Der Tagesspiegel - 07.09.2019

(John Hannent) #1
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AlsBeauty3000JohannaJaskowskasLeben


verändert, ist siegera de zu Besuch bei ih-


rerFamilie,JahreswechselinP aris.Sielebt


schon länger inBerlin,geflohen ausder


Stadt, in dersie geboren wurdeund auf-
wuchs, weil das Leben an der Seineteuer,


die Luft zu dreckigist. In Berlin könne sie


durchatmen,sagt Jaskowska.Hierfindet


sie Gleichgesinnte. Undeinen festen Job


in einerrenommierten Werbeagenturin
Mitte.IhreMutte rsei stolz auf siegewe-


sen, erzählt sie. Das alles habe ihr das Ge-


fühlgege ben,esseieineguteEntscheidung


gewesen, herzuziehen.Siewurde für ihre


Arbeit bezahlt, machte auchmal Urlaub.
Undind er Agenturkonntesie Dingeaus-


probie ren: zumBeispiel Facefilterpro-


grammieren, als Marketinggag.


WährendihreFamili eWeih-


nacht en feiert,sitzt Jaskowska


immer wied er vordem Computer,


schi ebtstundenlan gEffekte


undEbenenimvirtu ellenRaum


herum, versinkt darin, bi ssie


zufrieden ist mitdem, was


siesieht:sichselbst, aber so,


als wäre ihr Gesichtaus Glas,


verpacktint ürkis undrosa


glitzerndes Zellophan. „Bei


Beaut y3000 wollteich diesen


Plastik-Lookauf dieSpitze


treiben“ sagt Jaskowska.


Am 1. Januar 2019 lädt sie denFilter bei


Instag ramhoch. Es dauertnicht lange,


ein, zweiTage viell eicht, und dasSup-


portteam desNetzwerks winkt ihn durch:
Beauty3000istlive.Erk annnu nvonjedem


dermonatlichetwa eine Milliardeaktiven


Instag ram-Userngetragenwerd en.


JohannaJaskowskaweißso fort,das sdieser


Filter et wasBesonderes ist, andersals all
jene,die sie vorher hochgeladen hat. Ihr


Gesi cht erscheint ihrmerkwürdig schön,


wenn sie sich auf dem Handyscreen an-


schaut.Siezeigtih rerSchwesterdenEffekt


undsagt,halbimSpaß:Schau,damitwerde
ich berühmt. Pfff, sagt die.


Beauty3000istgera deeinenTagonline, da


wächstJaskowskasFollowerzahl von2000


auf15.0 00;nachzweiWochensindesmehr


als 152.00 0Menschen, die ihrenAccount
abonniert haben,umBeauty3000 anwen-


denzukönnen.Internati onaleDesign-und
Kulturmagazine wie „Sleek“ und „Dazed“
wollen plötzlich mitJaskowska sprechen,
dieitalienische„Vogue“berichtetübersie.
InParisundBerlinwir dsieaufderStra ße
angesprochen: Bist du nicht das Mädchen
mit dem Filter?
Jaskowska kündigt denJobind er Agen-
tur,machtsichselbständig.Sieha tdauernd
Anfragen, darunter denAuftragvon Billie
Eilish. Plötzlichgeht allesganz schnell,
schnellweiter ,Berlin ist schon wieder
Vergangenheit. EndeAugust ist Jaskows-
ka nach Portlandgezogen, Nike hatihr
einenJob im Kreativteamdes Headquar-
ters angeboten .Sie ist schonvorhermal
hingeflogen,zur Vorbereitung.Aufeiner
Partywiederdie Frage: „Areyou the girl
with the filter?“
ZuletzthattesieimmerwiederdasGefühl,
angestarrt zuwerd en. Mittlerweilefolgen
ihr mehr als820.000 Menschenauf Insta-
gram. Lauterglänzende,irisierende ,spie-
gelnde Gesichter.
DasGlatte,schreibtderPhilosophByung-
Chul Han in seinem 2015erschienenen
Bändchen„DieErrettungdesSchönen“,sei
„die Signatur unserer Gegenwart“: makel-
loseOberflächenwiediedesSmartphones
würden zumFetisch.

Dochmakellosbedeutetnicht:
hübsch. „Wir lebenine iner Zeit
derHyperindividua lisierung.
Wasfrüherdas Sc höne war, ist
jetzt dasAnderssein“, sagt
ClaudiaRafae l. Und dasdefiniere
sich eben eherüber Segelohren,
Pigmentflec ken, Zahnlücken und
–wennman so etwasnicht hat –
blaueHaare oder immerhin einen
extravagantenStil.Hauptsache,
manstichtaus derMasse heraus.

Auch Rafael entwickelt Facefilter,sie ist
Teil vonSelam X, einemhydra-artigen
Designkollektiv, das gera de überall mit-
mischt,woesBedarfanw ilden, radikal
zeitgeistigen Kampagnen und Looks gibt.
Vieleim TeamsinderstAnfang20,würden
aber auchfür 16 durchgehen. Es gibtkei-
ne festen Mitarbeiter,keine Hierarchien.
Leidenschaft,Freizeit und Arbeitgehen
ineinander über.

Kreuzberg, zweiter Hinterhof eines ehe-
maligenFabrikgebäude s. Eindunkles
Treppenhaus, ersteEtage rechts, grau ge-
stricheneMetalltür.Rafael sPartnerund
Selam- X-Mitgründer Sebastian Zimmer-
hackl öffnet ,macht eine Geste:Mitkom-
men! SeinRedeflussist kaum zu stoppen:
Ein Projektfür den Rapper Riffraffsteht
an.Geradegab’s einenCallmitdenLeuten
vonSnapchat.Undda,demnächst,einvir-
tuellerAnbaufürdieGalerieRuttkowski69
in Paris,Augmented Reality, wirdgeil.

Einige Jung smachengerade
Pause,schnappen sich ihreSkate-
boards,gehen aufSockenin
denHof.ObenimStudi osieht es
aus, als würde hier seit Monaten
eine LAN-Party steigen, Kabel,
Kisten,Computer, Aschenbecher,
bisunter dieDecke stehen
Regalevolle rKrimskrams,der
Ventilator surrt,esr iecht
nachGras.Ein paarLeutesitzen
vorMacbooks undhelfen
sich gege nseiti gmit ihr en Filtern.

„HieristimmerHighEnergy“,sagtClaudia
Rafaelundschlägtvor, dahinzu gehen,wo
es et wasruhiger ist.Rüber zurAdmiral-
brücke, rein in die Sonne.Rafael zwirbelt
ihreHaarspitzen zwischen den orangela-
ckiertenNägeln,wennsienachdenkt–also
eigentlich immer.
BeiSelamXistsiediePerson,mitderman
reden muss,wenn es umFacefiltergeht.
„Ein sehr wichtigesThema für uns.“Ver-
liebtind aseigeneAntlitzwarderMensch
schon immer, sagt Rafael.Heute isterd a-
vonbesessen.EinGrunddafüristzweifel-
losdasAufkommenderSmartphones.„Die
TrendforscherinLiEdelkoorthatschonvor
Jahren gesagt,das sallesaufsPortr ätformat
hinausläuft.“FrüherlagendieModelsquer
überdenDoppelseitenderMagazine,quer
über demFernsehbildschirm. „Die Selfie-
Kulturha textremeAuswirkungenaufviele
Bereiche,vor allemMode und Make-up.
Gesicht und Händewerd en vie lextrava-
ganter inszeniert.“
WieJohannaJaskowskahatsichauchClau-
dia Rafael für die seitHerbst 2018 laufen-
de geschlosseneBetaphase von„Spark
AR Studio“beworben, wurdeangenom-
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