Samstag, 7. September 2019 ZÜRICH UND REGION21
WIR STADTTIERE
Die geflügelte
Falschmeldung
Urs Bühler· Man kann sich fragen, ob die-
sesTier eineKolumne in einem Presse-
erzeugnis verdient. Sein Namestehtfür
übelsteFehlleistungen in unserer Bran-
che: Die Zeitungsente ist bekanntlich
eineFalschmeldung, bewusst oder un-
bewusst gestreut. Doch was kann das
Federvieh dafür,dass der Mensch die
Angewohnheit hat,seine eigenen Miss-
tritte samtFake-News anderen Kreatu-
renin die Schuhe zu schieben? In die-
semFall könnte der Ursprung übrigens
inFrankreich liegen, wo dieWendung
«donner des canards» dasPendant zum
Aufbinden einesBären ist.Von Münch-
bis nach Entenhausen ist es nur ein Kat-
zensprung, nicht wahr, DonaldDuck?
Aber verirren und verzetteln wir uns
nicht in all denThesen über die Her-
kunft des Begriffs «Zeitungsente»,von
denen so manche auch eine Ente sein
wird.Wenden wir uns lieber denrealen
Wildenten zu, die inTat undWahrheit
die heimlichen Chefs vieler Seeanlagen
sind.Winters patrouillieren sie etwa
in Ascona pärchenweise die Prome-
nade entlang und empörensich schnat-
ternd über vereinzelte Spaziergänger.
In Zürich haben sie die Ufer vor allem
am frühen Morgen im Griff, bevor der
Mensch in Horden einfällt.In derBadi
Enge bewachen sie nachts das Floss, ehe
dasPersonal sieverscheucht und ihre
hinterlassene Notdurft von den Holz-
planken schwemmt.
Der Anblick derKüken, die sich
imWasser aufgeregt hinterder stets
alleinerziehenden Mutter einreihen
wie an einerPerlschnur, gehört ebenso
zum vertrauten Stadtbild wie der wat-
schelnde Müssiggang der ausgewachse-
nenTiere anLand.Wenn man beobach-
tet, wie sie in den lieben langenTag hin-
einleben,fragt man sich,wasdiese Alles-
fresser mit ihrem bis zu zwanzigjährigen
Dasein eigentlich so anfangen. Sie sind
dieVögel der Bergpredigt, die weder
säen noch ernten und doch wohlgenährt
sind unter dem prächtigenFederkleid,
das namentlich die Erpel schmückt.
Von Sibirien bis in die Subtropenrei-
chen die Lebensräume der Überlebens-
künstlerin dieser Gattung, der Stock-
ente. Diese meistverbreitete Schwimm-
und Gründelente der Welt gilt als
Stammmutter der Hausente und nistet
mitunter auf ZürcherBalkonen oder
Flachdächern. In der kaltenJahreszeit
aber, in der sich rund eine halbe Mil-
lionWasservögel auf Schweizer Flüssen
und Seen tummeln, scheint sie hier mehr
und mehr in denMinderheitenstatus ge-
drängt durch gastierendeArtverwandte
aushalb Europa.Wir sprechen nicht von
derrarsten, edlen Mandarinente(nicht
zu verwechseln mit Mandarinentee),
sondern von den Horden vorwiegend
russischer Wintergäste: denKolben-,
denTafel- und denReiherenten. Letz-
tere beide sindTauchkünstlerinnen, jede
schnabuliert die unerhörte Zahl von bis
zu viertausend ebenfalls gebietsfremden
Wandermuscheln – proTag.
Jawohl: Alli mini Äntli, deren deut-
scher Name womöglich altindischeWur-
zeln hat, gehören zu unserer Stadt. Nicht
zufällig dienten grüneBadeentchen bei
den letzten Gemeindewahlen einerPar-
tei gar alsWahlkampfmaskottchen, die
dann mit diesen prompt auf einer Er-
folgswelle ritt und frisch in den Stadtrat
einzog. DiePopularität spiegelt sich aber
auch im Namen eines bekanntenRestau-
rants: «Blaue Ente». So soll der hiesige
Volksmund früher die Stockente genannt
haben, doch es gibt noch eine andere Be-
deutung:DasDeutscheWörterbuchvon
Jacob undWilhelm Grimm, das diese
Wasservögel alsSymbol für Schwatzhaf-
tigkeit taxiert, erwähnt nicht nur bereits
die Zeitungsente,sondern auch die blaue
Ente. Schon derReformator Luther habe
diese als Sinnbild für Lug undTr ug ge-
wählt.Aber jetzt hört doch endlich auf,
das armeTier zu verleumden!
Erst gefoltert, dann mit Klebeband erstickt
Ein Ehepaar und sein Komplize müssen sich wegen sadistischer Tötungen vor Gericht verantworten
Zwei Männer mussten
imFrühjahr 20 16 im Zürcher
Unterland und im Kanton Bern
wegen einiger zehntausend
Franken einen grausamen
Tod sterben. Einem der beiden
Verbrechen kam diePolizei
per Zufall auf die Spur.
ALOIS FEUSI
Ein Leichenfund im ZürcherFurttal im
Juni 20 16 hat diePolizei auf die Spuren
einesVerbrechertrios aus dem Mittelland
geführt, das zwei Männer mit besonderer
Grausamkeit getötet haben soll. Schon
zuvor sollen der 29-jährige BernerLast-
wagenfahrer und dessen gleichaltrige
Frau und Mutter seiner beiden Kinder
sowie ein 36-jähriger Garagist undLast-
wagenchauffeur aus dem Kanton Solo-
thurn mehrmals delinquiert haben.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen
Mord,Raub, Freiheitsberaubung und
Entführung sowie weitere Delikte vor.
Am Montag beginnt am Bezirksgericht
Bülach der mehrtägige Prozess gegen die
drei teilweise geständigen Schweizer. Bis
zu einerrechtskräftigenVerurteilung gilt
die Unschuldsvermutung.
Bei demToten, den eineVelofahrerin
an jenem 4.Juni in einemWaldstück bei
Boppelsen entdeckt hatte, handelte es
sich um den 36-jährigen Besitzer eines
Einmannbetriebs für Kies- undAus-
hubtransporte in Bülach. Ein Inserat
auf einer Online-Plattform, wo er einen
Lastwagen für knapp 60 000 Franken
zumVerkauf ausgeschrieben hatte,war
ihm zumVerhängnis geworden.
Auf die Annonce hin meldete sich
sein späterer Mörder. Die Männer ver-
einbarteneinenTermin für eine Probe-
fahrt. Zum festgelegten Zeitpunkt am
Nachmittag des 3.Juni traf der Berner
mit seinem SolothurnerKomplizen bei
der Einstellhalle des Unternehmers in
Niederhasli ein. Die beiden hatten nie
die Absicht, denVolvo-Sattelschlepper
zu kaufen, wie Staatsanwältin Corinne
Kauf in der Anklage festhält.Vielmehr
planten sie von Beginn an, den Gewerb-
ler zu überwältigen, ihn zur Unterschrift
unter einen Kaufvertrag zu zwingen und
anschliessend umzubringen. Sie hätten
mit einer extremen Geringschätzung
gegenüber dem Leben ihres Opfers ge-
handelt,denn die Beute sei imVerhält-
nis zu einem Menschenleben von äus-
serst geringfügiger Bedeutung gewesen.
Wehrlosem die Nasezugeklebt
Nach rund halbstündiger Probefahrt
hielt derLastwagen auf einemParkplatz
inBachenbülach an. Dort bedrohte der
vorgebliche Kaufinteressent denFahr-
zeugbesitzer mit einer Pistole,seinKom-
plize fesselte ihn mit Handschellenund
Klebeband. Die Beschuldigten schal-
teten das Mobiltelefon des Opfers auf
Flugmodus, damit dieRoute des Sattel-
schleppersspäter nicht über Antennen-
standorte eruiert werdenkonnte.
DieFahrt führte über mehrere Sta-
tionen weiterzu einem abgelegenen
Kiesplatz bei Magden im unterenFrick-
tal. Dort luden die Entführer das Opfer
in einen Anhänger um, den die Ehefrau
des Berners mit ihremPersonenwagen
mitgebracht hatte. Sie zurrten den Ge-
fesselten mit Spanngurten fest und kne-
belten ihn mit Klebeband, damit er nicht
um Hilfe schreienkonnte.
DieFraukehrte gemäss Anklage-
schrift in der Zwischenzeit nach Nieder-
hasli zurück, aktivierte dort das Handy
des Opfers wieder und warf es in ein
Kornfeld in der Nähe der Einstellhalle.
Damit wollte sie vortäuschen, dass der
Mann am Abend ins Zürcher Unterland
zurückgekehrt sei. Ihr Ehemann fuhr
derweil mit dem Anhänger an seinem
eigenenAuto zumWohnort derFamilie
in Utzigen bei Bern. Er verprügelte das
wehrlose Opfer und zwang es, einen vor-
bereiteten Kaufvertrag zu unterzeich-
nen.Dann klebte er dem Mann meh-
rereLagen Klebeband über die Nase
und liess ihn in sadistischer Manier er-
sticken.Zwischen Mitternacht und Mor-
gengrauen fuhr der Mörder zurück in
den Kanton Zürich, wo er denToten in
einemWaldstück imFurttal deponierte.
Bereits zweiTage später flogen die
beiden Männer in Süddeutschland auf.
Sie hatten, denVolvo für 43000 Franken
- und damit weit unter dem Marktwert –
einemFahrzeughändler im Schwarzwald
zu verkaufen. Dieser schöpfteVerdacht.
Auf einer Online-Plattform stiess er auf
das Inserat des Bülacher Unternehmens
mit demPreisvorschlag für den Sattel-
schlepper und informierte diePolizei.
Dokumente hinter Gipsbauch
Noch vor deren Eintreffen wies der
Berner seineFrau perTelefon an, einen
Kaufvertrag für denVolvo mit allen
Fahrzeugdaten zu fälschen und per Mail
an den Kaufinteressenten zu schicken.
Damit wollte er dessen Misstrauen ent-
kräften und ihn doch noch zur Zahlung
der 43 000 Franken bewegen.
DieFrauversteckte derweil zu Hause
die Pistole im Estrich unterDachziegeln
und verzögerte damit die Strafunter-
suchung, wie die Staatsanwaltschaft in
der Anklageschrift festhält. Die zum
Lastwagen gehörenden Dokumente
verbargsie hinter dem an der Kinder-
zimmerwand hängenden Gipsabdruck
ihres Schwangerschaftsbauchs.
Als der während Stunden fürchter-
lich malträtierte Kleinunternehmer bei
Boppelsen gefunden wurde, wies sein
Leichnam Quetschungen und Schwel-
lungen im Gesicht sowie einen Nasen-
beinbruch auf. Deshalb nahmen die Be-
hörden zunächst an, dass der Mann er-
schlagen worden sei. Erst später wurde
festgestellt, dass er erstickt worden war.
Auf dieselbe sadistischeWeise und
für noch weniger «Profit»hatte der
26-jährige Chauffeur gemäss Anklage-
schrift bereits eineinhalb Monate zuvor
einenserbischen Staatsangehörigen aus
derRegion Bern umgebracht. DieseTa t
kam ans Licht, nachdem die Behörden
bei derDurchsuchung der Liegenschaft
in Utzigen im Zusammenhang mit der
Tötung des ZürcherLastwagenunter-
nehmers auf die Leiche des seit Ende
April 20 16 vermisst gemeldeten 25-jäh-
rigen Mannes gestossen waren.
Dieser war mit dem Ehepaar in Dro-
gengeschäfte verwickelt und hatte sich
mit den beiden zerstritten. Er soll dem
Paar rund 40000 Franken geschuldet so-
wie eine unbekannte Menge Marihuana
unterschlagen haben.Damit die beiden
ihreForderung durchsetzenkonnten,
lockte der Solothurner Garagist, mit
dem der Berner schon früher krumme
Dinger gedreht hatte, den Serben am
27.April 20 16 zumTatort.
Der Lockvogel schwindelte dem
25-Jährigen vor, dass dasPaar nicht zu
Hause sei und er die Gelegenheit nutzen
könne, um seine dort lagerndeAusrüs-
tung für den Betrieb einer Indoor-Hanf-
anlage abzuholen.Ausserdem wollte er
gegen einenVorschu ss von 400Franken
dafür sorgen, dass der nicht mehr fahr-
tüchtige BMW M3 des Serben imWert
von ca. 1 2000 Frankenrepariert werde.
DieKomplizen des Chauffeurs wuss-
ten beide,dass dieser das Opfer über-
wältigen, fesseln underpressen wollte,
um seineForderungen durchzusetzen.
Sie waren laut Anklageschrift mit die-
semVorgehen auch einverstanden.Wäh-
rend der Serbe mit Handschellen gefes-
selt in derKüche sass, holte der Gara-
gist den Anhänger mit dem BMW und
stellte ihn vor dem Haus ab.
Später fuhren er und dieFrau an den
Wohnort des Opfers in Bern und stahlen
dort einen Mercedes, der dessenVater
gehörte. Die Schlüssel desWagens im
Wert von rund 40 00 Franken hatten sie
dem wehrlosen Sohn abgenommen.
Gefesselt im Kinderzimmer
Die beiden Kinder desPaars verbrach-
ten jene Nacht bei der Grossmutter. So
konnte der Mannden Gefesselten im
Kinderzimmer einschliessen. ImLaufe
jener Nacht verprügelte der Mann sein
Opfer und brach ihm dabei das Nasen-
bein und den Oberkiefer. Nachdem
dieFrau am Morgen das Haus verlas-
sen hatte, um die Kinder bei der Gross-
mutter abzuholen, erstickte er den Ser-
ben schliesslich mit Klebebandüber der
Nase. Die Leiche legte er in einenFahr-
zeuganhänger vor dem Haus.
Am frühenVormittag informierte er
den Solothurner Mittäter amTelefon
über denTod des Opfers. Die Ehefrau er-
fuhres nach derRückkehr mit denKin-
dern nach Hause. Noch am selbenTag
mietete der mutmassliche Mörder einen
Kleinbagger und hob neben dem Haus
ein rund zwei Meter tiefes Loch aus, in
dem er den bis auf Unterhose,T-Shirt
und Socken entkleidetenToten begrub.
WenigeTage später fälschte er einen
Kaufvertrag für den gestohlenen BMW
und setzte den Serben alsVerkäufer und
den Solothurner Garagisten als Käu-
fer ein. Mit diesem Dokument brach-
te n die Beschuldigten den Bruder des
Opfers dazu, ihnen denFahrzeugaus-
weis zu überlassen und so denWeiter-
verkauf desAutos in der Schweiz über-
haupt erst möglich zu machen.
Das Ehepaar aus Utzigen hatte
schon zuvor Erfahrungen mit Betrug
und Dokumentenfälschunggesammelt.
Ein erstes Mal wurden die beiden laut
der Anklageschrift straffällig, als sie im
März 2013 einen Einbruchdiebstahl in
ihr Haus fingierten und von ihrerVer-
sicherung knapp 7700Franken alsVer-
gütung für angeblich gestohlene Gegen-
ständeund Geld kassierten.
ZweiJahre später scheint die finan-
zielle Situation des Chauffeurs und der
Detailhandelsfachfrau dramatisch ge-
worden zu sein. Dies zumindest legen
die weiteren in die Anklageschrift auf-
genommenen Delikte nahe: Im Juni
2015 half der Ehemann seinem Solo-
thurner Kumpel, den Diebstahl eines
geleasten Lieferwagens vorzutäuschen.
Lastwagenzweimal verkauft
Im Dezember 20 15 fingierte das Ehe-
paar den Diebstahl seinesPersonen-
wagens. Um den angeblichenWert des
EndeJanuar 20 16 in Deutschland in
Brand gestecktenAutos zu erhöhen, fin-
gierte der Garagist mehrereRechnun-
ge n für nicht ausgeführteReparaturen.
Wegen zahlreicher Ungereimtheiten
zahlte derAutoversicherer aber auch in
diesemFall nicht.
Mehr Erfolg hatten die beiden, als
sie, gleichfalls im Dezember 2015, einem
Bekannten einen Scania-Lastwagen für
30000 Franken verkauften. Sie stellten
dem Käufer im Gegenzug lukrativeAuf-
tragsfahrten für ihre angeblich gut flo-
rierendeTr ansportunternehmung nach
Serbienin Aussicht.Ausserdem knöpf-
ten sie dem Mann 12 500Franken ab,
mit denen dieFrau die Lizenz für ge-
werblicheTr ansporte einholen sollte.
Eine solche Genehmigungkostet ge-
mäss Anklageschrift allerdings höchs-
tens 520Franken.
ImJanuar 20 16 schaffte es der «er-
folgreicheTr ansportunternehmer» über-
dies, dem Käufer des Scania mehrere
Darlehen in der Höhe von über 53 600
Franken abzuschwatzen.Und im März
2016 schliesslich verkaufte der Mann
den auf einemParkfeld inLyss abge-
stellten Scania-Lastwagen ein zweites
Mal für 22 000 Franken, ohne denrecht-
mässigen Eigentümer darüber zu infor-
mieren oder ihm denVerkaufserlös zu
überweisen.
WenigeWochen später schliesslich
griff er erstmals zum Klebeband. – Dies
wirft ihm die für Gewaltdelikte zustän-
dige Staatsanwaltschaft IV des Kan-
tons Zürich vor.Was von denVorwür-
fen zutrifft, muss das Gericht entschei-
den. Nochgelten die drei als unschuldig.
Vordem Bezirksgericht Bülach stehen am Montag dreiTatverdächtige,die teilweise geständigsind. CHRISTIAN BEUTLER/NZZ
Im Kinderzimmer
verprügelte der Mann
sein Opfer und brach
ihm dabei das
Nasenbein und
den Oberkiefer.