24 LIFESTYLE DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,18.SEPTEMBER2019
E
igentlich hatten wir
Pärchenstreitszenarien
für Nele Sehrt vorberei-
tet. Doch dann sprach
die Paar- und Sexualtherapeutin
bei einem Workshop in Berlin
derart mitreißend über das The-
ma (wenig) Sex in Beziehungen,
dass wir lieber darüber länger
mit ihr sprechen wollten.
VON ANNA EUBEImmerhin ist das ein Problem,
das viele kennen, das manche tot-
schweigen und andere sich
schönreden („Wird schon wie-
der!“). Weil in fast jeder Bezie-
hung der Punkt kommt, an dem
der Sex abnimmt oder auch ganz
aufhört. Wieso ist das so, kann
man etwas dagegen tun – und
wenn ja, was?
Nele Sehrt hat dazu einige
überraschende Ansätze. Das be-
ginnt schon bei ihrer ganz per-
sönlichen Definition von
schlechtem Sex: „Man wird sti-
muliert und hofft auf die Erre-
gung. Aber eigentlich geht es ja
darum, erregt zu sein und die
Stimulation kaum abwarten zu
können!“
WELT: Ist zu wenig Sex ein gro-
ßes Thema bei den Paaren, die
Sie als Therapeutin betreuen?
NELE SEHRT:Ja, ich höre das
auch häufig als Grund für Tren-
nungen. Was ich spannend finde:
Hat man sich dann eigentlich ge-
nug um den Sex gekümmert?
Häufig sagt man sich: „Das wird
irgendwann wieder besser.“ Weil
viele es gar nicht gewohnt sind,
aktiv etwas für das Sexleben in
der Beziehung tun zu müssen, in
der Phase der ersten Verliebtheit
war die Lust auf den anderen
schließlich einfach da. Dann be-
kommt man vielleicht Kinder, es
passiert dieses oder jenes, und
die Sexualität schläft ein.Wieso schläft sie überhaupt
ein?
Mit Sex bestätigt man sich ge-
genseitig als Paar. Denn ein Paar
braucht einen exklusiven Rah-
men, etwas, das es nur miteinan-
der und nicht mit anderen tut.
Bei vielen ist das Sex. Je mehr
man sich aber nach außen hin alsPaar zeigt, zum Beispiel durch
Händchen halten oder eine ge-
meinsame Wohnung, desto weni-
ger muss man sich gegenseitig
bestätigen.Aber wohin verschwindet denn
die Lust auf den anderen, die
am Anfang noch so groß war?
Am Anfang investiert man so
viel! Das ist ein einziges langes
Vorspiel: Man führt Gespräche,
fragt interessiert nach, schickt
sich Nachrichten, macht sich zu-
recht, findet Gemeinsamkeiten.
In der Beziehung gibt es dieses
ausgiebige Vorspiel nicht mehr –
man kann nicht erwarten, dass
die Lust die gleiche ist. Ab fünf
Jahren spricht man von einer
Langzeitbeziehung, häufig wohnt
man dann auch zusammen. Man
hat also permanent Kontakt, man
weiß: Der andere kommt jeden
Abend von der Arbeit nach Hau-
se. Aber sexuelle Lust entsteht
aus der Distanz. Damit ich das
Bedürfnis habe, jemandem näher
zu kommen, muss der erst mal
weg sein.Was ist mit Paaren, die noch
nicht einmal fünf Jahre zusam-
men sind, aber trotzdem Flaute
im Bett haben?
Das ist völlig normal. Das erste
Strohfeuer der Verliebtheit dau-
ert drei bis vier Monate, dann
kommen neun bis zwölf Monate,
in denen die ganzen Neurotrans-
mitter und Glückshormone noch
aktiv sind. Das ist wie ein Rausch.Nach einem Jahr weiß man unge-
fähr, wie der Partner ist. Was
dann geschieht, hat mein Sexual-
ausbilder Ulrich Clement aus
Heidelberg immer so zusammen-
gefasst: „Man trifft sich sexuell
auf dem kleinsten gemeinsamen
Nenner.“ Man reduziert sich auf
die Sexualität, die am wenigsten
Schwierigkeiten bereitet und am
meisten Spaß macht. Erst sind es
vielleicht fünf Positionen, dann
drei und schließlich noch eine.
Wenn man etwas Besonderes
machen möchte, nimmt man die
zweite noch dazu.Und dann liest man in einer
Umfrage, dass Paare in dersel-
ben Altersklasse aber drei Mal
die Woche Sex haben.
Hat die jüngste Studie nicht be-
sagt, dass Paare, die einmal in der
Woche Sex haben, zufrieden
sind? (lacht)Solche Studien muss
man sich ganz genau anschauen,
ist das überhaupt repräsentativ?
Ich finde es sinnvoller, sich da-
von zu befreien, es richtig ma-
chen zu wollen. Es gab ja auch
Zeiten, in denen es nicht richtig
war zu masturbieren. Zu mir
kommen auch Paare, die sich
nach der Geburt eines Kindes da-
rüber sorgen, dass sie weniger
Sex haben. Die dann denken:
„Wenn das der Richtige für mich
wäre, hätten wir doch noch Sex!“
Die deshalb an der Beziehung
zweifeln. Das finde ich schwierig,
eine der wichtigsten Aufgaben in
einer Partnerschaft ist meinesErachtens, sich von Märchenvor-
stellungen und gesellschaftlichen
Normen zu befreien und zu über-
legen: Wie will ich meine Sexuali-
tät gestalten?Ist es ein Problem, wenn Paare
gar keinen Sex mehr miteinan-
der haben?
Das bestimmt das Paar selbst.
Wenn sie Sex nicht so wichtig
finden, dann ist alles okay. Ich
muss mal eine Lanze für Leute
brechen, denen Sexualität nicht
so wichtig ist, die gibt es auch.
Sex gehört nicht zwingend zu ei-
ner Partnerschaft dazu, es gibt
Bindungen, die wunderbar ohne
überleben.Häufig hört man von der Kon-
stellation: Er würde gerne öf-
ter, sie am liebsten gar nicht.
Ich stelle keine Ferndiagnosen,
ich bin keine Hellseherin. Aber
die Frage, die ich mir hier stelle,
lautet: Möchte die Frau grund-
sätzlich keinen Sex – oder möch-
te sie nur den Sex nicht, den ihr
Partner ihr anbietet? Also wie
muss die Sexualität gestaltet
sein, damit die Frau auch Lust
darauf hat? Traut sie sich das zu
kommunizieren? Traut sich der
Mann, auf neue Ideen zu kom-
men, oder spult er nur sein Mus-
ter ab? Was nichts Verwerfliches
ist, wir alle spulen Muster ab.
Hinzu kommt, dass Männer und
Frauen häufig an der Paarsexuali-
tät vorbei masturbieren. Viele
Frauen stimulieren vor allem die„Will die Frau
kkkeinen einen
Sex?
Oder nicht
den, den der
Partner
anbietet?“
Wenig oder gar keine
Intimität mehr und
unzufrieden damit –
kommt man da als
Paar wieder raus?
Und wenn ja, wie?
Sexualtherapeutin
Nele Sehrt hat einige
Ideen – für sinnvolles
Training und bessere
Kommunikation
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