themen abhandelt, begann der Mann das Komplott hinter der
»gelben Invasion« auf dem Esquilin zu beschreiben. Die jüdischen Händler
der Piazza Vittorio waren der Theorie zufolge mit der chinesischen Mafia
übereingekommen, ihre Immobilien zu verkaufen, nachdem sie die üblichen
Verdächtigen in der Politik geschmiert hatten, die am Ende doch immer nur
ein Ziel haben, nämlich sich selbst zu bereichern und Italien zu demütigen
und zu verramschen: das Ganze unter der Ägide der allmächtigen,
allwissenden, allgegenwärtigen und bösartigen Kaste des internationalen
Bankenwesens (wiederum Juden und außerdem Freimaurer).
Der Verkäufer stand hinter seiner Kasse, über der gelbe Schildchen mit
den Angeboten der Woche baumelten. Während seines Vortrags war ein alter
Herr hereingekommen, in einen grünen Lodenmantel gemummelt trotz der
frühlingshaften Temperaturen. Er verströmte einen muffigen Geruch und
guckte leicht empört und alarmiert wie ein kleines Tierchen, das weiß, dass es
inmitten von viel größeren Tieren lebt. Er ließ sich kein Wort des Händlers
entgehen und nickte bei jedem Satz. Irgendwann mischte er sich mit der
gepressten Stimme des Kurzatmigen ein: »Die Chinesen zersägen die
tragenden Säulen in ihren Läden«, sagte er. »Sogar im Erdgeschoss, auf dem
sieben Stockwerke lasten.« Er hob seine von Altersflecken gesprenkelte
Hand und wies mit dem Zeigefinger in die Luft, vielleicht auf die Zeugen im
Himmel oder auf das Schild, das über seinem Kopf hing mit der Aufschrift:
Sonderrabatte auf viele Staubsaugermodelle!!! »Eines Tages stürzt wegen
ihnen noch der ganze Esquilin ein!«, unkte er, dann lächelte er, zufrieden
über das enorme Ausmaß der Zerstörung, die jedermann in den Abgrund
reißen würde, und nicht nur die Alten wie ihn, die ohnehin bald sterben.
Als Ilaria das Geschäft verließ, nach Hause ging und die Treppen
hinaufstieg, dachte sie immer wieder an die hilflose Bissigkeit im Gesicht des
alten Mannes. An seine Freude bei der Vorstellung des universalen
jeff_l
(Jeff_L)
#1