Neue Zürcher Zeitung - 20.09.2019

(Ron) #1

FORSCHUNGUND TECHNIK Freitag, 20. September 2019


Ins Weltall,


um die Erde zu erkunden


Das Naturereignis hatte sich schon
Monate zuvor abgezeichnet. Ein tie-
fer Riss imLarsen-C-Eisschelf in der
Antarktis wuchs und wuchs. Es war nur
noch eineFrage der Zeit, bis der Glet-
scher kalben würde. Irgendwann zwi-
schendem 10. und dem 12.Juli 20 17
war es dann so weit. Ein Eisberg von der
Grösse des Kantons Bern driftete lang-
sam aufs offene Meer.
Obwohl in der AntarktisPolarnacht
war, warenForscherrasch im Bilde.
Denn im Abstand von wenigenTa -
gen flogen mehrere Satelliten über die
Region hinweg. Den ersten Hinweis auf
den Abbruch lieferte einWärmebild des
amerikanischenAqua-Satelliten.Kurz
darauf bestätigten Radaraufnahmen
des europäischen Sentinel-1B-Satelli-
ten, dass der Eisberg abgebrochen war.


EineVision nimmt Gestaltan


Das Beispiel zeigt, was im Satellitenzeit-
alter möglich ist. NebenWettersatelliten,
Kommunikationssatelliten und GPS-


Satelliten kreist eine ständig wachsende
Flotte von Erdbeobachtungssatelliten
um den Globus. Den mit verschiedens-
ten Kameras und Sensoren ausgestatte-
ten Spähern entgeht kaum etwas. Egal
ob sich Gletscher zurückziehen, ein Öl-
teppich auf dem Meer schwimmt oder
einWirbelsturm sich anbahnt; fast immer
sind Satelliten zur Stelle und zeichnen
das Geschehen auf. Das tun sie mit
immer höhererAuflösung. Und da sich
mit der zunehmenden Zahl der Satelli-
ten auch die Zeitspanne zwischen zwei
Überflügen des gleichen Orts verkürzt,
wird eineVision greifbar: quasi in Echt-
zeit zu verfolgen, wie sich der Zustand
der Erde verändert.


An solchen Informationen sind neben
Wissenschaftern auch staatliche Stellen
interessiert.Wenn sie wegweisende Ent-
scheidungen treffen müssen, sind sie auf
präziseDaten angewiesen.Auch zahl-
reicheFirmen haben in den letztenJah-
ren entdeckt, dass sich mit denDaten
aus demWeltraum Geld verdienen lässt
(siehe nebenstehenden Artikel).
Das Zeitalter der Erdbeobachtung
begann1972 mit dem Start des ersten
Landsat-Satellitender Nasa. DenAn-
stoss für das Programm lieferten die
eindrücklichen Bilder, die die Apollo-
Astronauten von der Erde gemacht hat-
ten.Auf Landsat 1 folgten sieben wei-
tere Satelliten, der bisher letzte imJahr


  1. Über dieJahre ist so eine einzig-
    artigeDatensammlung entstanden, auf
    die jeder Nutzer – auch aus demAus-
    land – frei zugreifen kann.
    Das Landsat-Programm der Ameri-
    kaner habe Massstäbe gesetzt, sagtJosef
    Aschbacher, der das Erdbeobachtungs-
    programm der ESA leitet.Auch Europa
    habe davon sehr profitiert.Während des
    Kosovokrieges Ende der1990erJahre
    habe es jedoch einen Sputnik-Moment
    gegeben. Europa haberealisieren müssen,
    dass man nicht wisse, was vor der eige-
    nen Haustüre passiere. Damals, so Asch-
    bacher, habe sich die Erkenntnis durch-
    gesetzt, dass Europa eigene Kapazitäten
    im Bereich der Umwelt- und der Sicher-
    heitsüberwachung aufbauen müsse.
    Mit dem von der ESAund der Euro-
    päischenKommission gemeinsam ge-
    tragenen Copernicus-Programm habe
    Europa eine Antwort auf die Domi-
    nanz der USA im Bereich der Erdbeob-
    achtung gegeben,sagtAschbacher. Das
    Programm umfasst sechsFamilien von
    Satelliten (die sogenannten Sentinels),
    die auf die Überwachung der Ozeane,
    der Atmosphäreund desLandes spezia-
    lisiert sind. Ergänzt werden diese durch
    Wettersatelliten,kleinereWissenschafts-
    missionen sowie Erdbeobachtungssatel-
    liten in nationaler oderkommerzieller
    Zuständigkeit.
    DenVergleich mit den amerikani-
    schenLandsat-Satelliten brauchen die
    Sentinels nicht zu scheuen. Die beiden
    Sentinel-2-Satelliten zum Beispiel, die
    sich seit 20 15 (Sentinel 2A) beziehungs-
    weise 20 17 (Sentinel 2B) imWeltraum
    befinden, erkennen Details, die nur zehn
    Metergross sind.Damit werden Flächen
    neunmal so gut aufgelöst wie mit dem
    Landsat-8-Satelliten. Und auch im Be-
    reich derRadarsatelliten hat Europa
    mit Sentinel-1A und -1B zwei Eisen im
    Feuer.Dass in Europa eine Menge in
    Bewegung ist, haben inzwischen auch
    die Amerikaner erkannt. So haben sie
    Interesse bekundet, ein gemeinsames
    Datenarchiv aufzubauen.
    An der Ministerratstagung im
    November will die ESA neue Satelli-
    tenmissionen vorschlagen.Das Coper-
    nicus-Programm sei zwischen 20 00 und
    2010 konzipiert worden, sagt Aschba-
    cher. Damals habe die Klimaproble-
    matik noch nicht den gleichen Stellen-
    wertgehabt wie heute.Was zum Beispiel
    fehle, sei ein hochauflösender Satellit zur
    Überwachung vonTr eibhausgasen, vor
    allem CO 2. Mit einem solchen Satelli-


In den nächsten Jahren


soll einDutzend


weitererSatelliten


hinzukommen,


so dass jederPunkt


aufder Erde


mehrmals täglich


überflogen wird.


QUELLE: UCS USA NZZ Visuals/brt.

1988

ca. 3000

2062

Operierende
Satelliten

Nicht mehrfunktionierende
Satelliten(Weltraumschrott)

StandApril 2019

769

Davon Erdbeobachtungs-
satelliten

Mit Landsat1begann 1972 die Erdbeobachtung.
Der Satellit ist seit 1978 ausserBetrieb, wie viele
der älteren Satelliten. Der älteste noch
funktionierende Satellit wurde 1974 gestartet. Es
handelt sich um einen Amateur-Radiosatelliten.

Kommerziell
Regierung

Militär
Mehrfachnutzungen

Zivil

OperierendeSatellitennachNutzung

Rund5000 Satellitenfliegenbereits im Erdorbit


Die Beobachtungsinstrumente bestimmen, wie der Satellit die Erde undwasera uf ihr sieht. BILD: ESA

Erdbeobachtungssatelliten entgeht sogut wienichts, was auf unserem Planetenpassiert.


Mit dem Aufkommen von Satellitenkonstellationen wirdman dieVeränderungen baldin


Echtzeit verfolgen können. VONCHRISTIANSPEICHER(TEXT), BALZRITTMEYER (GRAFIK)


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