rien wie die von einer geplanten
„Umvolkung“ resultieren.
Leider hat auch der in der
späteren Phase der Friedlichen
Revolution aufkommende Ruf
„Wir sind einVolk“ nicht die
dafür im Grundgesetz vorgese-
hene Umsetzung gefunden,
wurde die nationale Frage von
der konstitutionellen getrennt.
Dabei war der Artikel 146 in der
ursprünglichen Form ausdrück-
lich für diesen historischen
Glücksfall gedacht. Dem ge-
samten deutschen Volk war es
vorbehalten, in freier Entschei-
dung eine Verfassung zu be-
schließen. Denn das Provisori-
um von 1949 ist, wie es in der
Präambel stand, ohne Betei-
ligung jener Deutschen zu-
stande gekommen, „denen mit-
zuwirken versagt war“. Dieser
Mangel konnte auch nicht durch
den Staatsvertrag behoben wer-
den, der den Beitritt der DDR
zum Geltungsbereich des
Grundgesetzes geregelt hat.
Alles sollte sehr schnell gehen.
„Deutschland eilig Vaterland“
war die Devise.
Darum wurde ein Weg ge-
wählt, der einzelnen Ländern
wie 1957 dem Saarland offen-
stand. Das Kuriose daran: Die
DDR war in Bezirke gegliedert.
Zur Bildung der Länder kam es
erst nach der deutschen Einheit.
Dass es aber der gesamtdeut-
sche Verfassungsausschuss nicht
fertigbrachte, zumindest Jahre
später eine Verfassung zur
Abstimmung vorzulegen, bleibt
ein Kardinalfehler Bonner
Beharrungskräfte. Wir können
von Glück reden, dass die
Hauptstadtentscheidung durch
die ostdeutschen Stimmen
hauchdünn zugunsten von Ber-
lin ausfiel. Sonst wären heute in
Ostdeutschland Frust, Enttäu-
schung und das Empfinden von
Benachteiligung noch wesent-
lich größer.
Doch fehlt dem vereinten
Deutschland, der Berliner Repu-
blik, eine Gründungslegende. Es
wäre der Mühe wert gewesen,
das Grundgesetz zu überarbei-
ten und mit Anregungen aus
dem Verfassungsentwurf des
Runden Tisches anzureichern.
So aber ist das Vermächtnis der
Friedlichen Revolution als un-
genutztes Dokument ins deut-
sche Narrativ eingegangen. Sei-
ne Umsetzung hätte gezeigt,
dass „die Menschenausdenfünf-
neuenbundesländern“ – ein
unbeholfener Begriff, der so
klingt, als sei man plötzlich einer
verloren geglaubten deutschen
Minderheit begegnet – nicht mit
leeren Händen in die Einheit
kamen. Es hätte ihr Selbstbe-
wusstsein gestärkt.
Immerhin brachten die Ost-
deutschen nicht nur eine maro-
de Infrastruktur, herunterge-
kommene Altbauten, ineffiziente
Betriebe, stinkende Trabbis und
einen unaufgeräumten Keller
voller Stasiakten in die deutsche
Einheit mit, sondern auch die
Erfahrung von Selbstbefreiung,
Partizipation und einen Moder-
nisierungselan, der auch tief im
Westen erforderlich wäre. Je-
doch wurde dieser demokrati-
sche Aufbruch als bloßer Sys-
temzusammenbruch verkannt
und blieb ohne Fortführung. Der
Sofortabwicklung der DDR stand
keine Veränderungsbereitschaft,
kein Inventur- und Reformwille
West gegenüber. So verfestigte
sich bei den Ostdeutschen der
Eindruck, von einer Diktatur in
die Herrschaft einer Verwal-
tungsbürokratie geraten zu sein.
Eine Volksabstimmung über
eine gemeinsame Verfassung
hätte das Gleichwertigkeits-
gefühl und die gesamtdeutsche
Identität gefördert und den
angestrebten Verfassungspatrio-
tismus mit Sinn gefüllt. Zu-
mindest wäre den Ostdeutschen
heute klar, dass sie keine Bürger
zweiter Klasse sind, wie es ihnen
die Populisten von links und
rechts einreden. Denn die Fried-
liche Revolution hat all die Bür-
gerrechte errungen, die das
Grundgesetz garantiert. Bürger
zweiter Klasse gab es dagegen
tatsächlich in der DDR. Das
waren diejenigen, die keinen
Reisepass und kein Westgeld
und die auch nicht, wie Gregor
Gysi, ein „Spiegel“-Abo hatten.
Die keine Verfassungsrechte
einklagen konnten, sondern nur
die feudale Form der Eingabe
kannten. Deren Kindern der
Bildungsweg aufgrund ihrer
sozialen Herkunft verbaut war.
Heute erntet die AfD, was die
PDS und spätere Linkspartei mit
ihren Vorbehalten gegen die
Bundesrepublik und ihren Lügen
von der „Kohlonialisierung“,
dem „Plattmachen“ und der
„Siegerjustiz“ kultiviert hat.
Es wäre Aufgabe und Sache
des Bundespräsidenten, nicht
nur alle Jubeljahre eine Lobrede
auf die Demokratie und die
Friedliche Revolution zu halten,
sondern die Initiative zu er-
greifen, dass endlich deren Erbe
in das Grundgesetz aufgenom-
men wird. Zu ihm gehören zu-
kunftsweisende Bestimmungen
wie der Klimaschutz und das
Recht auf Arbeit und Wohnen.
TWerner Schulz, 69, war DDR-
Bürgerrechtler, Bundestags-
abgeordneter und von 2009 bis
2 014 Abgeordneter der Grünen
im Europäischen Parlament
WELT AM SONNTAG NR. 36 8. SEPTEMBER 2019 FORUM^25
ach den Wahlen in
Sachsen und Bran-
denburg ist ein Streit
um das Wort „bürgerlich“ ent-
brannt. Niemand weiß so ge-
nau, was und wer das ist, fest
steht nur: Die AfD ist es nicht.
Betrachten wir das Phänomen
deshalb mal von der biologi-
schen Seite. Deutschland wird
von vielen verschiedenen Le-
bewesen bewohnt, beispiels-
weise dem Wolf, dem Wiede-
hopf oder dem Bürger, den
man aber nicht mit dem Wür-
ger verwechseln darf, einem
VVVogel aus der Familie der Sper-ogel aus der Familie der Sper-
linge. Der Bürger kommt in
weiblicher und männlicher
Form vor, genau wie der Wür-
ger. Der Gesetzgeber hat jeden
Bürger mit einer Sexualität
ausgestattet, die benötigt wird,
um neue Bürger zu erschaffen.
Jeder Bürger ab 18 darf von sei-
ner Sexualität zwischen 19.00
und 22.30 Uhr Gebrauch ma-
chen, sofern er sich an das Bür-
gerliche Gesetzbuch hält. In
der Familie der Bürger gibt es
viele Unterarten, die mit blo-
ßem Auge kaum zu unterschei-
den sind: Staatsbürger, Wut-
bürger, Hutbürger, Kleinbürger,
Großbürger, Ehrenbürger und
Spießbürger. Größere Gruppen
von Bürgern werden von einem
Bürgermeister ober einer Ober-
bürgermeisterin angeführt.
Bürger bewegen sich auf spe-
ziellen Pfaden, die in der Jäger-
sprache als Bürgersteig be-
zeichnet werden. Sind mehr als
fffünfzig Bürger unterwegs,ünfzig Bürger unterwegs,
spricht man von einer Bürger-
bewegung. Abgesehen von der
AAAfD ist der größte Feind desfD ist der größte Feind des
Bürgers momentan der Elek-
troroller. Der versucht, ihn gna-
denlos vom Bürgersteig zu ver-
drängen, und das bedeutet na-
türlich Bürgerkrieg. Hans Zippert
SATIRE
Staatsbürger,
Wutbürger,
Hutbürger,
Kleinbürger,
Großbürger,
Spießbürger
,,
Kleine Zoologiedes Bürgers
N
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