SEITE 16·SAMSTAG, 7. SEPTEMBER 2019·NR. 208 Medien FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
Die Zeiten, als Alexander Gromberg (Se-
bastian Bezzel) mit seiner Band amtlichen
Punkrock machte, sind lang vorbei. Geblie-
ben ist die Billy-Idol-Attitüde (ohne die Lip-
pe), der Adam-Ant-Look (ohne den wei-
ßen Balken im Gesicht) und die Angewohn-
heit, alle vor den Kopf zu stoßen. Schuld ist
der kommerzielle Erfolg. Da Gromberg
nicht mit seinen „Sex Pistols“-Gedächtnis-
songs, sondern mit der Deutschpop-
Schmonzette „Freier Fall“ Kasse machte,
verpflichtete ihn der zynische Plattenfir-
menmanager (Roman Knizka) auf seichte
Texte, die klingen wie Jan-Böhmermann-
Parodien. Die Planstelle des pöbelnden
Rockstars mit sanftem Kern war eben noch
frei, und die Controller fanden es super.
Nun hängt Gromberg mit allen verbote-
nen Substanzen im Blut und Schwabbel-
bauch über knapper Unterhose besinnungs-
los überm goldenen Flügel. Von der Ni-
schenkultur-Ikone zur „Cash Cow“ und
von da direkt in die geschlossene Psychia-
trie von Dr. Lange (Peter Trabner) – ein Ab-
sturz wie aus dem Bilderbuch der Unterhal-
tungsindustrie. Ausgerechnet jetzt soll
eine Comeback-Tour her. Ein Glück, dass
die Agentin Franzi (Susanne Bormann) in
der Lokalzeitung beim Vermischten einen
Doppelgänger findet. Jetzt muss aus dem
Vermittlungsalbtraum jeder „Bauer sucht
Frau“-Sendung nur ein rücksichtsloser
Idiot mit interessantem Selbsthass ge-
macht werden. Den Versuch ist es wert, fin-
det Franzi.
Von authentischem Lebensgefühl ist
aber auch der brandenburgische Landwirt
Sven (ebenfalls Sebastian Bezzel) weit ent-
fernt. Seit einem Vorfall in der Jugend ver-
staubt die Gitarre im Stall. Ein leeres Vogel-
nest ziert die dicke Staubschicht, unter der
sein Schlagzeug rostet. Mit Vater (Karl
Kranzkowski) und Mutter (Irene Rindje)
freut er sich nur noch über die schönste
Mastsau und zieht, ein sprechendes Bild,
mit dem computergesteuerten Traktor die
immer gleichen Furchen im Feld. „Spur hal-
ten“, mahnt ihn das Gefährt bei der kleins-
ten Abweichung (Kamera Uwe Schäfer).
Hier Pose, da Verklemmtheit, im Ergeb-
nis zweimal falsche Lebensdeko, die im Rol-
lentausch aufgedeckt wird: In Holger Haa-
ses (Regie) und Arndt Stüwes (Buch) Wohl-
fühl-Dramödie „Echte Bauern singen bes-
ser“ hätten beide, der abgehalfterte Sänger
und der schüchterne Bauer, mal besser bei
Schillers Marquis Posa aufgepasst: „Sagen
Sie ihm, dass er für die Träume seiner Ju-
gend soll Achtung tragen, wenn er Mann
sein wird.“ Ungebildet aber, wie beide Män-
ner sind – die Sebastian Bezzel als Doppel-
besetzung auch körpersprachlich maximal-
gegensätzlich gestaltet –, brauchen sie mit
Franzi und ihrem Assistenten-Sidekick
Carl (Christian Näthe) Hilfe und Erfin-
dungsreichtum in unmöglichen Situatio-
nen, um ihr Leben in die eigenen Hände zu
nehmen. Alexander bringt die anrührende
Rina (Pegah Ferydoni), die den Schutz-
raum der Klinik dem Wirrwarr der Berliner
Straßen vorzieht, ins Grübeln, bei Sven ist
es Vocalcoach und Muttherapeutin Sammy
(Thelma Buabeng), die ihn aus seinem
Schutzkokon ausgräbt.
„Echte Bauern singen besser“ ist eine Ver-
wechslungskomödie, die Sebastian Bezzel,
im komischen Fach seit den „Eberhofer“-
Krimis und der Komödie „Falsche Siebzi-
ger“ von Matthias Kiefersauer eine feste
Bank, eine schöne Spielwiese gibt. Am bes-
ten ist Bezzel freilich im bayerischen Dia-
lekt, aber auch als Sven-als-Alexander gibt
er der Figur eine Mischung aus rührender
Putzigkeit und beinharter Bodenhaftung,
die bei Franzi sogleich für blümerante Ver-
unsicherung sorgt. Unbewegt bleibt zum –
natürlich guten – Ende einzig der Platten-
manager, ein armes Schwein, wie es im
Buch der Karrierebanausen steht. Alles in
allem sorgt „Echte Bauern singen besser“
für die Art von Vergnüglichkeit mit etwas
Tiefgang, die im Fernsehen nicht allzu häu-
fig anzutreffen ist. HEIKE HUPERTZ
Echte Bauern singen besser, heute, 20.15 Uhr, ARD
GENF, 6. September
J
ean-Jacques Bourdin ist für seine
aggressiven Fragen und seine
Schlagfertigkeit bekannt. Er führt
sein tägliches Interview wie ein An-
kläger, dem es darum geht, ein Geständ-
nis zu provozieren. Der Stil und der Sieg
sind wichtiger als der Inhalt. Doch an die-
sem Freitagmorgen hat es Bourdin auch
noch seine Körpersprache verschlagen.
Endlos wirkende Minuten lang saß er er-
staunlich still und stumm auf seinem
Stuhl, sichtlich bemüht, seinen Gast aus-
reden zu lassen: Weitgehend apathisch
hörte er Tariq Ramadan zu.
Es war der erste Medienauftritt des
weltweit bekannten Genfer Islamologen
seit zwei Jahren. Zehn Monate verbrach-
te er im Gefängnis. Mehrere Klagen we-
gen Vergewaltigung sind gegen ihn an-
hängig. Die letzte wurde vor wenigen Wo-
chen eingereicht: Eine Radiojournalistin
bezichtigt Tariq Ramadan und einen sei-
ner Begleiter, sie 2014 anlässlich eines In-
terviews vergewaltigt zu haben. Zwei Mo-
nate nach der Entlassung Ramadans aus
der Haft war sie von ihm kontaktiert wor-
den. Sie berichtet von Versuchen, Druck
auf sie auszuüben. Diese neuerliche Kla-
ge könnte Tariq Ramadan sehr schnell
wieder ins Gefängnis bringen. Nur aus
medizinischen Gründen – er soll an Mul-
tipler Sklerose leiden – war er trotz
Fluchtgefahr und unter strengen Aufla-
gen entlassen worden.
Selbst in Frankreich, wo das Amtsge-
heimnis der Justiz fast täglich gebrochen
wird, ist es nicht üblich, dass Angeklag-
ten die besten Sendeplätze für Live-Plä-
doyers in eigener Sache zur Verfügung ge-
stellt werden. Zwei Jahre lang, seit dem
Bekanntwerden der Vorwürfe, hatte Ra-
madan alle Anfragen unbeantwortet ge-
lassen. Jetzt geht er zum Gegenangriff
über, der Nachrichtensender BFM-TV
ließ sich den Auftakt zur Kampagne
nicht entgehen. In ausgezeichneter geisti-
ger Verfassung und friedlich wie ein
Lamm präsentierte sich Tariq Ramadan
der Öffentlichkeit. Den erfahrenen Inter-
viewer ließ er richtiggehend auflaufen.
Als „Hinterhalt“ schilderte Ramadan
das Vorgehen seiner Anklägerinnen, die
sich alle untereinander und mit der Jour-
nalistin Caroline Fourest, Autorin eines
Buchs über ihn, abgesprochen hätten.
Aber weder Fourest noch den Genfer
Journalisten Ian Hamel, der ebenfalls in
die Verschwörung eingebunden sei, hät-
ten die Richter je befragt. In einem Fall
habe er den Beweis, dass sechs Tage vor
der „Vergewaltigung“ ein Fotograf be-
stellt worden sei, der ihn überführen soll-
te. Ein anderes Mal sei er am Tag der mut-
maßlichen Tat nachweislich in Amerika
gewesen, aber nicht einmal das habe die
Polizei nachgeprüft.
Für seine Lügen – er hatte ein Jahr
lang seine außerehelichen Beziehungen
abgestritten – entschuldigte er sich bei
Gott, seiner Familie und den Muslimen.
Zu Unrecht wie einst der Jude Alfred
Dreyfus, den man des Landesverrats im
Solde des deutschen Erbfeinds bezichtigt
habe, werde er angeklagt. Ganz anders
als bei Macrons Ministern Darmanin und
Hulot, die ebenfalls mit Vergewaltigungs-
vorwürfen konfrontiert wurden, werde
das Verbrechen in seinem Fall ausgelegt
und neu definiert. Als Muslim stehe er
vor Gericht. Weil er den Islam als „fran-
zösische Religion“ bezeichnet habe. Weil
die Muslime in Frankreich unterdrückt
würden. Er aber werde sich wehren. Un-
widersprochen konnte sich Ramadan,
dem eine Gefängnisstrafe von mehr als
zwanzig Jahren droht, zum unschuldigen
Opfer des französischen Rassismus stili-
sieren. Als „Dreyfus-Affäre der Islamo-
phobie“ wird die Sendung ihre Wirkung
nicht verfehlen:
Besser als das unsägliche Interview
war die Nachbereitung im Sender. Eine
mit dem Vorgang vertraute Journalistin
der Zeitung „Libération“ erläuterte die
Widersprüche in Ramadans Aussagen.
Das Märchen, er sei zur Tatzeit gar nicht
am Tatort gewesen, hatte er schon ein-
mal aufgetischt. Auch ein Anwalt der An-
klägerinnen kam zu Wort. Als „frustrier-
te Lügnerinnen“ beschimpft Ramadan
sie in seinem neuen Buch. Journalisten,
die es im Voraus lesen wollten, mussten
sich zum Verlag begeben und die Einhal-
tung der Sperrfrist versprechen. „Die
Pflicht zur Wahrheit“ lautet sein Titel.
„Ich enthülle alles, was man Ihnen ver-
schwiegen hat“, verkündet der Autor auf
dem Umschlag. Das Buch erscheint am
- September. JÜRG ALTWEGG
D
as Dokudrama „Stunden der Ent-
scheidung: Angela Merkel und
die Flüchtlinge“, das am vergangenen
Mittwoch im ZDF lief und erkennbar
darauf angelegt war, die Entscheidung
Angela Merkels am 4. September 2015,
die in Ungarn losgezogenen Flüchtlin-
ge über die Grenze zu lassen, als Tat
von historischem Rang auszuweisen,
hat nicht jedem gefallen. Der Kanzle-
rin selbst zum Beispiel habe, wie der
„Spiegel“ phantastischerweise heraus-
gefunden hat, missfallen, dass es so
aussehe, als ob sie sich von ihrer Büro-
leiterin Kaffee einschenken lasse, da-
bei teile sie diesen doch selbst aus.
Und überhaupt gehe es nicht an, dass
die inszenierten Szenen den Eindruck
vermittelten, so und nicht anders sei es
gewesen, schon die Sitzordnung im Be-
sprechungszimmer stimme nicht. Abge-
sehen davon nehme die Kanzlerin des
Öfteren gern eine Tasse Tee statt Kaf-
fee. Heißgetränke interessieren den un-
garischen Botschafter Péter Györkös
in seiner Kritik an dem ZDF-Film, die
er in einem offenen Brief formuliert,
hingegen nicht, sondern „Elemente,
die Objektivität und Tatsachen missen
haben lassen“. Neben „ethische und
moralische Normen verletzenden Pas-
sagen und Andeutungen“ geht es dem
Botschafter darum festzustellen, dass
der „Mythos vom Budapester Ostbahn-
hof“, an dem die Flüchtlingskrise ihren
Ausgang genommen habe, eben nichts
als dieser sei – ein Mythos. Die dort ge-
strandeten Flüchtlinge seien zu diesem
Zeitpunkt schon tausend Kilometer
von der EU-Außengrenze entfernt ge-
wesen. Die große Migrationsbewe-
gung habe da längst eingesetzt, das
deutsche Innenministerium habe dar-
auf Mitte August reagiert und am 25.
August schon habe das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge getwittert,
die Dublin-Regeln – die besagen, dass
Flüchtlinge in jenem EU-Land um
Asyl bitten können, in dem sie erst-
mals registriert worden sind –, wende
man bei syrischen Flüchtlingen „fak-
tisch“ nicht mehr an. Das, so der unga-
rische Botschafter, habe der „Zuwande-
rung durchaus eine neue Dynamik“
verliehen. Und all das habe in dem Do-
kudrama des ZDF keine Rolle gespielt.
Die gegen sein Land in diesem Zusam-
menhang gerichtete „realitätsfremde
und von Fall zu Fall an Ehrverletzung
grenzende Propaganda“ höre nicht
auf, stellt Péter Györkös fest und bietet
dem ZDF, namentlich dem Intendan-
ten Thomas Bellut und dem Chefredak-
teur Peter Frey an, sich die Dinge ein-
mal aus einem anderen Blickwinkel
schildern zu lassen. Das ZDF teilte
dazu auf Anfrage mit, das Schreiben
des ungarischen Botschafters sei einge-
gangen: „Wir werden es prüfen und
zeitnah beantworten. Wir sind uns si-
cher, dass die historischen Ereignisse
in dem Film ,Stunden der Entschei-
dung: Angela Merkel und die Flüchtlin-
ge‘ korrekt dargestellt wurden.“ Von
der Suggestion des Dokudramas, die
Dinge seien am 4. September 2015 so
und nicht anders gewesen, von diesem
Narrativ (wären wir bei der ARD, wür-
den wir sagen: Framing), wird das
Zweite Deutsche Fernsehen, so tippen
wir an dieser Stelle, nicht abrücken. In
der Ankündigung des Senders hieß es
schließlich zu dem Film: „Es gibt Tage,
über die befinden nicht erst Chronis-
ten späterer Zeiten, dass sie für den
Wendepunkt einer Ära stehen.“ Dass
dies eine Wende zum noch Besseren
war, daran ließ das Dokudrama im
ZDF keinen Zweifel. So schreibt man
im öffentlich-rechtlichen Fernsehen
Geschichte. Dass dagegen jemand Wi-
derspruch einlegt, und sei es der unga-
rische Botschafter, sollte niemanden
wundern. miha.
MORGEN IN DER
SONNTAGSZEITUNG
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069 7591-3359 faz.net/probeabo
Kostenloses ProbeaboProbeabo
.
Das Ende der Unschuld
Warum wir keinen Smalltalk mehr
machen können
Vonnull auf 666 und wieder zurück in
vier Minuten, das schafft man nur in Lud-
wigshafen. Wir haben noch nicht zwei-
mal in die Chipstüte gegriffen, da wur-
den uns schon fünf in Stimmung und Stil
ganz verschiedene Sequenzen hinge-
klatscht, fünf eigene Genres geradezu,
als hätten wir uns einmal durch die Fern-
bedienung gezappt: ein greller Sci-Fi-
Thriller-Einstieg mit Robotern, die sur-
rend Platinen in Gehirne pflanzen, eine
an Exorzisten-Horrorfilme gemahnende
Gebets-Szene vor schaurigem Kruzifix,
ein an Phrasen-Ödnis („Hier stimmt was
nicht“) kaum zu toppender Allerweltskri-
mi-Auftakt am Rheinufer (ein leerer Roll-
stuhl könnte auf einen Suizid hindeuten
- oder auf einen vergessenen Rollstuhl),
eine discobunte, komödiantische Kraft-
meierei unter haargelfrittierten Auto-
schrauber-Proleten und ein ambitionslos
angedeutetes Krankenhausmelodram
mit verängstigt dreinblickendem Opa
und junger Ärztin (Jana Voosen): „Ich
kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid mir
das alles tut.“
Diese Stränge zu einer in Ton oder In-
halt halbwegs stimmigen Erzählung zu-
sammenzuflechten gelingt dem „Tatort:
Maleficius“ auch in den nächsten 85 Mi-
nuten nicht, so viel Abstand er sich dank
verzerrendem Superweitwinkel auch er-
laubt, aber das ist bei weitem nicht das
größte Manko dieses sich an seinem The-
ma restlos überhebenden Films aus der
Feder und in der Regie von Tom Bohn.
Vorgeführt wird, wie sich das an sich
höchst interessante, philosophisch, litera-
risch und filmhistorisch denn auch un-
endlich oft und anspruchsvoll deklinier-
te Paradigma vom künstlichen Men-
schen – hier in der digitalen Prothesen-
gott-Variante – bis zur Lächerlichkeit tu-
nen lässt, so dass am Ende nur unfreiwil-
lige Komik, Plattitüden-Karaoke und be-
drückende Fremdscham übrig bleiben.
Letzteres gilt auch da, wo Komik beab-
sichtigt scheint, etwa in den Gesprächen
der diesmal besonders süffisanten Lena
Odenthal (Ulrike Folkerts) und ihrer dies-
mal besonders kecken Kollegin Stern
(Lisa Bitter) mit dem Obermacker der
geistig tiefergelegten Grobmechaniker
(Gregor Bloéb). Gern guckt währenddes-
sen jemand halb aus der Motorhaube her-
aus und geht uns mit Ratschengegricker
auf die Zündkerze. Kaum lustiger wirkt
der flaue Witz, dem Pathologen Becker
(Peter Espeloer) Faulheit bis zur Arbeits-
verweigerung anzudichten. Auch die wohl
ulkig gemeinte Zurichtung des wie immer
bremsenden Oberstaatsanwalts (Max Ti-
dof) zum schmierigen Sugar Daddy ist bes-
tenfalls redundant.
Kommen wir aber zum Tiefpunkt, der
hier ziemlich exakt mit dem dramaturgi-
schen Höhepunkt zusammenfällt, den
Szenen rund um den Frankenstein-Arzt
Professor Bordauer. Als Koryphäe auf
dem Gebiet der Cyborg-Medizin macht
er mittels Gehirnplatinen (und Exoske-
letten) Demente wieder erinnernd und
Lahme wieder laufend. Sein eigentlicher
Traum ist freilich die totale Verschmel-
zung von menschlicher und künstlicher
Intelligenz. Dann seien nicht nur krimi-
nelle Impulse oder pädophile Neigungen
flotterdings ausprogrammierbar, son-
dern auch – der Krankenhausseelsorger
(Heinz Hoenig) hält den Medicus nicht
grundlos für einen Avatar des Gehörn-
ten – Unannehmlichkeiten wie die Sterb-
lichkeit besiegt. Es geht also auch hier
um Tuning. Sebastian Bezzel – ausgerech-
net! – spielt den Professor daher als cola-
saufendes großes Kind jenseits von Gut
und Böse. Die alberne Science-Fiction-
Aufmachung der Krankenhaus-Sonder-
etage, optisches weißes Rauschen sozusa-
gen, kann es zwar mit dem Doctor-Who-
Universum aufnehmen, beißt sich aber
mit dem körnigen Rest des Films.
Dass man überhaupt auf Bordauer auf-
merksam wurde, hat damit zu tun, dass
sowohl der verschwundene Rollstuhlfah-
rer, der zugleich zur Motorclub-Bande ge-
hörte, als auch eine tot aufgefundene wei-
tere Person sowie der sprachlose alte
Herr im Pflegeheim Beziehungen zu des-
sen Institut unterhielten. Was dieser Höl-
lenarzt dann aber mit Wichtigtuermiene
von sich zu geben hat – man leidet mit
Bezzel –, ist nun ebenso wie das Anti-
christgefasel des Priesters oder die teils
im Off stattfindende Unterhaltung der
Cree-Indianerinnen Odenthal und Stern
über den Transhumanismus („Sie wer-
den nicht eher Ruhe geben, bis sie alles
unter Kontrolle haben, bis sie den letzten
Zauber entzaubert, den letzten Traum
mitgeträumt haben“) dermaßen abgegrif-
fen, dass man sich sehnlichst das Reflexi-
onsniveau des zweihundert Jahre alten
Romans von Mary Shelley herbei-
wünscht.
Wenn das handlungstechnisch so wider-
sinnige wie erzählerisch vorhersehbare,
noch zahlreiche nah an der Parodie ent-
langschrammende Witz-Auftritte und
Hier-stimmt-was-nicht-Momente versam-
melnde Machwerk über den Prometheus
2.0 schließlich in einem immerhin gekonn-
ten Trash-Finale mit leider aber doch
noch angeklebter Erklärungsorgie tram-
pelnd und strampelnd untergeht, sieht der
eine oder die andere vielleicht den Geist
von Kai Perlmann vor sich, dem von Se-
bastian Bezzel vor seiner Leberkäs-Karrie-
re verkörperten „Tatort“-Kommissar, der
mit großen, bittenden Augen flüstert:
„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid
mir das alles tut.“ OLIVER JUNGEN
Tatort: Maleficius, Sonntag, 20.15 Uhr, ARD
Ein digitales Archiv mit 425 Stunden
DDR-Alltag auf Schmalfilm ist vom
- September an online abrufbar. Privat-
aufnahmen von 149 Familien sind in der
„Open Memory Box“ zu finden, wie die
schwedische Botschaft in Berlin mitteilte.
Die Filme entstanden zwischen 1947 und
1990. Es handele sich um einen einzigarti-
gen Quellenschatz, der für die historische
Forschung, politische Bildung wie auch
für zeithistorisch Interessierte aufschluss-
reich sei. Das Projekt wurde 2013 von dem
schwedisch-deutschen Filmproduzenten
Alberto Herskovits und dem kanadischen
Politikwissenschaftler Laurence McFalls
initiiert. Mehr als dreißig Mitarbeiter seien
zeitweilig mit Sichtung, Digitalisierung
und Verschlagwortung der eingesandten
Schmalfilme beschäftigt gewesen. Die
„Open Memory Box“ stelle die bislang um-
fassendste digitalisierte Sammlung von Pri-
vatfilmen aus der DDR dar. Es handelt
sich um ein Vorhaben des Forschungsver-
bunds „Das mediale Erbe der DDR“, an
dem unter anderem das Leibniz-Zentrum
für Zeithistorische Forschung Potsdam
(ZZF) beteiligt ist. Die Präsentation findet
- September in der kanadischen Bot-
schaft in Berlin statt. epd/F.A.Z.
Tee oder Kaffee?
ZDF-Dokudrama über Merkel
und die Flüchtlinge sorgt für Kritik
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Ich bin Dreyfus
Spiel’s
noch einmal
Sebastian Bezzel rockt in
„Echte Bauern singen besser“
DDR im Privatfilm
„Open Memory Box“ geht online
Die „Goldene Kamera“ als jährliche
Preisgala im ZDF wird eingestellt. Am
- März 2020 werde die 55. Verleihung
als „vorerst letzte TV-Show“ gesendet,
teilte die Funke Mediengruppe mit. Mo-
deriert wird sie von Thomas Gottschalk.
Den Preis gibt es seit 1966. Das ZDF tra-
ge die Entscheidung der Funke-Gruppe
mit, sagte Oliver Heidemann, Leiter der
Hauptredaktion Show. „Die Goldene Ka-
mera hat dem Fernsehpublikum in den
vergangenen Jahrzehnten einzigartige
Highlights und bewegende TV-Momen-
te beschert.“ Gegründet wurde der Preis
von der Fernsehzeitschrift „Hörzu“, die
bis 2014 zu Springer gehörte. Die Rech-
te gingen mit dem Verkauf der „Hörzu“
von Springer an Funke über. Seit 1994
war die Gala jedes Jahr im ZDF zu se-
hen. Die Einschaltquoten waren zuletzt
stark zurückgegangen. So waren 2010
noch mehr als fünf Millionen Zuschauer
dabei, in diesem Jahr 2,4 Millionen. Die
Sehgewohnheiten der Zuschauer hätten
sich geändert, sagte Jochen Beckmann,
Geschäftsführer der Funke-Zeitschrif-
ten. Es sei Zeit, neue Optionen auszulo-
ten. „Mit dem Youtube Goldene Kame-
ra Digital Award haben wir bereits ein
Format, das auf die fortschreitende Digi-
talisierung in der Mediennutzung ausge-
richtet ist.“ Die Gala erlitt einen Image-
Schaden, als die Pro-Sieben-Entertainer
Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-
Umlauf es 2017 schafften, ein Double
von Ryan Gosling auf die Bühne der
Live-Show zu schleusen. dpa/F.A.Z.
Wessiland
Ein Bericht von einer exotischen Insel
Frankenstein mit Heckspoiler
Wie man ein Thema bis zur Lächerlichkeit aufpimpt: Der „Tatort“ verhebt sich übel am Übermensch-Paradigma
Operation Übermensch: Sebastian Bezzel spielt den zwielichtigen Professor. Foto SWR
Sieht sich nicht nur als verfolgte Unschuld, sondern als Opfer einer Verschwörung: Tariq Ramadan Foto AFP
Letzte Klappe
„Goldene Kamera“ endet 2020
Berlins teure Nachbarin
Kleinmachnow ist aus dem
Dornröschenschlaf erwacht
Drei Frauen haben den Islamologen Tariq Ramadan
bezichtigt, sie vergewaltigt zu haben. Aus der
Untersuchungshaft kam er aus gesundheitlichen
Gründen frei. Im Fernsehen stilisiert er sich nun
zum Opfer einer Verschwörung.
Der Mensch im Tier
Alfred Brehms liebevolle
Illustrationen