DER SPIEGEL Nr. 37 / 7. 9. 2019 89
Sport
Nike und Adidas zementieren mit ihrem Geld die Verhältnisse. ‣S.92
SPIEGEL:Herr Neureuther,
Sie haben sich mit dem
Österreicher Marcel
Hirscher unzählige Ren-
nen geliefert. Welches
bleibt Ihnen besonders in
Erinnerung?
Neureuther:Ganz klar: das Rennen bei
der Weltmeisterschaft 2013 in Schladming.
Wir waren die Favoriten. Das ganze Jahr
über hatte entweder er oder ich gewonnen.
Nach dem ersten Durchgang hat er knapp
geführt, und es kam zum entscheidenden
Duell zwischen uns. 50 000 verrückte Ös -
terreicher warteten da unten auf mich, man
hätte eine Stecknadel fallen hören – genau
diese Stille hatte ich mir gewünscht. Als
Marcel fuhr, war eine Stimmung, die wird
es bei einem Skirennen nie wieder geben.
SPIEGEL:42 Hundertstel haben Ihnen
am Ende gefehlt.
Neureuther:Das war egal. Die Botschaft
soll ja sein, dass man den anderen trotz
aller Rivalität respektiert und mit ihm
befreundet sein kann. Es gibt schließlich
Wichtigeres als den Skisport.
SPIEGEL:Hirscher, damals 23, sagte:
»Wenn ich nicht so jung wäre, müsste ich
meine Karriere beenden.«
Neureuther:Es war auch so, mehr geht
nicht. Wir lagen uns im Ziel in den Armen
und waren einfach nur erleichtert. Das
war unser Moment.
SPIEGEL:Am Mittwoch hat Marcel
Hirscher mit 30 Jahren seinen Rücktritt
bekannt gegeben. Waren Sie überrascht?
Neureuther:Es ist vielmehr ein Nicht-
wahrhaben-Wollen, dass jemand,
der achtmal Weltcup-Gesamtsieger wurde,
jetzt aufhört. Aber ich kann ihn absolut
verstehen.
SPIEGEL:Warum?
Neureuther:Weil man irgendwann an
einem Punkt ist, da kostet das ständige
Hin und Her im Skisport sehr viel Energie.
Aber zu wissen, dass neue Aufgaben auf
einen warten, ist ein befreiendes Gefühl.
SPIEGEL:Wären Sie ohne Marcel Hir-
scher jemals so gut geworden?
Neureuther:Sicher nicht. Ich hätte wahr-
scheinlich mehr Rennen gewonnen,
aber mein Niveau hat er schon sehr nach
oben geschraubt.
SPIEGEL:Sie waren für Hirscher, so sagte
er einmal, »wie ein großer Bruder«. Was
würden Sie Ihrem kleinen Bruder nun
wünschen?
Neureuther:Dass er für sich und seine
Familie etwas findet, das ihn zufrieden-
stellt. Wenn man über Jahre hinweg den
Erfolg und das Adrenalin gewohnt ist,
braucht man Ersatz. Dieser lässt sich in
extremen Situationen finden, beim Bun-
gee-Jumping zum Beispiel. Oder eben,
wenn man mit seinem Kind im Sandkas-
ten spielt. Letzteres wünsche ich ihm,
SVEN SIMON / IMAGO SPORT denn das hatte ich dann auch. MAS
Oliver Zeidler wurde am vergangenen Sonntag Ruderwelt -
meister – es war eine Sensation, denn der 23-Jährige aus Dachau
betreibt seinen Sport erst seit drei Jahren professionell. Zuvor
war er Schwimmer, beendete aber seine Karriere, weil sich seine
Trainingsgruppe in München aufgelöst hatte. Selten schaffen es
Athleten, in zwei Sportarten an die Spitze zu gelangen. In den
USA wurde zuletzt Kyler Murray berühmt: Der 22-Jährige
spielt Baseball und Football so gut, dass er in beiden Sportarten
eine Profikarriere hätte einschlagen können. Anfang des Jahres
hat sich der Football-Quarterback für die NFL entschieden.
Magische Momente
»Es war eine Stimmung, die wird es nie wieder geben«
Der ehemalige Skirennfahrer Felix Neureuther, 35, über seinen Freund und Rivalen Marcel Hirscher
SIPA PRESS / ACTION PRESS
Hirscher bei der WM 2013 in Schladming
MIRKO SEIFERT / IMAGO SPORT / KLAUS OBERST /BUNDESARCHIV / GRANGER / UNDERWOOD ARCHIVES
Multitalente Auswahl an Sportler/innen, die in zwei Sportarten Wettbewerbe gewannen
Oliver Zeidler Elizabeth Heiden Christa Luding-Rothenburger Mildred Didrikson Zaharias
Weltmeister nationaler Meister
2019
Rudern
2014 bis 2015
Schwimmen*
* Jahrgangsmeister
1979 bis 1980
Eisschnelllauf
1979 bis 1980
Radfahren
11-mal
16-mal 10-mal
Major-Turnier
1984 bis 1992
Eisschnelllauf
1988
Bahnradsport
Olympia: Goldmedaille Silbermedaille Bronzemedaille
1932
Leichtathletik
1940 bis 1954
Golf