Der Tagesspiegel - 07.09.2019

(John Hannent) #1
WIRTSCHAFT & BÖRSEN ........ 19–
Der Dax trotzte den eher
enttäuschenden Arbeits-
marktzahlen aus den
USA und rückte auf
12191 Punkte vor.

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B


erlin versteht sich gerne als „Stadt
der Freiheit“. Der CDU-Abgeord-
nete Christian Gräff konnte sich
der Empörung deshalb sicher sein, als er
einen Zuzugsstopp ins Gespräch brachte.
Seine Begründung: Die Stadt sei voll, die
Infrastruktur überfordert, weiteres
Wachstum nicht zu verkraften. Den Se-
nat forderte Gräff auf, mit der Bundesre-
gierung zu klären, wie realistisch die im
Grundgesetz verankerte Freizügigkeit
noch ist. Zuzugssperre? Ganz schlechte
Idee füreine Provokation.SoetwasÄhnli-
ches hatten wir hier doch schon mal: Wer
nach Ost-Berlin ziehen wollte, brauchte
eine Genehmigung.
Der Begriff „Freiheit“ ist in Berlin zum
Mythos geronnen. KeineStadtwerbekam-
pagne, keineBerlin-Rede,keinKoalitions-
vertrag kommt ohne Freiheit aus. Die ei-
nen haben die Verteidigung West-Berlins
vor Augen, die Rosinenbomber, Ken-
nedy, andere den Fall der Mauer, manche
auch den hemmungslosen Hedonismus
der Zwanzigerjahre und der Nachwende-
zeit. So divers die Stadt ist, auf Freiheit
können sich alle verständigen.
Doch tatsächlich wird die Freiheit in
Berlin Stück für Stück dekonstruiert,
durch Handeln und durch Unterlassen.
„Weltoffenheit“ und„Innovationsfreudig-
keit“ der StadtfeiertRot-Rot-Grün im Ko-
alitionsvertrag. Doch die alltägliche Poli-
tik offenbart immer offener Abschottung
und Strukturkonservatismus. Die Linke
beschwört eine diffuse Gemeinschaft po-
litischer Ureinwohner unter dem Motto
„Wir holen uns die Stadt zurück“. Die
Grünen wollen „Orte für die Locals zu-
rückerobern“. Und die von der SPD seit
Jahrzehnten mitverschuldete Bildungsmi-
sere schreckt potenzielleNeuberlineroh-
nehin ab. Der Zuzug? Ist bereits einge-
schränkt, da wirkt der Wohnungsmangel,
es kommen weniger Leute als erwartet in
dieStadt. Gut istdas allenfallsfür diejeni-
gen, die schon da sind.
Aber wer sind diese „Locals“? Wie
lange wohnensieschonin Berlin, wo dür-
fen sie herkommen, was müssen sie wäh-
len, um von der Koalition unter politi-
schen Artenschutz gestellt zu werden?
„Wir verstehen Zuwanderung als Berei-
cherung“, heißt es im Koalitionsvertrag –
aber was versteht der Senat unter Zuwan-
derung? Wohermüssen Zuwandererkom-
men, um willkommen zu sein, was dür-
fen sie verdienen oder ausgeben, was
müssen sie tun oder lassen? Antworten
auf diese Fragen gefährden die Freiheit.
Tourismus benennt die Koalition als
„Stärke Berlins“ – aber die Linke will die
Ausgaben für Berlin-Werbung einstellen,
um nicht noch mehr Menschen „in die
Stadt zu locken“, wo sie den „Locals“ im
Weg stehen. „Aufgeschlossen gegenüber
Neuem“ will die Koalition sein – doch
„neu“ steht unter dem Generalverdacht
der Verdrängung.UnterRot-Rot-Grünist
Berlin sich selbst genug, Wachstum wird
als Bedrohung empfunden.
Das istfatal füreine Stadt,die seitjeher
vom Zuzug und damit vom Wandel lebt.
Die Politik steht deshalb hier vor größe-
ren Herausforderungen und Belastungen
alsanderswo.Siemussweitsichtigeragie-
ren – und ist zugleich anfälliger für Feh-
ler.Und sie mussdie großstädtische Tole-
ranz vor einer falsch verstandenen Frei-
heit schützen, die sich leicht in Verwahr-
losung zeigt. Der Grad an Weltoffenheit
Berlins wird nicht am Görli vermessen,
sondern beim „Schwaben-Bashing“.
Berlins Freiheit, sie braucht Möglich-
keiten, Platz, Mut und einen Rahmen.
Wassie nicht braucht: Grenzen. Und Poli-
tiker, die vor ihrer eigenen Stadt warnen.

WETTER ........................................... 2
Mal Sonnenschein,
häufig gibt es aber auch
dichtere Wolkenfelder. Im
Tagesverlauf kommt es örtlich zu
Regenschauern. Der Wind weht
schwach aus Süd bis West.

Eine Stadt ist


sich selbst genug


Grauzone: Warum so viele Berliner Parks verkommen – Mehr Berlin


ISSN 1865-

CDINDEX


Dax

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Zuzugsstopp für Berlin?


Peking- Kanzlerin Angela Merkel hat
sich bei ihrem Besuch in China für die
„Rechte und Freiheiten“ der Hongkonger
eingesetzt. Nach Gesprächen mit Regie-
rungschef Li Keqiang sagte Merkel am
Freitag bei einer Pressebegegnung in Pe-
king, es müsse jetzt „alles darangesetzt
werden, Gewalt zu vermeiden“. Es müss-
ten politische Lösungen durch Dialog ge-
funden werden. Chinas Premier gab sich
zurückhaltend. Die Zentralregierung un-
terstützedieHongkonger Regierung, „Ge-
walt und Chaos“ im Rahmen der Gesetze
zu beenden. Peking halte an dem Grund-
satz „ein Land, zwei Systeme“ fest, nach
dem die chinesische Sonderverwaltungs-
regionregiertwerde. DieDemokratie-Ak-
tivisten in Hongkong haben auch wäh-
rend Merkels China-Besuch ihre Proteste
fortgesetzt. dpa

— Seite 5

BERLIN, SONNABEND, 7. SEPTEMBER 2019 / 75. JAHRGANG / NR. 23 938 ’ WWW.TAGESSPIEGEL.DE BERLIN / BRANDENBURG 2,00 €, AUSWÄRTS 2,60 €, AUSLAND 2,80 €


Potsdam- Brandenburgs CDU-Landes-
chef Ingo Senftleben ist mitten in den Ge-
sprächen über eine Beteiligung an der
künftigen Regierung in Potsdam nach ei-
nemMachtkampfin seiner Partei zurück-
getreten. Die Entscheidung des 45-Jähri-
gen verkündete Generalsekretär Steeven
BretzamFreitag.DanachwirdSenftleben
am Dienstag nicht für den Fraktionsvor-
sitz kandidieren und das CDU-Sondie-
rungsteamfürdieRegierungsbildungver-
lassen,woerbisherChefunterhändlerder
Christdemokratenwar.


Nach der Landtagswahl in Branden-
burg am vergangenen Sonntag, die die
SPDknappvorder AfD gewann, wäre Ke-
nia die einzige Option mit einer stabilen
Mehrheit von sechs Stimmen im Land-
tag. Rot-Rot-Grün hätte nur eine Mehr-
heit von einer Stimme.
Die Grünen zeigten sich besorgt über
den Rücktritt. Senftleben sei für sie „das
Aushängeschild einer liberalen und welt-
offenen CDU“. Es sei diese CDU, „mit
der wir uns eine Zusammenarbeit in ei-
nerKenia-Koalition als einevonzweiOp-
tionenbislangzumindestvorstellen konn-
ten“, hieß es, nicht aber mit dem rechts-
konservativen Flügel. SPD-Generalsekre-
tär Erik Stohn rief die CDU auf, ihre Pro-
bleme zu lösen. „Die CDU muss für sich
klären, ob sie ein stabiler Partner ist“,
sagte Stohn in Potsdam. Dieser Prozess
sei mit dem Rücktritt Senftlebens nicht
abgeschlossen. Nun hängt es von den
CDU-Fraktionswahlen am Dienstag ab,
ob Kenia noch eine Chance hat.


Nach Tagesspiegel-Informationen hat-
te Senftleben am Donnerstagabend die
CDU-Bundesvorsitzende Annegret
Kramp-Karrenbauer über seinen Ent-
schluss informiert. Bei den Landtagswah-
len in Brandenburg war die Union mit
Senftleben als Spitzenkandidaten nur auf
15,6 Prozent gekommen – das schlech-
teste Ergebnis seit 1990. Kurz vor der
Sondierung von SPD und CDU versuch-
ten in dieser Woche sechs Abgeordnete
der 15-köpfigen CDU-Fraktion, vorgezo-
gene Vorstandswahlen zu erzwingen und
Senftleben abzulösen. Der Abgeordnete
Frank Bommert und die frühere Landes-
vorsitzende Saskia Ludwig, die Mitglied
der rechtskonservativen Werteunion ist,
hatten wegen der Wahlniederlage seinen
Rücktritt gefordert. Am Freitag kommen-
tierte Ludwig den Rücktritt nur mit ei-
nem Wort: „Respekt!“
In Potsdam überschlugen sich am Frei-
tag die Ereignisse, nachdem der Tages-
spiegel Senftlebens bevorstehenden
Rückzug von allen Ämtern publik ge-
machthatte. Alskommissarischen Partei-
chef und Chefsondierer setzte das CDU-
Präsidium Michael Stübgen ein, der Bun-
destagsabgeordneter und parlamentari-
scher Staatssekretär im Bundeslandwirt-
schaftsministerium und bereits Mitglied
im Verhandlungsteam der CDU ist. Auf
dem kurzfristig anberaumten Presseter-
minbekräftigte Stübgen dasZieleiner Re-
gierungsbeteiligung der Union. Für die
CDU gebees dieChance,„indieser Koali-
tion für das Land etwas zu erreichen“,
sagte Stübgen. Die Sondierungsgesprä-
che in dieser Woche hätten ihn darin be-
stärkt. Allerdings sei es dafür unabding-
bar, „dass sich meine Partei, meine Land-
tagsfraktion als Partner aufstellt, der zu-
mutbar ist“.Brandenburgs Ministerpräsi-
dentDietmarWoidke (SPD), dernach Ta-
gesspiegel-Informationen Kenia favori-
siert, hat innere Stabilität der Union als
Bedingung formuliert.

Mit den Selfie-Filtern von
Johanna Jaskowska verändern
Millionen Nutzer ihr Gesicht.
Was heißt das für unser
Verständnis von Schönheit?


  • Heute im Magazin
    BERLINER – KUNST


CDU-Machtkampf


in Brandenburg:


Senftleben wirft hin


Landeschef tritt nach massiver Kritik zurück –


Grüne sehen Kenia-Koalition in Gefahr


Im Westen was Neues.Frank Castorf


debütiert an der Deutschen


Oper – ein Gespräch – Seite 27


Berlin- Beieinem schweren Verkehrsun-
fall in Berlin-Mitte sind am Freitagabend
vier Menschen getötet worden. Unter
den Opfern sei auch ein Kind. Es sei etwa
drei bisvier Jahre alt,hieß es von derPoli-
zei. Auch die Großmutter des Kindes
kam ums Leben, die Mutter überlebte kör-
perlich unverletzt. Ein Auto war an der
Ecke Invalidenstraße und Ackerstraße
auf einen Gehweg gefahren. Dort sollen
sich mehrere Menschen befunden haben.
Die Unfallursache sei noch völlig of-
fen. Zunächst stand die Frage im Raum,
ob es sich um eine vorsätzliche Tat han-
delt. Es deute jedoch alles auf einen Ver-
kehrsunfall hin, sagte ein Sprecher der
Berliner Polizei. Zur Geschwindigkeit
desAutos konnte er zunächstkeine Anga-
ben machen.
Der Autofahrer sei schwer verletzt zur
stationären Behandlung ins Krankenhaus
gekommen. Nach ersten Erkenntnissen
befanden sich außer dem Mann auch
eine Frau und ein sechsjähriges Mädchen

in dem Wagen. Möglicherweise wurden
Insassen aus dem Wagen geschleudert,
als dieser in einer Baulücke landete. Die
Feuerwehr suchte mit einer Wärmeka-
mera den Ort ab, um sicherzugehen, dass
alle Unfallopfer gefunden wurden. Der
Notruf ging um kurz nach 19 Uhr ein. Bei
dem Fahrzeug handele es sich um einen
Porsche-Sportgeländewagen, sagte der
Polizeisprecher.
DerEinsatzort wurde großräumigabge-
sperrt. Zahlreiche Feuerwehrleute und
Polizisten waren im Einsatz, darunter
auch Einsatzpsychologen. Von der Poli-
zei waren zudem mehrere Mannschafts-
transporter am Unfallort. Krankenwagen
warteten hintereinander. Anwesende
Zeugen wurden befragt, um den Unfall-
hergang zu klären. In der Umgebung kam
es zu erheblichen Verkehrsbehinderun-
gen. Auch mehrere Straßenbahnen ka-
men nicht vorwärts. Ts p /d pa

— Seite 9

Von Lorenz Maroldt

Berlin- Bundesumweltministerin Sven-
jaSchulzewill Plastiktüten vomkommen-
den Jahr an aus den Geschäften verban-
nen. Die SPD-Politikerin hat am Freitag
eineGesetzesänderung für ein Verbot auf
dem Weg gebracht. Sie sagte, jede und
jeder benutze immer noch rund 20 sol-
cher Tüten pro Jahr: „Das muss nicht
sein. Deswegen werden wir jetzt Plastik-
tüten einfach verbieten.“ Dem Gesetzent-
wurf zufolge werden die Einmalplastik-
tüten verboten, die man noch gegen Ent-
gelt an der Kasse bekommt, um den Ein-
kauf einzupacken. Ausgenommen von
dem Verbot sind Mehrfach-Tragetaschen
aus Kunststoff und „Hemdchenbeutel“,
also die Plastiktüten an den Obsttheken.
Für Verstöße gegen das Verbot können
die Händler mit Bußgeldern von bis zu
100000 Euro belegt werden. epd


— Seite 19

Der Bundestagsabgeordnete


Stübgen soll jetzt die


Sondierungsgespräche führen


Foto: Reiner Zensen/Imago

21/

Foto: Daniel Hofer, Bearbeitung: Johanna Jaskowksa

Die Inszenierung des Ich


Vier Tote bei Unfall


Porsche-SUV rast in Berlin-Mitte auf Gehweg


HEUTE: Mit
Immobilienmarkt

und Stellen-
angeboten

Umweltministerin


will Plastiktüten


ab 2020 verbieten


Merkel mahnt


Freiheitsrechte


für Hongkong an


Von Thorsten Metzner, Potsdam

2:4 in Hamburg:


DFB-Team unterliegt den


Niederlanden– Seite 26


Als 15-Jährige zum IS:


Wie ein Vater seine


Tochter verlor – Seite 3


Wie für Berlin


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