in Besuch des „Vodka Room“
im Bottle House auf dem
Sankt Petersburger Kultur-
areal New Holland Island hat
etwas von einem Ausflug ins
Labor: In den Regalen über der Bar ste-
hen große verschraubte Glasbehälter,
die mit durchsichtigen, unterschiedlich-
farbigen Flüssigkeiten gefüllt sind. Sie
werden von hinten angeleuchtet und
glimmen leicht vor sich hin.
VON HEIKE BLÜMNER
Auf den Tischen rechts und links geht
es bodenständiger zu. Hier stapeln sich
belegte Brote und Gemüse auf Holz-
brettern. All diese Köstlichkeiten um-
kränzen lediglich den Protagonisten des
Abends: Wodka, den es hier pur oder in
verschiedenen Ansätzen wie Johannis-
beere, Himbeere oder Meerrettich aus
den Glasbehältern gibt. Die Restaurant-
managerin und Köchin Anna Khmel-
nitskaya hat die traditionelle Wodka-
runde in ein millennialtaugliches Bar-
konzept übersetzt und liegt damit voll
im Trend. Denn die Petersburger besin-
nen sich derzeit auf die Vorzüge regio-
naler Spezialitäten, und die Vielfältig-
keit und Kreativität, mit der sie die Sa-
che angehen, ist bemerkenswert. Wenn
es jemanden gibt, der Westeuropäern
die Welt des Wodkatrinkens erklären
kann, dann ist es die blonde, attraktive
Frau mit der tiefen Stimme.
WELT AM SONNTAG:AAAuf die Gefahruf die Gefahr
hin, als Banausin zu erscheinen: In
Deutschland gilt Wodka als Getränk,
das man entweder in Longdrinks
kippt oder in sich hinein – mit dem er-
klärten Ziel der Trunkenheit.
ANNA KHMELNITSKAYA:In Russland
ist es Tradition, zum Wodka zu essen.
Wir servieren hier Wodka in verschie-
denen Geschmacksrichtungen, die teil-
weise nach Rezepten aus dem 18. Jahr-
hundert angesetzt werden. Dazu gibt es
Roggenbrot, belegt mit Hering, Sprot-
ten oder Gänseleberpastete, fermen-
tiertes Gemüse und gefüllte Teigta-
schen. Ein Nebeneffekt davon ist natür-
lich auch, dass man dadurch mehr trin-
ken kann. Grundsätzlich ist es einfach
eine sehr gesellige Angelegenheit. Nicht
das Trinken, sondern das Gemein-
schaftliche steht im Vordergrund.
Was unterscheidet guten von schlech-
tem Wodka? Er ist geschmacklich ja
fast neutral.
Es ist wichtig, am Wodka zu riechen, be-
vor man ihn trinkt. Wenn er nach Che-
mie oder Aceton riecht, dann ist es Fu-
sel. Der Geruch sollte von medizini-
scher Klarheit sein.
Welche Rituale gehen mit dem Wod-
katrinken einher?
So gut wie alle Leute, die trinken, essen
auch dazu. Nur wer vielleicht als Matro-
se auf See ist, tut das nicht. Aber selbst
da würde man nach jedem Glas ein Glas
Saft oder Ähnliches trinken. Einfach
da würde man nach jedem Glas ein Glas
Saft oder Ähnliches trinken. Einfach
da würde man nach jedem Glas ein Glas
nur Wodka trinken ist verpönt. Wäh-
rend meines Studium habe ich einmal
zusammen mit zwei Freundinnen ge-
trunken. Wir hatten nur einen Apfel,
aber den haben wir so akribisch zerteilt,
dass er den ganzen Abend gereicht hat.
In der Netflix-Serie „House of Cards“
riecht der russische Präsident an ei-
nem Stück Brot, bevor er trinkt. Was
hat das zu bedeuten?
Das ist wohl eher ein cinematografi-
scher Einfall. Wer wirklich sehr arm ist
und sich noch nicht einmal ein Stück
Brot leisten kann, riecht rituell an sei-
nem Ärmel oder am Haar einer Frau.
Was sagt man, wenn man trinkt?
Auf keinen Fall Nastrovje! Diesen Aus-
spruch gibt es gar nicht. Niemand in
Russland sagt das, es handelt sich offen-
bar um ein kulturelles Missverständnis.
Was es gibt, sind Ansprachen. Nicht nur
an Geburtstagen, sondern auch im
Freundeskreis oder in der Familie. Das
ist ein wichtiger Teil des gemeinsamen
Trinkens. Man trinkt auf das Glück und
die Gesundheit der Gäste. Die Trinkkul-
tur in Russland handelt immer davon,
die Menschen zusammenzubringen. Da-
bei auf das Telefon zu schauen wäre äu-
ßerst unhöflich.
Wie lang darf die Ansprache sein?
Das ist sehr individuell. Mein Vater zum
Beispiel liebt den großen Auftritt. Er
schafft es gut und gerne, vor dem Trin-
ken 20 Minuten zu reden: Er spricht je-
den am Tisch persönlich an, reißt Witze
und spricht über traurige und glückli-
che Ereignisse. Jeder in der Runde darf
etwas sagen. Es kann also unter Um-
ständen ein langer Abend werden.
Wie viel Wodka braucht es, bis die
Stimmung ins Sentimentale kippt?
Das hängt von der Konstitution ab.
Wenn man gemeinsam Wodka trinkt,
können die tollsten Dinge passieren.
Aber tatsächlich ist es manchmal auch
ein Problem, denn in unserer Kultur
wird man schräg angeschaut, wenn man
eine Therapie macht. Wodka ist wie ein
potenter Psychoanalytiker. Er holt alles
aus einem heraus. Leider auch Aggres-
sionen und andere unschöne Verhal-
tensweisen. Manchmal wird es dann
handgreiflich.
Wie viel vertragen Sie?
Früher, zu Studienzeiten, über einen
halben Liter. Heute trinke ich vor allem
Wein und in Maßen.
Muss man sich in Russland eigentlich
nach jedem Geschäftsabschluss be-
trinken? Deutsche befürchten das.
Kommt auf das Geschäft an (lacht).
Wenn Sie ein schwerer Mann sind, der
gerade ein Ölabkommen unterzeichnet
hat, vermutlich. Als Model, das einen
Vertrag bekommt, eher nicht.
Was ist das beste Mittel gegen einen
Kater?
Meine magische Sauerkrautsuppe. Man
sollte sie bereits vorausschauend zube-
reiten beziehungsweise eingefroren pa-
rat haben.
Sag niemals Nastrovje
Anna Khmelnitskaya modernisiert
in ihren Bars und Restaurants in Sankt
Petersburg die traditionelle russische
Küche. Da darf ein Getränk nicht fehlen
NEWHOLLANDSP
/ WWW.KNIKITINA.RU
48 STIL WELT AM SONNTAG NR.36 8.SEPTEMBER2019
Anna Khmelnitskaya wurde 1981 in der west-
russischen Stadt Klinzy geboren. Nach der Schu-
le zog sie nach Sankt Petersburg und studierte
dort Philosophie. Als Seiteneinsteigerinkam sie
in die Gastronomie und leitet inzwischen vier
Restaurants in der Stadt. Im „Vodka Room“
dreht sich alles um das gleichnamige Getränk.
Anna
Khmelnitskaya
Gastronomin
E
Zutaten:
777 00 Gramm geräucherte 00 Gramm geräucherte
Schweinerippchen
3 Kartoffeln
2 Zwiebeln
KKKnoblauch nach Geschmacknoblauch nach Geschmack
reichlich Petersilie
5 00 g Sauerkraut
Salz, Pfeffer
Butter
4 Esslöffel Tomatenmark
Die Rippchen gut mit kaltem Was-
ser bedecken und langsam auf-
kochen lassen. Den Schaum ab-
schöpfen und anderthalb Stunden
köcheln lassen. Gegebenenfalls
Wasser nachgeben. Danach die
Knochen aus der Brühe nehmen,
das Fleisch abtrennen und klein
schneiden.
Die Brühe durch ein feines Sieb
filtern.
Die klein geschnittenen Kartoffeln
und das klein geschnittene Sauer-
kraut in die Brühe geben und zehn
Minuten köcheln lassen. In einer
Pfanne die gehackten Zwiebeln in
Butter anschwitzen. Das Toma-
tenmark hinzugeben und 15 Minu-
ten auf kleiner Flamme rösten.
Die Tomaten-Zwiebel-Mischung
in die Brühe geben. Gehackte
Petersilie,
Knoblauch und das Fleisch unter-
rühren. Salzen und pfeffern. Den
Topf abdecken und die Brühe bei
2 20 Grad im Ofen eine Stunde
garen, danach die Temperatur auf
1 60 Grad reduzieren und noch mal
zwei Stunden weiter garen.
Mit Schmand servieren.
ANNA KHMELNITKAYAS
ANTI-KATER-SUPPE: