deuten weniger Jobs. Alleine im VW-Konzern wer-
den 23 000 Stellen abgebaut, im Gegenzug will
Volkswagen 7 000 neue Softwarespezialisten ein-
stellen.
Den Vorschlag von Umweltschützern, Mitarbei-
ter der Hersteller könnten auf andere Positionen
wie im Pflegedienst wechseln, weist Brecht zurück.
„Es ist doch naiv zu glauben, wenn 150 000 wegfal-
len, dann könnten diese Menschen Lok- oder Bus-
fahrer werden“, sagt er. Betroffene könnten doch
nicht so einfach von einem Ort an den anderen
verschoben werden.
Das Stromauto bleibt eine Wette auf die Zu-
kunft, weil derzeit niemand die Nachfrage vorher-
sehen kann. Dennoch sind Brecht, Schoch und
Osterloh starke Befürworter der neuen Antriebs-
form. Elektroautos schützen die Konzerne vor
Strafzahlungen, die fällig werden, wenn ab 2021
die Klimaziele der EU für die Autoindustrie fällig
werden.
Damit die Wende gelingt, schlägt Brecht eine
konzertierte Aktion vor: „Wenn wir ein Bündnis
aus Politik, Umweltverbänden und Autoindustrie
schmieden, dann werden wir schneller zu Lösun-
gen kommen.“ Ziel eines Dialogs könne aber nicht
sein, das Auto abzuschaffen.
Vor allem die Politik sieht BMW-Betriebsrat
Schoch am Zuge. Es müssten schnell die Rahmen-
bedingungen für die Elektrifizierung des Verkehrs
geschaffen werden. Dazu sollten neben dem Aus-
bau der Ladeinfrastruktur auch ein Wegfall der
Mehrwertsteuer auf E-Autos sowie günstigerer
Strom gehören, fordert er. Der Mangel an Strom-
tankstellen gilt als eines der größten Hemmnisse
beim Absatz von Stromern. Die Bundesregierung
müsse aus Sicht von Brecht ein ureigenes Interesse
an einer Lösung haben. „Durch die Polarisierung
treibt man die Menschen Parteien wie der AfD zu“,
betont der Betriebsratschef. Die rechtspopulisti-
sche Partei macht sich etwa für Dieselautos stark,
um Stimmen frustrierter Autofahrer zu sammeln.
Letztlich gehe es um die Demokratie im Land.
„Die Autoindustrie ist ein Stabilitätsanker für
Deutschland. Das sollten wir nicht so leichtfertig
aufs Spiel setzen.“
Produktion des
E-Porsche Taycan:
Heftige Kritik an der
Autoindustrie.
Ausstellung in der Kritik
Autokonzerne wollen neue IAA
D
ie Internationale Automobil-Ausstellung
(IAA) in Frankfurt steht vor einem massi-
ven Umbruch. Nach Informationen des
Handelsblatts gibt es eine wachsende Kritik der
Hersteller sowohl am Konzept als auch am Veran-
staltungsort der Autoshow. Nicht mehr zeitge-
mäß, zu teuer, nicht flexibel genug, so lauten die
Vorwürfe der Autohersteller. Am Donnerstag
wollen Vertreter der Hersteller und des Automo-
bilverbands VDA auf einer gemeinsamen Sitzung
über die Zukunft des Branchentreffs beraten.
Der VDA ist Veranstalter der IAA, die alle zwei
Jahre stattfindet. Seit 1951 ist Frankfurt Gastgeber
der wichtigsten Automesse Europas, die von
Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag
offiziell eröffnet wird. Doch schon vor dem Start
der Publikumstage melden sich die Kritiker zu
Wort.
„Es gibt keine Bestandsgarantie“, sagt BMW-Fi-
nanzvorstand Nicolas Peter in Frankfurt. „Die Be-
deutung von Automessen hat sich verändert. In
Zukunft muss weniger das Produkt, sondern die
Technologie im Mittelpunkt stehen“, fordert Pe-
ter. Und: „Das Preis-Leistungs-Verhältnis muss
stimmen“, sagt er auch mit Blick auf die Umfeld-
kosten wie die hohen Hotelpreise. BMW steht
exemplarisch für den Bedeutungsverlust der
Messe. Der Münchener Autokonzern hat sein En-
gagement auf der IAA 2019 bereits drastisch re-
duziert und Fläche und Budget um fast zwei Drit-
tel gekürzt. Zuvor hatte der Konzern einen mitt-
leren zweistelligen Millionenbetrag in das
Spektakel investiert. Nun hat man Alternativen:
Ein Teil der Mittel steckte BMW in seine Haus-
messe NextGen, die der Konzern im Juli zum ers-
ten Mal in München ausrichtete.
So wie BMW geht es vielen Ausstellern. Alle
großen Autokonzerne haben ihre Budgets für die
diesjährige IAA zusammengestrichen. Daimler et-
wa hat seine Flächen um 30 Prozent einge-
dampft. Zur Präsentation ihrer Neuheiten schaf-
fen die Marken eigene Events. Porsche zum Bei-
spiel führte den E-Supersportwagen Taycan
wenige Tage vor der IAA im Osten der Republik
auf einem ehemaligen russischen Militärflugha-
fen vor. Nur Volkswagen nutzte die IAA zur Ent-
hüllung des neuen Elektroautos I.D.3.
Wichtige ausländische Vertreter wie Toyota
und Fiat Chrysler haben sich ganz zurückgezo-
gen. Wer durch die Messehallen wandert, merkt
schnell: Die IAA schrumpft. Die Zahl der Ausstel-
ler ist in diesem Jahr um 20 Prozent auf rund 800
gesunken. Die Ausstellungsfläche reduzierte sich
um 16 Prozent auf 168 000 Quadratmeter. Der
Branchenverband VDA versucht als Veranstalter
bisher, mit moderaten Anpassungen gegenzu-
steuern. Die Messe soll sich von der reinen Pro-
duktshow zum Kongress, zu einer Plattform für
den Austausch wandeln. So gibt es für Fachbesu-
cher eine Branchenkonferenz mit rund 200 Red-
nern. Oldtimer können besichtigt werden, auch
werden Testfahrten mit allerlei Gerät angeboten –
vom Geländefahrzeug über Elektroautos bis hin
zu Elektrorollern.
Olympia als Vorbild
Doch das reicht der Industrie nicht. Die Digitali-
sierung und der Wechsel zu Elektroantrieben
verlangen aus Sicht der Hersteller neue Veran-
staltungsformen, mehr Debatte und Dialog. Eine
klassische Veranstaltung mit Messeständen emp-
finden die Automanager als nicht mehr zeitge-
mäß. Im Kreis der Autohersteller wird bereits ein
neues Konzept diskutiert: Wie bei den Olympi-
schen Spielen oder der Bundesgartenschau
könnten sich Städte oder Regionen künftig um
die Austragung der neuen IAA bewerben. Sie stel-
len sich eine Art „Mobilitätsevent“, ein „Mobili-
tätshappening“ vor. Im Gegenzug würde dann ge-
meinsam in dieser Region investiert.
Nach Abschluss der Messe hätten die Städte et-
was „Bleibendes“, etwa eine neue Mobilitätsin-
frastruktur. Damit – so das Kalkül der Branche –
könnte man das eigene gesellschaftliche Engage-
ment besser betonen. Das könnte auch als Reakti-
on auf die massive Kritik, die der Branche derzeit
entgegenschlägt, verstanden werden. Für das
kommende Wochenende hat ein breites Bündnis
von Umweltschutzgruppen zu einer Großde-
monstration vor der IAA aufgerufen. Sie fordern
eine Verkehrswende und stoßen sich auch am
wachsenden Anteil großer Geländewagen im
Portfolio der Hersteller.
Doch die Autohersteller sind nicht auf einer Li-
nie mit dem Verband. So setzt der VDA nach Be-
richten von Insidern darauf, das bisherige Kon-
zept weiterzuentwickeln. „Wir haben die IAA neu
positioniert, entwickeln sie kontinuierlich weiter.
Daran arbeiten wir gemeinsam mit unseren Mit-
gliedsunternehmen“, sagte VDA-Präsident Bern-
hard Mattes dem Handelsblatt. Der Verband ist
wirtschaftlich auf die IAA angewiesen. Die Ein-
nahmen aus den Standmieten füllen zum wesent-
lichen Teil die Kassen des VDA.
Auch die Messe Frankfurt, die das Gelände zur
Verfügung stellt, hält von radikal neuen Forma-
ten wenig. „Wir sehen eher eine evolutionäre
Weiterentwicklung der IAA in Richtung Mobili-
tätsmesse als sinnvoll an. Und hier ist die IAA auf
dem richtigen Weg“, erklärte ein Sprecher auf
Anfrage. Die Messe Frankfurt werde die IAA und
die Branche mit allen Kräften dabei unterstützen,
sich weiterzuentwickeln. „Wir sind die führende
Messe-Gesellschaft in Deutschland mit über 100
Veranstaltungen“, warb der Sprecher für den
Standort Frankfurt.
Auch die gute Verkehrsanbindung des Frank-
furter Messegeländes wirft die Gesellschaft in die
Waagschale. „Wir sehen einen Standortwechsel
nicht als die richtige Antwort auf inhaltliche Ver-
änderungswünsche.“ Doch der Vertrag zwischen
dem VDA und der Messe läuft 2021 aus. So sollen
nach Informationen des Handelsblatts bereits
mehrere Messestandorte angefragt worden sein,
darunter Berlin und Köln. Die Hauptstadt bei-
spielsweise empfehle sich unter anderem wegen
der Freifläche auf dem Tempelhofer Feld, heißt
es in Industriekreisen. Köln wiederum habe sich
mit der Spielemesse Gamescom einen Namen ge-
macht. Offiziell will die mögliche Abwanderung
aber niemand kommentieren.
Zugleich haben alle Beteiligten das Schicksal
der IT-Messe Cebit vor Augen. Über Jahre gingen
die Besucher- und Ausstellerzahlen zurück, zig-
mal wurde versucht, das Konzept anzupassen –
alles ohne Erfolg. Die Cebit ist seit 2018 Geschich-
te. Das soll der IAA nicht passieren, heißt es
übereinstimmend im Kreis der Autohersteller.
„Wir brauchen weiter eine Leitmesse für die Mo-
bilität, das dürfen wir nicht Amerikanern und
Chinesen überlassen“, sagt ein Beteiligter.
Markus Fasse, Jens Koenen, Stefan Menzel
Präsentation auf der
IAA: Die gesamte Au-
tobranche steht vor
riesigen Umbrüchen.
dpa
Bernd Osterloh:
„In der öffentlichen
Diskussion bekommt
man den Eindruck,
das Auto sei nichts als
ein einziges Risiko.“
Manfred Schoch:
„Eine Demonstration
ist gut, aber wir
brauchen eine gute
Lösung.“
Michael Brecht:
„SUVs sind doch o. k.,
wenn sie sauber sind.“
Unternehmen & Märkte
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DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176^17