Süddeutsche Zeitung - 07.09.2019 - 08.09.2019

(Rick Simeone) #1
von sabine reithmaier

A


uf dem Tisch im Garten liegt ei-
ne Fliegenklatsche. Jedes ande-
re Tier hat hier aber sicher
nichts zu befürchten. Zwei Da-
ckel und ein Chow-Chow bemü-
hen sich um eine angemessene Begrü-
ßung des Besuchs, der Esel stimmt mit
ein. Rita Falk hat sich einen idyllischen
Platz zum Wohnen ausgesucht. Keinen
Bauernhof wie ihr Held Franz Eberhofer,
sondern ein ehemaliges Schulhaus. Seit
fünf Jahren lebt die Krimiautorin in dem
Dorf in der Nähe von Landsberg und amü-
siert sich darüber, dass ausgerechnet sie,
die die Schule so hasste, in einem Schul-
haus gelandet ist.
In Landshut, der Stadt, in der sie ihren
Dorfpolizisten und das fiktive Dorf Nieder-
kaltenkirchen erfand, fühlte sie sich nicht
mehr wohl. „Ich hatte das Gefühl, man
missgönnt mir meinen Erfolg“, sagt sie
und lehnt sich zurück. Gerade hat sie die
Kinotour hinter sich gebracht, Werbung
für den „Leberkäsjunkie“ gemacht. Zwei
Wochen täglich sieben Säle – „da weißt
du, was du gemacht hast, wenn der Tag zu
Ende geht.“ Ihren Fans fühlt sie sich sehr
verpflichtet, sie harrt aus, bis die letzte
Hand geschüttelt, das letzte Selfie ge-
macht, die letzte Frage beantwortet ist.
„Das ist eine Form von positiver Anstren-
gung, die mich enorm beflügelt.“

Diesen Sonntag startet sie die Lesetour
mit „Guglhupfgeschwader“, Eberhofers
zehntem Fall, traditionsgemäß, weil
schon zum sechsten Mal, im ausverkauf-
ten Circus Krone. 2600 Menschen, die
kommen, um Rita Falk zu hören. „Irgend-
wo unfassbar“, sagt sie. „Ich glaub’, das ist
eine Geschichte, die nicht oft vorkommt.“
Das stimmt. 2010 erschien der Erstling
„Winterkartoffelknödel“, ein halbes Jahr
später folgte „Dampfnudelblues“. Beide
landeten sofort auf den Bestsellerlisten,
wie ihre Nachfolger auch. So viel Erfolg –
das muss ein Leben doch verändern? Rita
Falk überlegt eine Weile und zählt bedäch-
tig erst einmal auf, was sich alles nicht ge-
ändert hat: Der Verlag ist geblieben, der
Agent auch – „für mich ist das wichtig,
weil ich ein Familienmensch bin.“ Dass
Ruhm und Geld sie als Mensch verändert
haben – wieder eine lange Pause – nein,
das glaubt sie nicht. Dazu sei sie zu prag-
matisch, zu geerdet. „Bei uns dreht keiner
durch.“ Wenn der Verlag anruft, um mitzu-
teilen, dass der Eberhofer wieder Platz 1
der Spiegel-Bestsellerliste einnimmt,
freue sie sich kurz. Ungefähr eine Minute.
„Aber ich öffne keinen Champagner.“ Son-
dern plane anschließend mit ihrem Mann


  • übrigens auch noch derselbe – was mit-
    tags gekocht wird.
    Rita Falk trinkt einen Schluck Kaffee
    und denkt weiter nach. Sie sei unverän-
    dert „sehr fleißig“, sagt sie dann. Ihr Mann
    müsse sie gelegentlich vom Schreibtisch
    wegzerren. Bloß gut – Achtung Änderung

  • dass er nach 36Dienstjahren bei der Poli-
    zei gekündigt hat, um seine Frau zu beglei-
    ten und sie gelegentlich zu bremsen. „Flei-
    ßig“ war sie bereits, als sie noch als Büro-
    angestellte in Landshut arbeitete. So sehr,
    dass ihr Chef die zwei anderen Kräfte kün-
    digte, weil Rita Falk alles allein schaffte.
    Ein Jahr lang schuftete sie ohne Urlaub, be-
    vor ihr der Chef endlich eine Woche Ferien
    genehmigte und sie mit der Familie – da-
    zu zählen zwei Söhne und eine Tochter –
    nach Italien fuhr. „Ich wollte am Donners-
    tag zurück, um mit der Wäsche fertig zu
    werden.“ Am Freitag brach sie zu Hause zu-
    sammen. „Schüttelfrost und Dauerwei-


nen.“ Burnout, diagnostizierte der Arzt
und schrieb sie vier Wochen krank.
Der Chef fand das nicht gut. Als sie am
Montag nicht antrat, kündigte er. Ein ech-
ter Glücksfall, jedenfalls im Nachhinein
betrachtet. Denn nachdem Rita Falk drei
Wochen deprimiert vor sich hin gestarrt
hatte, begann sie zu schreiben. „Nur zur
Überbrückung.“ Aber weil ihr Arbeitamts-
berater nichts Passendes fand, blieb sie da-
bei. „Hätte er was gefunden, wäre ich so-
fort wieder zum Arbeiten marschiert und
hätte das Schreiben aufgegeben.“ Aber so
hatte sie genug Zeit, um ihren eigentli-
chen Auftrag zu erkennen: „Du musst die
Deutschen mit lustigen Büchern versor-
gen.“ Das tut sie seither. Ihr Verlag dtv mel-
det eine Gesamtauflage von 6,8 Millionen
Exemplaren, der „Winterkartoffelknö-
del“ hat sich eine Million mal verkauft.
Erstaunlich ist es nicht, dass eine so
pflichtbewusste Frau einen so aufmüpfi-
gen Typen wie den Eberhofer erfindet, für
den Fleiß ein Fremdwort ist. Er darf vieles
sagen, was sie sich nie erlauben würde.
Dass er den Bürgermeister als Rumpel-
stilzchen tituliert, ist noch harmlos. Rita

Falk hat sich nie die Genugtuung gegönnt,
ihrem Ex-Chef wenigstens später mal die
Meinung zu sagen. Das erledigt jetzt
Franz Eberhofer für sie.
Wobei der im Laufe der Zeit erwachse-
ner geworden ist. Gerade im jüngsten
Werk kümmert er sich mit viel Mitgefühl
um den „Heizungspfuscher“ Flötzinger
und den Lotto-Otto. „Er reflektiert, ohne
dass er es artikuliert“, sagt seine Erfinde-
rin. Rassisten, „Zuwachs aus dem Neubau-
gebiet“, nerven ihn massiv. Falk hält
nichts vom moralischen Zeigefinger, „ich
erreiche mehr, wenn ich Haltungen unter-
schwellig reinbringe“. Und regt sich dann
sehr auf, dass die AfD so viel mehr Stim-
men als die SPD gekriegt hat.
Dabei fällt ihr noch eine Veränderung
ein. „Das Lampenfieber hat nachgelas-
sen“, sagt sie. Die Zeiten, in denen sie bei
Lesungen auf einer Tischdecke bestand,
um ihre zitternden Knie zu verbergen,
sind vorbei. An bösartige Bemerkungen
von Literaturkritikern, die ratlos vor ih-
rem Erfolg stehen, hat sie sich gewöhnt. Al-
lerdings findet sie es erbärmlich, „dass
man in Deutschlands Zweiklassengesell-

schaft die eine Kunst über die andere stel-
len muss.“ Und dass ein Kritiker Druck-
werke, die er für schlecht hält, in eine Ton-
ne wirft, interpretiert sie als neue Art der
Bücherverbrennung.
Nach der Rückkehr von der Frankfur-
ter Buchmesse beginnt ihre Schreibpha-
se. Noch hat sie nicht entschieden, ob sie
sich an den elften Eberhofer macht oder
lieber an einen „ernsten“ Roman, wie sie
sie mit „Hannes“ oder „Funkenflieger“ be-
reits geschrieben hat. „Manchmal brau-
che ich andere Personen, andere Zeiten,
andere Orte.“ Der geplante Plot spiele in
der Jetztzeit, blende aber zurück in die
Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. „Irgend-
wo möchte ich wachrütteln, klarmachen,
dass wir alles schon gehabt haben.“
Und Franz Eberhofer? Wie lange klärt
er noch in Niederkaltenkirchen absurde
Morde auf? „Das entscheide nicht ich, son-
dern die Leser“, sagt Falk. „Bis aufs Letzte
auszuzzeln will ich ihn jedenfalls nicht.“

Rita Falk: „Guglhupfgeschwader“, Buchpremiere
mit Christian Tramitz, Sonntag, 8. September,
19 Uhr, Circus Krone

München–Antigone ist die Frau, die ih-
ren Bruder Polyneikes bestatten will, was
ihr Onkel Kreon, König von Theben, ver-
boten hat, weshalb sie sterben muss. So-
phokles hat darüber geschrieben, Aischy-
los, Anouilh und einige andere. Und nun
gibt es dazu eine „Archivoper“, was keine
Oper ist, sondern eine Ansammlung ver-
schiedener Annäherungen an das The-
ma, Weiterführungen dessen. Anna Lug-
meier und Evamaria Müller haben Künst-
ler aus Wien und München um Beiträge
gebeten und diese zusammengebaut zu
ihrem „Antigone“-Abend im Schwere Rei-
ter. So disparat die Mittel der einzelnen
Beiträge sind, so unterschiedlich die Set-
zungen: In einem Punkt ähneln sie sich.
Sie sind Fußnoten, postdramatische An-
merkungen; den Kern, auf den sie sich be-
ziehen, den muss man schon selber mit-
denken. Oder anders gesagt: Der Abend
fühlt sich an wie eine Mischung aus dem
Film „Barbarella“, der Serie „Raumpa-
trouille Orion“ und dem, womit Alexan-
der Kluge spätnachts im Fernsehen die
Großhirnrinde der Zuschauer traktiert.
Es beginnt mit umwerfendem
Charme. „Der Kleine Wahrsager“ be-
grüßt das Publikum. Angela Wieder-
mann ist die versponnenste Verkörpe-
rung des Sehers Teiresias, die man sich
vorstellen kann, außerordentlich freund-
lich und auch beflissen erzählt sie von ei-
ner Siedlung und deren Geschichten, die
sich zu einem großen Haufen aufschich-
ten, wenn keiner sie mehr hören will. Wei-
ter geht es mit einer sehr konkreten Reise
nach Serbien, zu einer uralten Klagefrau,
die mit ihren Gesängen Trauernden hilft
und dabei die eigenen Toten mitdenkt.
Nächstes Video: Besuch des bizarren „An-
tigone“-Areals in Montpellier, was Julia
Novacek im Film nutzt, sich auf eigen-
tümlich eitle Art selbst zu interviewen.
Überhaupt gibt es hier viel Video, auch
ein bisschen Tanz – oder eher: eine ent-
spannte Bewegungsstudie –, die Zweier-
BandTaurusmacht elektronisches Zeug,
eine Frau singt, ein paar andere Men-
schen simulieren ohne viel Ertrag Darstel-
lerei auf der Bühne, überstrahlt von der
Göttin Anna Lugmeier, eine Art postmy-
thologisches Medium. Nun, es gilt hier ja,
von der Idee her, Archivmaterial zu sam-
meln. Nicht jedem Fundstück würde man
da einen Spitzenplatz einräumen. Aber
unsympathisch ist die verkruschterte
Spurensuche nicht. egbert tholl


Wunsiedel– Nach mehr als drei Monaten
Spielzeit enden an diesem Sonntag die Lui-
senburg-Festspiele in Wunsiedel. Rund
148000 Besucher lockte das Theaterfesti-
val, das sich um die Themen Aufbruch und
Ausbruch drehte. So stand „Madagascar“
nach dem gleichnamigen Kinofilm auf
dem Programm, aber auch Musical-Klassi-
ker wie „Grease“ oder die Theateradaption
„Die Päpstin“. Neue Wege ging das Festival
bei Brechts „Der aufhaltsame Aufstieg des
Arturo Ui“, das in einem Zirkuszelt in Wun-
siedel präsentiert wurde. Bei „Zucker“
ging es mit lokalem Bezug um den Süß-
stoff, der einst als Luxusgut geschmuggelt
wurde. Auch im kommenden Jahr soll Wun-
siedel im Fichtelgebirge zum Schauplatz ei-
nes Stücks werden, sagte die künstlerische
Leiterin Birgit Simmler. chj

sind mit den Arbeitsstipendien
derLandeshauptstadt
verbunden, die literarische
Projekte von bereits
etablierten Münchner Autoren
fördern. Eine Fachjury hat sich
kürzlich für Andrea Heuser
und ihren Familienroman
„Das Winkelhaus“ sowie
Norbert Niemann und sein
Romanprojekt „Dianoia“
entschieden. Ebenfalls jeweils
6000 Euro erhalten
die Nachwuchsautoren Valerie
Sophie Bäuerlein („Koh Tao“),
Konstantin Ferstl
(„Die Erfrorenen Lande“),
Sibylla Hirschhäuser
(„Seilschaften“) und Hrvoje
Milkovic („Agram“). Das Stipen-
dium für Übersetzungsprojekte
erhält Andrea O’Brien. Die
Stipendien für Kinder- und
Jugendbuch gehen an Nina
Basovic und
Efua Traoré. Den mit 3000 Euro
dotierten Leonhard und
Ida Wolf-Gedächtnispreis für
Autoren unter 30 erhält
Annegret Liepold.

„Wenn man sich so etwas vornimmt,
dann muss man einfach durch.“ Hört sich
fast philosophisch an, wenn Bernd Zim-
mer so redet. Aber das passt zur „Stoa
169“, der Säulenhalle, die der Künstler in
Polling bauen will. Eigentlich ist er ja
auch schon ziemlich „durch“. Er hat die
Baugenehmigungen in der Tasche, hat
die ersten Säulen in Empfang genommen
und eingelagert. Hat in zwei Bürgerver-
sammlungen den Pollingern Rede und
Antwort gestanden. Trotzdem hadern im-
mer noch manche mit ihm und seinem
ehrgeizigen Projekt, werfen dem Maler
mangelnde Transparenz vor, weil sie so-
lange nichts mitgekriegt haben von den
Planungen, eigentlich erst auf der Matte
standen, als alles schon genehmigt war.
Daher hat Zimmer beschlossen, jetzt
quasi absolut transparent zu sein. Mit der
Folge, dass er am Telefon nicht über
Kunst oder die Säulengestalter reden
will, sondern nur über wirklich wichtige
Dinge: Klos zum Beispiel – „die werden
verborgen hinter Büschen installiert,
sieht man nicht“. Oder über Parkplätze –
„die werden natürlich gebaut, ich habe ei-
ne Fläche dafür gepachtet“ – und die Aus-
weichstellen für den Baustellenverkehr
auf der kleinen Straße, die zum Grund-
stück an der Ammer führt. Die Auswei-

chen bleiben auch nach dem Bau erhal-
ten, was sehr wichtig ist, weil dann künf-
tig auch die Bulldog fahrenden Bauern
und die zur Säulenhalle pilgernden
Kunstfreunde gut aneinander vorbeikom-
men. Die Landwirte hatten auf einer Info-
veranstaltung schon gefürchtet, sie müss-
ten sich von Fußgängern, die der Trakto-
ren wegen zur Seite springen müssen, an-
pöbeln lassen. Gott sei Dank ist das Pro-
blem gelöst. Von zentraler Bedeutung na-
türlich auch der Begrünungsplan: „Wir
mähen einmal im Jahr und pflanzen Soli-
tärbäume“, vermutlich Weiden und Sil-
berpappeln.
Jetzt im Herbst wird erst einmal die Bo-
denplatte für die 2500 Quadratmeter gro-
ße Grundfläche der Halle betoniert. Das
Fundament darf über den Winter ruhen.
Im Mai sollen die ersten Säulen aufge-
stellt werden, entweder 64 oder 81 – da
ist sich Zimmer noch nicht sicher. Insge-
samt sollen es 169 werden, 3,90 Meter
hoch. Von welchen Künstlern sie stam-
men werden? Das ist jetzt echt nicht so
wichtig, darüber will der Säulenhallen-In-
itiator nicht lang reden, wozu gibt es
denn die Internetseite der Stoa-169-Stif-
tung. Dort stehen inzwischen viele inter-
national bekannte Namen: Enzo Cucchi,
Daniel Spoerri, Paul Fuchs, Daniel Man,
Laurie Palmer, Brigitte Kowanz, Kuei-
Chih Lee, Magdalena Jetelová, Yves Sche-
rer, um bloß einige von den 100 zu nen-
nen, die schon zugesagt haben.
Allerdings wäre es nicht schlecht,
wenn sich noch Kunstfreunde fänden,
die als Säulenpaten die Finanzierung un-
terstützen. Die Stiftung sucht gerade
nach Sponsoren. Die dürfen dann auch
gern kommen und ihre Säulen anschau-
en. Die Dixi-Klos sind dann bestimmt
schon da, die Parkplätze auch, und das ist
doch schön. sabine reithmaier

München– Häufigstes Wort des Abends
ist Bastard, knapp gefolgt von Kanaken,
auf einem guten dritten Platz landet
Moruk, was im Türkischen so viel wie Opa
oder alter Mann bedeutetet, an einem
Abend mit Özcan Cosar aber eher „Alter!“
38 ist der Mann, aber die Sprache der
Teens und Twens nimmt man ihm locker
ab. Aufgesetzt wirkt das nicht, eher so, als
wäre er in den Neunzigern hängen geblie-
ben, und so heißt sein drittes Solo-
programm auch konsequenterweise „Old
School – Die Zukunft kann warten“. Nur
ein paar Minuten dauert es, bis Cosar den
ausverkauften Circus Krone wissen lässt:
„Die Zukunft ist mir scheißegal.“ Lieber
schwelgt er in den glorreichen Zeiten als
Gang-Kid, so mit 12, 13, 14: Rap-Musik
von Tupac und Biggie, Breakdance in


Baggy-Jeans, Bandana um den Schädel
und dazu ein Gang-Name, den er sogar
dem Vater beichtet: „Papa, ich heiß’
jetzt nicht mehr Özcan Cosar, sondern OC
Mac. Und mein Vater so: Halt die Fresse,
mach’ Chai!“

Cosar ist in Stuttgart-Bad Cannstatt ge-
boren, die Eltern stammen von der
Schwarzmeerküste, mit Ende 20 wurde er
deutscher Staatsbürger – diese Gemenge-
lage beackert der Comedian zweieinhalb
Stunden. Sagt meistens „Wir Türken“,
manchmal auch „Wir Deutschen“. Für die

einen ist er „Papier-Deutscher“, die ande-
ren sprechen „Tarzan-Deutsch“ mit ihm.
Dass der Türke noch nicht in Deutschland
angekommen ist, merke man auch daran,
dass ein Karl-Heinz sein Kind noch nicht
Murat nennt. Da hat er Recht.
Und sonst so? Geht es ums Vaterwer-
den, um Frauenrechte, Sitzpinkeln, Aber-
glaube, Horrorfilme, Flugangst sowie das
Paralleluniversum „Türkische Hochzeit“.
Das ist meistens schön albern, ab und zu
ein wenig nachdenklich, oft aber holz-
schnittartig und zuweilen auch eine gewal-
tige Klischeeschleuderei. Egal, die Fans ju-
beln auch bei Sätzen wie „Ich hasse Krieg“
oder „Respektiert eure Eltern!“ Und Cosar
selbst lacht manchmal so doll über seine
Späße, dass er sich auf dem Boden krin-
geln muss. Alter! thomas becker

Traunstein– Hier hat der Nachwuchs
Platz genommen: auf einem Podium im
Großen Sitzungssaal des Landratsamtes
Traunstein. Von hier erspielen sich Florian
Schötz, Pinchas Adt, Christoph Vandory
und Raphael Paratore als Goldmund Quar-
tett die Bravo-Rufe des Publikums, das
sich von der absoluten Stilsicherheit der
Musiker begeistern lässt: Den nach innen
gewendeten Humor des fünften Erdödy-
Quartetts von Haydn übersetzt das Quar-
tett in geschmackvoll-sensibles Spiel.
Das vorsichtige Abtasten der Partitur,
das sorgfältige Profilieren ist das Propri-
um dieses Ensembles, und am deutlichs-
ten wird das, wenn bei Haydn doch das
Dunkle, Ungarische auflodert. Mit demsel-
ben Instinkt für Farbgebung wird Debus-
sys Streichquartett zur schillernden Meta-

morphose eines musikalischen Mottos,
das sich durch alle Sätze zieht: zupackend
der Kopfsatz, witzig-beredt das Scherzo,
in edlem Grau das Andantino, ausschwei-
fend das Finale. Wie gemacht für die Cha-
rakterisierungskunst des Goldmund Quar-

tetts scheinen die drei Preziosen aus Ana
Sokolovic’ „Commedia dell’arte III“. Jeder
der drei Sätze porträtiert eine Figur der ita-
lienischen Stegreifkomödie. Mit Witz und
dramaturgisch wirksamem Einsatz nach-
klassischer Spielweisen (Klopfen auf dem
Instrumentenkorpus, Schnaufen des Cel-

listen) werden die Stücke zur Miniaturfar-
ce zwischen intrigantem Diener, manipu-
lativer Signora und hitzigem Liebespaar.
Zum Abschluss ein Schlüsselwerk: Men-
delssohns letztes Streichquartett, das Do-
kument eines radikalen Stilwandels, häu-
fig als Reaktion auf den Tod der Schwester
gedeutet. Die Leistung der vier jungen Mu-
siker liegt darin, das Werk eben nicht tra-
gisch übersteigernd als Grabmal für Fan-
ny zu spielen, sondern – ohne die allgegen-
wärtigen dissonanten Schroffheiten zu
glätten – das Stück als das zu nehmen,
was es ist: ein Formexperiment. So bleibt
am Ende nur die Frage, wie lange man
vom Goldmund Quartett noch als Nach-
wuchs sprechen möchte. Wo doch Reife
und Souveränität seiner Spieler so auf der
Hand liegen. paul schäufele

„Bis aufs Letzte
auszuzzeln will ich
ihn jedenfalls nicht.“

„Bei uns dreht keiner durch“


RitaFalk hat fast sieben Millionen Bücher verkauft, die Verfilmungen sind Hits im Kino. Die Lesetour


zum zehnten Eberhofer-Krimi beginnt abermals im Circus Krone, doch die 55-Jährige bleibt gelassen


Luisenburg-Festspiele


ziehen Bilanz


6000


Euro


Vom Burnout auf die Bestsellerliste: Krimiautorin Rita Falk. FOTO: ASTRID ECKERT

Für immer jung


ComedianÖzcan Cosar feiert im Circus Krone die „Old School“


Reifer Nachwuchs


Das Goldmund Quartett begeistert in Traunstein


Mendelssohns letztes
Streichquartett wird hier eben
nicht tragisch übersteigert

Spurensuche


mit Göttin


„Antigone – Eine Archivoper“
im Schwere Reiter

Meist schön albern und
ein klein wenig nachdenklich –
oft aber holzschnittartig

Tragende Säulen


BerndZimmer beginnt mit dem
Bau seiner „Stoa 169“ in Polling

DAS IST SCHÖN


KURZKRITIK


R18 KULTUR Samstag/Sonntag,7./8. September 2019, Nr. 207 DEFGH

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