Neue Zürcher Zeitung - 20.09.2019

(Ron) #1

14 MEINUNG & DEBATTE Freitag, 20. September 2019


Das Powerplay

der Städte

Die Zürcher Städte und Gemeinden sind zueinem derart gewichtigen Machtfaktor geworden,


dass sie die Unternehmenssteuerreform im Kanton bedrohen. Doch dieses Ringen ist nur


ein Symptom eines tieferen Malaises.Von Reto Flury


So spektakulär sein Anfang war, so kläglich ist nun
das Ende des Zürcher Steuerdeals: Nach jahre-
langemLobbying der Städteund Gemeinden hat
der Kantonsrat beschlossen, das Füllhorn über
ihnen auszuschütten. Der Kanton muss in Zukunft
einen sehr viel höheren Anteil an den AHV-/IV-
Zusatzleistungen übernehmen.Wie viel dies ge-
nau kostet, weiss niemand so richtig, es kursiert die
Zahl von 200 MillionenFranken. Klar ist jedoch,
dass dieKommunen damit viel mehr Geld erhalten,
als ihnen derFinanzdirektor Ernst Stocker beim
Steuerdeal inAussicht gestellt hat. Somit fällt für
sie derAnreiz weg, dem zweitenTeil der Unterneh-
menssteuerreform noch zuzustimmen.
Zur Erinnerung: Ende 2017 verkündete Stocker
den Vertretern der Grossstädte Zürich undWin-
terthur sowie des Gemeindepräsidentenverbands
das Zustandekommen eines Steuerkompromisses:
Zürich splittet dieReform, die aufgrund des aus-
ländischen Drucks auf die Steuerprivilegien nötig
wurde, in zweiTeile auf. Der Kanton federt dieAus-
fälle der Gemeinden nach dem erstenSchrittab,
etwa indem er mehr an die AHV-Zusatzleistungen
bezahlt.Und er gibt noch einmal ein bisschen mehr,
wennderzweiteTeilvollzogenwird.Allerdingssollte
der Kantonsanteil nie die Dimension erreichen, die
dasParlament–vonderSPbiszurFDP–nunanpeilt.
Wird seineLösungendgültigverabschiedet,wirdder
Steuerkompromiss zur Makulatur – erstrecht, weil
führende Städtevertreter nie verhehlt haben, dass
sie dem zweiten Schritt skeptisch gegenüberstehen.


Projekte kommen insWanken


Wie die Zürcher Regierung bei diesem zentralen
Dossier ausgespielt wurde, ist in der jüngerenVer-
gangenheit ohne Beispiel. Die fragwürdige Aktion
kommt aber nicht aus heiterem Himmel. Sie spie-
gelt eine Kräfteverschiebung imVerhältnis von
Kanton, Städten und Gemeinden wider. Denn ob-
woh l die Klage über den übermächtigen Kanton
immer noch zur rhetorischen Grundausstattung
eines Zürcher Gemeindepräsidenten gehört, ist
die Situation heute eine andere. Wenn die Gross-
städte und Gemeinden sich verbünden und quer-
stellen,können selbst strategische Projekte des
Regierungsrats insWankenkommen. Doch das
Ringen um die Steuerreform ist nur das offensicht-
lichste Beispiel für den neuen Einfluss der Städte
und Gemeinden. Im Hintergrund haben sie seit
Jahren noch ganz andere Bestrebungen amLau-
fen mit dem Ziel, die Haushalte zu entlasten. Die
Debatte dreht sich um eine «faire»Verteilung der
Sozialkosten,und dieFrage lautet, wer für diejeni-
gen aufkommen soll, die nicht genug zum Leben
haben oder nichtfür sich selber sorgenkönnen.Ge-
meint sind etwa Senioren in einem Pflegeheim oder
mit einer zu knappenRente, Jugendliche in einem
Heim oderPersonen, die Sozialhilfe beziehen.
Der Ruf ertönte mal ausWinterthur, das von
den Sozialkosten überproportional betroffen ist,
mal aber auch aus mittelgrossen, bürgerlich ge-
prägten Agglomerationsgemeinden wie Dietikon
oder Schlieren. An sich ist der Gedanke derVer-
teilung nicht abwegig, angesichts der Alterung der
Gesellschaft, der Mobilität und der übergeordneten
Gesetze, die den Sozialbereich grösstenteilsregu-
lieren. Schwierig wird es bei der Umsetzung. Hier-
für steuerten die Städtevertreter im Kantonsrat ur-
sprünglich den grossenWurf an:eineÄnderung des
komplexen ZürcherFinanzausgleichs. Einen ent-
sprechendenVorstossreichte die Dietiker SP-Kan-
tonsrätinRosmarieJoss vor fünfJahren ein; es war
der Eröffnungszug in einer zähenPartie.
DerRegierungsratreagierte mit Abblocken.
Zwarräumte er 2016 ein, dass die Bedeutung der
Sozialkosten ebenso wie die unterschiedliche Be-
lastung der Gemeinden zugenommen hat. Die
Idee eines Soziallastenausgleichs wies er dennoch
zurück. Er sei derAuffassung, dass es nicht Sache
des Kantons seinkönne, weitere Zahlungen an den
Finanzausgleich zu leisten, schrieb er.Vielmehr
müssten die Gemeinden selber dafür aufkommen.
DochdieserregierungsrätlicheKorbhatdieAmbi-
tionenderKommunenundihrerVerbündetenimPar-
lamentnichterstickt,sondernangefacht:Anstattbeim
Finanzausgleich den grossen Hebel anzusetzen, gin-
gensienunpeuàpeu vorundnahmenSpezialgesetze
unter die Lupe. Das erste Kampffeld war das Geld
fürdieKinder-undJugendheime.DerKantonbefand
sich da in der Defensive, weil er laut Bundesgericht
jahrelang viel zu wenig bezahlt hatte. Nach längerer
Debatte einigte man sich auf einenKompromiss, der
im Kantonsrat nur von derSVP abgelehnt wurde:
Der Kanton stockt auf, und die Gemeinden finan-
zieren ihreAnteile über einen gemeinsam gespeis-
ten Pool. Damit werden die Risiken unter allen auf-
geteilt.Das Gesetz ist teilweise in Kraft getreten;zwi-
schendenGemeindenErlenbachundRegensdorfauf
der einen sowie dem Kantonauf deranderen Seite
ist jedoch einRechtsstreit im Gange, bei dem es um
Rückforderungen in Millionenhöhe geht.
Während sich die Gemeinden bei den Heimen
untereinander noch solidarisch zeigten und die
Staatskasse schonten, ist davon im grossen Coup
zu den Zusatzleistungen nichts mehr zu spüren – im
Gegenteil: DieVerschiebungen gehen voll zulasten
des Kantons, die Kosten werden einfach nach oben
geschoben. Dabei handelt es sich nicht umPetites-
sen:WegenderAlterungderGesellschaftgeltendie


AHV-Zusatzleistungen neben den Pflegekosten als
diegrosseHerausforderung.GemässeinemBericht
desRegierungsratsvon2016 machtensiemit32Pro-
zent den grössten Anteil an den Sozialkosten aus.

Ein klandestiner Poker


Noch mehr als die Lösung irritiert allerdings, wie sie
zustande gekommen ist:Während Monaten haben
die Mitglieder derKommission für Staat und Ge-
meinden,vondenenetlicheselberineinerGemeinde-
exekutive tätigsind oder waren, hinter verschlosse-
nen Türen und im Schutz des absolutenKommis-
sionsgeheimnisses verhandelt, bevor sie imFrühling
ineinemdürrenCommuniquédasResultatmitteilten.
EigeneModellezudenfinanziellenFolgenwurdenof-
fenbar ebenso wenig inAuftrag gegeben wie Abklä-
rungen zur mittelfristigenTragbarkeit für den Kan-
ton.Selbstverständlichgibtesreintechnischnichtszu
mäkeln,wenneineKommissionsoresolut dasHeftin
dieHandnimmt;eswurdeunlängstschonbeimMehr-
wertausgleich durchexerziert. Doch der klandestine
Pokersteht in auffälligemKontrast zu den breit an-
gelegtenVernehmlassungen, die derRegierungsrat
jeweils einläuten muss, bevor er ein Gesetz verab-
schiedet.HinzukommtdiemerkwürdigeDoppelrolle
des Gemeindepräsidentenverbands:Während er mit
Stocker den Steuerdeal zelebrierte, erhob er in der
Kommission, in der auch eines seinerVorstandsmit-
glieder sitzt, Maximalforderungen,die noch über die
derzeitige Lösung hinausgingen.
DasHusarenstückderKommissionwäre verständ-
licher,würden die Städte und Gemeinden darben.
Doch derzeit ist das Gegenteil derFall.Natürlich hal-
ten Wachstum, Kinderboom,Verkehr und Migration
einige schwierigeAufgaben bereit. Aber in denJah-
resrechnungen herrschen schwarze Zahlen vor, und
die finanziellenPolster sind gewachsen, obwohl man-
ches Schulhaus saniert sowie manches Heim gebaut
wurde und die Schulden leicht anstiegen.Auch blei-

ben die Steuerfüsse tendenziell stabil. Hingegen ist
die Lage für denRegierungsrat gleich in mehrfacher
Hinsicht kritisch, allen voran für Stocker.Aus takti-
scher Sicht hat derFinanzdirektor nicht mehr viel zu
bieten,umdenKommuneneinJa zumzweitenTeilder
Firmensteuerreformschmackhaftzumachen,wasmit
Steuerausfällen auch für Städte und Gemeinden ver-
bundenwäre.WeiterhabensichdieAussichtenfürdie
Staatskasse wieder verdüstert. Der Kanton bewegt
sich trotz den Überschüssen der letztenJahre in der
Alarmzone, in der ein neues Sanierungspaket nötig
werdenkönnte – und dies, noch bevor das 200-Mil-
lionen-Paket für die Zusatzleistungen verabschiedet
wurde. Sollte es tatsächlich zu finanziellen Proble-
men kommen, darf Stocker nicht auf Milde hoffen.
Die linken Gegner dürften nichts unversucht lassen,
umdafürdiejüngstbeschlosseneSteuerentlastungfür
Unternehmen verantwortlich zu machen, auch wenn
diese schon lange eingeplant war.
Die versprochene Steuerfusssenkung, von der so-
wohl die natürlichen als auch die juristischenPer-
sonen profitiert hätten, ist v on derRegierung be-
reits fallengelassen worden.NachLage der Dinge ist
aber auchTeil 2 der ungleich wichtigeren Unterneh-
menssteuerreform infrage gestellt. Das darf nicht
sein. Nur wenn dieReform zu Ende gebracht wird,
kann Zürich im Steuerwettbewerb noch einiger-
massen mithalten. AndereWirtschaftskantone wie
Basel, dieWaadt oder Genf senken ihre Gewinn-
steuern stark und weit unter das Zürcher Niveau.
Zürich hat in den vergangenenJahren eine be-
merkenswerte Phase der wirtschaftlichen Prospe-
rität erlebt.Dazu hat auch der Staat auf all seinen
Ebenen seinen Beitrag geleistet: der Bund etwa
mit derETH, der Kanton selbstverständlich, aber
auch die Städte und Gemeinden.Für die Zukunft
ist jedoch eine umfassende Diskussion über Sozial-
kosten und Steuern nötig, etwa beim Sozialhilfe-
ge setz, bei dem einederartigeVerknüpfung im Zu-
sammenhang mit demVerteilschlüssel denkbar ist.
Es braucht,mit anderenWorten,einen neuen Deal.

Nur wenn die Reform


zu Ende gebracht wird,


kann Zürich


im Steuerwettbewerb


noch einigermassen


mithalten.

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