Süddeutsche Zeitung - 18.09.2019

(Tina Sui) #1
Miesbach– ImDauerstreit über eine Aus-
weitung des Wasserschutzgebiets für die
Quellfassungen der Münchner Stadtwerke
im Mangfalltal hat das bayerische Umwelt-
ministerium eine Befangenheit des Mies-
bacher Landrats Wolfgang Rzehak (Grüne)
und seiner leitenden Beamten verneint.
Trotzdem solle vorsorglich das vor einem
Jahr völlig eskalierte und daraufhin abge-
brochene Anhörungsverfahren mit neuem
Personal wiederholt werden – laut Ministe-
rium, weil die Aufzeichnung per Videoka-
mera als Verfahrensfehler gelten könnte.
Bei der Anhörung hatten die Anwälte ei-
ner Handvoll Grundbesitzer, die in einem
erweiterten Schutzgebiet mit Einschrän-
kungen etwa beim Düngen und bei der Wei-
dehaltung rechnen müssen, Rzehak und
seine Beamten mit Befangenheitsanträ-
gen überzogen und diese Vorwürfe an-
schließend auch als Petition an den Land-
tag herangetragen. Die Ende Juli abgegebe-
ne und nun öffentlich gewordene Einschät-
zung des Ministeriums für die Abgeordne-
ten betrachten alle Seiten als Erfolg: Die
Grünen und Rzehak selbst sehen die Vor-
würfe als widerlegt an, seine lokalpoliti-
schen Gegner bei Freien Wählern und CSU
sowie die Betroffenen der Schutzgebiets-
ausweitung betonen dagegen, dass die An-
hörung nun wiederholt werden soll.
Während die Miesbacher Kreisvorsit-
zende der Freien Wähler von ihrem Partei-
freund Umweltminister Thorsten Glauber
erfahren haben will, dass das seit Jahrzehn-
ten verschleppte und erst von Rzehak wie-
der angeschobene Verfahren zum Schutz-
gebiet beendet worden sei, ließ Glaubers
Ministerium das Landratsamt via Regie-
rung von Oberbayern wissen, dass es fort-
geführt werden soll. Denn Deutschland
und Bayern stehen unter wachsendem
Druck der EU, ihre Wasserschutzgebiete
auf einen fachlich und rechtlich zeitgemä-
ßen Stand zu bringen. Rzehak sieht sich
von Glauber trotz mehrerer Nachfragen im
Stich gelassen und verweist nun auf die
Personalsituation an seinem Landratsamt.
Zwei im Verfahren maßgeblich beteiligte
Beamte haben das Haus inzwischen tur-
nusgemäß verlassen. Vor allem sei die Posi-
tion des Leiters der Umweltabteilung va-
kant, seit der bisherige Leiter ins Ministeri-
um versetzt wurde. Werde dem Landrats-
amt irgendwann ein neuer Staatsjurist zu-
gewiesen, werde dieser wohl erst ein Jahr
brauchen, um sich einzuarbeiten. kpf

Augsburg– Wer all die neuen Formen ur-
baner Mobilität nutzen möchte, verliert
schnell den Überblick – Tagesticket für die
Tram, Leihradtarif und die Abbuchung
vom Carsharing-Anbieter. Augsburg
macht damit jetzt Schluss: Von November
an wird sie den Stadtwerken (SWA) zufolge
die erste deutsche Stadt mit einem Flatrate-
Angebot sein. „Wir wollen unseren Kun-
den eine Rundum-Mobilität anbieten, so-
dass immer mehr Leute, die nicht wie Be-
rufspendler darauf angewiesen sind, auf
ein eigenes Auto verzichten können“, sagt
SWA-Geschäftsführer Walter Casazza.
Die Flatrate bieten die Stadtwerke in
zwei Preispaketen an: Eins für 79 Euro und
eins für 109 Euro im Monat. In beiden Tari-
fen ist ein Monatsticket für die Trambah-
nen und Stadtbusse enthalten, sowie die
kostenlose Nutzung der SWA-Leihräder.
Nur bei der Nutzung der Sharing-Autos un-
terscheiden sich die Tarife: Beim günstige-
ren Tarif ist die Fahrzeit auf 15 Stunden im
Monat und 150 Kilometer begrenzt. Bei
dem Tarif für 109 Euro entfällt die Kilome-
tergrenze und man kann bis zu 30 Stunden
im Monat mit einem geliehenen Auto un-
terwegs sein. Das Besondere sei, sagt SWA-
Geschäftsführer Casazza, dass man die ge-
liehenen Autos auch über das Stadtgebiet
und die Umlandgemeinden hinaus fahren
kann. „Ein Kunde ist mit einem SWA-Auto
schon einmal bis nach Sizilien unterwegs
gewesen“, sagt Casazza. Sie seien also nicht
nur für die Fahrt zum Baumarkt einsetz-
bar, sondern auch für Ausflüge in die Na-
tur. In der Stadt und in Gemeinden wie
Stadtbergen, Gersthofen und Königs-
brunn, stehen 80 Leihstationen mit 200 Au-
tos verschiedener Größen. Die SWA verwei-
sen darauf, dass bei dem Flattarif nicht die
Preise von Tram, Rädern und Leihautos ad-
diert wurden, sondern für die Kunden ein
„echter Mehrwert“ entstehen soll. Norma-
lerweise kostet ein Monatsticket für den Öf-
fentlichen Nahverkehr (ÖPNV) in Augs-
burg 52,50 Euro. Mit der Flat könne man
Bus- und Tramstrecken flexibel um das
Fahrrad und Leihautos erweitern. Die SWA
hat sich dagegen entschieden auch E-Scoo-
ter mit ins städtische Angebot aufzuneh-
men. „Bisher sind uns die Roller mit ihrer
niedrigen Lebenserwartung und so lange
sie nicht gut recycelbar sind, nicht nachhal-
tig genug“, sagt Casazza. otth


Garmisch-Partenkirchen– Die Staatli-
che Vogelschutzwarte residiert auch in Zu-
kunft an ihrem angestammten Sitz in Gar-
misch-Partenkirchen. Das hat jetzt Um-
weltminister Thorsten Glauber (Freie Wäh-
ler) entschieden. Er entsprach damit einer
Forderung seiner Parteifreunde aus der Re-
gion. Das Landesamt für Umwelt (LfU),
dem die traditionsreiche Einrichtung ange-
gliedert ist, wollte die Vogelschutzwarte an
seinen Hauptsitz nach Augsburg holen. Ex-
perten begründeten die Umzugspläne da-
mit, dass damit der Vogelschutz in Bayern
verbessert werden solle. Schließlich sei die
1909 gegründete Einrichtung, die sieben
festangestellte Mitarbeiter beschäftigt,
längst für den Vogelschutz in ganz Bayern
zuständig. Da sei Augsburg ein sehr viel
günstigerer, weil zentralerer Standort, an
dem man zudem Synergien mit dem LfU
nutzen könne. Die Verärgerung im Land-
kreis Garmisch-Partenkirchen und unter
den Mitarbeitern war dagegen groß. Der
Vorsitzende der FW-Fraktion im Landtag
und örtliche Abgeordnete, Florian Streibl,
nannte den Umzug ein „Ding der Unmög-
lichkeit“, die Pläne des LfU stünden „in
eklatantem Widerspruch“ zur Heimatstra-
tegie von Ministerpräsident Markus Söder
(CSU), in deren Zuge viele Behörden in länd-
liche Regionen verlagert werden sollen. Zu-
sammen mit dem Garmisch-Partenkirch-
ner Landrat Anton Speer wurde Streibl um-
gehend bei seinem Parteifreund und Um-
weltminister Glauber vorstellig, der jetzt
die Entscheidung verkündete. cws

Landshut– Die Amtstierärzte am Lands-
huter Landratsamt und der Landshuter
Landrat Peter Dreier (FW) kämpfen weiter
gegen die höchst umstrittenen Rinder-
Transporte aus Bayern in Drittstaaten. Das
Veterinäramt weigert sich derzeit, die er-
forderlichen Papiere für den Export von
neun Jungkühen aus der Region nach Usbe-
kistan auszustellen. Der Grund: Nach Über-
zeugung der Tierärzte können auf den Tau-
sende Kilometer weiten Fahrten die Tier-
schutzvorgaben der EU nicht eingehalten
werden. „Bei diesem tagelangen Transport
wäre es unvermeidlich, dass den Tieren
lang anhaltendes Leid zugefügt wird“, sagt
Landrat Dreier. „Wir können und werden
uns nicht an dieser systematischen Tier-
quälerei beteiligen.“ Der Landrat hat des-
halb seine Amtstierärzte sogar angewie-
sen, bis auf Weiteres keine Exportdoku-
mente für Rinder-Transporte nach Usbe-
kistan, Kasachstan und Turkmenistan
auszustellen.

Die Auseinandersetzung um die Tier-
transporte in ehemalige Sowjetgebiete,
aber auch nach Nordafrika und in die Tür-
kei währt seit Jahresanfang und hat bereits
bundesweit hohe Wellen geschlagen. Bei
den Exporten müssen die Rinder tagelang
Hitze oder Kälte erdulden, sie haben kaum
Platz auf den Lastwagen, bekommen viel
zu wenig zu trinken und zu fressen und
werden zu selten oder gar nicht abgeladen.
An den Zielorten werden sie früher oder

später unter meist grausamen Bedingun-
gen geschlachtet: ohne Betäubung, gefes-
selt, mit mehreren Entblutungsschnitten
und in einem minutenlangen Todes-
kampf, wie in Dokumentationen zu sehen
oder in Fachzeitschriften nachzulesen ist.
In ganz Deutschland haben sich deshalb
von Februar an Amtstierärzte geweigert,
die für die Transporte notwendigen Papie-
re auszustellen. Die Landshuter Amtstier-
ärzte und der dortige Landrat Dreier zähl-
ten bundesweit zu den ersten, die so gegen
die umstrittenen Exporte mobil machten.
Auch Umweltminister Thorsten Glauber
(FW), der von Amts wegen für das Veteri-
närwesen in Bayern zuständig ist, schalte-

te sich schnell ein. „Tierschutz endet nicht
an der Landesgrenze“, sagte Glauber. „Die
Tiertransporte müssen tierschutzgerecht
sein.“ Der Umweltminister versprach, dass
es von Bayern aus keine Rinder-Exporte
mehr geben werde, auf denen vorherseh-
bar die Tierschutzvorgaben verletzt wer-
den. Auf der Tabu-Liste, die sein Haus da-
zu veröffentlichte, standen insgesamt
17 Staaten, darunter Usbekistan, Kasachs-
tan und Turkmenistan.

Die Exporteure wollen freilich nicht auf
die Transporte verzichten. Für manchen
Rinderzuchtverband sind die Ausfuhren of-
fenbar ein lukratives Geschäft. Ein Bei-
spiel dafür ist der Fleckvieh-Zuchtverband
Mühldorf. Bayernweit wurden allein im
vergangenen Jahr 14 639 Rinder in Dritt-
staaten exportiert. Wie in anderen Bundes-
länden erstritten die Exporteure vor Ver-
waltungsgerichten, dass die Amtstierärzte
die für die Ausfuhren erforderlichen Papie-
re weiter ausstellen müssen. Ihr Argu-
ment: Bei den Dokumenten handele es
sich nur um sogenannte Vorzeugnisse. Mit
ihnen bestätigen die Veterinäre einzig,
dass den Transporten der Rinder aus tier-
medizinischer Sicht nichts entgegenstehe.
Also etwa, dass sie aus Herden stammen,
die frei von Maul- und Klauenseuche oder
TBC sind. Um die Einhaltung der Tier-
schutzvorgaben auf den Fahrten müssten
sich die Veterinäre bei der Ausstellung die-
ser Papiere nicht kümmern.

Die Amtstierärzte wollen sich mit den
Urteilen nicht abfinden. Im August reisten
die Landestierschutzbeauftragte von Hes-
sen, Madeleine Martin, und drei Amtstier-
ärztinnen auf der Route der Transporte
nach Usbekistan. Eine der Amtstierärztin-
nen leitet ein Veterinäramt in Bayern. Der
Bericht der Expertinnen über die Verhält-
nisse auf den Transporten ist verheerend.
Laut EU-Recht müssen Rinder auf Expor-
ten in Drittstaaten spätestens nach
29 Stunden von dem jeweiligen Lkw abge-
laden werden und eine 24-stündige Ruhe-
pause bekommen, während der sie ausrei-
chend trinken und fressen können. Erst da-
nach darf der Transport weitergehen.
Auf dem Weg nach Kasachstan und Us-
bekistan gab es zum Zeitpunkt der Fahrt
aber nur zwei von den russischen Behör-
den zugelassene Entlade- und Versor-
gungsstationen für Rinder, heißt es in dem
27 Seiten langen Dokument. Diese beiden
Stationen hätten nicht den Tierschutzvor-
gaben der EU entsprochen. Alle anderen
Stationen, die immer wieder von den Ex-
porteuren genannt werden, waren verfal-
len oder nicht existent. Eine entpuppte
sich sogar als Bürogebäude der russischen
Veterinärbehörde. Damit, so das Fazit der
Expertinnen, könne nicht einmal die Mini-
malvorgabe für solche Langstreckentrans-
porte eingehalten werden. Den Tieren wür-
den „mit an Sicherheit grenzender Wahr-
scheinlichkeit erhebliche Leiden zuge-
fügt“, heißt es weiter. Die Landshuter Amts-
tierärzte sind nicht mehr die einzigen, wel-
che die Exportpapiere verweigern. Die Ve-
terinäre in Deggendorf und Freyung-Gra-
fenau haben sich ihrem Protest bereits an-
geschlossen. christian sebald

Landshut– Inder Auseinandersetzung
über die Behandlungsmethoden in der
Landshuter Kinder- und Jugendpsychia-
trie (KJP) hat jetzt Toni Schuberl, der
rechtspolitische Sprecher der Grünen im
Landtag, Stellung bezogen. „Ich wusste ja,
dass es dort schlimm ist, aber dieses Aus-
maß hatte ich nicht erwartet“, sagte Schub-
erl zur Anzahl der Fixierungen in der
KJP Landshut – 2018 vollzogen an 28 von
insgesamt „351 vollstationären Patienten“.
In einem nach Schuberls Auffassung annä-
hernd vergleichbaren Zeitraum seien in-
des landesweit „etwas weniger als 60 Fixie-
rungen“ genehmigt worden – bei insge-
samt 7057 vollstationären Patienten.


Schuberl hatte Anfang August eine An-
frage an die Staatsregierung gestellt, um
zu erfahren, wie oft in Bayerns Bezirks-
krankenhäusern Kinder und Jugendliche
fixiert werden. So wollte er herausfinden,
ob und welche Abweichungen es in Lands-
hut gibt. „Fixierung bedeutet die Fesse-
lung an allen Gliedmaßen, die zur völligen
Bewegungsunfähigkeit führt“, so Schub-
erl. Nachdem seine Anfrage nun beantwor-
tet ist, lautet sein Fazit: In Landshut „wer-
den mehr als 15-mal so viele Fixierungen
an Minderjährigen durchgeführt wie im
bayerischen Durchschnitt“. Schuberl for-
dert vom Bezirk Niederbayern, „die Verant-
wortlichen zur Rechenschaft zu ziehen“.
Hermann Spießl, der Ärztliche Direktor
des Bezirkskrankenhauses Landshut
(BKH), warnt unterdessen davor, aus Zah-
len, die nicht vergleichbar seien, Schluss-
folgerungen zu ziehen. „Bei so sensiblen
Daten muss man viele verschiedene Ein-
flussfaktoren berücksichtigen“, sagt er.
Sein Haus habe nie bestritten, dass Lands-
hut – was jene Fälle betrifft, in denen junge
Patienten in Krisenfällen ans Bett gebun-
den werden – bayernweit betrachtet „eine
deutlich höhere Quote hat“. Aber: „Viele an-
dere Kliniken fixieren zwar nicht, doch sie
führen bei ihren Patienten andere Zwangs-
maßnahmen durch – Isolierung, Festhal-
ten und Zwangsmedikation.“ Bei der Isolie-
rung etwa werde die betroffene Person in
ein Zimmer gebracht, „und die Tür wird zu-
gesperrt“, sagte Spießl. Diese Maßnahme
habe aber Nachteile. „Wenn die Patienten
hochaggressiv sind, dann verletzen sie sich
in solchen Situationen“, erklärte Spießl.
Überdies spiele die Patientenzusammen-
setzung eine wesentliche Rolle dabei, ob
und wie oft es in einer Einrichtungen zu
Zwangsmaßnahmen kommt. Auch das
spreche gegen eine Vergleichbarkeit von
landesweit erhobenen Daten. dm


von johann osel

Cham– Zunächst kriecht Joachim Herr-
mannin den Schützenpanzer hinein, vom
„modernen Komfort“ imPumaberichtet
stolz ein junger Soldat – dem zusammenge-
kauerten, stattlichen Innenminister mag
man diesen Zustand im Augenblick nicht
so recht ansehen, daher geht’s lieber rasch
hinauf auf das Gefährt, hinter das Kano-
nenrohr. Spannende Informationen gibt es
dort: „Man braucht weniger Munition, weil
der erste Schuss immer sitzt“, erfährt der
CSU-Politiker. Dann lässt er sich – wieder
die Leiter hinabgestiegen, durchaus ele-
gant – ein Sturmgewehr erklären („Kampf-
wertsteigerung sensationell“) und schaut
mit einem Laserentfernungsmesser übers
Kasernengelände. Nebenan, bei der Pan-
zerbrigade in der Nordgaukaserne im ober-
pfälzischen Cham, geht es weniger gedie-
gen zu. Rekruten liegen aufgereiht in der
Wiese auf dem Bauch, zur nicht nur theore-
tischen Waffenkunde: Sturmgewehr zerle-
gen, unter zackigen Befehlen. Man wird sie
zwischendrin hören, wenn Herrmann, im
Flecktarn, später zum Vortrag ansetzt.
Bayerns Innenminister ist Oberstleut-
nant der Reserve, dazu gehören Wehrübun-
gen – 19 Stück habe er seit seinem Grund-
wehrdienst absolviert, sagt er. Wie nun seit
Montag vergangener Woche, am Dienstag
ist Cham die letzte Station. Er nutzt sie für
ein Bekenntnis der Staatsregierung zur
Bundeswehr, betont das „von Vertrauen ge-
prägte Miteinander zwischen Bundeswehr
und bayerischen Sicherheitsbehörden“, sei-
nem Beritt. Für die zivil-militärische Ko-
operation ist er oberster Ansprechpartner
im Freistaat. So sei es „wichtig, eigene
Kenntnis von den personellen und techni-
schen Fähigkeiten der Bundeswehr zu ha-
ben, sich auf dem Stand zu halten“. Im Ka-
tastrophenschutz sei die Bundeswehr wich-
tiger Baustein des bayerischen Hilfeleis-
tungssystems. Als Beispiele nennt er Unter-
stützung mit Hubschraubern beim Trans-
port von Spezialkommandos der Polizei

zum Einsatzort oder die ABC-Abwehr. Wie
effektiv die Bundeswehr mit Material und
Soldaten helfe, habe sich bei den Flutkatas-
trophen gezeigt und vergangenen Winter
beim starken Schneefall. „Viele Soldaten
haben Dächer freigeräumt,“ so erlebten die
Bürger „die Leistungsfähigkeit und die Hil-
fe unserer Bundeswehr hautnah“. Zudem
habe man 2018 erstmals taktisch den terro-
ristischen Ernstfall geübt, mit Polizei, Bun-
deswehr, Feuerwehr und Rettungsdienst.
Aber es geht Herrmann auch um etwas
anderes: Imagepflege. Die ist wohl nötig in
Zeiten, in denen die Bundeswehr nur medi-
ale Aufmerksamkeit erfährt, wenn Flug-
zeuge nicht fliegen oder Gewehre nicht
schießen. Wobei an diesem Tag alles einen
guten Eindruck macht, das Wort „mo-
dern“ fällt häufig. Es gibt eine Panzerfaust
und ein Infrarotvorsatzgerät für den Reser-
visten zu bestaunen. „Mhmm, aha, soso.“

Doch die Imagefrage stellt sich allgemei-
ner, in Zeiten, in denen die Streitkräfte im
öffentlichen Leben kaum mehr eine Rolle
spielen, höchstens als Gegenstand von Wit-
zen. Herrmann formuliert das moderater:
„in Zeiten, in denen die Bundeswehr nicht
von ständigem großen Respekt geprägt
ist“. Eben das sei aber maßgeblich für die
Motivation der Soldaten; wenngleich in Re-
gionen wie Cham die „Verankerung in der
Gesellschaft“ spürbar sei. Daher wolle er
mit der Übung „demonstrieren, dass wir in
Bayern an der Seite der Bundeswehr ste-
hen. Sie ist ja kein Selbstzweck“. Nach der
Wiedervereinigung habe man ein „Gefühl
ewiger Sicherheit“ gehabt, dies sei mit
Blick auf die Ukraine oder den Nahen Os-
ten vorbei. Dazu brauche man noch besse-
re Ausstattung und personellen Aufwuchs.
In Form des Zwei-Prozent-Ziels, also die-
sem Anteil am Bruttoinlandsprodukt für

die Verteidigung? US-Präsident Donald
Trump wirft Deutschland regelmäßig vor,
zu wenig zu investieren. Die Bundesregie-
rung habe das Ziel im Rahmen der Nato
mit beschlossen, „im Übrigen auch die
SPD“, sagt Herrmann mit Seitenhieb auf
jüngste Debatten im Bund. Auch die neue
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-
Karrenbauer (CDU) habe es bekräftigt. Bay-
ern werde „in Berlin alles dafür tun, sich
diesem Ziel schrittweise anzunähern“;
auch wenn das „nicht von einem Tag auf
den anderen“ gehe. Die Staatsregierung
wolle das „für unsere Sicherheit – nicht we-
gen einer einzelnen Person in Amerika“.

Während der Wehrübung bekleidet der
Minister den Posten eines Stabsoffiziers
im Bereich der zivilmilitärischen Zusam-
menarbeit. Unter anderem stand ein Be-
such der Universität der Bundeswehr an,
da ging es um Cybersicherheit. Außerdem
war Herrmann in Neuburg an der Donau
beim Taktischen Luftwaffengeschwader.
Er habe sich, fasst das Ministerium zusam-
men, „Einblicke in Aufgaben, aktuelle Ent-
wicklungen und technische Neuerungen“
verschafft. Anfragen von Medien, die ger-
ne einen im Schlamm robbenden Politiker
fotografiert hätten, musste sein Sprecher
absagen. Wobei das auch daran liegt, dass
ein Oberstleutnant eher robben lässt.
Und was wäre, im Verteidigungsfall der
Bundesrepublik, konkret der Job des Re-
servisten? Herrmann dient beim Landes-
kommando Bayern, es organisiert zum Bei-
spiel die Unterstützung alliierter Streitkräf-
te im Land, zuvorderst aber zivil-militäri-
sche Kooperation. Herrmann wäre also im
Ernstfall damit betraut, wie er sagt, „den
Kontakt zur Staatsregierung“ zu unterhal-
ten. Man darf feststellen: Soldat Herrmann
wäre für die Aufgabe formidabel geeignet.

Nürnberg– AlsRegina Schmeken zum
zweiten Mal den Ort aufsuchte, an dem En-
ver Şimşek am 9. September 2000 ermor-
det worden ist, stand da ein Blumenhänd-
ler, ein Blumenhändler ähnlich wie Şimşek
einer war. Der Tatort an der Liegnitzer Stra-
ße in Nürnberg liegt in einem Waldstück,
dass sie dort jemanden antreffen würde,
hatte Schmeken so nicht erwartet. Es sollte
einer der bewegendsten Begegnungen wer-
den, die der Kunstfotografin bei ihrem Pro-
jekt – der Dokumentation aller Tatorte des
sogenannten Nationalsozialistischen Un-
tergrunds – widerfahren ist. Der Verkäufer
kannte Şimşek. Als Schmeken sich zu er-
kennen gab, ging er zu seinem Lieferwa-
gen, wo er ein Blatt mit allen Bildern der Op-
fer griffbereit aufbewahrte. Er nahm das
Blatt in die Hand und fragte: „Warum?“
Im Jahr 2013 hat die Gerichtsreporterin
derSüddeutschen Zeitung, Annette Ramels-
berger, bei Schmeken angefragt, ob sie
sich vorstellen könnte, alle Tatorte des
NSU-Terrors für die SZ aufzusuchen. In
dem Moment, erzählt Schmeken, sei ihr
klar gewesen, dass ihr etwas „ganz Wichti-

ges“ bevorstehe. Sie hat sich die Tatorte
dann mehrfach angeschaut, entstanden
sind Fotos von verstörender Lakonie und
bedrückender Alltäglichkeit. Trotzdem er-
wischt man sich kurz beim Gedanken, in
der Pfütze an der Liegnitzer Straße mehr
zu sehen als nur eine Pfütze. Absicht ist das
nicht. Diese Pfütze, erklärt Schmeken, spie-
gelte bei jedem ihrer Besuche den Himmel.
„Sie ist da wohl immer“, sagt Schmeken.
Das Dokumentationszentrum Reichs-
parteitagsgelände ist die fünfte Station der
Ausstellung mit dem Namen „Blutiger Bo-
den. Die Tatorte der NSU“, zuvor war sie in
Dresden, Berlin, München und Kassel zu
sehen. Der Bau auf dem früheren NS-Areal
war in den vergangenen Jahren immer wie-
der Ort für Ausstellungen, die man gese-
hen haben musste. Diese gehört zu den be-
klemmendsten. olaf przybilla

Zu sehen bis zum 23. Februar 2020. Das Dokuzen-
trum bietet ein umfangreiches Begleitprogramm
an. Am5. November diskutiert Annette Ramelsber-
ger unter anderem mit dem Autor Feridun Zaimog-
lu über das Thema „Der Rechtsstaat in Gefahr“.

Gut getarnt: Joachim Herrmann im Feldanzug mit Oberst Björn Schulz, Brigade-
kommandeur inCham (li.), bei der Wehrübung. FOTO: KURT FUCHS/BUNDESWEHR/OH

Der Bericht der Expertinnen
über die Verhältnisse auf den
Transporten ist verheerend

Vogelschutzwarte zieht


nicht nach Augsburg


„Systematische Tierquälerei“


Landshuts Landrat und seine Amtstierärzte verweigern weiter die Dokumente für Rinder-Transporte in Drittstaaten


Die Exporte von Rindern zum Beispiel in
ehemalige Sowjetgebiete sind höchst um-
stritten. FOTO: CHRISTIAN ENDT

Ministerium entlastet


Landrat Rzehak


An den Zielorten werden die Tiere
unter meist grausamen
Bedingungen geschlachtet

Die Liegnitzer Straße liegt im Südosten der Stadt Nürnberg, in der Nähe des ehemaligen NS-Reichsparteitagsgeländes. Dort
wurde im September 2000 Enver Şimşek ermordet, das erste Opfer der NSU-Terroristen. FOTO: REGINA SCHMEKEN

Soldat Herrmann meldet sich zum Dienst


Bayerns Innenminister ist Oberstleutnant der Reserve, deshalb nimmt er regelmäßig an Wehrübungen teil.
Er nutzt die Gelegenheit für ein Bekenntnis zur Bundeswehr und lobt den Einsatz der Truppe im Katastrophenfall

Mit einer Flatrate


durch den Stadtverkehr


Verstörende Lakonie


Fotoausstellung von Regina Schmeken im Dokuzentrum


Die Verantwortlichen müssten


zur Rechenschaft gezogen werden


Durch den Schlamm robbt der
Minister nicht. Als Oberstleutnant
lässt er eher robben

Heftige Kritik


an Fixierung


Behandlungjunger
Psychiatriepatienten umstritten

Bayern und Wirtschaft
Telefon: 089/21 83-437, Fax -83 81
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R12 – (^) BAYERN Mittwoch,18. September 2019, Nr. 216 DEFGH

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