Der Spiegel - 07.09.2019

(Ron) #1

Brandenburg


Sachsen


Feste Größe
Zweitstimmenanteil der AfD in den Wahlkreisen

SPD

Landtagswahl vom 1. September, vorläufige Ergebnisse,
Quelle: Landeswahlleiter

Gewonnene Direktmandate

Gewonnene Direktmandate

25

211

AfD

CDU AfD Grüne Linke

CDU Grüne BVB/FW

15


41 3

1
15

Spree-Neiße 2 36,0 %

Potsdam 1 9,4 %

unter 10 %

20 % bis unter 30 %

10 % bis unter 20 %

30 % und mehr

Havelland 2 18,0 %

Leipzig 5 10,2 % Meißen 2 38,0 %

Sächs. Schweiz-Osterzgebirge 1 32,3%

noch könnte es aus seiner Sicht »durchaus
klug sein, immer wieder auf die – zumin-
dest theoretische – Möglichkeit einer Min-
derheitsregierung hinzuweisen«.

Der Siegeszugdes »Flügels« innerhalb
der AfD beschränkt sich nicht nur auf den
Osten. Die Anhänger stellen auch im Wes-
ten wohl bereits ein Drittel bis die Hälfte
der Gremienmitglieder. Und ihre Macht
reicht allemal, um Chaos zu verbreiten.
Thomas Jürgewitz, schwarzes Jackett,
blaue Jeans, Halbglatze, Vollbart, steuert
die hintere Ecke des Cafés in der Bre-
merhavener Innenstadt an. Er hat
sich den Treffpunkt ausgesucht,
Besuche in der Geschäftsstelle
seiner Partei seien derzeit un-
erwünscht, sagt der AfD-Politiker.
Zweieinhalb Monate lang war Jürge-
witz Fraktionschef seiner Partei in der Bre-
mischen Bürgerschaft. Dann kündigten am
vergangenen Sonntag drei der fünf Abge-
ordneten die Fraktionsgemeinschaft auf.
Seitdem ist Bremen das einzige Bundes-
land mit einem Parlament ohne AfD-Frak-
tion. Mit dem Fraktionsstatus verliert die
Partei Gelder in Höhe von 50 000 Euro
pro Monat.
Grund der Selbstdemontage ist ein
Machtkampf zwischen Jürgewitz und AfD-
Landesparteichef Frank Magnitz, der dem
radikalen »Flügel« nahesteht und Abge-
ordneter in der Bremischen Bürgerschaft
wie auch im Bundestag ist.
Magnitz sieht Jürgewitz im »Krieg« mit
ihm und der Partei und sagt: »Unsere
Schweine erkennen wir am Gang.« Jürge-
witz wiederum sagt über Magnitz: »Der
Fisch stinkt vom Kopf.«
Der Streit im kleinsten Bundesland
steht stellvertretend für das Verhalten der
AfD in den westlichen Bundesländern:
Vielerorts toben Machtkämpfe, werden
Animositäten bis zur Lähmung ausgetra-
gen – mit einem scharfen Vokabular, mit
dem die AfD sonst ihren politischen
Gegner bedenkt.
In Bayern verließ der Fraktions -
vorsitzende Markus Plenk Partei und
Fraktion. Er wolle nicht die bürger -
liche Fassade für eine im Kern extre-
mistische Partei liefern, so begründete
Plenk seinen Schritt. Er würde gern in
die CSU wechseln, doch die will das zu-
nächst genau prüfen.
Die AfD im bayerischen Landtag ist
gespalten, ein Teil neigt der radi-
kalen Fraktionsvorsitzenden Ka-
trin Ebner-Steiner zu. Dabei hat
die AfD anfangs dezidiert um
bürgerliche Wähler geworben und
sich als die eigentliche konservative
Kraft präsentiert. Wahlplakate wie
»Franz Josef Strauß würde AfD wählen«
oder »Wir halten, was die CSU verspricht«
taten den Christsozialen weh.


Tatsächlich aber macht sich die AfD im
bürgerlichen Bayern vor allem durch Pro-
vokationen bemerkbar. Anfang des Jahres
verließ ein Großteil der Fraktion den Ple-
narsaal, als die Holocaust-Überlebende
und Vorsitzende der jüdischen Gemeinde
von München und Oberbayern, Charlotte
Knobloch, die AfD kritisierte.
In Baden-Württemberg ist die Fraktion
ähnlich zerstritten. Die eher gemäßigten
Kräfte um Landes- und Fraktionschef
Bernd Gögel könnten sich mittelfristig
eine Koalition mit der CDU vorstel-
len. Radikale wie der Landtagsabge-
ordnete Stefan Räpple hingegen be-
treiben Fundamentalopposition. Der
gelernte Konditor Räpple fällt in De-
batten durch Pöbeleien auf, einmal
wurde er sogar von Polizisten aus dem
Plenum geführt; er fordert unter an-
derem, dass staatliche Leistungen
nur noch an Deutsche ausgezahlt
werden. Seit Monaten läuft gegen
Räpple ein Parteiausschlussver -
fahren.
In Schleswig-Holstein wieder-
um sieht sich Doris Fürstin von
Sayn-Wittgenstein, bis Montag
Landesvorsitzende der AfD in
Schleswig-Holstein, als Opfer
des Bundesvorstands. Der ließ
sie wegen ihrer Nähe zum
rechtsextremen Verein »Gedächt-
nisstätte« aus der Partei werfen.
Sayn-Wittgenstein, die gern mit
rotem Blazer und Perlenkette
auftritt, gehörte dem völkischen Flü-
gel ihrer Partei an.
Die Lage ist diffus. Während die vier
Mann starke Kieler AfD-Fraktion erleich-
tert ist über ihren Rauswurf, bedauert der
Landesvorstand das Schicksal der Ge-
schassten.
In Thüringen jedenfalls, wo am 27. Ok-
tober der Landtag gewählt wird, ist von
Bürgerlichkeit bei den Rechtspopu-
listen definitiv nichts zu bemerken.
Die Thüringer AfD ist Björn Höcke,
und Björn Höcke ist die Thüringer
AfD. Der Jenaer Soziologe und
Experte für Rechtsextremismus,
Matthias Quent, hat gerade ein
Buch geschrieben mit dem Titel
»Deutschland rechts außen«. Darin
seziert er, auf welchen Kurs Höcke
seine Thüringer Truppen und den ge-
samten Bundesverband bringen will.
Quent verweist auf ein Höcke-Zitat, wo-
nach es darum gehe, »die ›rohen‹ Formen
der Bürgerproteste« geistig zu veredeln.
»Erklärtes Ziel ist es«, so Quent, »die mo-
bilisierbare Masse – die insbesondere aus
reisewilligen Rechtsradikalen und Neo -
nazis besteht – in eine langfristige Gesamt-
strategie zu integrieren.«
Der Soziologe warnt vor »Machtergrei-
fungsstrategien von rechts außen«. Quent

26 DER SPIEGEL Nr. 37 / 7. 9. 2019
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