von björn finke
Brüssel– Es geht um viel in Luxemburg:
darum,wie Konzerne in Zukunft besteuert
werden, um den Ruf von Margrethe Vesta-
ger und um annähernd 3000 Euro für je-
den einzelnen Iren. EU-Wettbewerbskom-
missarin Vestager hat Irland vor drei Jah-
ren angewiesen, 13 Milliarden Euro Steu-
ern vom US-Technologiekonzern Apple
nachzufordern. Mit Zinsen beläuft sich die
Summe inzwischen auf 14,3 Milliarden Eu-
ro, die das kalifornische Unternehmen auf
einem Treuhänderkonto hinterlegt hat.
Für Irland mit seinen 4,8 Millionen Ein-
wohnern wäre das ein enormer Geldsegen.
Doch die Regierung will das Geschenk gar
nicht und reichte genau wie Apple Klage ge-
gen den Beschluss ein. Am Dienstag tru-
gen die Parteien ihre Argumente im EU-Ge-
richt in Luxemburg vor, an diesem Mitt-
woch geht die Anhörung weiter.
Vestager wirft dem irischen Fiskus vor,
dem iPhone-Hersteller unfaire Steuervor-
teile gewährt zu haben. Das sei eine uner-
laubte Subvention, urteilt die Dänin. Län-
der sollten nicht Konzerne mit dubiosen
Steuer-Abmachungen anlocken, zulasten
der Einnahmen anderer Staaten. Daher
müsse Dublin nachträglich Steuern für die
Jahre 2003 bis 2014 eintreiben.
Die liberale Politikerin geht nicht nur ge-
gen die Arrangements von Apple und dem
irischen Fiskus vor. Andere Unternehmen
und Steuerbehörden gerieten ebenfalls in
Vestagers Visier. So soll Luxemburg einer
Fiat-Tochter zu sehr entgegengekommen
sein, Gleiches gilt für die Niederlande und
die US-Kaffeekette Starbucks. Wie der
Apple-Disput landeten die Fälle vor dem
EU-Gericht – und die Urteile werden bei
diesen beiden Verfahren schon kommende
Woche verkündet.
Vestager hat sich den Ruf einer eisernen
Streiterin für Verbraucher und Steuerzah-
ler erworben. Sie zog damit den Zorn von
US-Präsident Donald Trump auf sich, der
die Interessen amerikanischer Konzerne
bedroht sieht und Vestager als „tax lady“,
Steuer-Lady, bezeichnete, die Amerika
„wirklich hasst“. Niederlagen vor Gericht
würden das Sieger-Image der Dänin be-
schädigen – dabei wurde sie gerade von
der neuen Kommissionschefin Ursula von
der Leyen zur mächtigen Exekutiv-Vize-
präsidentin befördert. Sie soll sich von No-
vember an neben Wettbewerb auch der Re-
gulierung der Internetbranche widmen.
Stützen die Richter dagegen die Auffas-
sung der Kommission, würde das die Brüs-
seler Behörde ermutigen, sich weiter Steu-
er-Arrangements globaler Konzerne zu
widmen. Das Urteil im Apple-Streit wird
wohl erst im kommenden Jahr verkündet;
danach gilt eine Berufung vor der höchs-
ten Instanz, dem Europäischen Gerichts-
hof, als sicher. Konkret kritisieren die Wett-
bewerbshüter zwei sogenannte Steuervor-
bescheide der irischen Finanzbehörden
von 1991 und 2007. Darin sagt der Fiskus
dem Unternehmen zu, eine bestimmte –
und für den Konzern offenbar vorteilhafte
- Berechnung der steuerpflichtigen Gewin-
ne zu billigen. Vestager klagt, in der Folge
habe der Steuersatz Apples 2014 nur noch
0,005 Prozent der Gewinne betragen.
Die Kalifornier widersprechen dieser
Darstellung vehement, Vorstandschef Tim
Cook nannte die 0,005-Prozent-Zahl ein-
mal „politischen Dreck“. Vor Gericht tru-
gen Apples Juristen jetzt vor, dass die Fir-
ma der größte Steuerzahler der Welt sei
und in dem von der EU untersuchten Zeit-
raum im Durchschnitt 26 Prozent Steuern
auf Gewinne abgeführt habe. Ein Großteil
der Profite, die nach Meinung der EU in Ir-
land zu versteuern waren, seien in Wirk-
lichkeit im Heimatland USA steuerpflich-
tig gewesen, hieß es. Und diese Abgaben
würden tatsächlich überwiesen: Apple zah-
le dem amerikanischen Fiskus 20 Milliar-
den Dollar für jene Gewinne, die Vestager
in Irland versteuert haben möchte.
Nach internationalen Steuerprinzipien
entscheide das Ausmaß an Aktivitäten in
verschiedenen Ländern darüber, wo wie
viel Gewinn belastet wird, und die Vereinig-
ten Staaten seien eben für Apple viel wichti-
ger als Irland, argumentierten die Konzern-
vertreter. Die EU-Kommission erwiderte,
der Fiskus habe aber versäumt zu prüfen,
was den USA und was Irland zustehe, und
sich blind auf Apples Angaben verlassen.
Damit berührt der Prozess die heikle
Frage, wie die Gewinnbesteuerung welt-
weit tätiger Konzerne fair zwischen Län-
dern aufzuteilen ist – und wie verhindert
werden kann, dass Unternehmen ihre Pro-
fite systematisch zu Töchtern in Ländern
mit Niedrig-Sätzen verschieben. Die inter-
nationale Wirtschaftsorganisation OECD
erarbeitet dazu gerade Richtlinien. Um die
Gewinne von Internetkonzernen besser ab-
zuschöpfen, will die EU zudem eine Digital-
steuer einführen: am besten in Absprache
mit anderen Wirtschaftsmächten, zur Not
jedoch alleine, wie der designierte Wirt-
schaftskommissar Paolo Gentiloni sagt.
Auch für Irland steht bei dem Verfahren
in Luxemburg viel auf dem Spiel: Investiti-
onen ausländischer Konzerne sind enorm
wichtig; sie ermöglichten den Aufstieg Ir-
lands vom Armenhaus Europas zum Kelti-
schen Tiger in den Neunzigerjahren. Die
Regierung und Apple argumentieren, Fir-
men bräuchten Rechtssicherheit, und Ves-
tager untergrabe diese, wenn sie nachträg-
lich Entscheidungen des Fiskus von 1991
aufhebe. Außerdem klagt Dublin, dass das
nationale Steuerrecht gar nicht in die Zu-
ständigkeit der EU-Kommission falle. Tat-
sächlich konnte Vestager nur handeln, weil
sie die Abmachungen als Subvention werte-
te – und staatliche Beihilfen muss Brüssel
genehmigen. Apple und Irland widerspre-
chen allerdings der Einordnung als Sub-
vention. Das letzte Wort haben die Richter.
Frankfurt– DasEU-Parlament hat sich
mit großer Mehrheit für Christine Lagarde
an der Spitze der Europäischen Zentral-
bank (EZB) ausgesprochen. Die bisherige
IWF-Chefin erhielt am Dienstag in einer ge-
heimen Abstimmung des Europaparla-
ments in Straßburg 394 von 649 abgegebe-
nen Stimmen. Insgesamt 206 Abgeordne-
te sprachen sich gegen die Französin aus,
49 enthielten sich. Lagarde soll Mario Dra-
ghi ablösen, dessen Mandatsperiode Ende
Oktober ausläuft. Der endgültige Nominie-
rungsbeschluss obliegt dem Europäischen
Rat. Die EU-Staats- und Regierungschefs
wollen auf dem Gipfeltreffen im Oktober
ihr Plazet geben. Die Amtszeit eines EZB-
Chefs beträgt acht Jahre.
Lagarde übernimmt ein schwieriges Er-
be, nachdem Draghi vergangene Woche im
EZB-Rat eine erneute Lockerung der Geld-
politik durchgesetzt hat. Im obersten Ent-
scheidungsgremium der Notenbank gab
es viel Widerstand gegen die Entschei-
dung, das Anleihekaufprogramm erneut
zu starten. Bundesbankpräsident Jens
Weidmann, der Chef der Banque de
France, François Villeroy de Galhau, und
zahlreiche andere mächtige Notenbank-
chefs waren dagegen. Diese vorletzte Sit-
zung unter Führung von Draghi trieb einen
Keil in das 25-köpfige Gremium, denn eine
solch vehemente und zahlenmäßig starke
Opposition gab es selten. Lagarde muss die-
se Konflikte ab 1. November schlichten. In
ihrer Anhörung vor dem EU-Parlament hat
die ehemalige französische Finanzministe-
rin angekündigt, sie werde die geldpoliti-
sche Strategie der EZB überprüfen. Der
Leitzins liegt seit Jahren bei null Prozent;
zuletzt hatte Draghi die Strafgebühr für
Bankeinlagen auf 0,5 Prozent erhöht. Die-
se Instrumente gelten damit als weitge-
hend ausgereizt. Auch das Inflationsziel
von zwei Prozent möchte Lagarde überprü-
fen. Die Teuerung in der Euro-Zone bleibt
seit Jahren hinter den Erwartungen der
Währungshüter zurück. markus zydra
3000 Euro für jeden Bürger
Die EU-Kommission wirft Irland dubiose Steuer-Abmachungen mit Apple vor und verlangt eine enorme
Nachzahlung. Jetzt beschäftigen sich Richter mit dem Fall. Ihr Urteil könnte wegweisend sein
Christine Lagarde,63,
soll alserste Frau die
Führung der Europäi-
schen Zentralbank über-
nehmen. Die Juristin ist
auch die erste Nicht-
Ökonomin auf diesem
Posten, was Kritik her-
vorrief – auch in Ökono-
menkreisen.FOTO: AP
Stützt das Gericht die
Brüsseler Behörde, würde das die
Kommission ermutigen
DEFGH Nr. 216, Mittwoch, 18. September 2019 (^) WIRTSCHAFT HF2 17
EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager knipst mit einem Smartphone von Apple: Die Dänin will, dass der Konzern mehr Steuern zahlt. FOTO: MICHAEL REYNOLDS/DPA
Lagarde darf
Draghibeerben
EU-Parlamentarier bestimmen
die neue EZB-Präsidentin