Handelsblatt - 18.09.2019

(Sean Pound) #1

zum frühzeitigen Handeln: „Manager
sollten in einer solchen Phase nicht
um jeden Preis an ihren Plänen fest-
halten. Manchmal ist es ratsam, die
Unternehmensroute zu ändern und
die Geschwindigkeit zu reduzieren.“
Doch bei den Sparprogrammen ge-
raten nicht wenige Unternehmen in
die Zwickmühle. Investitionen zu-
rückfahren und Zukunftschancen
verspielen? Entlassungsprogramme
fahren und wertvolle Fachkräfte ver-
lieren? Sich an den Maßnahmen der
Finanzkrise von vor zehn Jahren ori-
entieren und dabei die veränderten
Grundprobleme übersehen?
Am härtesten müssen derzeit die
Manager in der Autozulieferindus-
trie in Sachen Kostensenkung ent-
scheiden. Die Branche steckt zu-
gleich in einer konjunkturellen Krise
und einer strukturellen Neuordnung
durch den Umstieg auf die E-Mobili-
tät. Viele Firmen versuchen, selektiv
vorzugehen und nur Projekte zu
streichen, die die Innovationskraft
nicht schwächen. „Ich halte nichts
von Rasenmähermethoden“, sagt
ZF-Chef Wolf-Henning Scheider.
„Wir haben den Bau einer neuen
Chinazentrale in Schanghai vorerst
auf Eis gelegt. Den Bau des For-
schungszentrums in China ziehen
wir aber voll durch.“
Der Autozulieferer Mahle hat die
Erweiterung der Firmenzentrale in
Stuttgart gestoppt, geht aber noch
weiter: 380 von insgesamt 4 300 Stel-
len werden in der Verwaltung gestri-
chen, ein Werk mit 240 Beschäftigten
wird dichtgemacht.


Auch das ist ein beliebtes Mittel in
der Krise: Firmen sieben Standorte
aus, die schon im Boom Mühe hat-
ten, Geld zu verdienen, oder die Pro-
dukte herstellen, die veraltet oder an-
derswo günstiger herzustellen sind.
Bei Continental sind angeblich bis
zu neun Werke in Gefahr. Vorstands-
chef Degenhart will das nicht bestäti-
gen, aber er weiß, dass er handeln
muss. Schließlich kennt er Schwäche-
phasen: Er kam 2009 inmitten der
letzten großen Wirtschaftskrise an
die Spitze von Conti und musste di-
rekt gegensteuern.
Damit hat er anderen Chefs einiges
voraus: „Viele Manager sind in einer
Phase CEO geworden, in der es nur
konjunkturellen Rückenwind gab“,
sagt Roland-Berger-Berater Haghani.
„Sie mussten nur das Thema Wachs-
tum managen und haben leider
kaum Krisenerfahrungen.“
Jetzt aber müssen sie sich als
Schlechtwetterkapitäne in einer
schwierigen Konjunkturphase bewei-
sen. Die Erfahrung zeigt, dass viele
Manager zu lange mit dem Gegen-
steuern abwarten. Bei einer aktuellen
Umfrage der Münchener Beratungs-
firma H&Z gaben 30 Prozent der Fir-
men an, die Wahrscheinlichkeit eines
Abschwungs nicht zu analysieren –
oder dabei allenfalls auf das eigene
Bauchgefühl zu achten.
Auf das Bauchgefühl will sich der
Laser- und Werkzeugmaschinen -
hersteller Trumpf nicht verlassen –
schon eher auf genaues Monitoring.
Alle paar Wochen geht ein Führungs-
team die Daten aus dem Auftragsein-
gang und den Geschäften intensiv
durch, analysiert die Lage der großen
Kunden in aller Welt und bewertet
Risiken neu.

Wie man gestärkt aus der
Krise kommen kann
Trumpf hat für sich mehrere Stufen
einer Bedrohungslage beschrieben
und passende Notfallpläne in der
Schublade. Derzeit spüren die
Schwaben eine aufziehende Kon-
junkturkrise, belassen es aber noch
beim Abbau von Überstunden.
Wer aber zunächst die Probleme
ignoriert und dann in Panik gerät, der
kann der Firma langfristig Schaden
zufügen. Mehrere Untersuchungen
zeigen: Erfolgreiche Unternehmen ha-
ben die Krise als Chance für eine stra-
tegische Neuorientierung genutzt.
„Eine Rezession ist die beste Gele-
genheit, um Konkurrenten zu über-
holen, denn jetzt werden die Karten
neu gemischt“, sagt Christian von De-
witz, Partner bei der Managementbe-
ratung Bain. Seit der letzten Rezessi-
on im Zuge der Finanzkrise ist zu er-
kennen: Erfolgreiche Firmen haben
den Rotstift an den richtigen Stellen
angesetzt, ihre Gewinnschwelle
schnell gesenkt, aber dennoch weiter
in strategische Wachstumsbereiche
investiert.
Dazu kommt: Sie haben zum richti-
gen Zeitpunkt wieder auf Wachstum
geschaltet und Übernahmen gewagt,
als die Kaufpreise noch im Keller wa-
ren. „Der Abschwung schafft oft
überraschend neue Möglichkeiten“,
lautet auch die Erfahrung von Christi-
an Ketels, dem Chefökonomen der
Beratungsfirma Boston Consulting
Group.
BCG nennt als Positivbeispiel die
Kreditkartenfirma American Express.
Sie war während der Finanzkrise
2008 in Bedrängnis geraten, weil
Konsumentenkredite platzten und
die Verbrauchernachfrage schwand.
Doch die US-Firma reagierte weit-
sichtig.
Nachdem sie ihre Kosten reduziert
und Beteiligungen jenseits des Kern-

geschäfts veräußert hatte, um den
Abschwung zu überleben, konzen-
trierte sie sich auf neue Partnerschaf-
ten. Hinzu trat ein Fokus auf digitale
Lösungen. Lohn des Umbaus: Seit
März 2009 hat sich der Börsenkurs
mehr als verzehnfacht.
Mit Spannung blicken Experten da-
rauf, wie die Unternehmen in der
konjunkturellen Schwächephase mit
dem Thema digitale Transformation
umgehen. Im Boom der vergangenen
Jahre haben die Firmen viel Geld
über die verschiedensten Initiativen
verteilt. Ohne großen Kostendruck
wurde nicht ernsthaft geprüft, wel-
che Digitalisierungsprojekte sich fi-
nanziell lohnen.
Das dürfte sich nun ändern, auch
wenn die meisten Unternehmen ak-
tuell noch gute Gewinne einfahren
und deswegen Spielraum haben. „Ich
gehe davon aus, dass die Unterneh-
men nun auch einige Projekte zur di-
gitalen Transformation auf den Prüf-
stand stellen werden“, sagt Berater
Haghani. „Die Frage lautet: Nice to
have or need to have?“
Grundsätzlich sollten die Firmen
dieses Thema aber vorantreiben.
„Wer bei der Digitalisierung nicht auf
der Strecke bleiben will“, warnt BCG-

Ökonom Ketels, „sollte weiterhin an
der langfristigen Strategie festhalten
und dort investieren.“
Als leuchtendes Beispiel gilt hier der
Silicon-Valley-Gigant Apple. Mitten in
der US-Rezession 2001, die dem Kon-
zern einen Umsatzeinbruch von 33
Prozent bescherte, brachte Apple den
ersten iPod auf den Markt. Von der
Krise unbeirrt baute der IT-Konzern
sein Produktsortiment radikal um, in-
vestierte in Innovationen und erhöhte
die Forschungsaus gaben im zweistelli-
gen Prozentbereich. In der Folge eröff-
nete 2003 der iTunes-Music-Store, ein
Jahr später folgte ein verbessertes
iPod-Modell. Apple legte damit die
Grundlage für seinen späteren Erfolg.
Eines sollten die Konzernchefs
nicht aus den Augen verlieren: Sin-
ken in der Krise die Firmenbewer-
tungen, werden gerade die Unterneh-
men rasch zum Ziel von Hedgefonds,
die als verschlafen gelten. Bevor Ma-
nager zu Getriebenen werden, soll-
ten sie besser selbst die Treiber beim
Firmenumbau sein. Auch hier ist ein
schonungsloser Blick gefragt. BCG-
Ökonom Ketels rät: „Denken Sie
selbst wie ein aktivistischer Anleger!“

Mitarbeit: Martin-Werner Buchenau

Eisenmann

Eine Rezession


ist die beste


Gelegenheit,


um Konkur-


renten zu


überholen.


Christian von Dewitz
Bain


 



 


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