46 LITERATUR UNDKUNST Samstag, 7. September 2019
Ist diesem Künstler das Reale egal?
Der Österreicher Heimo Zobernig stel lt freie Gestaltung slust über alles
GABRIELE DETTERER
DieFarbe hat ihn gepackt! Heimo
Zobernig versucht in derAuseinander-
setzung mitFarbe,seine nackte Hautzu
rett en. Übermächtig erscheinen zwei un-
scharfkonturierterot- und grünfarbige
Gestalten, die den unbekleidetenKünst-
ler bedrängen. Zusätzlich zur Atta-
cke der beidenFiguren erschwert eine
Menge an Gedrucktem, das aufKopf
und Schultern desKünstlers lastet, des-
sen Beweglichkeit.
Ist Heimo Zobernig leibhaftig in
der Defensive?Wird hier künstlerische
Freiheit gleichsamin die Zange genom-
men vonderMacht derFarbenund
Textlastigkeit? Kaum zu glauben! Un-
ernst-ironisch allerdings wirkt diePer-
formance in seinemVideo «Nr 24» von
- Denn die K.-o.-Pose passt so gar
nicht zum tatsächlichen Erscheinungs-
bild und zur offensiven Produktivität
des international erfolgreichen öster-
reichischenKünstlers. Ein Blick auf das
Gesamtwerk sprichtBände. Es zeigt, wie
vielseitig der seit1978 inWien lebende
Künstler schöpferisch seineKunstideen
zu konstruktiv-rationalen Bildwerken,
figürlichen Skulpturen und zuRaum-
installationen ausgestaltet.Dabei be-
hält er in derAuseinandersetzung mit
Farben alles im Griff, dies nicht zuletzt
durch die Analyse derFarbsysteme.
Radikaltotal
Um im Bild zu bleiben:Ausgesprochen
standhaft verfolgt Zobernig seit den
achtzigerJahren die Zielsetzung, Geo-
metrien, Farbskalen und formale Ge-
staltungsprinzipien der Moderne als Be-
zugspunkte künstlerischer Praxis aufzu-
brechen. Mit und gegen die Moderne
erweitert er auf dieserBasis einenWerk-
ansatzantiformalistischerAusrichtung.
Betrachtet man Zobernigs Zeich-
nungen aufPapier undWerkserien der
Malerei, so sprengen die Arbeiten die
Zeichensysteme und Bildikonen der
Moderne und lassenVariationen,Kom-
binationen undTexturen einen freien,je-
doch nie zügellosenLauf.Als Bild hier-
für könnte man das klassische schwarz-
weisse Schachbrettmuster heranziehen,
das Zobernig 2017 in derAusstellung
«Chess Painting» (MIT, Cambridge,
MA) phantasiereich umformte. Undwie
im Schachspiel auch bestimmt das Inein-
andergreifen von gedanklichem Erfas-
senkomplexer Zusammenhänge und
freier Intuition generell dieVorgehens-
weise desKünstlers. Darin ankert sein
weitgespanntes Aktionsfeld,auf demer
als Maler, Bildhauer, Performer,Video-
künstler, Grafiker und Buchgestalter,
Wortkünstler undAutor agiert.
Was t reibt ihn an? DieObsession,
nicht nur Material zu formen, sondern
räumliche Situationen umzudeuten, und
zwarradikal total, wie das in derAus-
stellung «ohneTitel (inred)» imJahr
2011 zu erleben war.Auf unnachahm-
licheWeise verwandelte er das Museum
Bärengasse, das in jenemJahr alsAus-
weichquartier derKunsthalle Zürich ge-
nu tzt wurde, in einen dasAuge blenden-
denFarbraum.Fenster waren verdun-
kelt, rotes Licht flutete dieRäume und
schuf einen zeitübergre ifenden Zusam-
menhang zwischenZobernigsKonstel-
lation – figurative Skulptur, Pressspan-
Mobiliar,Videoprojektionen – und dem
historischen Interieur des Gebäudes.
Ganz ohne Objekte, «nu r» durch
Farbe allein veränderteer imSwiss-
Re-Next-Neubau in Zürich den Blick
auf eine Raum-Abfolge, indem er
Wandflächen monochrom in Blau, In-
digo,Türkis, Magenta,Violett, Gelb be-
malte. Je nach Lichteinfall changiert die
Farbskala und gleicht einem unvermu-
tet auftauchendenParadiesvogel, der
das Grauweiss der Alltagsroutine weg-
wischt. Die wunderbarenFarbeffekte
der Wandarbeiten entstanden dadurch,
dass die Untergrundfarbe Schwarz mit
Interferenzfarben übermalt wurde. Far-
bigkeit trumpft auf, ble ndet,bezirzt
und sättigt dieAugenlust. Doch genau-
genommen spielen Nichtfarben imWerk
des Künstlers eine zentraleRolle.
Bekanntlich galt asketisches Schwarz,
Weiss, Grau den ästhetischenAvantgar-
den als ein Bekenntnis zum Bruch mit
Traditionen. Um einen Bruch mit dem
real Bestehenden und dem üblichen
Standpunkt des Betrachters innerhalb
gesetzter Raumkoordinaten ging es
demKünstler, als erim Österreichischen
Pavillon an der Biennale inVenedigvon
2015 Hand anlegte.Zwei skulpturale
Einbauten – schwarzer Holzboden und
ein schwarzerKörper als Decke – ver-
hülltendie gewohntePerspektive auf
den nationalen,1934 vonJosef Hoff-
mann erstellten Präsentationsbau. Es
entstand ein fast leerer Schauraum mit
Blickrichtungsverschiebungen, bis hin
zum neu bepflanztenPatio, der eine
meditative, dieReflexionanregende
Atmosphäre verströmte.
Wortkunst
Solch überraschende, in ihrer Klarheit
überzeugende Interventionen, die aufs
Ganze sehen und gehen, sind ohne eine
analytischeDurchdringung der Bezie-
hungen zwischen Raumarchitektur,
Kunstobjekten und Betrachtungsebenen
nicht zurealisieren. Zudem braucht es
eineFähigkeit zur affektfreien Distanz
zum Gegebenen, und es braucht Norm-
distanz. Letztere zeigt sich insbesondere
in Textarbeiten, die an dieFreiheit expe-
ri mentellerWortkunst derWienerKon-
kretenPoesie anknüpfen.
Zobernigs Lust am wortspieleri-
schenRegelverstoss wird sichtbar im
Titel des Druckwerks «Austelungs Ka-
terlog» (2003, MMKWien). Und auch
seineTextbilder bewirken Momente
der Irritation, wenn sie – wie etwa das
Quadrat mit den Lettern REAL und
EGAL – denWiderspruch des Betrach-
ters geradezu herausfordern. Ist denn
dasReale demKünstler egal? Über-
hauptnicht. Just reale Gebrauchsformen
aller Art, Sprache undText, nützliche
Objekte, vor allemaber Formen institu-
tionalisierter Präsentation vonKunst in-
spirieren ihn zum Gegenentwurf.
Rückblickend gesehen, verspürte
man gegen Ende der neunzigerJahrein
den Arbeiten desKünstlers eine noch
stärkere Nachdenklichkeit, ein «Wie
weiter?». Konsistent hatte er bisher den
Werkansatz auf den aufklärerischen
Geist und denFortschrittsglauben der
Moderne bezogen. Diese Grundhaltung
und die Abgrenzung zur tradierten
Künstlerrolle manifestierten sich klar im
Ausspruch von1993: «Ich bin hingegen
Historiker,bin Wissenschafter.»
Konsequent ausgeführt, musste ein
solches Projekt künstlerisch-wissen-
schaftlicherAufarbeitung der Moderne
darauf hinausführen, Begegnungsorte
einzurichten, die dem Diskursoffen-
stehen. Diese Intention offenbarte sich
etwa imKonzept «Schwarzescafé», das
Zobernig imJahr 2016 dauerhaft für
den Luma-Westbau des Löwenbräuge-
bäudes in Zürichrealisierte, um öffent-
lichen Innen-Raum als Bühne der Prä-
sentation und der Diskussion vonKunst-
themen ästhetisch zu gestalten. Explizit
geschah diesauch im Beitrag desKünst-
lers «Untitled (Displays für 100Tage –
100 Gäste)»1997 an der Documenta X
in Kassel. Doch rückblickend dürfte da-
mals das proklamierte Ende der grossen
Erzählungen, noch garniert vonFran-
cis Fukuyamas Buch«The Endof His-
tory and theLast Man», dem Historiker
einen bereits wenig gefestigten Boden
unter denFüssen weggezogen haben.
Dass Zobernig sich in Zeiten des
Umbruchs breiter aufstellte und die
plastischeFigur in das abstrakt-kon-
struktiveWerk einbezog, daran dürften
neue Erfahrungswelten einen Anteil
haben. Mit beteiligt war fraglos auch die
Professur für Bildhauerei an der Aka-
demie der bildendenKünsteWien, die
Heimo Zobernig imJahr 2000 erhielt
und seither innehat. Er selbst hatte von
1977 bis1980 an der Akademie studiert
undim Anschluss daranein Studium an
der Hochschule für angewandteKunst
Wien absolviert.Fotografien jener Zeit
halten fest, wie der jungeKünstler den
eigenenKörper mitTeilen von Schau-
fensterpuppen spontan-spassigverfrem-
dete und sich mit dem tabubrechenden
Wiener Aktionismus auf seineWeise
auseinandersetzte.
Wenn der heute einundsechzigjäh-
rigeKünstler mit dem Material «Schau-
fensterpuppe» arbeitet,konzipiert er
dieses tiefgründig als Membran der
Raum- und Selbsterfahrung im weites-
ten Sinn. So zog eine Bronzeskulptur
mit einemLatexabdruck des Gesichts
desKünstlers während der Einzelaus-
stellung im KUB Bregenz 2015 all e Bli-
cke auf sich. Evident wurde derWider-
streit zwischen der Kraft,der schöpferi-
schen Selbstverwirklichung freienAus-
druck zuverleihen, und demVerlangen,
sich alsPerson nicht zu entlarven. Sicht-
bar wird das im eingangs geschilderten
Video.Abgewandelt findet sich dieser
Gestusauchauf dem vorderen Katalog-
Cover der BregenzerAusstellung.Dort
verkürzte Zobernig seinen Namen auf
die Endsilbe «ig».
Heimo Zobernig sprengt mit seinerKunst am liebsten die herkömmlichen Zeichensystemeder Moderne. DOMINIC STEINMANN / NZZ
Heimo Zobernig
Der österreichische Künstler Heimo
Zobernig (geb.1958) arbeitetkonkret-
abstrakt und figürlich-plastisch.Das
Werk offenbartFormen- undFarben-
spiel, Materialsensibilität, Wortkunst
und Sprachphantasie.Kontrastreiche
Konstellationen formen eine Ästhe-
tik vielperspektivischer Wahrnehmung.
Fünf wichtige Ausstellungen: 2019
MuseumofContemporary Art,Zagreb,
2019 Albertinum, Dresden, 2018 Sharjah
Arts Museum, Sharjah, 2016 Museum
Ludwig, Köln, 2015 Österreichischer
Pavillon, BiennaleVenedig.
Lückenlos
gde.·Die Optik der Wortgestalt
springt insAuge und überlagert einen
Moment lang das Entziffern der fett ge-
druckten Schrift «FinancialTransaction
Tax». Unmissverständlichkonkret rückt
Heimo Zobernig einen Sachverhalt in
das Blickfeld.Dabei wirkt das zu einem
Silbenblockkomprimierte steuerpoli-
tischeReizwort wie eine Buchstaben-
wand, die eine Sicht auf dasDahinter
zu versperren scheint.
Lückenlos, ohne Leerzeilen, türmen
sich die Lettern übereinander. Der
BegriffderFinan zweltsteht da zer-
legt in Silben.Dass «Fin» ganz oben
am Anfang derKonstellation liest sich
als Tautologie, die doppelt wieder-
gibt, dass Pläne zur Einführung einer
Kapitalverkehrssteuer in allen EU-
Ländern von Anbeginn an scheiterten.
Doch es handelt sich ja hier nicht um
eineWerbekampagne, sondern um ein
auf Zeitungspapier gedrucktesKunst-
werk, das viele verschiedene Lesarten
offenbart.
Horizontal, vertikal, kreuz und quer
lassen sich die Buchstaben verbinden,
man entdeckt ein NO, die WörterACT,
TAToder RAN, ran an was? Na klar,
ran an das Spiel mit derVielschichtig-
keit von Sprachbegriffen, die gestei-
gert wird durch dieWechselwirkung
von linguistischen Zeichen und kreati-
ver Typografie.
Doch die aussergewöhnlicheForm-
gestalt von Sprachmaterial ist mit-
nichtenResultat einer spontanen Idee
des Künstlers. Zobernigs Entwurfs-
ansatz, alltägliche Materialien, For-
meln und Zeichen in ungewöhnliche
Konstellationen zu transformieren,
fusst auf einer methodisch durchdach-
ten Kunstpraxis. DasVorgehen besteht
darin,regelhafte Strukturen, so auch
sprachlicheSyntax,aus einanderzuneh-
men, um das eingefahreneVerständnis
vonTexturen zu stören. DerVorgang
des Erkennens wird aufBedeutungs-
ebenen umgelenkt, die auf den ersten
Blick unsichtbar sind.
So könnte der Buchstabenblock
die Einsicht anregen, dass man viel
zu schnell dazu neigt, unreflektierte
Schlussfolgerungen zu ziehen. Genau
darauf spekulierenreizauslösende Be-
griffe gesellschaftspolitischerRelevanz.
DieseTermini klingen zwarkonkret,
taugen aber kaum dazu,komplexeWirk-
lichkeit abzubilden, sondern verkürzen
und biegenRealität je nach Interessen-
lage zurecht.
Auf Zeitungspapier
Mit dieserReihe,inder Künstler eine
Doppelseite der Zeitung frei gestalten,
will die NZZ dem visuellen Schaffen
der Gegenwart einen eigenenAuftritt
ermöglichen. Die speziellen Bedingun-
gen des Zeitungsdrucks führen dazu,
dass jedes Blatteinen etwas anderen
Charakter hat–und also auf seine
Weise ein Unikat ist.