Die Übernahme der US-Firma Refinitiv ist das
Prestigeprojekt des neuen Börsenchefs David
Schwimmer, der den Fokus weg vom traditionellen
Handelsgeschäft hin auf das schnell wachsende Ge-
schäft mit Daten und Nachrichten verschieben will.
Mit seinen Eikon-Terminals für Börsenhändler ist
Refinitiv der Hauptkonkurrent des US-Informati-
onsdienstes Bloomberg. Der Zusammenschluss
würde ein britisch-amerikanisches Schwergewicht
mit Sitz in London schaffen. Diese Vision aufzuge-
ben wäre ein hoher Preis für die LSE. Die Anleger
hatten die strategische Entscheidung für Refinitiv
begrüßt, die Aktie war nach der Verkündung An-
fang August um 20 Prozent gestiegen.
HKEX-Chef Li hingegen wirbt damit, dass sein
Angebot die langfristige Bedeutung der Finanzplät-
ze Hongkong und London stärke. Tatsächlich muss
sich die Londoner City nach dem Brexit neu aus-
richten und orientiert sich bereits stärker nach
Asien. Die Hongkonger Börse hatte 2012 auch be-
reits die London Metal Exchange für 1,4 Milliarden
Pfund übernommen – ohne größere Probleme.
Bei der LSE handelt es sich jedoch um ein ungleich
größeres und symbolisch wichtigeres Ziel. Der Über-
nahmeversuch wird daher auch das Interesse der
britischen Regierung und der Aufseher wecken. Die
Finanzaufsicht FCA und die Bank of England müssen
beide grünes Licht geben. Vor allem in der Regierung
dürfte der Zusammenschluss auf Skepsis stoßen.
Zwar ist sie grundsätzlich eher marktliberal einge-
stellt. Doch der Finanzplatz London bangt ohnehin
um seine Bedeutung nach dem Brexit, und die Regie-
rung wird den Verkauf der wichtigsten Börse nach
China kaum gutheißen. Die HKEX hat in ihrem Ange-
bot bereits deutlich gemacht, dass die Zentrale der
fusionierten Börse künftig in Hongkong wäre.
Politische Einmischung
Schon bei den gescheiterten Fusionsgesprächen mit
der Deutschen Börse vor drei Jahren hatte sich die
britische Regierung eingemischt. Auch damals er-
hitzte die Standortfrage die Gemüter. Der Sitz in
London sei eine „klare politische Vorgabe der Regie-
rung Cameron“ gewesen, sagte Deutsche-Börse-Auf-
sichtsratschef Joachim Faber damals. „Andernfalls
hätten die Briten sich darauf gar nicht eingelassen.“
Voraussichtlich würde auch die US-Regierung
Druck auf London ausüben: US-Präsident Donald
Trump fürchtet den wachsenden Einfluss Chinas,
und viele US-Firmen nutzen die LSE für ihre Bör-
sengänge und weitere Finanzierung.
Hinzu kommt: Börsenfusionen sind zuletzt aus der
Mode gekommen. Zwar streben Börsenbetreiber auf-
grund der Skalierbarkeit ihres Geschäftsmodells wei-
terhin nach Größe. Auch gab es seit der Jahrtausend-
wende einige erfolgreiche Übernahmen oder Fusio-
nen – vor allem unter US-Börsen. Die Intercontinental
Exchange (ISE) aus Atlanta übernahm die New York
Stock Exchange und deren britische Derivatebörse
Liffe. Die Chicago Mercantile Exchange (CME)
schluckte die US-Konkurrenten CBOT und Nymex.
Doch anderswo waren die Erfahrungen ernüch-
ternd. Die Deutsche Börse und die LSE scheiterten
gleich fünf Mal mit Fusionsgesprächen, der letzte
Anlauf misslang 2017. Verantwortlich dafür war wie
bei anderen fehlgeschlagenen Deals der Wider-
stand von Regulatoren und Politikern. Sie sehen
Börsenbetreiber oft als nationale Ikonen und fürch-
ten bei einem Verkauf eine Schwächung des eige-
nen Finanzplatzes.
Angesichts zahlreicher geplatzter Deals hat bei
einigen Börsenmanagern inzwischen ein Umden-
ken eingesetzt. In der Branche habe es schon „eine
ausreichende Menge an Konsolidierung“ gegeben,
meint etwa Adena Friedman, die Chefin der US-
Technologiebörse Nasdaq. Es gebe große Hürden
für Megadeals, weil diese von Wettbewerbshütern
und Politikern kritisch gesehen würden.
Auch Deutsche-Börse-Chef Theodor Weimer ist
der Ansicht, dass die Zeit klassischer Börsenfusio-
nen vorbei ist. Es gehe nun darum, einzelne Asset-
Klassen zu konsolidieren, sagte er Anfang des Jah-
res, beispielsweise das Geschäft mit Währungen,
Daten, Anleihen und Rohstoffe. In diesen Sektoren
gibt es weniger politische Befindlichkeiten als bei
der Übernahme einer klassischen Börse.
Sollten die LSE-Anleger sich für das HKEX-Ange-
bot entscheiden und sollte die Übernahme von Re-
finitiv nicht zustande kommen, würden sich Chan-
cen für die Deutsche Börse ergeben. Denn die
Frankfurter hätten dann wieder die Möglichkeit,
wie angepeilt Teile des Devisenhandelsgeschäfts
von Refinitiv zu kaufen. Die LSE hatte diese Pläne
mit ihrer Offerte für Refinitiv durchkreuzt.
Unterstützung aus Peking
Peking hingegen hätte Interesse an einer noch
schlagkräftigeren Börse in Hongkong – das zeigt
auch die positive Reaktion von chinesischen Staats-
medien auf den Vorstoß der HKEX. Der Handels-
platz ist bereits jetzt entscheidend für Chinas Wirt-
schaft, um an ausländisches Kapital zu kommen.
Rund 70 Prozent der Börsengänge von Unterneh-
men vom chinesischen Festland liefen in den Jah-
ren 2010 bis 2018 über die Hongkonger Börse.
Zwar versucht China, mit der Schanghaier Börse ei-
ne Alternative aufzubauen. Experten sehen sie
aber noch sehr weit entfernt von diesem Ziel, denn
Festland-China hat wesentlich stärkere Kapitalver-
kehrskontrollen als Hongkong.
HKEX-Chef Li hält den politischen Widerstand in
Großbritannien und den USA für überwindbar. Tat-
sächlich gebe es selten einen perfekten Zeitpunkt
für eine Fusion. „Angesichts der derzeitigen Unsi-
cherheiten in der Geopolitik und der Wirtschaft
könnte es den Eindruck erwecken, dass jetzt nicht
die richtige Zeit wäre, um eine größere Investition
in eine grenzüberschreitende Akquisition zu täti-
gen“, so Li. Die Übernahme sei jedoch eine „sehr
überzeugende Transaktion“. „Und wenn wir es
nicht versuchen, dann scheitern wir natürlich per
Definition.“ Zusammen könne man eine „weltweit
führende globale Börse“ schaffen, die Asien,
Europa und die Vereinigten Staaten umfasse.
Kommentar Seite 27
Unerwartete Offerte
Marktwert der größten Börsenbetreiber
weltweit in Mrd. US-Dollar
HANDELSBLATT
*Hong Kong Stock Exchange and Clearing
Stand 11.9.’19 • Quelle: Bloomberg
CME
HKEX* + LSE
ICE
Deutsche Börse
Börse São Paulo (B3)
Nasdaq
CBOE
ASX (Australien)
Japan Exchange
Singapore Exchange
Euronext
TMX (Kanada)
Börse Hongkong plant LSE-Übernahme
7 3,6
68,8
50 ,5
28,4
22,2
16,2
12,9
11, 1
8,9
6,6
5,3
5, 0
7 %
Die heutige
Ankündigung
ist der
nächste große
Schritt, China
und Asien
mit der Welt zu
verbinden.
Charles Li
Chef der Hongkonger
Börse HKEX
Bloomberg (2)
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Finanzen & Börsen
DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176^29
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