Focus - 06.09.2019

(singke) #1

KULTUR DESIGN


Foto: Hugo Boss

88 FOCUS 37/2019


dass er einfach machen kann, was er will.
„So ein Auftrag ist keine Carte blanche
für mich“, erklärt Grcic, „es ist eher so
gedacht, dass ich etwas entwickle, was
zu den Auftraggebern passt.“
Ein Jackett für Boss sollte also tragbar
und industriell herstellbar sein, auf einem
Bürostuhl für Vitra sollte man bei der
Arbeit sitzen können, und ein Schnell-
kochtopf für Serafino Zani sollte auch als
solcher funktionieren. „Ich komme also
nicht von außen und mache mein Ding“,
sagt er. Vielmehr komme er von außen,
um zu verstehen, wie ein bestimmtes Pro-
dukt eigentlich gemacht
wird. Der Lernaspekt sei
ihm bei den Projekten
enorm wichtig, dadurch
würde die Sache über-
haupt erst spannend.
Anschließend bringt Grcic
seine Erfahrung als Indus-
triedesigner ein.
Gestaltung hat dabei
auch immer etwas mit
Herstellung zu tun. Wie
sehen die jeweiligen Pro-
duktionsprozesse aus? Wie
effizient sind sie? Wie hoch
sind die Kosten? Grcic
sagt, es gebe gerade in
dieser Phase des Projekts
immer die erstaunlichsten
Erkenntnisse: „Dinge, die
einem einfach erscheinen,
sind in der Praxis mitunter
sehr aufwendig, während die Industrie
für Herstellungsverfahren, von denen
man meint, sie seien unglaublich kom-
pliziert, bestens gerüstet ist.“


Moderne Entwürfe ohne Vorurteile


Ein anderer Aspekt sind die kulturel-
len Codes. Bei einem Jackett spielen sie
eine enorme Rolle, bei einem Stuhl wahr-
scheinlich weniger. Beim Sitzen ist vor
allem wichtig, dass man es bequem hat.^
Doch wie bequem ist bequem?
„Es frustriert mich endlos, dass bei einer
Messe meine Stühle bereits nach dem ers-
ten Kontakt beurteilt werden“, sagt Grcic.
Die Besucher würden sich meist nur kurz
auf einen Stuhl setzen und dabei komplett
vergessen, dass man darauf meist län-
ger sitzt und ein schnell gefasstes Urteil
daher unzulässig ist. Eine viertelstündi-
ge, wenn nicht sogar halbstündige Sitz-
probe müsste es schon sein. Auf einem
Schulstuhl muss man es sogar 45 Minu-
ten lang ohne Unterbrechung aushalten,


wobei das Schulmöbeldesign laut Grcic
gerade eine völlig falsche Entwicklung
nimmt. „Weil Schulstühle oft Vandalis-
mus ausgesetzt sind, ist man dazu über-
gegangen, sie immer schwerer, massiver
und härter zu machen.“ Dabei wäre es viel
sinnvoller, sie schöner zu gestalten, sagt
er. Denn etwas, das schön sei, mache man
vielleicht nicht so schnell kaputt.
Doch Schönheit ist auch bei Gegen-
ständen keine rein äußerliche Angele-
genheit. Sie kommt selbst bei Stühlen,
Tischen, Jacken und Eimern gewisser-
maßen von innen. Laut Grcic liegt sie
begründet in der optimalen Kombina-
tion aus Effizienz, Funktionalität und
Eleganz. Aber wie kann man die errei-
chen? Grcic sagt, zunächst müsse man

eine Idee entwickeln und sich bei der
Realisierung auf einen Weg begeben, den
man unter Umständen auch verlässt – je
nachdem, welche anderen Möglichkeiten
sich unterwegs ergeben. „Es ist wichtig,
keinen Tunnelblick zu haben, sondern
offen zu sein für Umwege“, erklärt er.
„Ich will jetzt nicht sagen, dass der Weg
das Ziel sei, denn so ist es beim Designen
nicht. Aber der Weg führt zum Ziel.“ Ein
Satz – so effizient, funktional und schön
wie ein guter Stuhl.
Um Grcic davor zu bewahren, dass
er sich auf dem Weg zum Ziel verläuft,
hatte er bei der Arbeit
an seiner Kollektion stets
erfahrene Reisebegleiter
von Boss zur Seite, die
dafür sorgten, dass so ein
Jackett hinterher auch
passt. Um mit der Reise-
metapher noch weiter zu
spielen: Es traf sich wun-
derbar, dass „Reise“ auch
das Thema der Boss-Kol-
lektion ist. Der Mann von
heute ist viel unterwegs,
weshalb er auch all die
Taschen braucht, die in
das Jackett eingearbei-
tet wurden. Die T-Shirts
zieren Motive, die für
New York, Mailand und
Shanghai stehen und von
einem älteren Mann mit
Hut betrachtet werden.
Als Zeichenfigur „Old Dirty“ taucht er
schon seit vielen Jahren immer wieder
im Schaffen von Grcic auf und macht
stets einen rundum ratlosen Eindruck.
Natürlich kann man mit der Jacke aber
auch etwas anfangen, wenn man lieber
zu Hause bleibt.

Effizienz, Funktionalität und Eleganz
„Mich interessiert an Mode einerseits
das Modische“, sagt Grcic, „aber auch
die Herstellung und die Konstruktion
von Kleidung.“ Er sagt, dass im Italie-
nischen das Verb für „wohnen“ „abita-
re“ laute. Die erste Person Singular von
„abitare“ sei „abito“, was „ich wohne“
bedeute – und „abito“ sei auch das Wort
für Kleidung. Das würde tatsächlich gut
zu seinem Nadelstreifen-Cape für Brioni
passen, das ein bisschen an ein schüt-
zendes Zelt erinnert habe. Ein Jackett
hingegen ist, wie wir jetzt wissen, in etwa
so wie ein Stuhl. Schön funktional. Schön
bequem. Und schön. n

Ideen-Pool
Aus Dutzenden Entwürfen filtert Grcic
die Perfektion heraus – der Look und
die Konstruktion sind ihm gleich wichtig

»


Es ist wichtig,
keinen Tunnelblick
zu haben, sondern
offen zu sein
für Umwege

«


Konstantin Grcic

WE LOVE TO ENTERTAIN YOU

RENN ZUR MILLION...


DIENSTAGS • AB 10. SEP • 20:15


WENN DU KANNST!


HÖHER. SCHNELLER. REICHER.


210x267_P7_Renn zur Million_Focus.indd 1 09.08.19 19:16
Free download pdf