füllen: Geschlecht, Alter, Hersteller des
Geräts, Helm ja oder nein. »Ich kann nur
jedem dringend raten, einen zu tragen«,
sagt Kühne. Wie viele der 30 Asklepios-
Patienten einen Helm trugen? »Keiner.«
Am Anfang war ein Wort, ein ziemlich
langes und dröges: »Elektrokleinstfahrzeu-
ge-Verordnung«. So lautet der Sammel -
begriff für jenes Panoptikum von Winz -
vehikeln, die sich nun mit amtlicher Er-
laubnis um den öffentlichen Verkehrsraum
balgen, darunter die E-Scooter.
Noch bis 2016 scheiterten die meisten
von ihnen an einer strengen Rahmenricht-
linie der EU. Doch dann zog eine neue Of-
fenheit ins Regelwerk ein: Seitdem ist es
den einzelnen Staaten überlassen, mehr
oder weniger alles zu erlauben. In vielen
EU-Ländern pesen nun abstrus unsichere
Konstrukte mit behördlichem Segen über
Straßen und Gehwege. In Deutschland un-
terzog die Bundesanstalt für Straßenwesen
(BASt) verschiedene Kleinstfahrzeuge um-
fangreichen Praxistests.
Der Abschlussbericht erschien vorigen
November. Manche Anregungen wurden
zur Vorschrift. So müssen E-Scooter in
Deutschland ein Kennzeichen haben und
eine Versicherung, zwei unabhängig von-
einander wirkende Bremsen sowie eine an
die strenge Fahrradvorschrift angelehnte
Licht- und Reflektorenausstattung.
Was die BASt-Experten weiterhin mo-
nierten: dass E-Scooter nur mit beiden
Händen am Lenker beherrschbar sind. Ei-
nen Arm zur Seite zu strecken, um einen
Richtungswechsel anzuzeigen, grenzt an
Akrobatik. Deshalb empfahlen sie die
»Verwendung von Fahrtrichtungsanzei-
gern«. Doch der E-Scooter kam ohne Blin-
ker auf die Straße.
Ist Verkehrsminister Scheuer ein Drauf-
gänger, der Expertisen der eigenen Behör-
den schlicht ignoriert? Ein Berater des Mi-
nisteriums schildert die Stimmung als an-
gespannt: ganz oben ein launischer Chef,
der schnelle Effekte und Erfolge will – wei-
ter unten verzweifelte Experten auf den
Fachebenen, die »nur noch versuchen, das
Schlimmste zu verhindern«.
Hätte Scheuer sich durchgesetzt, dürften
Scooter auch auf Gehwegen fahren. Auf
sein Geheiß hatten die Beamten im ersten
Entwurf der Verordnung außerdem den
Testbetrieb sogenannter Hoverboards er-
laubt, eine Art Brett mit zwei seitlich ange -
brachten Rädern und Motor. Hundsgefähr-
lich, wie Scheuers Leute befanden. Das rief
die Verkehrsminister der Bundesländer auf
den Plan. Es ging hin und her. Nachdem
die ersten alarmierenden Berichte aus Poli -
zei- und Unfallstationen eingegangen sind,
ist das Vorhaben zunächst vom Tisch.
Der Mann, der für die Sicherheit der
deutschen E-Scooter garantieren soll, sieht
aus, als bräche er zu einem Motorradren-
nen auf. Jens Peuker, 30, trägt Handschu-
he, Schutzkleidung und Integralhelm, die
vorgeschriebene Ausrüstung eines Scoo-
ter-Testers.
Peuker hat gut zu tun. Als einziger Prü-
fer beim TÜV Rheinland in Köln kümmert
er sich um die elektrischen Roller, testet
Bremsen und Motoren und brettert in
Höchstgeschwindigkeit über eine eigens
gebaute Teststrecke. Gibt er seinen Segen,
darf ein Scooter in Deutschland auf die
Straße. »Anfangs dachten wir, diese Prü-
fungen gingen vielleicht nebenher«, sagt
Peuker. Mit dem tatsächlichen Ansturm
hatte niemand gerechnet. Schon im Feb-
ruar, vier Monate vor Verabschiedung der
Verordnung, klopften die ersten Unterneh-
men beim TÜV an.
Die Teststrecke besteht aus mehreren
Elementen, etwa einer drei Zentimeter ho-
hen Bordsteinkante aus Asphalt und einer
Schräge aus Beton. Peuker holpert mit
20 km/h darüber, so sieht es das Gesetz
vor, gestürzt ist er noch nie. Zurzeit wird
eine identische Teststrecke in China ge-
baut, sie soll die deutschen Prüfer entlas-
ten und den meist chinesischen Herstellern
entgegenkommen.
Vor dem Testgelände in der TÜV-Zen-
trale hat Peuker vier Roller aufgestellt, von
massiven 18-Kilo-Geräten bis zu wackeln-
den City-Scootern. Eine Zulassung werden
sie wohl alle bekommen, was schlicht
daran liegt, dass die Kriterien lax sind. Für
die Beschaffung der Reifen etwa gibt es
keinerlei Vorgaben, getestet wird auf
trockenem Boden und ebener Fläche. Eine
Federung ist optional, Blinker sowieso –
und beim Anhalten mit nur einer Bremse
darf der Bremsweg bis zu zehn Meter be -
tragen.
Die E-Scooter waren als Verheißung auf
eine umweltfreundliche Mobilität ins Land
gerollt. Doch sie lösten das Versprechen
nicht ein. Das Umweltbundesamt bemän-
gelt ihre Ökobilanz: die aufwendige Pro-
duktion der Lithium-Ionen-Batterien, das
nächtliche Einsammeln mit motorisierten
Transportern, die geringe Lebensdauer.
Wenn E-Scooter wirklich etwas für die
Umwelt tun sollen, müssen sie Autos er-
setzen, nicht Busse oder Fahrräder. Dafür
aber gibt es wenig Hoffnung. Fahrten von
durchschnittlich 1,9 Kilometern, wie sie
das Hamburger Beratungsunternehmen
Civity errechnet hat, ersetzen keinen SUV.
Und die Tatsache, dass die mit Abstand
meisten Scooter am Wochenende ausge-
liehen werden, weist eher auf Touristen
hin als auf Pendler.
Die Anbieter bestreiten die Zahlen
nicht, sie sehen darin jedoch ein typisches
Anfängerphänomen. Wer zum ersten Mal
auf einen Roller steige, tue das nicht vor
dem Meeting um sechs Uhr morgens – son-
dern ganz in Ruhe. An einem gemütlichen
Samstagnachmittag. Oder besoffen in der
Samstagnacht. Schon nach ein paar Mo-
naten werde sich das normalisieren.
Experten bezweifeln, dass E-Scooter
Teil eines nachhaltigen Verkehrskonzepts
sein können. Ist das vermeintliche Ret-
tungsmobil fürs urbane Klima am Ende
nicht mehr als ein Touristenjux? Ein Un-
fallrisiko ohne Sinn und Nutzen?
Barbara Lenz, 64, leitet das Institut für
Verkehrsforschung im Deutschen Zentrum
für Luft- und Raumfahrt. Zudem steht sie
einem der Arbeitskreise der Regierungs-
kommission vor, die Deutschlands Mobi-
litätswende einläuten und das Klima schüt-
zen sollen.
64 DER SPIEGEL Nr. 37 / 7. 9. 2019
WOLFRAM STEINBERG / PICTURE ALLIANCE / DPA
Kleintransporter mit Elektrorollern in Berlin: Panoptikum von Winzvehikeln