SEITE 6·SAMSTAG, 7. SEPTEMBER 2019·NR. 208 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
NAIROBI,6. September
A
ls Zimbabwes Langzeitdiktator Ro-
bert Mugabe am Freitagmorgen in
einem Krankenhaus in Singapur
starb, befand er sich im Kreis seiner engs-
ten Familie – und mehr als 8000 Kilome-
ter von der Heimat entfernt. In dem asiati-
schen Stadtstaat hatte er zuletzt mehr Zeit
verbracht als in Harare; er ließ sich dort
wegen einer Krebserkrankung behandeln.
Mugabe starb im Alter von 95 Jahren. Am
Bett soll bis zuletzt seine Frau Grace ge-
wacht haben.
Die Botschaft vom Tod des ehemaligen
Despoten wurde von seinem Nachfolger
über Twitter verbreitet. „Mit größter Trau-
rigkeit gebe ich den Tod des Gründungsva-
ters Zimbabwes und ehemaligen Präsiden-
ten, Kommandant Robert Mugabe, be-
kannt“, verkündete Zimbabwes Präsident
Emmerson Mnangagwa und pries seinen
im November 2017 entmachteten Vorgän-
ger als „Unabhängigkeitsikone“ und „Pan-
afrikaner“, dessen „Beitrag zur Geschich-
te unseres Landes und unseres Kontinents
niemals vergessen werde“. „Möge seine
Seele in Frieden ruhen.“
Auch andere afrikanische Führer wür-
digten den ehemaligen Präsidenten Zim-
babwes. Mugabe sei immer ein „Verfech-
ter der Sache Afrikas gegen den Kolonialis-
mus“ gewesen, erklärte Südafrikas Präsi-
dent Cyril Ramaphosa: „Unter der Füh-
rung von Präsident Mugabe inspirierte
Zimbabwes anhaltender und mutiger
Kampf gegen den Kolonialismus unseren
eigenen Kampf gegen die Apartheid und
begründete in uns die Hoffnung, dass
auch Südafrika eines Tages frei sein wür-
de.“ Ramaphosas Partei, der seit 1994 re-
gierende Afrikanische Nationalkongress,
nannte Mugabe einen „Freund, Staats-
mann und leidenschaftlichen Genossen“.
Nachdem er an die Macht gekommen war,
hatte Mugabe die südafrikanischen Genos-
sen im Kampf gegen den Burenstaat unter-
stützt. Kenias Präsident Uhuru Kenyatta
meinte, Mugabe habe seinem Land „mit
Engagement und Hingabe“ gedient.
In jenem Land, das Robert Mugabe fast
38 Jahre lang mit eiserner Faust regiert
hatte, dürften nicht allzu viele Menschen
dem Verstorbenen nachtrauern. Das ehe-
malige Rhodesien galt einst als Kornkam-
mer des südlichen Afrikas, als es 1980 un-
abhängig und in Zimbabwe umbenannt
wurde, nannte es der tansanische Sozialist
Julius Nyerere „das Juwel Afrikas“. Heute
liegt Zimbabwe am Boden. Ein Drittel der
rund 15 Millionen Einwohner sind nach
Schätzungen von Hilfsorganisationen auf
Nahrungsmittelhilfe angewiesen, die Infla-
tionsrate liegt bei mehr als 500 Prozent,
ein Liter Benzin kostet mehr als 3,30 Dol-
lar – so viel wie nirgends sonst auf der
Welt. Es herrscht Mangel an fast allem: an
Brot, an Medikamenten, an Treibstoff.
Die Familie Mugabe hingegen konnte
bis zuletzt nicht klagen. Wenn sich der Pa-
triarch in einer S600L-Pullman-Limousi-
ne des deutschen Autobauers Mercedes
durch sein darbendes Land chauffieren
ließ, hatte er zu seinem Pläsier CD-Player,
Spielfilme und Internet an Bord. Die Fami-
lienvilla in Harares Nobelvorort Bor-
rowdale verfügte über 25 Zimmer mit
Swimmingpool und zwei Seen, ein Esszim-
mer mit Platz für mehr als dreißig Gäste.
Zehn Millionen Dollar soll die Seniorenre-
sidenz gekostet haben. Mit den Schnitzar-
beiten am Bankettsaal waren vier marok-
kanische Künstler ein ganzes Jahr lang be-
schäftigt. Als Vorbild dienten den Muga-
bes Saddam Husseins Paläste im Irak.
Als „Gucci Grace“ oder „Grabbin’
Grace“ wurde die mehr als 40 Jahre jünge-
re Gemahlin, Mugabes ehemalige Sekretä-
rin, verspottet. In Paris soll sie einmal in-
nerhalb weniger Stunden 80 000 Euro aus-
gegeben haben. Ihre Ambitionen, den grei-
sen Gatten auch noch an der Spitze des
Staates abzulösen, führten schließlich
zum Militärputsch und der Machtübernah-
me durch Mnangagwa. Der war lange Zeit
ein Weggefährte Mugabes gewesen. Seit
dem Buschkrieg gegen die weißen Rhode-
sier des damaligen Premierministers Ian
Smith lautet sein Kampfname Krokodil.
Als Sicherheitsminister trug Mnangagwa
Mitverantwortung an dem Massenmord
an rund 20 000 Angehörigen des Ndebele-
Stamms. Später diente er seinem Herrn
als Vizepräsident.
Als Mugabe, der am 21. Februar 1924 in
der Missionsstation Kutama als Sohn ei-
nes Tischlers geboren und später zum Leh-
rer ausgebildet wurde, 1980 die Macht in
Zimbabwe übernahm, wurde er weltweit
noch als Freiheitskämpfer und einer jener
modernen afrikanischen Führer gefeiert,
die den Kontinent in die Zukunft führen
sollten. Damals herrschte in Südafrika
noch die Apartheid, auch die portugiesi-
schen Kolonien Angola und Moçambique
waren erst wenige Jahre zuvor in die Frei-
heit entlassen worden. Namibia stand die
Unabhängigkeit erst bevor.
Im Unabhängigkeitskrieg war Mugabe,
ein ehemaliger Jesuitenschüler, mit seiner
Rebellengruppe „Zimbabwes Afrikani-
sche National-Union“ (Zanu) von Peking
finanziert worden, während die Armee sei-
nes Konkurrenten Joshua Nkomo, „Zim-
babwes Afrikanische Volks-Union“, von
Moskau abhing. Großbritannien, die ehe-
malige Kolonialmacht, überwachte die
Wahlen, die Mugabe schließlich gewann.
Später schlug Königin Elisabeth den Aske-
ten, der zuvor mehr als zehn Jahre in rho-
desischen Kerkern gesessen hatte, sogar
zum Ritter. Und der gab sich anfangs ver-
söhnlich und versprach Versöhnung.
Doch schnell entpuppte sich Mugabe
als eiskalter Machtpolitiker. Durch den
Mord an den Ndebele Anfang der achtzi-
ger Jahre versuchte Mugabe, der dem
Stamm der Shona angehört, hauptsäch-
lich seinen Konkurrenten Nkomo zu
schwächen. Der gehörte zum Stamm der
Ndebele, die mit den südafrikanischen Zu-
lus eng verwandt sind, und galt als weitaus
volksnäher und beliebter als der Techno-
krat Mugabe. Bis heute halten sich in Zim-
babwe hartnäckig Gerüchte, dass die Wah-
len, die den Marxisten Mugabe an die
Macht brachten, manipuliert waren.
Während das Regime der weißen Eigen-
brötler, die in den sechziger Jahren mit der
britischen Krone gebrochen hatten, zu
Recht international geächtet worden war,
nahm die Welt vom schwarzen Bruder-
mord, der von Mugabes Marxisten began-
gen wurde, kaum Notiz. Von 1980 bis 1987
amtierte Mugabe als Premierminister, da-
nach wurde er Präsident. Er ließ seine be-
rüchtigte fünfte Brigade von Nordkorea-
nern ausbilden und verwandelte Zimbab-
we in einen Staat, in dem Partei, Militär
und Geheimdienste eng verwoben waren.
So sicherte er sich über Jahrzehnte die
Macht. Wahlen, die Mugabe immer ge-
wann, gerieten regelmäßig zur Farce.
Im Jahr 2000 allerdings war Mugabe zu
zuversichtlich in ein Verfassungsreferen-
dum gegangen. Es sollte ihm noch mehr
Macht sichern und Freiheiten bei der Ent-
eignung der ungeliebten weißen Farmer ge-
ben. Doch vor allem in den Großstädten
Harare, dem ehemaligen Salisbury, und Bu-
lawayo im Matabeleland fiel seine Nieder-
lage vernichtend aus. In beiden Städten er-
rang seine Partei nur ungefähr ein Drittel
der Ja-Stimmen. Diese Schmach wollte der
Diktator, der sich nun gelegentlich „ein Hit-
ler dieser Zeit“ nannte und sich einen
Schnauzbart wachsen ließ, nicht auf sich
sitzen lassen. „Wir sind Guerrillakämpfer,
die schon früher gekämpft haben, und sind
bereit, zu jeder Zeit wieder zu kämpfen“,
tönte er und hetzte seine Anhänger, insbe-
sondere sogenannte Kriegsveteranen, auf
das Farmland der angeblich habgierigen
und rassistischen Weißen.
Binnen weniger Jahre verließen rund
4000 weiße Landwirte Zimbabwe. Viele
gingen nach Australien oder Neuseeland.
Andere versuchten in Nachbarländern
wie Sambia ihr Glück und sorgten dort für
einen unerwarteten Aufschwung. Das so-
zialistische Zimbabwe hingegen taumelt
seitdem von einer Krise zur nächsten. Nur
wenige Jahre nach dem Exodus der wei-
ßen Farmer schlitterte Zimbabwe in eine
Hyperinflation, die nur durch die Abschaf-
fung der eigenen Währung Zim-Dollar
und die Einführung des verhassten ameri-
kanischen Dollars als Zahlungsmittel be-
endet werden konnte.
Mugabe wurde immer selbstherrlicher
und größenwahnsinniger. „Ist es denn mei-
ne Schuld, dass ich zu groß für andere bin?
Wollen Sie mich dafür tadeln? Soll ich
Gott den Allmächtigen bitten, mich ein
bisschen kleiner zu machen?“, fragte er
und erklärte: „Nur Gott, der mich ernannt
hat, wird mich abwählen können.“ Seine
politischen Gegner hingegen diffamierte
er gerne als Marionetten des britischen Im-
perialismus. Die Feier zu seinem 93. Ge-
burtstag soll rund 1,9 Millionen Euro ge-
kostet haben. Zehntausende von Gästen
feierten in Matopos und verspeisten das
Fleisch von 150 Rindern und eine mehr als
90 Kilogramm schwere Torte.
Zimbabwe kämpft nach Mugabes Ent-
machtung immer noch mit seinem Erbe.
Auch unter Mnangagwa haben Militär und
Geheimdienste nichts von ihrer Macht ein-
gebüßt. Die Zanu regiert weiter, seit der
Zwangsvereinigung mit Nkomos geschlage-
ner Zapu mit dem Zusatz „Patriotic Front“.
Strom gibt es, wie zu Mugabes schlimms-
ten Zeiten, nur wenige Stunden am Tag.
MOSKAU, 6. September. Es mehren sich
Anzeichen für einen bevorstehenden Ge-
fangenenaustausch zwischen Russland
und der Ukraine. Allen voran schürt der
russische Präsident die Erwartungen. Der
Austausch werde „recht groß, umfang-
reich, und das wäre ein schöner Schritt
nach vorn, in Richtung Normalisierung“,
sagte Wladimir Putin am Donnerstag auf
einem Wirtschaftsforum in Wladiwostok.
Es sei indes „recht schwierig, Entschei-
dungen über konkrete Leute zu treffen“,
Ergebnisse würden „in nächster Zeit“ be-
kanntwerden. Der ukrainische Putin-Ver-
traute Viktor Medwedtschuk, auf dessen
Kräfte Moskau in den jüngsten Präsiden-
ten- und Parlamentswahlen im Nachbar-
land ganz offen gesetzt hatte, sagte als
Gast auf demselben Forum, die Verhand-
lungen zwischen Kiew und Moskau näher-
ten sich dem Ende. Putin dankte Med-
wedtschuk für dessen „humanitäre Missi-
on“ in Sachen Gefangenenaustausch.
Ende voriger Woche hatten ukraini-
sche und russische Medien berichtet, der
Gefangenenaustausch habe schon stattge-
funden – was sich aber nicht bestätigte.
Medwedtschuk war am Donnerstag vori-
ger Woche erlaubt worden, einige ukraini-
sche Gefangene in einem Moskauer Un-
tersuchungsgefängnis zu besuchen. Ge-
dacht war das offenbar als Spitze gegen
den ukrainischen Präsidenten Wolody-
myr Selenskyj, der die Freilassung der
Geiseln in Russland zu seiner persönli-
chen Angelegenheit gemacht hat. Die rus-
sische Zeitung „Kommersant“ berichtete,
verhandelt werde über den Austausch
von jeweils 33 Gefangenen. Auf ukraini-
scher Seite geht es etwa um den Regisseur
Oleg Senzow, einen Gegner der Annexi-
on seiner Heimat Krim, und um 24 Mari-
nesoldaten, die Russland im November in
der Meerenge von Kertsch vor der Krim
gefangengenommen hat und trotz einer
Entscheidung des Internationalen Seege-
richtshofs weiterhin festhält. Senzow, der
vor vier Jahren in einem politischen Pro-
zess zu 20 Jahren Haft wegen Terroris-
mus verurteilt worden ist, soll in Vorberei-
tung des Austauschs aus einer Strafkolo-
nie nach Moskau gebracht worden sein.
Auf Moskauer Seite geht es unter ande-
rem um den Leiter der ukrainischen Ver-
tretung der russischen Staatsnachrichten-
agentur Ria Nowosti, Kirill Wyschinskij,
der in Kiew des Staatsverrats beschuldigt
wird und schon Ende August aus der Un-
tersuchungshaft entlassen worden ist.
Besondere Aufmerksamkeit richtet
sich auf Wolodymyr Zemach, den frühe-
ren Kommandeur der Luftabwehr der so-
genannten Separatisten in Snischne. Die
ostukrainische Stadt wird seit 2014 von
Kräften der von Kiew abtrünnigen „Volks-
republik Donezk“ kontrolliert. Der ukrai-
nische Staatsbürger gilt als möglicher Zeu-
ge in den Ermittlungen um den Abschuss
des Passagierflugzeugs MH 17 im Juli
2014 nahe Snischne, bei dem alle 298
Menschen an Bord umkamen. Nach Er-
kenntnissen der Internationalen Ermitt-
lergruppe (JIT) wurde die Boeing von ei-
ner Buk-Rakete der russischen 53. Luftab-
wehrbrigade abgeschossen. In einem Vi-
deo der Separatisten von 2015 sagt Ze-
mach, er habe etwas nach dem Abschuss
„versteckt“: Was, ist mit einem Piepton un-
kenntlich gemacht, doch sagen Fachleute,
seine Lippen formten das Wort „Buk“.
Der ukrainische Geheimdienst SBU
hatte Zemach Ende Juni entführt und
nach Kiew gebracht, wo ihm Mitglied-
schaft in einer Terrorgruppe vorgeworfen
wird. Kurz vor Putins Auftritt in Wladi-
wostok entließ ein Kiewer Gericht Ze-
mach aus der Untersuchungshaft. Ein Ver-
treter der Anklage wollte die Frage, ob
das mit dem Gefangenenaustausch zu-
sammenhänge, nicht kommentieren.
Laut der Nachrichtenagentur Interfax
steht Zemach auf der Liste für den Aus-
tausch; laut anderen Berichten hat Mos-
kau seine Aufnahme in die Liste gar zur
Bedingung für den gesamten Austausch
gemacht. Ein Sprecher der JIT hatte ange-
geben, Zemach befragen zu wollen. Nach
der Übergabe an Russland würde das un-
möglich. (frs.)(Kommentar Seite 10.)
WARSCHAU, 6. September. Ein unglei-
cher Kampf treibt seinem Höhepunkt ent-
gegen. Der Präsident der Ukraine, Wolo-
dymyr Selenskyj, ist fast am Ziel: Er will
den Hauptstadtbürgermeister Vitali
Klitschko entmachten. Ungleich ist der
Kampf auch, weil hier ein Mann, der bis
zu seinem Wahlsieg im April Schauspie-
ler und Fernsehproduzent war und diese
Ressourcen auch politisch eingesetzt hat,
gegen einen ehemaligen Boxweltmeister
im Schwergewicht antritt. Am Mittwoch
billigte die neue Regierung den vom Präsi-
denten gewünschten Schritt; jetzt fehlt
nur noch dessen Unterschrift. Damit geht
das Ringen zwischen den zwei erfolg-
reichsten Newcomern in der ukrainischen
Politik in eine neue Runde.
Kiew hat als Hauptstadt zwei Ämter an
seiner Spitze: das des vom Volk gewähl-
ten Bürgermeisters und das des Verwal-
tungschefs. Der Staatspräsident kann die
Gouverneure der Bezirke im Land austau-
schen, was Selenskyj in fast allen Regio-
nen bereits getan hat. In Kiew jedoch
muss er den gewählten Bürgermeister
auch zum Verwaltungschef ernennen.
Dies hat das ukrainische Verfassungsge-
richt 2003 bestätigt. Diesen Doppelhut –
oder zumindest die exekutive Hälfte –
will Selenskyj dem seit 2014 amtierenden
Klitschko jetzt abnehmen und ihn, wie
dessen Anhänger befürchten, auf die re-
präsentative Rolle einer „britischen Köni-
gin“ reduzieren.
Neben dem offenkundigen Wunsch Se-
lenskyjs, eine ihm loyale Exekutive zu ha-
ben, spielen inhaltliche Fragen bei der
Entscheidung offenbar nur eine unterge-
ordnete Rolle. Dafür jedoch Verdächti-
gungen, die vor Gericht relevant werden
könnten. So hat der Chef des Präsidial-
amts, der Jurist Andrij Bohdan, im Au-
gust behauptet, ein angeblicher Mittels-
mann Klitschkos habe ihm 20 Millionen
Dollar Schmiergeld angeboten, wenn er
den Bürgermeister in Ruhe lasse. Kiew ist
als Bau- und Immobilienmarkt, auf dem
Genehmigungen vonseiten des Rathauses
eine große Rolle spielen, ein lukratives
Pflaster. Klitschko erwiderte, indem er
das Antikorruptionsbüro des Landes an-
rief. Ganz leicht wird es für Selenskyj
nicht werden, Klitschko beiseitezuschie-
ben; der Bürgermeister ist beliebt, und sei-
ne Bilanz ist, verglichen mit der seiner
Vorgänger, nicht die schlechteste.
Gemeinsam hatten der Schauspieler
und der Boxer, dass sie als „antipoliti-
sche“ Neulinge ihre ersten Erfolge in ei-
nem anderen Geschäft erzielt hatten als
der Politik, die in der Ukraine lange Zeit
eng mit dem „Biznes“, der intransparen-
ten Wirtschaftswelt, verquickt war und ei-
nen äußerst schlechten Ruf genoss. Der in
einem Hamburger Boxverein erfolgreich
und berühmt gewordene Klitschko suchte
ein neues Betätigungsfeld nach dem Ende
seiner sportlichen Karriere. Viele hielten
ihm zugute, dass er seine Dollar-Millio-
nen „mit ehrlicher Hände Arbeit“ erwor-
ben hatte, noch dazu im Ausland und un-
ter transparenten Bedingungen. Zweimal
hat er in Wahlen um das Rathaus ge-
kämpft; zeitweise war er – als die einstige
Regierungschefin Julija Timoschenko in
einem politisch gesteuerten Prozess hin-
ter Gitter gebracht worden war – der be-
liebteste Oppositionspolitiker des Lan-
des. Erst beim dritten Mal hatte er Erfolg:
Als die proeuropäischen Majdan-Demons-
trationen 2014 das Land in Bewegung ver-
setzten, siegte er in Kiew mit 57 Prozent
der Stimmen im ersten Wahlgang. Seine
Präsidentschaftskandidatur hatte er da-
mals zurückgezogen – zugunsten seines
Verbündeten Petro Poroschenko, der
dann ebenfalls siegreich war.
Während Selenskyj sich mit öffentli-
chen Äußerungen im laufenden Streit zu-
rückhält, ist der promovierte Sportwissen-
schaftler Klitschko jetzt in die Offensive
gegangen und zeigt, dass er nicht auf den
Mund gefallen ist. Er habe „gute“ persön-
liche Beziehungen zu Selenskyj, „nie
habe ich von seiner Seite Vorwürfe zu hö-
ren bekommen. Wir treffen uns wie alte
Freunde“, sagte der einstige Sportler am
Freitag dem Sender BBC. Dass es aller-
dings in den von Selenskyj produzierten
politischen Satiresendungen gegen ihn,
Klitschko, oft „Witze unterhalb der Gür-
tellinie“ gegeben habe, habe ihm nicht ge-
fallen, und das habe er Selenskyj bei Be-
gegnungen auf gesellschaftlichen Veran-
staltungen auch „mehrfach“ gesagt. Das
sei keine Satire mehr, „das ist keine
Kunst“.
Das Vorgehen des Präsidenten gegen
ihn erklärt Klitschko jetzt mit einer „bana-
len Sache, dem Kampf um die Macht“.
Die Selenskyj-Mannschaft habe den Auf-
trag, einen „Reset“ der Macht im Land zu
erreichen. „Dafür gibt es legale Mittel. Sie
wollten einen Reset im Parlament, also
gab es (im Juli) Wahlen. Und wenn
Klitschko als Bürgermeister jemandem
nicht gefällt, muss man doch nicht jeman-
den von oben dort plazieren. Lasst uns
Bürgermeisterwahlen abhalten.“ Das
Recht der Bürger, über ihre Stadt zu be-
stimmen, dürfe nicht beschnitten werden.
Ihm jetzt einen Verwaltungschef vor die
Nase zu setzen, „das ist doch, als würden
Sie in einem Auto mit zwei Fahrern sit-
zen, von denen jeder sein eigenes Steuer-
rad hat. Dieses Auto wird entweder über-
haupt nicht fahren, oder es wird nur bis
zur nächsten Kreuzung kommen.“
Klitschko schließt auch nicht aus, dass
es daran liegen könnte, dass er im April
den Präsidentschaftskandidaten Poro-
schenko unterstützt hatte und nicht Selen-
skyj. Aber er bereue das auch nicht: Poro-
schenko habe nun mal außenpolitisch –
wenn auch nicht innenpolitisch – „sehr
viel erreicht“, in der Zeit der russischen
Aggression die internationale Unterstüt-
zung für die Ukraine organisiert.
Freilich will Klitschko sich auch nicht
als Opposition zum Präsidenten und zu
dessen Partei „Sluha Narodu“ (Der Die-
ner des Volkes) verstanden wissen. Aber
unkritisch ist er auch nicht: Schon im Prä-
sidentschaftswahlkampf hatte er den poli-
tisch unerfahrenen Schauspieler mit ei-
nem Piloten verglichen, der seine Passa-
giere (die Wähler) fragen müsse, wo die
Reise hingehe. Inzwischen, so sagte er,
fliege die Maschine, „aber es gibt starke
Turbulenzen“.
Er nannte sich einen „Hitler dieser Zeit“:Robert Mugabe im Jahr 2008 Foto dpa
Her.FRANKFURT, 6. September. Ein
Istanbuler Gericht hat die Vorsitzende
der oppositionellen CHP in der Provinz
Istanbul, Canan Kaftancioglu, zu einer
Haftstrafe von neun Jahren und acht Mo-
naten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft
hatte 17 Jahre Haft gefordert. Verurteilt
wurde Kaftancioglu für Äußerungen,
die sie in den vergangenen sechs Jahren
in sozialen Medien gemacht hatte. Die
Straftatbestände, für die sie einzeln ver-
urteilt wurde, umfassen die Beleidigung
von Staatsbediensteten, des Staatspräsi-
denten Recep Tayyip Erdogan und des
türkischen Staats sowie Terrorpropagan-
da und das Schüren von Hass.
Kaftancioglu war Anfang 2018 zur
Vorsitzenden der CHP in Istanbul ge-
wählt worden. Sie hat die Partei, die lan-
ge dogmatisch verengt war, geöffnet und
für Wähler der Mitte attraktiv gemacht
sowie für jene, die sich frustriert von Er-
dogans AKP abwenden. Gegen den Wi-
derstand der alten CHP-Garde setzte sie
Anfang 2019 den damaligen Bürgermeis-
ter von Istanbuls Stadtteil Beylikdüzü,
Ekrem Imamoglu, als Kandidaten der
Partei für das Amt des Oberbürgermeis-
ters der 16-Milionen-Metropole durch.
Sie hatte erkannt, dass Imamoglu das Po-
tential hat, den favorisierten Kandida-
ten der AKP, den früheren Ministerpräsi-
denten und Parlamentssprecher Binali
Yildirim, zu schlagen.
Die Staatsanwaltschaft hatte bereits
im vergangenen Jahr begonnen, belas-
tendes Material gegen Kaftancioglu zu
sammeln. Die regierungsnahen Medien
führen seit Monaten eine Rufmordkam-
pagne gegen sie. Zwei Tage nach dem
Sieg des CHP-Kandidaten Imamoglu
am 31. März legte die Staatsanwalt-
schaft eine Anklageschrift gegen sie vor.
Unmittelbar nach der Wiederholungs-
wahl vom 23. Juni, die die AKP in der
Hoffnung durchgesetzt hatte, doch noch
zu gewinnen, die sie aber noch deutli-
cher verlor, wurde Kaftancioglu zur ers-
ten Anhörung ins Gericht geladen.
Die CHP bezeichnete das Verfahren
als Versuch, die Opposition einzuschüch-
tern, und als Schlag gegen die Demokra-
tie und Meinungsfreiheit. Kaftancioglu
sagte, der Grund für das Verfahren sei
der Sieg der CHP bei der Kommunal-
wahl in diesem Frühjahr. Damit wäre sie
ein weiteres Opfer der Kreise, die sich
mit einer Niederlage der Regierungspar-
tei nicht abfinden wollen. Vor gut zwei
Wochen hatte das Innenministerium die
neugewählten Bürgermeister von der
prokurdischen Partei HDP in den drei
größten kurdischen Städten abgesetzt.
Lauterbach verzichtet auf Amt
Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsit-
zende Karl Lauterbach verzichtet auf
eine abermalige Kandidatur für diesen
Posten, um sich auf die Bewerbung um
den Parteivorsitz zu konzentrieren. „Es
passt nicht zusammen, dass ich in den Re-
gionalkonferenzen für einen Groko-Aus-
stieg werbe, weil die große Koalition der
SPD schadet, gleichzeitig aber für die
Fraktion Gesetze mit Jens Spahn oder
Anja Karliczek verhandele“, sagte der Ge-
sundheitspolitiker der Funke Medien-
gruppe. Im Rennen um den Parteivorsitz
tritt Lauterbach mit der Abgeordneten
Nina Scheer an. Derweil hat eine Umfra-
ge des ZDF-„Politbarometers“ ergeben,
dass fast die Hälfte der Wahlberechtigten
dafür ist, dass die SPD mehr linke Positio-
nen vertritt. 44 Prozent seien für eine
Wendung nach links, 21 Prozent wünsch-
ten sich weniger linke Positionen. (dpa)
Immunität aufgehoben
Der Justizausschuss des Thüringer Land-
tags hat die Immunität von Linke-Frakti-
onschefin Susanne Hennig-Wellsow und
ihrem Fraktionskollegen Christian Schaft
aufgehoben. Er machte damit den Weg
für strafrechtliche Ermittlungen nach ei-
ner Protestaktion gegen eine AfD-De-
monstration frei, wie die Fraktion am
Freitag mitteilte. Der Antrag auf Aufhe-
bung war von der Staatsanwaltschaft Er-
furt gekommen. Diese ermittelt wegen
Störung von Versammlungen und Aufzü-
gen gegen die Landtagsabgeordneten.
Hintergrund ist ihre Beteiligung an einer
Sitzblockade. (dpa)
Nachfolger Lübckesernannt
Hessens Landesregierung hat einen
Nachfolger für den getöteten Kasseler Re-
gierungspräsidenten Walter Lübcke
(CDU) ernannt. Ministerpräsident Vol-
ker Bouffier und Innenminister Peter
Beuth (beide CDU) gaben am Freitag be-
kannt, dass es sich dabei um den bisheri-
gen Stellvertreter Lübckes, Hermann-Jo-
sef Klüber, handelt. Lübcke war im Juni
mutmaßlich durch einen Rechtsextremen
ermordet worden. Der 63 Jahre alte Ver-
waltungsfachmann Klüber sei den Mitar-
beitern der Behörde in dieser „schweren
Zeit eine wichtige Stütze“ gewesen, so
Bouffier. (jib.)
Babiš muss sich entschuldigen
Der tschechische Ministerpräsident An-
drej Babiš muss eine Demonstrationsteil-
nehmerin um Entschuldigung bitten. Das
entschied ein Gericht in Prag nach Anga-
ben der AgenturČTK am Freitag. Babiš
hatte vor einem Jahr über die Teilnehmer
regierungskritischer Kundgebungen ge-
sagt, die „Leute sind bezahlt, es sind poli-
tische Gegner auf Bestellung“. Das Ge-
richt erkannte an, dass diese Aussage be-
leidigend und rufschädigend gewesen sei.
Von einem ranghohen Staatsvertreter sei
zu erwarten, dass er Informationen auf
Richtigkeit prüfe, bevor er sie weiterver-
breite. Babiš, Gründer der populistischen
Partei ANO, kündigte Berufung gegen
das Urteil an. Er habe nur eine Meinung
im Rahmen der öffentlichen Debatte aus-
gedrückt. Seit der Ernennung des Kabi-
netts aus ANO und sozialdemokratischer
ČSSD gibt es Proteste gegen die Duldung
der Minderheitsregierung durch die Kom-
munisten (KSČM). Die Klägerin zeigte
sich zufrieden: „Ich hoffe, dass die Men-
schen nun begreifen, dass nicht alles, was
der Ministerpräsident im Fernsehen sagt,
notwendigerweise der Wahrheit entspre-
chen muss.“ (dpa)
Ein Austausch steht bevor
Moskau und Kiew scheinen sich über Freilassungen von Gefangenen geeinigt zu haben
Der Schauspieler gegen den Boxer
Der ukrainische Präsident Selenskyj entmachtet Klitschko / Von Gerhard Gnauck
Haftstrafe für die
CHP-Vorsitzende
Istanbuls
Wichtiges in Kürze
Vom Unabhängigkeitskämpfer zum Langzeitdiktator
Gibt nicht auf:Klitschko bei einer Pressekonferenz im Sommer Foto AFP
Robert Mugabe, einst
von Königin Elisabeth
zum Ritter geschlagen,
herrschte selbstherrlich
über das darbende
Zimbabwe. Jetzt ist er
im Alter von 95 Jahren
gestorben.
Von Thilo Thielke