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zwei Sachen gemeinsam: Siesind Teil einer hippen
Gegenkultur,der wenig anZugänglichkeit und viel
an Haltung und Anspruch liegt.Undsie werd en von
Max Rieger produziert, das heißt:DassihreAlben
so dringlichund nah undaufrü ttelnd klingen, liegt
auch anihm. Denn Rieger istinnerhalb der letzten
Jahrezum Mastermindhinter demdeutschenUn-
terg rund-Rockgeworden, zu einer Artdeutschem
Rick Rubin. Er ist jetzt auchoffiziellals „Lieblings-
produ zent“ nominiert, beimPreis de rPopkultur,
der im Oktober inBerlin verl iehen wird.
Das hatsich so ergeben, sagt Rieger selbst,weil
er einfach Glückgehabt habe Aber es hatsich auch
so er geben, weil er sich–wenn es darauf ankommt
–selbst komplet tzurücknehmen, sich so langema-
nisch in Musikreinsteigernkann, bis sieradikal
wird. Weil er selbstradikal ist, in seinem Denken
über Musik. Riegersagt, wenn et wasscheiße ist. So
ist er zu einer Art Marke geworden. Aber zu einer,
die sichregelmäßig neu brandet.Zuletztveröffent-
lichteeru nterde mNamenObstlereinBlack-Metal-
Album. Allein eingespielt und-gebrüllt innerhalb
vondreiTagen, „in einer manischen Phase“, wie er
sagt. Die hundert Kassettenwaren nach einemTag
ausverkauft.
Rieger stammt aus Esslingen amNeckar ,S-
Bahn-BereichStuttgart, 94.0 00 Einwohner. Viele
alteGebäude,wenig Subkultur.Dort be gann er mit
kostenloser Musikproduktionssoftware rumzudad-
deln,wieeresselbstformuliert,nahmseineStimme
mit einemMP3-Playervon Tchibo auf,klicktesich
durchMySpace-Profile. UnderlernteGitarr espie-
len,instruiertvondenBücherndes „Gitarrenlehrers
derNation“PeterBursch.SeitdemhatRieger außer
Musiknichtsanderesinteressiert.Jobs,Geld,Selbst-
findungstripnach Bali–völlig egal.
Sein eerste Veröffentlichungwarein blubbern-
der,perligerTrance-Remix imJahr 2011, imJahr
darauffolgtedas ersteSoloalbum, „Zehn Lieder
für Mensche nohne Freunde“, das erzehnmal auf
CD brannteund das man heute nicht einmalmehr
halblegal überYoutube hören kann. Esfolgteein
Intermezzo in einerWave-Band namens Selektion,
17 Jahrealt warRieger da. Die Bandtourteind en
Schulferien, manchmalspieltesie erst um vier Uhr
morgens Konzert eini rgendwelchen Clubs vorviel
älterenMensche nauf Drogen.DieMusikvon da-
mals sei heute in Russland sehr beliebt,sagt Rieger.
Vorallem aberhabeihn di eSelektion-Zeit abge-
härtet:Aufdie Bühnezut retensei seit damalskein
Problem mehr.
Rieger,das kann man sosagen, ist eine Er-
scheinung. Er trägt eine helleStoffhose,schwarze
Lederschuhe und dazueben jeneweißenSocken
der Rappern undFashionistasangesagten High-Fa-
shion-meets-Streetwear-BrandVetementsausParis.
Riegerraucht viel, seine Selbstgedrehten zündet er
mit Stre ichhölzern an und hält sie lässig zwischen
Mittelfinger undRingfinger.SeineBewegungen und
Max Riegerläuft den Ku’damm entlangund kauft
nichts. Er trägtja schonweiße SockenvonVete-
ments. Der Karneval ist langevorbei, aber der Rie-
ger, sagt er ,ist heu te mal wiederinK ostü munter-
wegs.„Ichbinimmerverkleidet“,sagt er später und
lacht lautauf.Erp asse sein Outfitand ie Umge bung
an, damit sich niemand fragt: „Gehört der hier ei-
gentlich hin?“ InNeukölln,wo Rieger lebt, trägt
er Cap, Jogginghose und Sneaker und istdadurch
tatsächlichfast unsichtbar,glaubt er.Angesprochen
wird er auf derStra ße jedenfalls nie.
Unddas ist eineKunst. Max Rieger,26J ahre alt,
kurzeblondeHaare, ist zweiMete rgroßund der
wichtigsteRockstar Deutschlands, denniemand
erkennt.Mit seiner BandDie Nerven und seinem
SoloprojektAlldieseGewalttourterdurchDeutsch-
land, außerdem produziert er all die Künstlerinnen
und Künstler,die zu lässig für die deutschenSing-
lechar ts undFormatradios sind–und gera de des-
wegensob eliebt. Drangsal, Jungstöt ter, IlgenNur,
Karies und MiaMorg an haben dabei eigentlich nur
MaxRieger kann
sichselbst komplett
zurücknehmen,sich
so langemanisch
in Musikreinstei-
gern,bis sie radikal
wird.Weil er selbst
radikal ist, in seinem
Denken über Musik.
Riegersagt,wenn
etwasscheiße ist