Süddeutsche Zeitung - 18.09.2019

(Tina Sui) #1
von meike schreiber
und markus zydra

Frankfurt– Obdie Deutsche Bank je wie-
der an alte Erfolge anschließen kann, ist
ungewiss. Schließlich sind die Risiken des
Konzernumbaus beträchtlich. Einer, der
diese Frage beantworten können sollte, ist
Alexander von zur Mühlen. Der Berliner ar-
beitet seit mehr als 20 Jahren bei dem größ-
ten deutschen Geldhaus. Vor einem Jahr
stieg er zum Strategiechef des Instituts
auf. „Seine langjährige Erfahrung in ver-
schiedenen wichtigen Positionen unserer
Bank prädestiniert ihn für diese Aufgabe“,
lobte Konzernchef Christian Sewing da-
mals in einer internen Mitteilung. Und in
der Tat: Von zur Mühlen hat auch den Kon-
zernumbau orchestriert, den Sewing im Ju-
li vorstellte, und der das Kreditinstitut aus
seiner Krise herausführen soll.
Sein berufliches Wirken aber steht auch
in einem anderen Licht. Nach Recherchen
derSüddeutschen Zeitungist von zur Müh-
len mitverantwortlich für Geschäfte, mit
denen sich die Deutsche Bank über eine
ausdrückliche Anweisung der Europäi-
schen Bankenaufsicht hinweggesetzt hat
und die zu einem saftigen Bußgeld führen
könnte. Die Kontrolleure bei der EZB prü-
fen seit zwei Monaten, ob sie ein Verfahren
eröffnen, weil das Institut über Jahre hin-
weg ein Verbot der Behörden ignorierte, ei-
gene Anleihen zurückzukaufen. Es ist ein
bekanntes Muster der Deutschen Bank
und legt erneut Zeugnis ab von einer in Tei-
len rücksichtslosen Unternehmenskultur
auf Leitungsebene, die der Bank in den ver-
gangenen Jahren Strafzahlungen in Milli-
ardenhöhe beschert hat.
Das Agieren des neuen Strategiechefs
ist damit ein weiteres Beispiel dafür, wie
tief die Bank immer noch in die alten Ge-
schäfte verwickelt ist, und wie schwer ihr
auch der personelle Neuanfang fällt, den
Bankchef Sewing immer wieder ausruft.
Erst jüngst hatten SZ-Recherchen ent-

hüllt, dass mit Louise Kitchen ausgerech-
net eine Managerin zur neuen Chefin der
internen Abbaubank befördert wurde, die
vor Jahren mitverantwortlich dafür war,
dass die Bank krumme Geschäfte mit CO2-
Zertifikaten lange Zeit laufen ließ. Die Re-
cherchen führen in den engsten Machtzir-
kel der Bank und stellen den propagierten
Kulturwandel immer mehr in Frage. Denn
im Fokus stehen nun Geschäfte, die erst
wenige Jahre zurückliegen.

Im aktuellen Fall geht es nun darum,
dass die Bank nach Informationen der SZ
mehr als zwei Jahre lang ganz bestimmte
eigene Anleihen zurückgekauft hat, ohne
dafür die zwingend vorgeschriebene Er-
laubnis der Bankenaufsicht einzuholen. Es
handelt sich hier um sehr wichtige Wertpa-
piere, die im Falle einer finanziellen Schief-
lage der Bank sicherstellen sollen, dass
nicht sofort der Steuerzahler als Retter ein-
springen muss, weil stattdessen die Käu-
fer der Anleihen in Haftung genommen
würden. In der Fachsprache heißen diese
Anleihen AT-1 und AT-2. Das ist eine Misch-
form aus Anleihen und Aktien, also aus
Fremd- und Eigenkapital, auch Nachrang-
kapital genannt. Als Ausgleich für das Risi-
ko muss das Kreditinstitut den Anlegern ei-
nen vergleichsweise hohen Zins zahlen.
Die dahinterstehenden Haftungsregeln
(Bail-in) gelten seit 2015, ihre Einführung
folgte auf die Erfahrungen der Finanzkri-
se. Entsprechend streng schaut die Banken-
aufsicht auf diesen Bereich, denn manch-

mal möchten Banken diese Wertpapiere zu-
rückkaufen und neue emittieren, dann
nämlich, wenn es am Markt einen niedrige-
ren Zins gibt. Außerdem wollen die Banken
ihren Investoren einen „liquiden“ Markt
bieten, auf dem sie jederzeit Papiere ver-
und ankaufen können. Doch dafür gibt es
eine juristische Vorgabe: „Wenn eine Bank
diese Wertpapiere zurückkaufen möchte,
dann braucht sie die Genehmigung der
Bankenaufsicht. Das ist seit 2014 ganz klar
so geregelt“, sagt ein Fachanwalt, der nicht
namentlich genannt werden will.
Daran aber hat sich die Bank nicht gehal-
ten. Im April 2014, als die Chefs des Insti-
tuts noch Anshu Jain und Jürgen Fitschen
hießen, begann das Geldhaus demnach für
dreistellige Millionenbeträge eigene Anlei-
hen zurückzukaufen – zur „Marktpflege“,
wie ein Insider sagt. Erst zum Jahresende
2014 aber fiel den Bankern ein, auch ein-
mal bei der Aufsicht nachzufragen und die
Rückkäufe formell genehmigen zu lassen.
Die EZB aber, die seinerzeit gerade frisch
die Aufsicht über Europas Großbanken
übernommen hatte, ließ die Deutsche
Bank abblitzen. Sie ordnete an, den Handel
sofort einzustellen.
Alexander von zur Mühlen war damals
„Chef-Treasurer“, also grob gesagt für die
Refinanzierung der Bank zuständig. Zu-
sammen mit dem damaligen Co-Chef des
Investmentbankings, der kurz darauf die
Bank verlassen musste, bat er dem Verneh-
men nach bei den Aufsehern darum, den
Handel mit den Anleihen auf keinen Fall zu
verbieten. Die beiden Manager begründe-
ten es mit der prekären Lage des Geldhau-
ses: Es könnte unkontrollierbare negative
Folgen für die Bank haben, wenn sie den
Handel plötzlich einstellen müsste.
Schließlich könnte sich die gesamte Refi-
nanzierung des Instituts verteuern, was
das Kreditinstitut in dem schwierigen
Marktumfeld nicht gut verkraften würde.
In der Tat können die Kurse der besag-
ten Nachranganleihen auch die ganz nor-

malen Anleihen einer Bank beeinflussen.
Steigt der Kurs der AT-1-Anleihen, steigt
oft auch der Kurs der „normalen“ Anlei-
hen. „Wer an dieser Schraube dreht, hat ei-
nen riesigen Hebel, die eigene Refinanzie-
rung zu vergünstigen“, sagt ein Anleihe-Ex-
perte, der nicht namentlich genannt wer-
den will. Und umgekehrt: Wenn die
AT-1-Anleihen fallen, muss das Institut wo-
möglich auch für alle anderen neu begebe-
nen Anleihen höhere Zinsen zahlen. Ein
Aufpreis, den sich gerade die Investment-
banker nicht leisten konnten oder wollten.
Schließlich hingen ihre Gewinne und da-
mit wohl auch ihr Bonus von der Höhe der
Anleihezinsen der Bank ab.

Im Jahr 2017 erteilte die EZB schließlich
die Genehmigung, die aber nicht rückwir-
kend galt. Weitere zwei Jahre später folgt
nun die Prüfung zur Eröffnung eines Ver-
waltungsverfahrens. Die Bankenaufseher
monieren, dass die Bank von 2014 bis Au-
gust 2017 unerlaubt die besagten Anleihen
gehandelt hat. Die Bußgelder können emp-
findlich sein. Laut Verordnung ist eine Stra-
fe in Höhe des Doppelten der daraus resul-
tierenden Gewinne oder Ersparnisse mög-
lich. Ob und wie viel die Bank zahlen muss,
ist aber noch völlig unklar. In jedem Fall
kostet der Fall erneut Reputation. Haben
die Banker das Verfahren bewusst in Kauf
genommen, weil sie wussten, das Fehlver-
halten kommt, wenn überhaupt, erst Jahre
später heraus? Ein Fachanwalt, den die SZ
befragt hat, hält den Vorgang jedenfalls für
ernst. „Man kann sich eigentlich gar nicht
vorstellen, dass ein Kreditinstitut bewusst
ohne Genehmigung aktiv würde. Man soll-
te als Bank die Aufseher niemals so brüs-
kieren.“ Weder die Deutsche Bank noch die
EZB wollten sich dazu äußern.

Eine Sache muss geklärt werden, bevor es
um Wichtigeres geht: Elon Musk darf sich
als Gründer von Tesla bezeichnen. Eine
außergerichtliche Einigung im Septem-
ber 2009 besagt, dass sich nicht nur die
tatsächlichen Gründer des kalifornischen
Elektroautoherstellers, Martin Eberhard
und Marc Tarpenning, so nennen dürfen,
sondern auch die ersten Investoren
Musk, J. B. Straubel und Ian Wright. Es ist
also, weil das gerade in sozialen Netzwer-
ken angezweifelt wird, schon in Ordnung,
dass sich Musk in den Unterlagen an ein
Gericht in Los Angeles so beschreibt.
In diesen Unterlagen geht es darum,
dass Musk im Sommer 2018 den briti-
schen Höhlenforscher Vernon Unsworth
in einem Twitter-Eintrag als „pedo guy“
bezeichnet hat, was sich wohl mit „Pädo-
Typ“ übersetzen lässt. Unsworth war da-
mals an der Rettungsaktion einer thailän-
dischen Jugendfußballmannschaft betei-
ligt. Die von Musk angebotene Hilfe, ein
Mini-U-Boot zu verwenden, hatte er als
„PR-Trick“ abgetan. Zwei Monate später
verklagte er Musk wegen Verleumdung,
die Gerichtsverhandlung soll am 2. De-

zember beginnen. Musk will diese Ver-
handlung unbedingt verhindern, deshalb
gibt es diese Unterlagen, die wenig schmei-
chelhaft für ihn sind. Er erklärt darin zum
Beispiel, dass er, der Tech-Visionär, den
Wohnort von Unsworth (die thailändische
Provinz Chiang Rai) gegoogelt und dabei
bemerkt habe, dass die Gegend bekannt
für Kinder-Prostitution und Sexhandel
bekannt sei. Er habe für 50 000 Dollar den
Privatdetektiv James Howard angeheuert,
um möglichst viele Details über das Leben
von Unsworth zu erfahren – und letztlich
festgestellt, dass die Detektei „mit uns
gespielt“ habe. In einer E-Mail an einen
Reporter des NachrichtenportalsBuzzfeed
bezeichnete Musk den Forscher als „Kin-
der-Vergewaltiger“.
Allerdings, und diese Argumentation
muss man sich dann doch auf der Zunge
zergehen lassen, sei der Ausdruck „pedo
guy“ keineswegs eine Anklage gewesen.
„Ich wollte nicht insinuieren, dass sich
Mister Unsworth der Pädophilie schuldig
gemacht hat“, heißt es in den Unterla-
gen:„‚Pedo guy‘ war vielmehr ein übli-
ches Schimpfwort in Südafrika, wo ich

aufgewachsen bin. Es ist gleichbedeu-
tend mit ‚gruseliger alter Mann‘, es wird
dazu benutzt, sich über das Aussehen und
Verhalten einer Person lustig zu machen,
nicht, ihn der Pädophilie zu beschuldi-
gen.“ Musks Anwälte argumentieren über-

dies, dass der Eintrag bei Twitter (für den
Musk sich mittlerweile entschuldigt und
den er gelöscht hat) und eine E-Mail an ei-
nen Journalisten nicht für eine Anklage
wegen Verleumdung ausreichen würden


  • zudem sei der 64 Jahre alte Unsworth
    als Person des öffentlichen Lebens zu
    betrachten. Das würde Unsworth nach
    kalifornischem Recht erschweren zu be-
    weisen, dass Musk mit dem Eintrag und
    der E-Mail sorglos gehandelt habe: „Die
    Verfassung erlaubt es Mister Unsworth
    nicht, wegen einer Beleidigung auf
    Twitter und einer privaten E-Mail eine
    Verleumdungsklage anzustrengen.“ Die
    Anwälte von Unsworth weisen die Argu-
    mentation in einer Mail zurück: „Dieser
    Antrag ist ein Angriff auf die Wahrheit, so
    wie es auch seine erste unwahre und ruch-
    lose Beschuldigung gewesen ist.“ Es ist
    nicht zu erwarten, dass Unsworth die
    Klage zurückzieht. Er hatte auf die ersten
    Anschuldigungen gesagt, dass sich der
    Chef (und Gründer) von Tesla, der damals
    50 Angestellte nach Thailand geschickt
    hatte, sein U-Boot dorthin stecken könne,
    wo es wehtue. jürgen schmieder


DEFGH Nr. 216, Mittwoch, 18. September 2019 15


von alexander hagelüken

A

ls Saddam Hussein 1990 Kuwait
überfiel, regierte in den USA noch
der Vater von George W. Bush. Bush
junior selbst verließ auch schon vor zehn
Jahren das Weiße Haus. 1990/91: So lange
ist es her, dass der Ölpreis an einem Tag so
hochschoss wie jetzt nach der Attacke auf
Saudi-Arabien. Das zeigt, wie sehr der
Drohnenangriff die Märkte durchschüt-
telt. Der Petroschock türmt ein weiteres
Risiko für die Weltwirtschaft auf, die für
Deutschland zentral ist. Die Bundesregie-
rung muss eine Antwort darauf finden.
Sicher, es gibt Argumente dafür, dass
der ökonomische Fallout der Attacke be-
grenzt bleibt. Der Erdball hängt nicht
mehr so am Tropf des Nahen Ostens wie in
der ersten Ölkrise 1973, als das Opec-Kar-
tell den Preis vervierfachte. Heute heißt
der größte Produzent USA – und könnte
mit seinen Reserven die ausfallende saudi-
sche Förderung wochenlang ausgleichen.
Insgesamt herrscht ein Überangebot am
schwarzen Rohstoff. Keiner der Anbieter
will den Preis hochschnellen sehen, weil
das die Loslösung des Westens von klima-
schädlichen Energien beschleunigt. Die-
ses Eigeninteresse begrenzt den Ölpreis
und damit die konjunkturellen Folgen.


Auf der anderen Seite könnte der Droh-
nenangriff fundamental etwas verän-
dern. Die Märkte nehmen ihn viel ernster
als die Zwischenfälle, die sich am Golf die-
ses Jahr bereits ereigneten. Schlimmsten-
falls kommt es zu einem Krieg zwischen
dem Iran, Saudi-Arabien und den USA.
Daran kann zwar eigentlich keiner Kon-
fliktpartei gelegen sein. Doch es agieren
auf allen Seiten Hitzköpfe, die womöglich
schneller schießen als denken – mit Do-
nald Trump, anders als zu früheren Zei-
ten, auch in der US-Regierung. Explodiert
der Ölpreis, wird es zu einer Rezession
kommen, so wie in jeder Dekade seit den
1970er-Jahren.
Auch wenn der Welt ein Krieg erspart
bleiben mag, hat die Attacke doch die Unsi-
cherheit auf der globalen Energie-Land-
karte etabliert. Die Ölfirma Aramco gilt
als gewinnträchtigstes Unternehmen des
Erdballs. Das bevölkerungsarme Saudi-
Arabien ist der drittgrößte Waffenkäufer
der Welt. Wenn sich diese Macht mit Droh-
nen für einige Tausend Dollar überwin-


den lässt, so dass auf einen Schlag fünf
Prozent der globalen Ölproduktion ausfal-
len – was kann dann noch alles passieren?
Analysten sprechen nun von einer Risiko-
prämie für den Rohstoff. Steigt der Öl-
preis dauerhaft um zehn Dollar, belastet
das schon die globale Wirtschaft.
Denn der Weltkonjunktur kommt wei-
tere Unsicherheit alles andere als gelegen.
Ob Brexit oder Trumps Strafzölle – Politi-
ker hatten schon einen Abschwung ausge-
löst, bevor Jemens Rebellen Drohnen ab-
feuerten. Und anders als nach der Finanz-
krise 2008 wird Asien die globale Konjunk-
tur diesmal nicht retten. China meldet die-
se Woche den niedrigsten Anstieg der In-
dustrieproduktion seit 17 Jahren. Die
Wachstumsmaschine, die gerade deut-
schen Firmen Geschäft bescherte, läuft
seit Jahren langsamer.
Schon diese Normalisierung, die ein
Newcomer auf dem Weltmarkt irgend-
wann erleben muss, belastet Exportnatio-
nen wie die Bundesrepublik. Nun aber ver-
schärfen Trumps Monsterzölle Chinas
Probleme. Mancher beruhigt sich damit,
der Präsident werde den Konflikt bald be-
enden, um die US-Konjunktur nicht vor
den Wahlen 2020 abschmieren zu lassen.
Doch je länger die schon eineinhalb Jahre
währende Machtprobe dauert, desto mög-
licher wird ein anderes Szenario: Dass ei-
ner der beiden Seiten keinen raschen Deal
will, sondern den Kampf um die ökono-
misch-technologische Vorherrschaft bis
zum Ende austrägt.
Ölschock, Chinaschwäche, Handels-
streit: Mancher deutsche Politiker mag
sich gerade wünschen, er säße in der fran-
zösischen Regierung. Ja, ausgerechnet
das als reformlahm geltende Frankreich
dürfte wirtschaftlich heuer drei Mal so
stark wachsen wie Deutschland. Denn es
hängt nur zu 30 Prozent von Exporten ab,
die Bundesrepublik aber zu 50 Prozent.
Wenn die Weltwirtschaft kriselt und so-
gar in die Knie geht, trifft das Deutschland
besonders. Die Bundesregierung sollte
daraus die Konsequenzen ziehen und end-
lich die heimische Nachfrage stärken.
Wenn die Exporte dümpeln, können es
nur Aufträge an die Firmen richten – und
Anreize für Konsumenten. Ersteres lässt
sich durch Investitionen in die malade In-
frastruktur erreichen. Letzteres, indem
die Masse von Steuern und Abgaben ent-
lastet wird. Damit Bürgern vom Lohn
mehr bleibt, statt durch teureres Öl noch
weniger. Die Bundesregierung ist gefor-
dert. Sie kann es sich durch die rekord-
niedrigen Zinsen leisten, das nötige Geld
zu beschaffen. Sie muss es nur wollen.

Es gibt sie noch, die guten Nachrichten, so-
gar aus Großbritannien. Trotz Brexit fin-
den sich im Vereinigten Königreich Unter-
nehmer, die an die Zukunft ihres Landes
glauben. Jim Ratcliffe ist so einer. Der Bri-
te will in dieser Woche einen Deal bekannt
geben, der durchaus als patriotischer Akt
zu verstehen ist. Sir Jim will, berichtet die
Financial Times, ausgerechnet in dem
Werk einen neuen Geländewagen bauen,
das der Autokonzern Ford im kommenden
Jahr schließen wird: in Bridgend, Wales.
Kommt es dazu, würde Sir Jim zum Retter
verloren geglaubter Arbeitsplätze und da-
mit ein Liebling von Premierminister Boris
Johnson, der sein Land am 31. Oktober aus
der EU führen will.
Ratcliffe, 66 Jahre alt, ist ein Brexit-Fan.
Er hält nichts von der EU und findet dafür
deutliche Worte: „Brüssel ist ineffizient
und sehr bürokratisch. Das Konzept der
Vereinigten Staaten von Europa funktio-
niert nicht.“ Wie der Staubsauger-Unter-
nehmer James Dyson zählt er zu jenen Mil-
liardären im Königreich, die den EU-Aus-
tritt herbeisehnen. Doch anders als Dyson,
der den Sitz seines Konzerns von Großbri-
tannien nach Singapur verlegt hat, insze-
niert sich Ratcliffe weiter als überzeugter
Untertan seiner Majestät. So verlegte er die
Zentrale seines Unternehmens Ineos 2016
von der Schweiz zurück nach London. Sein
Vermögen wird auf mehr als 18 Milliarden
Pfund geschätzt. Er ist Gründer, Mehrheits-
eigner und Chef von Ineos, einem der größ-
ten Chemiekonzerne der Welt.
Für einen, der zur britischen Oberklasse
zählt, hat Ratcliffe einen ungewöhnlichen
Lebenslauf. Er wuchs in bescheidenen Ver-
hältnissen auf, sein Vater war Schreiner
und hatte kein Geld, um seinen Sohn auf ei-
ne der teuren Universitäten zu schicken.
Jim Ratcliffe besuchte eine staatliche Schu-
le und studierte in Birmingham Chemie-In-
genieurwesen. Nach dem Abschluss fing er
beim Öl- und Gaskonzern BP an, wechselte


zum Rivalen Esso und heuerte schließlich
1989 beim Finanzinvestor Advent Interna-
tional an.
Ratcliffe bezeichnete diesen Schritt
einst als Wendepunkt in seiner Karriere.
Bei dem Investor lernte er, Unternehmen
zu bewerten, Kaufverhandlungen zu füh-
ren und die Finanzen in Ordnung zu brin-
gen. Ratcliffe hatte nun Erfahrung sowohl
in der Industrie als auch bei der Übernah-
me von Firmen. Im Jahr 1992, kurz vor sei-
nem 40. Geburtstag, wagte er den Schritt
in die Selbständigkeit. Mit einem Ge-
schäftspartner und Unterstützung von Ad-
vent kaufte er BP eine Chemiesparte ab.
1994 brachten sie die Firma an die Börse.
So ging es weiter. Der Engländer kaufte,
was andere loswerden wollten, und mach-
te damit Profit.
Der britische Patriot, als den er sich seit
dem Brexit-Referendum darstellt, war er
nicht immer. So ist Ratcliffe etwa Eigentü-
mer des französischen Erst-Liga-Klubs
OGC Nizza, was englischen Fußballfans
nur sehr schwer zu erklären ist. Hinzu ka-
men Spekulationen, ob er seinen Wohnsitz
aus Steuergründen nach Monaco verlegt
hat. Doch das scheint plötzlich nicht so
wichtig zu sein, will er doch nun in seiner
Heimat ein Auto bauen lassen, das an den
britischen Geländewagen schlechthin erin-
nern soll: den Land Rover Defender. Ratclif-
fe, so sagt er selbst, möchte den „Nachfol-
ger im Geiste“ herstellen. Er spekuliert
offenbar darauf, dass viele Defender-Lieb-
haber das Original vermissen – schließlich
wird Land Rover das Modell in seiner alten
kastenförmigen Form nicht weiter bauen,
sondern ein SUV, das zwar noch den Na-
men trägt, aber mit dem Ur-Design des
Geländewagens nicht mehr viel zu tun hat.
Sir Jim will der Welt einfach beweisen,
dass es sie noch gibt: die guten alten
britischen Autos, denen nicht einmal der
Brexit etwas anhaben kann.
alexander mühlauer

Ohne Erlaubnis


Die DeutscheBank hat mehr als zwei Jahre lang eigene Anleihen zurückgekauft – ohne Genehmigung der Aufsicht.
Nun wollen die Bankenaufseher der Europäischen Zentralbank gegen das Geldhaus vorgehen

Elon Musk, ein Privatdetektiv und hässliche Worte


Der Tesla-Gründer setzt alles daran, sich aus einem drohenden Prozess wegen Verleumdung zu winden


Alexander von zur
Mühlen ist seit Früh-
jahr 2018 Strategie-
chef der Deutschen
Bank. Zuvor leitete
der Manager von
2009 bis 2017 die
Treasury-Abteilung
des Kreditinstitutes.
FOTO: OH

Im Fokus stehen Geschäfte,
die erst wenige Jahre
zurückliegen

WIRTSCHAFT


WELTWIRTSCHAFT

Noch ein Schock


Plötzlich Patriot


Der britische Milliardär Sir Jim will im Königreich ein Auto bauen


Vor Beginn der Hauptversammlung: Ziemlich alleingelassen mögen sich inzwischen viele Aktionäre der Deutschen Bank fühlen. FOTO: MICHAEL PROBST/AP

NAHAUFNAHME


„Brüssel istineffizient und
sehr bürokratisch.
Das Konzept der
Vereinigten Staaten von
Europa funktioniert nicht.“
Jim Ratcliffe
FOTO: REUTERS

Elon Musk sagt, dass „pedo guy“, also
„Pädo-Typ“, anders gemeint war, als
man denken könnte. FOTO: ALY SONG/REUTERS

Der Drohnenangriff auf


Saudi-Arabien könnte


fundamental etwas verändern

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