Der Spiegel - 07.09.2019

(Ron) #1
Steinkohle

Ausstieg per Auktion


 Das Bundeswirtschaftsministerium
hat den gesetzlichen Rahmen für die
Schließung von Steinkohlekraftwerken
festgelegt. Laut einem Gesetzentwurf
sollen vom 1. Juni 2020 bis zum Jahr
2038 jährlich Ausschreibungsverfahren
stattfinden, bei denen die Kraftwerks -
betreiber dafür bieten, dass ihre Anlage
stillgelegt wird. Dazu benennen sie den
Preis, den sie vom Staat als Kompensa -
tion erhalten wollen. Auf die Weise soll
bis 2038 der Ausstieg aus der Steinkohle-
verstromung gelingen. In dem Gesetzent-
wurf sind konkrete Gigawattzahlen fest-
gelegt, auf die schrittweise reduziert wer-
den muss. So sollen bereits bis Ende 2022
nur insgesamt 15 Gigawatt Leistung aus
Steinkohle am Stromnetz sein, fast 9 Giga -
watt weniger als heute. 2030 sollen es
nur noch 8 Gigawatt sein. Damit hält sich
die Regierung an die Vorgaben der Kom-
mission Wachstum, Strukturwandel und
Beschäftigung, die Ende Januar den Fahr-

plan für den Kohleausstieg vorgelegt
hatte. Die Bundesnetzagentur kann die
Stilllegung verschieben, falls sie Gefah-
ren für die Stromversorgung sieht. Das
geplante Gesetz verbietet die Inbetrieb-
nahme neuer Kohlekraftwerke. Es gilt für
alle Anlagen, die bis zum Inkrafttreten
»vollständig errichtet« sind. Das könnte
ein großes Steinkohlekraftwerk in Dat-
teln betreffen, das kurz vor der Fertig -
stellung steht. GT

Zeitgeschichte

Israelische Soldaten


Opfer deutscher Raketen


 Syrien hat im Libanonkrieg 1982
Raketen deutscher Herkunft gegen die
israelischen Streitkräfte eingesetzt.
Nach Angaben israelischer Militärs
zeigten die Waffen eine »verheerende
Wirkung«; mindestens sieben israeli-
sche Panzer wurden zerstört. Das hat
der Berliner Historiker Hubert Leber in
einer Studie herausgefunden (»Viertel-
jahrshefte für Zeitgeschichte«, 4/2019).
Syrien hatte die Raketen vom Typ
»Milan« und »Hot« in den Siebziger -
jahren erworben. Der Münchner Kon-
zern Messerschmitt-Bölkow-Blohm
und das französische Staatsunterneh-
men Aérospatiale produzierten die
Panzerabwehrwaffen gemeinsam, die
Exportgenehmigung erteilte Paris. Als
das geheime Waffengeschäft 1978 auf-
flog, behaupteten deutsche Diplomaten
erst, Bonn habe vom geplanten Verkauf
nach Syrien keine Kenntnis gehabt,
was nachweislich nicht stimmt. Den
Israelis gegenüber erklärte Außenminis-
ter Hans-Dietrich Genscher (FDP)
dann, die Exportgenehmigung sei eine
Entscheidung Frankreichs, die man
nicht beeinflussen könne. Dabei hat
Bonn in jenen Jahren mehrfach ein
Veto eingelegt gegen Waffenexporte
aus deutsch-französischer Produktion
durch Paris, etwa nach Südafrika. Als
Kanzler Helmut Schmidt (SPD) und
Frankreichs Präsident Valéry Giscard
d’Éstaing 1978 über die Ausfuhrproble-
matik sprachen, versicherte Schmidt,
die Bundesregierung sei »voll koopera-
tiv«, man solle sich nur »ohne öffent -
liches Geräusch« abstimmen. Kurz vor
dem Libanonkrieg 1982 legte die Bun-
desregierung in der bis heute gültigen
»Israel-Klausel« fest, bei Rüstungsexpor -
ten »auch die geschichtliche Verantwor-
tung der Deutschen gegenüber dem jü -
dischen Volk« zu berücksichtigen. KLW

19

Föderalismus

Söder will Länder stärken


 Bayerns Regierungschef Markus Söder
(CSU) will den Vorsitz in der Ministerprä-
sidentenkonferenz ab Oktober dazu nut-
zen, die Finanzausstattung der Bundes-
länder zu stärken. »Das ist notwendig,
denn auch die finanzschwächeren Länder
brauchen Luft zum Atmen«, sagte Söder
diese Woche am Rande eines Besuchs auf
der Zugspitze. Die Bundesländer benötig-
ten ausreichende Mittel, um ihren ureige-
nen Aufgaben nachzukommen. Stattdes-
sen eigne sich der Bund über finanzielle

Anreize immer mehr Gestaltungskompe-
tenzen an, kritisierte Söder. »Der Bund
stellt Schaufensterbeträge in Sicht, um
politische Leitlinien durchzusetzen.« Die
Programme liefen aber irgendwann aus,
Zusatzausgaben wie für den Kita-Ausbau
blieben bestehen. »Wir werden über das
Thema Föderalismus reden«, so Söder zu
seiner Agenda für den Vorsitz. Verbün -
dete für eine starke Rolle der Länder sieht
er unter anderem in Nordrhein-West -
falen, Hessen oder Sachsen. Auch in der
Bildungspolitik zeigt sich Söder als über-
zeugter Föderalist: »Ich glaube nicht an
ein Zentralabitur«, so der CSU-Mann. FRI

DER SPIEGEL Nr. 37 / 7. 9. 2019

BPA
Schmidt, Giscard d’Éstaing 1978

EU-Kommission

Spesenaffäre gefährdet


polnischen Kandidaten


 Der künftigen Präsidentin der EU-
Kommission Ursula von der Leyen droht
Ärger wegen einer ihrer möglichen Kom-
missare. Gegen den Polen Janusz Wojcie-
chowski, der als Landwirtschaftskommis-
sar im Gespräch ist, ermittelt die EU-
Anti-Betrugsbehörde »Olaf« wegen
angeblicher Unregelmäßigkeiten bei der
Erstattung von Reisekosten, wie eine
»Olaf«-Sprecherin bestätigt. Die Vorwür-
fe beziehen sich auf Wojciechowskis
Abrechnungen in seiner Zeit als Europa-
abgeordneter von 2004 bis 2014. Nach
Angaben aus dem Parlament soll es sich
um Summen »im fünfstelligen Bereich«


handeln. Wojciechowski ist derzeit Mit-
glied beim Europäischen Rechnungshof
in Luxemburg. Gegenüber demSPIEGEL
räumt er ein, er habe für den Zeitraum
2009 bis 2011 »auf eigene Initiative«
11 250 Euro für »nicht ausreichend doku-
mentierte« Reisekosten erstattet. Die
»Olaf«-Ermittlungen beziehen sich
jedoch nach SPIEGEL-Informationen auf
weitere Vorgänge. Die EU-Kommission
sowie von der Leyens Übergangsteam
wollen sich wegen der laufenden Ermitt-
lungen nicht äußern. Offen ist, ob ein
Abschlussbericht von »Olaf« vorliegt,
bevor die künftigen Kommissare Ende
September im EU-Parlament angehört
werden, und ob Wojciechowski weiteres
Geld erstatten muss. Von der Leyen will
am Dienstag die Mitglieder ihrer neuen
EU-Kommission bekannt geben. MP

ZIESE / BLICKWINKEL / IMAGO
Kraftwerk Datteln
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