Weltwoche Nr. 36.19 21
Bild: Anthony Anex (Keystone); Illustration Bianca Litscher (www.sukibamboo.com)
B
eginnen wir mit der binsenwahrsten
Binsenwahrheit der Presse: Die Zukunft
der Zeitungen ist digital.
Die Binsenwahrheit ist nur partiell bis nach
Bern vorgedrungen. In seinen Plänen zur
Medienförderung, die der Bundesrat letzte
Woche verkündete, setzt die Landesregierung
immer noch stark auf die Vergangenheit. Sie
will die Zustellung der Tageszeitungen in die
Briefkästen mit zusätzlichen Geldern subven
tionieren, 50 Millionen Franken insgesamt.
Das erinnert stark an begleitende Sterbe
hilfe. Bald werden morgens nur noch ein paar
Rentner ein Stück Papier anstelle des Smart
phones in Händen halten. Die neuen Subven
tionsgelder für den Vertrieb gedruckter Zei
tungen sind darum so etwas wie öffentlich
finanzierte Kerzen für private Familiengräber.
Man kann diese kuriose Zwischenlösung als
toleranter Wirtschaftsliberaler meinetwegen
noch tolerieren.
Weil der Bundesrat mit Medienministerin
Simonetta Sommaruga aber auch mutig in die
Zukunft blicken will, wartet er mit einem
zweiten, ähnlich wundersamen Vorschlag auf.
Auch OnlineMedien sollen künftig mit 50
Millionen Franken pro Jahr staatlich subven
tioniert werden.
Und jetzt wird es interessant. Denn nun
stellt sich die Frage: Wer bekommt das schöne,
neue Geld?
Nun hebt der Bundesrat den Moralfinger. In
den Genuss der 50 OnlineMillionen kommt
künftig nur, wer im Internet kostenpflichtige
Angebote bietet und damit Abonnenten vor
weisen kann. GratisAngebote im Netz be
kommen nichts, denn der Bundesrat will keine
verwerfliche «Gratismentalität».
Der Trick mit der «Gratismentalität» ist
natürlich fauler Zauber. In Wirklichkeit geht
es darum, wie immer in der Medienpolitik, die
SRG vor Konkurrenz zu schützen.
Die Spitzenreiter unter den hiesigen Inter
netPortalen sind die Website des Schweizer
Radios und Fernsehens sowie die Angebote
von 20 Minuten online, von Blick online und des
Portals Watson. Die drei SRFKonkurrenten
stammen aus den privaten Verlagshäusern
Tamedia, Ringier und AZ Medien. Das Quar
tett liegt bei der Zahl der aufgerufenen Seiten
weit vor dem Rest des Feldes. Man liefert sich
einen permanenten Vierkampf um die Publi
kumszahlen.
Ausgerechnet 20 Minuten online, Blick online
und Watson aber, welch schöner Zufall, bieten
ihre Informationen gratis an. Sie haben keine
Abonnenten, sondern finanzieren sich nur via
Werbung. Damit sind sie künftig von den
staatlichen Subventionen ausgeschlossen.
Die SRG hingegen kann von sich behaup
ten, nichts mit «Gratismentalität» zu tun zu
haben. Ihre zahlenden Kunden entrichten
zwar Zwangs gebühren, aber egal, sagt sich
die SRG, Abos sind Abos.
Die bundesrätliche Medienpolitik ist damit
reiner Protektionismus. Im digitalen Zukunfts
markt gibt es – dank eines durchsichtigen
Tricks – keine öffentlichen Gelder für die
härtesten SRFKonkurrenten 20 Minuten, Blick
und Watson. Der Staatssender hingegen darf
mit denselben öffentlichen Geldern die Ex
pansion im Netz ungebremst vorantreiben und
die Verlage zurückdrängen. Hinter einer solch
krassen Wettbewerbsverzerrung kann nun
kein noch so toleranter Wirtschaftsliberaler
mehr stehen.
Die 50 OnlineMillionen werden stattdessen
an kleinere und regionale Anbieter im Internet
gehen. Viele davon kommen aus der linken
und alternativen Ecke. Ihre Portale sind viel
fach defizitär, weil sie wenig Publikum haben.
Sie können sich also freuen, künftig ihre roten
Zahlen mit Steuergeldern aufzupolieren.
Man kann die Vorschläge des Bundesrates
darum sehr knapp kommentieren: Ein Parla
ment, das eine solche Medienpolitik akzep
tiert, ist nicht bei Trost.
Medien
Fauler Zauber
Von Kurt W. Zimmermann _ Die neue Medienförderung des Bundesrats
ist eine reichlich unverschämte Förderung der SRG.
Welch schöner Zufall: Medienministerin Sommaruga.
D
ie politischen und
kulturellen Eliten
der Bundesrepublik
machen derzeit eine
schmerzliche Erfah
rung. Ganz normale
demokratische Wahlen
sind mit Risiken und
Nebenwirkungen be
lastet. Es können «die Falschen» gewählt wer
den, worauf das System, in dem sich eine Hand
voll Parteien gemütlich eingerichtet hat,
erschüttert wird. Die Torte, die verteilt wird,
bleibt dieselbe, aber die Anteile werden kleiner.
Genau das ist letzten Sonntag passiert. Bei
den Landtagswahlen in Sachsen und Branden
burg kam es zu einem Erdrutsch zugunsten der
AfD, die derzeit in der deutschen Politik die
gleiche Rolle spielt wie der Teufel in der christli
chen Glaubenslehre. In beiden Ländern wurde
die AfD zweitstärkste Partei, im konservativ ge
prägten Sachsen gleich nach der CDU, im tra
ditionell roten Brandenburg knapp hinter der
SPD. Und so gab es in der Wahlnacht nur ein
Thema: Wie konnte es nur dazu kommen, wo
doch alle zur Wahl aufgerufen, aber vor der
Wahl der AfD gewarnt hatten: die Parteien, die
Kirchen, der Zentralrat der Juden und der Zent
ralrat der Muslime, die Gewerkschaften, die
Unternehmer, die Kulturschaffenden in Ost
und West. «Gehet hin und wählet!», riefen sie,
«aber nicht die AfD! Denn das sind die Bösen, sie
wollen unser Land spalten und zerstören!»
Als in der Nacht zum Montag die Prognosen
zur Gewissheit wurden, legten alle Partei
sprecher dieselbe Platte auf: Es sei gelungen zu
verhindern, dass die AfD zur stärksten Partei
wurde, das allein sei doch schon ein Erfolg. Jetzt
müsse nur noch daran gearbeitet werden, die
AfDWähler zurückzugewinnen. Der General
sekretär der SPD, Lars Klingbeil, gab bekannt,
man werde die AfD «dadurch kleinkriegen»,
dass man «gute Politik» mache und sich um die
«Handlungsfähigkeit des Staates» kümmere;
die frischgebackene Vorsitzende der CDU,
Annegret KrampKarrenbauer, erklärte, man
habe im vergangenen Jahr «zugehört, vieles ver
standen», jetzt sei man «dabei, vieles auch noch
zu diskutieren», werde aber «in den nächsten
Wochen entscheiden und anpacken».
Ungeklärt blieb, wie es die AfD geschafft
hatte, 555 0 00 neue Wähler dazuzugewinnen:
etwa die Hälfte aus dem Lager der Nichtwähler,
die übrigen aus den Reihen der CDU, der SPD,
der Linkspartei und der Grünen. Seit Montag
sind das alles Nazis.
Die Deutschen
Gute Politik
Von Henryk M. Broder _ Wieder
wurden «die Falschen» gewählt.