FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019·NR. 212·SEITE 5
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(Ausschiffung und Rückflug)
Tokio
MADRID,11. September
D
er Anblick ist beeindruckend. Hun-
derttausende säumten am Mitt-
woch die Straßen, die in Barcelo-
na zur Plaza España führen. Aus der Luft
glich das Bild einem gezackten Stern –
dem Logo der diesjährigen Diada, dem ka-
talanischen Nationalfeiertag. Mehr als
450 000 Befürworter Kataloniens hatten
sich für die Großkundgebung unter dem
Motto „Ziel Unabhängigkeit“ angemel-
det. Doch der Eindruck täuscht: Die
katalanischen Separatisten sind so unei-
nig wie lange nicht mehr. Mit der Diada
wollen die Organisationen „Katalanische
Nationalversammlung“ (ANC) und Òmni-
um vor dem Urteil im Madrider Separatis-
tenprozess, das bis Mitte Oktober erwar-
tet wird, Stärke demonstrieren.
Der katalanische Regionalpräsident
Quim Torra drohte Madrid am Vorabend
der Diada mit einem „heißen Herbst“, soll-
ten die Angeklagten nicht freigesprochen
werden. Er setzte die katalanischen Sepa-
ratisten mit der Protestbewegung in Hong-
kong gleich und die spanische Zentralre-
gierung mit dem Regime in Peking. „Die
Unabhängigkeitsbewegung ist nicht be-
siegt“, bekräftigte er und rief dazu auf, die
Ketten zu durchtrennen, die Katalonien
mit dem Rest Spaniens verbinden. Am
Rand der Kundgebung werben die Veran-
stalter für die neue Initiative „Strategi-
scher Konsum“. Deren Ziel ist es, „die kata-
lanische Gesellschaft im wirtschaftlichen
Bereich durch tägliche Konsum-
entscheidungen zu stärken“: Verbrauchern
und Stadtverwaltungen legt man nahe, ka-
talanischen Anbietern den Vorzug vor Fir-
men aus dem Rest Spaniens zu geben.
Am Mittwoch hatten zahlreiche De-
monstranten gelbe Helme aufgesetzt, wie
sie Bauarbeiter tragen. Diese sollten ihr ge-
waltfreies Vorgehen und den Schutz vor
der Repression symbolisieren. Die katala-
nische Diada erinnert an die Niederlage
gegen den Bourbonenkönig Philipp V. im
Jahr 1714. Deshalb beginnt die Kund-
gebung traditionell genau um 17.14 Uhr.
Für die Organisatoren ist eine große Teil-
nehmerzahl wichtig, um zu zeigen, wie
sehr „die“ Katalanen diesen Wunsch un-
terstützen. Sie sprechen seit Jahren von
mehr als einer Million, was ihre politi-
schen Gegner bezweifeln. In diesem Jahr
waren es nach Polizeiangaben rund
600 000. Die katalanischen Sozialisten
und die liberale Ciudadanos-Partei neh-
men an der Diada sowieso nicht teil.
Die Kreativität der symbolischen Aktio-
nen, die die Befürworter der Unabhängig-
keit seit Jahren an den Tag legen, kann
nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie ih-
rem Ziel nicht näher gekommen sind. Seit
im Herbst 2017 der Versuch der Separatis-
ten unter dem nach Belgien geflohenen Re-
gionalpräsidenten Carles Puigdemont ge-
scheitert ist, einseitig die Unabhängigkeit
auszurufen, fällt es schwerer, die Massen
zu mobilisieren. Die separatistischen Par-
teien sind zerstritten und können sich nicht
auf eine Strategie für den Tag nach dem
Urteil im Madrider Prozess einigen. Die ra-
dikal separatistische CUP-Partei und die
„Komitees zur Verteidigung der Republik“
rufen dazu auf, einen „demokratischen Tsu-
nami“, geprägt von zivilem Ungehorsam,
zu entfachen. „Kollektiven Widerstand“ un-
terstützt auch Torras Regionalregierung.
Puigdemonts und Torras JxCat-Partei
lehnt vorgezogene Regionalwahlen ab, die
die ERC-Partei von Puigdemonts einsti-
gem Stellvertreter Oriol Junqueras nach
dem Urteil fordert. Puigdemonts Anhän-
ger setzen auf Konfrontation mit Madrid,
während die ERC von Junqueras, der der
Hauptangeklagte im Separatistenprozess
ist, einen moderateren Kurs verfolgt. An-
ders als die ERC ist die JxCat-Partei auch
nicht bereit, im Parlament in Madrid die
Wiederwahl des amtierenden sozialisti-
schen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez
zu unterstützen.
Trotz aller Aufrufe zur Einigkeit am ka-
talanischen Nationalfeiertag führen beide
Parteien einen erbitterten Kampf um die
Führung des separatistischen Lagers. Bei
den Wahlen in diesem Jahr hat Junqueras’
ERC den Vorsprung vor der JxCat-Partei
ausgebaut und könnte bei Neuwahlen auf
einen Sieg hoffen. Für Puigdemont ist es
nicht einfach, auf Dauer von Brüssel aus
seinen Einfluss zu wahren. Die von bei-
den Parteien angestrebte Unabhängigkeit
Kataloniens verlor zuletzt in den Umfra-
gen an Zustimmung. Laut dem Meinungs-
forschungsinstitut der Regionalregierung
sind 48,3 Prozent gegen die Loslösung von
Spanien und nur 44 Prozent dafür.
Ziel Unabhängigkeit:Katalanen feiern in Barcelona die „Diada“. Foto AP
Razzien in Norddeutschland
Polizei und Staatsanwaltschaft haben
am Mittwoch 16 Objekte in Schleswig-
Holstein, Mecklenburg-Vorpommern
und Hamburg wegen des Verdachts der
Bildung einer kriminellen Vereinigung
durchsucht. „Wir prüfen auch, ob ein
Verdacht auf Terrorfinanzierung vor-
liegt“, sagte die Leitende Oberstaatsan-
wältin in Flensburg. Hintergrund ist ein
Ermittlungsverfahren der Staatsanwalt-
schaft Flensburg gegen elf Beschuldig-
te, die sich zwischen Dezember 2018
und Juli 2019 gewerbsmäßig und orga-
nisiert zu illegalen Geldgeschäften ver-
abredet haben sollen. (dpa)
Bemühungen um Ökumene
Der katholische „Ökumene“-Bischof
Gerhard Feige aus Magdeburg hat dem
Votum des Ökumenischen Arbeits-
kreises evangelischer und katholischer
Theologen zugunsten der wechsel-
seitigen Teilnahme von Katholiken und
Protestanten an Abendmahl und Eucha-
ristie „Wertschätzung und Respekt“ ge-
zollt. Die Arbeit der Theologen stoße
„eine Tür weit auf“. Feige äußerte die
Hoffnung, dass es bald eine gute Lö-
sung der drängenden Frage nach der
Abendmahlsgemeinschaft gebe. Noch
vor einem Jahr hatten sich die katho-
lischen Bischöfe über dieses Thema
heftig zerstritten. (D.D.)
Republikaner gewinnen
Bei zwei Nachwahlen für das amerika-
nische Repräsentantenhaus in North
Carolina haben die Republikaner ihre
Sitze verteidigt. Im neunten Wahl-
bezirk gewann Dan Bishop knapp ge-
gen den Demokraten Dan McCready.
Die Nachwahl war wegen Betrugsvor-
würfen gegen den damaligen republika-
nischen Kandidaten in der Kongress-
wahl 2018 nötig geworden. Präsident
Donald Trump hatte in dem Bezirk in
der Präsidentenwahl 2016 mit einem
Vorsprung von zwölf Prozentpunkten
gewonnen. Dass es McCready gelang,
bis auf zwei Punkte an den Republika-
ner heranzukommen, werteten die De-
mokraten als Zeichen dafür, dass sie im
nächsten Jahr die Chance haben, North
Carolina zurückzugewinnen. Im dritten
Wahlbezirk, wo die Nachwahl nötig ge-
worden war, weil der Amtsinhaber im
Februar verstorben war, gewann der Re-
publikaner Greg Murphy gegen den de-
mokratischen Herausforderer Allen
Thomas mit großem Vorsprung. (sat.)
Unbesiegt, zahlreich, zerstritten
Wichtiges in Kürze
SÃO PAULO, 11. September. Seit
Dienstag drehen auf dem venezolani-
schen Flughafen von La Fría in der Nähe
der Grenze zu Kolumbien Panzer ihre
Runden. Auf den Straßen wurden Last-
wagen beobachtet, die Luftabwehrge-
schütze und Raketen transportierten.
Kampfflugzeuge überwachen den Luft-
raum. „Souveränität und Frieden“ heißt
die bereits dritte große Militärübung in
diesem Jahr. Die Manöver markieren
laut der Armeeführung den Beginn von
„Maßnahmen zur Überwachung und zur
Unterbindung jeglicher Aggressionen ge-
gen das nationale Territorium“.
Den Manövern gingen gegenseitige
Anschuldigungen zwischen Kolumbien
und Venezuela voraus. Venezuelas Staats-
chef Nicolás Maduro wirft Kolumbien
vor, eine „bewaffnete Aggression“ gegen
sein Land vorzubereiten. Kolumbien
habe versucht, venezolanische Unteroffi-
ziere und Offiziere anzuwerben, um das
venezolanische Flugabwehrsystem und
die Luftwaffe zu beeinträchtigen.
Laut der Opposition und verschiede-
nen Medien sollen an den Militärmanö-
vern russische und chinesische Funktio-
näre beteiligt sein. Der Kommandeur
der Übung, Admiral Remigio Ceballos,
bestätigte das indirekt: Wie Kolumbien,
wo überall Nordamerikaner stationiert
seien, dürfe Venezuela sich seine Freun-
de selbst aussuchen. „Venezuela ist nicht
allein.“ Bogotá bezeichnet die Militärma-
növer als „direkte Bedrohung für Kolum-
bien und die Stabilität der Region“.
Die kolumbianische Regierung wirft
Venezuela ihrerseits vor, bewaffneten
Gruppen wie der „Nationalen Befrei-
ungsarmee“ (ELN) Schutz zu gewähren.
Mehr als tausend Kämpfer der Guerrilla-
organisation sollen sich auf venezolani-
schem Territorium befinden. Ebenfalls
vermutet Bogotá, dass sich mehrere ehe-
malige Kommandeure der aufgelösten
„Revolutionären Streitkräfte Kolum-
biens“ (Farc) in Venezuela aufhalten,
die Ende August ihre Rückkehr an die
Waffen verkündet hatten. (tjb.)
Lt.BERLIN, 11. September. Außenmi-
nister Heiko Maas hat eine aktive außen-
politische Rolle Deutschlands in der
Welt beansprucht und eine stärkere Ge-
schlossenheit Europas verlangt, um in
der „neuen Großmächtekonkurrenz“
der Vereinigten Staaten, Russlands und
Chinas eine europäische Position be-
haupten zu können. Maas sagte in der
Aussprache zum Haushaltsentwurf des
Auswärtigen Amts im Bundestag, es
gebe viele Stimmen, die sagten, es sei
besser, wenn Deutschland sich aus au-
ßenpolitischen Konfliktlagen heraushal-
te. Doch in einer vernetzten Welt sei die
Voraussetzung zur Lösung nationaler
Probleme häufig die Lösung internatio-
naler Probleme. Maas sagte, „Nichtstun
ist keine Alternative“; Deutschland sei
daher „bereit, viel Verantwortung auch
international zu tragen“.
Er nannte mehrere außenpolitische
Konflikte, in denen sich die Bundesre-
gierung mit Hoffnung auf Fortschritte
engagiere. Im Fall des Atomabkommens
mit Iran müsse die „neue Dynamik“, die
durch den G-7-Gipfel entstanden sei,
für einen neuen Verhandlungsansatz ge-
nutzt werden. Im Blick auf den Rücktritt
des Sicherheitsberaters des amerikani-
schen Präsidenten John Bolton sagte
Maas, vielleicht gäben „aktuelle Perso-
nalentscheidungen in Washington“ ei-
nen Hinweis darauf, ob es gelinge, in
neue Gespräche mit der iranischen Füh-
rung einzusteigen.
Maas zeigte sich zuversichtlich, dass
in den Friedensbemühungen im Osten
der Ukraine gleichfalls Fortschritte er-
reicht werden könnten. Im Blick auf Af-
ghanistan und die abgebrochenen Ge-
spräche der amerikanischen Führung
mit den radikalislamischen Taliban sag-
te Maas, er hoffe, dass diese Verhandlun-
gen nur „vorerst“ aufgegeben seien und
nach diesem Rückschlag wieder in Gang
kommen könnten. Maas gab an,
Deutschland sei gemeinsam mit Norwe-
gen gebeten worden, nach einem Ver-
handlungsergebnis der Amerikaner in ei-
nem zweiten Schritt die innerafghani-
schen Friedensgespräche zwischen den
Taliban und der afghanischen Regie-
rung zu moderieren. Die Bundesregie-
rung sei bereit, eine solche afghanische
Friedenskonferenz auszurichten.
Maas will mehr mitreden
Außenminister fordert aktivere Rolle Deutschlands
Aggressive Manöver
Spannungen zwischen Venezuela und Kolumbien
Die Proteste am katalanischen
Nationalfeiertag können nicht
darüber hinwegtäuschen, dass die
Separatisten so uneinig sind wie
lange nicht. Dem großen Ziel sind
sie nicht näher gekommen.
Von Hans-Christian Rößler