Freitag, 20. September 2019 WIRTSCHAFT 33
Neuer Chef für die
französische Eisenbahn
Jean-Pierre Farandoumuss die Modernisierungstemmen
TANJA KUCHENBECKER,PARIS
Die Entscheidung fiel ganz oben. Präsi-
dent Emmanuel Macron hat den neuen
Chef für die Staatsbahn SNCF ausge-
sucht. Jean-PierreFarandou, Chef der
SNCF-FilialeKeolis, soll ab1. Januar
2020 denPosten von GuillaumePepy
übernehmen. Der neue Chef ist Inge-
nieur, ein echter Eisenbahner, schon 62
Ja hre alt und hat seine ganze Karriere
bei derBahn gemacht.Auf ihm lasten
hohe Erwartungen. Es ist ein histori-
scher Moment:Farandou solldie «neue
SNCF 2020» organisieren. Es ist das
Ende des Monopols und der Anfang des
Wettbewerbs auf der Schiene imregio-
nalen und überregionalenVerkehr.
DieBahn mit 270 000 Mitarbeitern
soll ab 2020 vollkommen reformiert
werden, sie orientiert sich dabei an der
DeutschenBahn. Der Zug- und Netz-
betreiber wird in eine staatliche Kapi-
talgesellschaft umgewandelt.Das Eisen-
bahngesetz wurde unter grossen Protes-
ten im vergangenenJahr verabschiedet,
weil dieBahnkeine Eisenbahner mehr
mit privilegiertem Beamtenstatus ein-
stellen soll und derenRentenpläne nicht
mehr sokomfortabel sind wie bisher.Auf
sozialerEbene bleibt dieReform weiter-
hin schwierig. Für Farandou ist es ausser-
dem nicht leicht, den sehr präsentenPepy
zu ersetzen, der zwölfJahre die SNCF
leitete. Farandous wichtigsteAufgabe
neben derReform:Er muss dafür sor-
gen, dass die Züge pünktlich sind, und
dieKosten der hochverschuldeten SNCF
senken.Kein leichtes Unterfangen.
DochFarandoukennt das Unterneh-
men bestens; der aus Bordeaux stam-
mendeFranzose hat 38Jahre imBahn-
bereich verbracht. Zu Anfang seiner
Karriere war erBahnchef, und seit2 012
ist er Chef des frankokanadischenVer-
kehrsunternehmensKeolis, das zu 70%
der SNCF gehört und inFrankreich so-
wie internationalaktiv ist. Im letztenJahr
erreichte er dort eine Umsatzsteigerung
von 10%. SeineAuslandserfahrung dürfte
ihm helfen, die SNCF auf dieKonkurrenz
vorzubereiten.Farandou war auch verant-
wortlich für so wichtige Projekte wie die
Lancierung des TGV vonParis nach Lille
und leiteteThalys International.
Die Spannung war gross, monatelang
dauerte die Suche.Ausserhalb derBahn
wurdekein geeigneter Kandidat gefun-
den. DerWunsch des derzeitigen Chefs,
dass es jemand von innerhalb der SNCF
wird, wurde erhört. Pepy unterstützteFa-
randou und betonte,es sei eine «Aner-
kennung des Unternehmens, dass es Chefs
wachsen lässt, und ein wichtiges Zeichen
für die Eisenbahner». Im Gespräch war
auchPatrickJeantet, der derzeitige Chef
des Streckennetzes SNCFRéseau. Der
Aufsichtsrat der SNCF muss der Ernen-
nung noch zustimmen,ausserdem haben
Senat und Nationalversammlung einVeto-
recht,was aber noch nie genutzt wurde.
Für Farandou sprach, dass er bei den
Eisenbahnern sehr beliebt ist. Erkönne
gut zuhören, heisst es. Farandou ist ein
Jahr älter alsPepy, alsoeherkein Mann
der Zukunft,kein Kandidat für eine
lauteRevolution bei der SNCF. Ihm
wird aber zugetraut, dass er denWan-
del behutsam und ohne viele Proteste
durchsetzt. Deshalb erschien er für den
Elyséepalast als besteWahl. Dieser
lobteFarandous Erfahrung imBahn-
bereich. Offenbar wollte Macron Ruhe
bei der SNCF schaffen, indem er einen
Chef wählte,dem die Belegschaft ver-
traut. Farandou diskutiert schon seit Juni
als Präsident der Union des transports
publics (UTP), der Arbeitgeber-Organi-
sation des öffentlichenVerkehrswesens,
mit den Gewerkschaften über die Eisen-
bahnreformen. Er hat auchkeine Be-
rührungsängste,war kürzlich auf der
Party deskommunistischen Magazins
«l`Humanité» und diskutierte mit lin-
ken französischen Gewerkschaftern
über die Eisenbahn.Erträumte davon,
seine Karriere ganz oben zu beenden,
nun wurde er in diePosition gepfiffen.
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Jean-Pierre
Farandou
SNCF Neuer Chef der SNCF
Opfer monetärer Fluten
Indiens früherer Notenbankchef rückt Spillovers inden Fokus
tf.· Die unbeabsichtigten Nebenfol-
gen der weltweit sehr lockeren Geld-
politik treten immer deutlicher zutage.
Diskutiert werden in der Öffentlich-
keit zumeistdieKonsequenzen für die
Urheber dieserPolitik, alsoetwafür
die USA oder die Euro-Zone. Weniger
Beachtung erhält diePerspektive der
Schwellenländer, obschon diese – ohne
eigenes Hinzutun – die Geldpolitik der
grossen Industrieländer sehr unmittel-
bar zu spüren bekommen. Kaum ein
Ökonom ist besser geeignet, diese oft
vergessene Sichtweise in Erinnerung
zu rufen, alsRaghuramRajan,der frü-
here Notenbankchef Indiens.Auf Ein-
ladung der Schweizerischen National-
bank rückteRajan imRahmen der Karl-
Brunner-Vortragsreihe solche Übertra-
gungseffekte (spillovers) in denFokus
seinerRede an derETH Zürich. Er plä-
dierte dafür, bei derFormulierung natio-
nalerPolitiken verstärkt auch interna-
tionaleFolgen zu berücksichtigen.
Wenn Schwellenländer im Zuge des
raschen Zu- oder Abflusses von Kapital
oft inTurbulenzen geraten,haben Öko-
nomen wie der frühereUS-Notenbank-
chef Ben Bernanke oft eine einfache
Erklärung parat:In diesenLändern sei
eben derWechselkurs,der ja als Puffer
diene, zu wenig flexibel.Für Rajan ist
dies ein zu simples Narrativ. Er zeigte
in Zürich, wie ein Zuviel an Liquidität
auf betrieblicher und nationaler Ebene
zu gefährlicher Selbstzufriedenheit füh-
ren kann.Wenn Krediterasch und un-
kompliziert verfügbar sind, verstum-
men kritischeFragen rund um die Cor-
porate Governance. Beispiele dazu gibt
es auch in Industrieländern.Rajan ver-
wies etwa auf Amerikas Häusermarkt
vorAusbruch derFinanzkrise. Zu beob-
achten waren damals sogenannte Ninja-
Kredite, also Gelder für Schuldner mit
«no income, no job, no assets».
In Schwellenländern führen hohe
Kapitalzuflüsse in Zeiten lockerer
Geldpolitiken grosser Industriestaa-
ten nicht zuletzt zu einerAufwertung
derWährung.Verfestigt sich die Er-
wartung, dass dieAufwertung anhal-
ten wird, wirkt dies wie zusätzliche
Liquidität im Empfängerland. Da-
durch steigt dieVerschuldung weiter.
Wenn Notenbanken in derFolgeam
Devisenmarkt intervenieren, um die
Aufwertung abzuschwächen, ist dies
lautRajan, anders als von Bernanke
behauptet, durchaus sinnvoll, daauf
dieseWeise die Heftigkeit des Booms
oder des Abschwungs gedämpft werden
könne.AuchRajankenntkeine ein-
fache Lösung, wie man Notenbanken
dazu bringen kann, die globalenFol-
gen ihresTuns stärker zu beachten. So
blickenWährungshüter meist nur auf
dieLage im eigenenLand. Er liess in-
desSympathien erkennen für eine stär-
ker regelbasierte Geldpolitik, wie sie
vor allem vom amerikanischen Öko-
nomenJohnTaylor, der vor zweiJah-
ren in Zürich die Karl-Brunner-Vor-
lesung gehalten hatte, propagiert wird.
Qatar Airways leidet
Das 2017 verhängte Embargo macht der Fluggesellschaft zu schaffen
WERNER ENZ
Die vom Emirat Katarkontrollierte Flug-
gesellschaft hat seit derVerhängung der
Blockade am 5.Juni 20 17 zweiDutzend
neue Destinationen zu ihrem bereits be-
eindruckenden Streckennetz hinzugefügt.
Der Leistungsausweis für das zurück-
liegendeJahr fällt aber trotz zweistelli-
gen Zuwachsraten imPassagiergeschäft
enttäuschend aus.Akbar AlBaker, derdie
Fluggesellschaft seit vielenJahren führt,
begründet dieAusweitungdesVerlusts
von7Mio. auf 639 Mio.$mit demWeg-
fall attraktiver Flugrouten, demAufwand
fürKerosin undWechselkursverlusten.
TeuresKerosin
Im Begleitwort zum vor kurzem publi-
zierten Geschäftsbericht schlägt AlBaker
kämpferischeTöne an:Falls Saudiarabien,
Bahrain, Ägypten und dieVereinigten
Arabischen Emirate mit der Blockade
eine Isolierung von Katar anstrebten,
hätten sie genau das Gegenteil davon er-
reicht.Verwiesen wird auf den aggressiven
Ausbau der Flotte, die mit 250 Flugzeugen
inzwischen jene desWidersachers Etihad
Airways um annähernd 100% übertrifft.
Zudem ist es einesehr junge Flotte,wo-
bei dieseAnschaffungen ohne dieFinan-
zierung aus der Staatskasse nicht im Ent-
ferntesten möglich gewesen wären.Wei-
tere 50 Bestellungen eingerechnet, hat
Katar 85 Mrd. $ in Flugzeuge gesteckt.
Einer Illusion unterliegen aber jene,
diemeinen, Qatar Airwayskönne ihre
Flugzeuge gratis auftanken. 20 18 nahmen
dieAufwendungen fürKerosin um mehr
als einen Drittel auf umgerechnet5Mrd.$
zu.Damit absorbierte dieRechnung für
den teuren Saft 36% des gesamtenAuf-
wands gegenüber knapp unter 32% im
Jahr zuvor. Obschon derkonsolidierte
Umsatz um ansehnliche14% auf mehr als
13 Mrd. $ zulegte und die Zahl der Be-
schäftigten mit plus 2% sich dazu stark
unterproportional entwickelte,rutschte
Qatar Airways tief in dieroten Zahlen
ab. Es wurden trotzdem innerhalb eines
Jahres weitere4,4 Mrd. $ in denAusbau
der Flotte und in weitere Aktiven gesteckt.
EinVerlust von 639 Mio.$kann trotz
den tiefenTaschen des Emirs nicht auf
die leichte Schulter genommen werden.
Es stelltsich unter anderem dieFrage,
ob Qatar Airways wegen der seit mehr
als zweiJahren geltenden Blockade
nicht allzu oft lange Umwege fliegen
muss undallein schon aus diesem Grund
nicht auf einen grünen Zweig gelangt.
Geografisch stark exponiert
Eine weitere spannendeFrage ist, was die
Minderheitsbeteiligungen an einerViel-
zahlvonausländischen Fluggesellschaften
mittel- bis langfristig bringen werden. Mit
einer 5%-Beteiligung an China Southern
Airlines kann Qatar Airways kaum Ein-
fluss nehmen. Anders verhält es sich im
Falle der Air Italy,der zweitgrössten italie-
nischenFluggesellschaft, an derihr 49%
der Anteile gehören.Ferner werden nam-
hafte Aktienpakete an der International
Airlines Group (British Airways, Iberia),
CathayPacific,JetSuiteundLatam gehal-
ten. Abgesehen vomkommerziellen Nut-
zen einer einseitigen Beteiligung – Qatar
Airways liegt zu 100% in staatlichem Be-
sitz – ist daran zu erinnern, dass Invest-
ments in Fluggesellschaften in allerRegel
ein grossesVerlustrisiko bergen.
Gerade mit Blick auf die vor mehr als
zweiJahren gegen Katar auf dem Luft-,
See- undLandweg verhängte Blockade
ist die Luftfracht vonstrategischer, teil-
weise gar existenzieller Bedeutung. Im
Geschäftsjahr 2018/19 stieg Qatar Air-
ways mit einer um 7% auf 1,45 Mio.tge-
steigertenTr ansportleistung weltweit zur
Nummer zwei auf.Von Doha aus fliegen
zweiDutzend Cargo-Flugzeuge 60 Desti-
nationen an, was den Import benötigter
Waren sicherstellt. Diese Luftbrücke
wird voraussichtlich weiterausgebaut,
auch mit Blick auf dieFussball-Welt-
meisterschaft 2022. Eskönntekompli-
ziert werden, wenn bis zu diesem inter-
nationalen Grossanlass das Embargo
der umliegendenLänder nicht aufgeho-
ben wird. Unabhängigdavon haben die
Drohnenangriffe auf Abkaik und Khu-
rais in Saudiarabien in Erinnerung ge-
rufen, wie explosiv dieLage sein kann.
Das Emirat Katar liegt jedenfalls unan-
genehm nahe an diesemKonfliktherd.
Erfolg braucht dierichtigenFragen.
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