60 SPORT WELT AM SONNTAG NR.36 8.SEPTEMBER2019
iles Sims weigert sich,
das Trikot der walisi-
schen Rugby-Natio-
nalmannschaft anzu-
ziehen: „No way!
Willst du, dass ich aussehe wie eine
Presswurst?“ Sims ist breit wie ein
Schrank und das Leibchen zwei Num-
mern zu klein. Selbst dem Fotografen,
der die Idee mit dem Trikot hatte, fehlt
die Fantasie, wie Sims da reinkommen
soll. „Du willst doch nur, dass ich den
fffat guy at guy gebe“, sagt Sims und lacht. Sie
lassen das mit dem Trikot.
VON CHRISTOPH CÖLN
Vor mehr als 20 Jahren kam der
Waliser Sims nach Dresden und
gründete mit einem Freund die Hill-
billies. Damals gab es in der Stadt
kein Rugby-Team. „Ich dachte mir:
Bring mal den Ungläubigen das Rug-
by bei.“ In Sims’ Heimat Wales ist
Rugby neben Fußball Volkssport.
Aber Fußball ist nicht Sims’ Ding.
„Jemand mit meinem Körperbau ist
beim Fußball fehl am Platz.“ Beim
Rugby gibt es dagegen für jede Physio-
gnomie ein Fach, egal ob einer groß,
klein, athletisch oder korpulent ist, er
findet eine geeignete Position im Team.
Rugby ist pluralistisch. verlangt ein
Höchstmaß an Disziplin und Fair Play.
Der perfekte Integrationssport also.
Sims trainiert die Mannschaft der un-
ter 14-Jährigen (U14). Mit dem Zeigefin-
ger zählt er die Spieler, die auf dem Ra-
sen des Dresdner Ostrageheges stehen,
durch. „Well, heute haben wir ein Afgha-
ne dabei, eine Russe, ein Franzose, in
dem knallgelbe Trikot da.“ Sims spricht
ein vergnügliches Deutsch-Englisch, in
dem die Idiome durcheinanderwirbeln.
„Dann ein paar Deutsche, Neirin, halb
Waliser, und ein Georgier.“ Er verteilt
bunte Hütchen auf dem Boden und
probt einen Grundspielzug; auf sein
Kommando läuft das Team los, einige
stürzen sich auf den Ball, ein Knäuel aus
Jungs und Mädchen entsteht. Bis zur
U14 sind die Mannschaften im Rugby
noch gemischtgeschlechtlich. Sims ist
mit den Laufwegen nicht zufrieden.
„So, Ladies and Gentlemen, wir üben
diese Angriff jetzt noch einmal.“
YYYeah, klasse!eah, klasse!Rugby-Trainer Giles Sims bei einer Übungseinheit in Dresden
it kräftigen Kraularmzügen
und ruhig gleitend taucht Jan
Frodeno hinter einer Klippe in
der Bucht von Llafranc an der Costa
Brava auf. Er blickt kurz nach vorne und
bahnt sich schwimmend seinen Weg
vorbei an kleinen Booten Richtung Fest-
land. Dann entsteigt der 1,94-Meter-
Mann dem Meer. „Superschön“,
schwärmt er. „Das Meer war sehr ruhig.
Einfach herrlich, die Küste ein bisschen
genießen zu können.“
VON MELANIE HAACK
Es ist 10 Uhr, der letzte Donnerstag
im August, und der 38-Jährige steckt
mitten in den Vorbereitungen auf den
Ironman Hawaii – weil er ihn 2017 und
2018 nicht zum dritten Mal gewonnen
hat. „Stimmt, wer weiß“, sagt er. „Ich
hatte im vergangenen Jahr wirklich den
Gedanken auf-
zuhören, falls
ich dort gewon-
nen hätte. Ich
wollte es mir
zwar offen hal-
ten, hatte aber
im Kopf, dass es
mein letztes
Rennen sein
könnte.“ Es kam
anders. Der
Olympiasieger
von 2008 ist
noch nicht fertig
mit seiner an
Dramen und
Triumphen rei-
chen Karriere.
An diesem
Spätsommertag
klingelt der We-
cker um 6.30
Uhr, ein Bircher-
Müsli, zwei Es-
presso und dann
Abfahrt mit dem
Auto von seiner
Wahlheimat Gi-
rona an die Küs-
te. Mittlerweile
hat er in der ka-
talanischen
Stadt 100 Kilo-
meter nördlich
von Barcelona
seinen Lebens-
mittelpunkt.
Nach dem
Wechsel auf die
Langdistanz (3,8
Kilometer
Schwimmen, 180 Kilometer Rad, 42,195
Kilometer Laufen) 2013 war er hier auf
der Suche nach einem Neustart und
perfekten Bedingungen fündig gewor-
den: 50-Meter-Becken in der Stadt, See
und Meer schnell erreichbar, Laufstre-
cken ab der Haustür sowie das Rennrad-
Paradies Pyrenäen vor der Tür.
Frodeno fühlt sich mit seiner Frau
Emma, 2008 ebenfalls Triathlon-Olym-
piasiegerin, und den beiden Kindern
wohl. „Wir sind wirklich angekommen“,
sagt er, „der Große geht hier auch in den
Kindergarten.“ Girona bietet ihm alles,
was er schätzt – nicht nur das sportliche
Abenteuer: „Auch kulinarisch hat es
Vorzüge. Dann diese Altstadt – wunder-
schön und lebendig. Ich bin ein Genuss-
mensch und schätze die Lebensqualität
hier.“ „Gleichzeitig hat Girona mir eine
Ruhe gebracht, die ich vorher nicht hat-
te. Wenn du diese innere Ruhe hast,
kannst du Bäume ausreißen.“
Nach einer etwa 50 Kilometer langen
Autofahrt stellt sich diese Ruhe an der
Bucht von Tamariu von ganz allein ein.
8.30 Uhr, die Sonne kämpft sich gerade
über die Klippen, kein Wind, das Meer
spiegelglatt, der Strand bis auf ein älte-
res Pärchen verlassen. Frodeno in brau-
ner Badehose, schlank und durchtrai-
niert, 76 Kilogramm leicht, vier bis fünf
Prozent Körperfettanteil, macht Locke-
rungsübungen und schaut in die Ferne.
ENTSPANNUNG MIT DER FAMILIE
„Wir versuchen, während der Saison die
Buchten in der Nähe abzuklappern“,
sagt er. Normalerweise nutzt er diese
Fahrten für Familienausflüge mit seiner
Frau und den Kindern. Frodeno
schwimmt dann, und Emma fährt mit
dem Stand-up-Paddleboard nebenher.
Ein Ritual. „Sport ist die schönste Ne-
bensache der Welt“, sagt Frodeno, „aber
es gibt mehr.
Wenn ich zu
Hause ankom-
me, heißt es von
den Kindern ein-
fach: ,Hallo Pa-
pa!‘ Und wir
spielen.“ Er ge-
nießt dieses nor-
male Leben.
Spitzensport
und Familie zu
vereinen erfor-
dert viel Organi-
sation und Ver-
ständnis des
Partners. „Ohne
Emmas Unter-
stützung und
Aufopferung wä-
ren meine Leis-
tungen nicht
möglich.“
Heute sind die
drei nicht dabei.
Frodeno setzt
Schwimmbrille
und Badekappe
auf und ver-
schwindet im
Meer. An der
Küste Llafrancs
nimmt ihn dann
sein bester
Freund und Ma-
nager Felix in
Empfang. Frode-
no geht vorbei
an neugierig bli-
ckenden Strand-
besuchern, hoch
zur Promenade,
trocknet sich ab, zieht sich Shirt und
Shorts über und steuert ein Café an.
10Uhr, Zeit fürs zweite Frühstück. Drei-
mal holt er sich Nachschlag am Buffet.
Das Tagewerk ist schließlich noch nicht
vollbracht, wenngleich Frodeno heute
mit einem lockeren 10-Kilometer-Lauf
und Krafttraining einen entspannten
Plan hat.
Er muss fit sein für die zwei fordern-
den Folgetage. Dabei fest im Blick: der
- Oktober, Renntag auf Hawaii. Nach
seinen Siegen 2015 und 2016 gewann
2017 Landsmann Patrick Lange, Frode-
no hatte Rückenprobleme. 2018 wollte
er es dann erst recht beweisen, musste
aber wegen einer Hüftverletzung pas-
sen. Aber jetzt erst recht. „Lustigerwei-
se sage ich mir jetzt: Dies ist nicht mein
letztes Jahr. Langsam merke ich auch,
dass ich irgendwann in ein anderes Le-
ben eintauchen werde. Aber dafür habe
ich noch ein ganzes Leben Zeit.“
WWWaldlaufaldlaufJan Frodeno beim Training im
ssspanischen Girona, wo er inzwischen lebtpanischen Girona, wo er inzwischen lebt
DAIMLER AG - MERCEDES-BENZ SPORT
Ein Waliser leitet in Dresden ein Projekt zur
Integration von Migranten. Er nutzt dafür die
Aggressivität des Rugby und feiert mit seiner
klaren Ansprache erstaunliche Erfolge
G
Nach zuletzt viel Frust
greift Triathlet
Jan Frodeno wieder an.
Ein Besuch in Girona
Immer
geradeaus
nach Hawaii
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