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Fotografien undProtokollesindTeil
derAusst ellung„DieAndere nsindwir“
im BrandenburgischenLandesmuseum
für moderneKunst Cottbus.Nochbis
13.Oktober sinddortArbeitender
Fotograf*innengrupp eApparatzusehen,
derJakob Ganslmeier angehört.
um diese Entwicklung zu dokumentieren.
„DietätowiertenFarben kamenmir vor
wie Giftstoffe im Körper“,sagt einer der
Männer in einem Interview, das Ganslmei-
er begleitendgeführthat.
Die Gesprächsprotokolle lesen sich
bisweilen, alswürden dieEx-Neonazis
nicht nur über sich selbst sprechen,son-
dern auf einer andereEbene auchdarüber,
wie dieses Land mit seiner Geschichteum-
geht.„Ichhabe versucht, das hinter mirzu
lassen“, heißt es da etwa,„aber natürlich
bleibendie Narben. DiesefastzehnJahre,
die ich in derSzene verbracht habe,die
kann ich nichtabschütteln, und die will
ich auch nicht abschütteln, weil sie mich
geprägthaben undweil ic hglaube, daraus
gelernt zu haben.Und weil ich mitmeiner
Geschichteverhindern möchte, dassan-
dereeine gleiche Geschichtehaben.Ich
möchtevor allemverhindern, dassmeine
dama ligenOpfer dasGleiche immer wie-
der erleiden müssen.“
Es ist schwierig,großflächigeTäto-
wierungen aus der Hautzuentfernen.
Nicht immer schafft es der Laserrestlos.
MancheSymbole und Schriftzügewurden
daher auch überstochen–alteZeichen
weichen neuen, eineverwor fene Ideolo-
gie wird überschrieben mit einerneuen
Perspektive.
„Ich schaue mirmeine neuenMotive
sehr gerne an“, erzählt einAusste iger .„Es
ist auch wichtig, dassman dabei immer er-
innert wird. Das neueTattoosteht für mich
immer inVerbindung mit demAusstieg.
Undder Ausstiegmusswachgehaltenwer-
den. Das motiviert mich immer wieder aufs
Neue: dass ich nichtvergesse ,woher ich
komme undwasmeine Aufgabe jetzt ist.“
Der Ausstieg dergezeigtenPersonen
wurdevon der Initiative „EXIT“ unter-
stützt.DasProgrammhilft Menschen,
die mit demRechtsextremismusbrechen
und sich ein neuesLeben aufbauen wol-
len. EXIT hatGanslmeiersFotoprojekt
ermöglicht und maßgeblich unterstützt,
durchKontakt eund Zugänge, aberauch
finanziell. Knapp750 Personenhat die In-
itiativenach eigenenAngabenzwischen
2000 und2019 begleitet.
Aktuellist EXIT in seinerExistenz be-
droht: DieFinanzierung durch den Bund
fürdas Jahr 2020 ist nichtgesichert.
Ein bunt überstochenerSS-Totenkopf,
der unter der neuenFarbschicht hervor-
scheint. Eine „schwarzeSonne“ auf einem
Ellenbogen. DerverblassteSchriftzug „Ave
et victoria“,Heil undSieg.
Für seinProjekt „Haut,Stein“hat der
Berliner Fotograf JakobGanslmeier,Jahr-
gang 1990,elf Menschenporträtiert, die
sich vomRechtsextremismus abgewandt
haben, darunter ein früherer NPD-Funkti-
onär ,eine Ex-Kameradschaftsführerin, ein
ehemaliger Angehöriger der „Autonomen
Nationalisten“. Ganslmeierzeigt dieAus-
gestiegenen mit freiem Oberkörper,zeigt
Schultern undUnters chenkel, Rückenund
Hände–und erzeigt dierechtsextremen
Erkennungszeichen, die darauftätowiert
sind. Mal mehr,mal weniger erkennbar,
weggelasert oderüberstochen.
Zu denPorträts stelltGanslmeiereine
Seri eaus Schwarz-weiß-Fotografien. Die
Diptychen zeigen historische NS-Symbole
im heutigen öffentli chenRaum.Einzeln
an Häusern undFassaden sowie in ihrem
räumlichenZusammenhang,imDorf, an
Stra ßen, in der Landschaft. Erkennbar ist
etwa einReichsadler am ehemaligen Flug-
hafenTempelhofinB erlin ,eine NS-Rune
an einemFachwerkhaus, ei nHakenkreuz
an einemTurm.
Es sindPräsenzzeichender national-
sozialistischenIdeologie,Machtdemonst-
rationen desRegimes.Viele Gebäude,an
denen sie sich befinden,werd en alltäglich
genutzt, als Schulen,Wohnhäuser, Funkti-
onsg ebäude. DieMenschen, dietagtäglich
an denSymbolenvorbeigehen,nehmen
diesekaum wahr.Was daran liegenkann,
dassdie Zeichen sich inunters chiedli-
chen Stadiender Abblätterung befinden,
manche wirkenwie buchstäblicheSchat-
tender Vergangenheit. Andereaber sind
erschreckend intakt.TeilserklärenTafeln
oderInschriftenihren Kontext. Of taber
auch nicht.
Ganslmeierstelltbeide Bildserie nne-
beneinander.Und machtsoP arallelen auf:
zwischen der langsamenund schmerzhaf-
ten„Entnazifizierung“ der Haut–und den
in Stein manifestierten Spuren des NS-
Regimes. Die individuellen Geschichten
werd en in einen politischen undgesell-
scha ftlichenZusammenhanggestellt. Es
stellt sich dieFrage: Waslernen wiraus
unserer Geschichte? „Oft wird die deut-
scheVergangenheit wieein ab geschlosse-
nesKapitel behandel t“,sagt derFotograf.
„DiesenUmgang möchteich hinterfragen.
Ichwillden Diskurslebendi ghalten.“
Nichtalle der ehemaligenNeonazis
zeigen ihr Gesicht, nicht alleFotosaus der
Serie dürfenine inergedrucktenPublikati-
on veröffentlichtwerd en, Namenund aktu-
elle Aufenthaltsortesind strengvertraulich.
Das hatwichti ge Gründe:Ausgestiegene
müssen die Rache derSzene fürchten, ihr
Leben istoft ganz konkretgefährdet.
AllenPorträtierten istgemein, dass
die Entfernung oder Überschreibung ih-
rerTattoos für sieein wichtigerTeil des
Ausstiegsprozesseswar. „Wer seine Täto-
wierungen entfernen lässt, drückt aus, dass
er entschlossen ist und denAusstieg ernst
meint“,sagt Ganslmeier.„DieEliminierung
dieser Erkennungszeichen istkostspielig,
langwierig und schmerzhaft.“
Teils überJahrehieltJakob Ganslmeier
den Kontakt zu den–mitunter inhaftier-
ten–Ausste igerinnen undAussteigern,
Haut,Stein
Text JanOberländer