kl. Fotos (v. o.): Getty Images; Vera Tammen für
DZ; Matthias Schrader/AP/ullstein bild
Der Soziologe Harald Welzer
und der Feuerwehrmann
Manuel Barth streiten über ein
Auto, das die Deutschen lieben
oder verachten
Streit, Seite 8
Darf man noch
SUV fahren?
- SepteMBer 2019 No 38
»Ich bin ein totaler
Durchschnittsmensch«
reinhold Messner wird 75.
ein Gespräch über sein Leben
Dossier
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WOCHENZEITUNG FÜR POLITIK WIRTSCHAFT WISSEN UND KULTUR
DIE ZEIT
Eselei
Bei den nächsten Oberammergau‑
er Festspielen wird Jesus traditions‑
gemäß auf einem esel nach Jerusa‑
lem reiten, trotz der proteste einer
tierschutzorganisation, die gefor‑
dert hat, Jesus solle auf einem
e‑Scooter fahren. Bei dem prophe‑
ten Sacharja heißt es: »Juble laut,
tochter Zion! Siehe, dein König
kommt zu dir, demütig ist er und
reitet auf einem esel.« Wäre es de‑
mütig, auf einem roller zu kom‑
men? es wäre eine eselei. GRN.
PROMINENT IGNORIERT
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entgegen aller Zukunftsangst
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Z
erstört Boris Johnson die britische
Demokratie? Die schweflige Atmo‑
sphäre von Abenteurertum und
Brandstifterei, die seine Brexit‑
politik umweht, wirkt auf die
meisten deutschen (und viele englische) Be‑
trachter schockierend. Die handstreichartige
Suspendierung des parlaments, die Ungewiss‑
heit, ob der premierminister die Gesetzgebung
des Unterhauses gegen ein ungeregeltes Aus‑
scheiden aus der europäischen Union (No Deal)
respektieren werde – solche Verstöße gegen die
guten politischen Sitten legen die Frage nahe,
ob das Land noch verantwortlich und rechtstreu
regiert wird. es geht dabei keineswegs bloß um
eine innerbritische Angelegenheit: ein Vereinig‑
tes König reich, das sich von verfassungsmäßi‑
ger Seriosität verabschieden würde, wäre auch
kein partner mehr für vernünftige Brexit‑
Verhandlungen und für ein gedeihliches Mit‑
einander danach. es würde zu einem weiteren
ri si ko fak tor für ganz europa und für die ge‑
samte westliche Welt.
In dieser Lage ist es wichtig, gedanklich
und sprachlich die Nerven zu behalten. Groß‑
britannien ist nicht auf dem Weg in die Dik‑
tatur. Sobald das Unterhaus Mitte Oktober
wieder zusammentritt, kann es jederzeit dem
regierungschef das Vertrauen entziehen und
einen neuen premierminister ins Amt bringen
(wenn sich die Abgeordneten auf einen Kandi‑
daten zu verständigen vermögen). ebenso ist
keineswegs sicher, wie lange Johnson die Un‑
terstützung seiner partei, der tories, behält.
Die normalen Mechanismen, die der Macht
der regierung Grenzen ziehen, sind in Groß‑
britannien mitnichten außer Kraft gesetzt.
Bislang jedenfalls nicht.
Vor allem jedoch muss man sich klarma‑
chen, dass Gut und Böse im Kampf zwischen
dem premier und seinen Gegnern durchaus
nicht so eindeutig verteilt sind, wie viele
Kommentatoren es darstellen. Das britische
Grund‑ und Kernproblem ist nicht die ruch‑
losigkeit des regierungschefs, sondern die
tatsache, dass das Land drei Jahre nach einem
knappen, aber klaren referendums‑Votum für
den Brexit noch immer nicht aus der eU aus‑
geschieden ist.
Die Verantwortung dafür liegt in erster
Linie beim Unterhaus. Die Abgeordneten der
oppositionellen Labour‑partei und der Libe‑
raldemokraten, die jetzt so kraftvoll gegen
die No‑Deal‑Gefahr streiten, hatten dreimal
die Gelegenheit, den Deal zu verabschieden,
den Johnsons Vorgängerin theresa May mit
der eU ausgehandelt hatte. es braucht nicht
viel populistisches Genie, um vor diesem
Hintergrund antiparlamentarische Gefühle
zu schüren. Auch ist es keine demagogische
erfindung, dass ein harter Kern von eU‑
Freunden in Großbritannien das resultat der
Volksabstimmung einfach nicht akzeptiert
und prinzipiell nicht umsetzen will. Das
kann man mit gutem Grund undemokratisch
nennen.
Nichts davon rechtfertigt eine taktik der
verbrannten konstitutionellen erde, um den
Brexit nun endlich durchzusetzen. Doch auch
hier, wenn es um die Wahl der politischen und
institutionellen Mittel im jetzigen Konflikt
geht, lohnt es sich, genauer hinzusehen. Man
wird feststellen, dass Boris Johnsons Wider‑
sacher keineswegs so heldenmäßig dastehen,
wie viele glauben. Das Gesetz, mit dem das
Unterhaus der regierung den No‑Deal‑Brexit
verboten hat, ist verfassungspolitisch fragwür‑
dig, um das Mindeste zu sagen: Die Legislative
will damit faktisch beim wichtigsten thema
des Augenblicks die regierung des Landes
übernehmen, was nun einmal die zentrale Auf‑
gabe der exekutive ist. Kaum überzeugender
wirkt die Strategie der Opposition, Johnson an
raschen Neuwahlen zu hindern. Wie kann
man den premierminister als gefährlichen
Willkürherrscher hinstellen, aber gleichzeitig
die Chance ausschlagen, ihn schnellstmöglich
abwählen zu lassen?
Das alles bedeutet keineswegs, dass Boris
Johnsons Kurs richtig oder klug wäre. Das
risiko, das er mit seiner Brexit‑politischen
Aggressivität eingeht, ist enorm: es droht eine
Verwandlung des traditionell eher entspannten
britischen Konservativismus in eine res sen ti‑
ment ge la de ne nationalistische rechte. Die
Folgen für die politische Kultur, im Ver ei nig ten
Königreich und womöglich darüber hinaus,
wären unheilvoll. Das ist das Feld, auf dem
man die Auseinandersetzung mit der regierung
in London suchen soll. Aber dass Boris John‑
son die Demokratie zugrunde richten würde,
ist eine Legende.
http://www.zeit.de/audio http://www.zeit.de/audio
D
ass Donald trump nun John
Bolton, seinen dritten Sicher‑
heitsberater, gefeuert hat, besagt
erst einmal gar nichts. Die Zahl
der Vertriebenen und Vergraulten
in seiner regierung geht auf die hundert zu,
darunter Außen‑, Verteidigungs‑ und Justiz‑
minister. trump ist ein Unikum in der Geschich‑
te der USA – willkürlich, unberechenbar und
absolut illoyal. Wer ihm dient, sollte sich schon
vor Amtsantritt um den nächsten Job kümmern.
trotzdem wurzelt die Affäre Bolton im po‑
litischen Widerstreit. Bolton war seit je der
Mann mit dem Messer zwischen den Zähnen,
sei es als Kommentator, sei es als Diplomat für
Bush jr. Vorgegeben war das Zerwürfnis mit
trump nicht, teilten sie doch die gleichen ideo‑
logischen reflexe. Bolton war schon immer ein
»America‑firster«, der Multilateralismus und
Souveränitätsverzicht verabscheute. Die eU ver‑
achtete er ob ihrer länglichen prozeduren als
»außenpolitischen Wiederkäuer«. Sein Lieb‑
lingsprojekt war der regimewechsel von tehe‑
ran bis Caracas. Die iranische Atomrüs tung
hätte er am liebsten mit Gewalt gestoppt.
Hier musste er mit trump kollidieren, zu
dessen Untugenden nicht die Kriegslust gehört.
er böllert mit platzpatronen. Seine Devise:
»Keine neuen Kriege in Mittelost«. trumps an‑
visierter Deal mit den taliban war Bolton ein
Gräuel. Offenbar war es seine letzte Großtat,
den Chef davon abzuhalten, die Gotteskämpfer
nach Camp David einzuladen. trump, heißt es,
sei deshalb sehr »irritiert« gewesen. Der Diener
hat dem Boss dagegen nie verziehen, dass der in
letzter Minute einen Vergeltungsschlag gegen
den Iran abgeblasen hatte.
Im Militärischen waren trump und Bolton
wie taube und Falke. Doch entscheidend war
das persönliche: Die beiden haben sich nie für‑
einander erwärmt, was im Hause Donald für
kurze Karrieren sorgt. Wird trumps Außen‑
politik jetzt »diplomatischer«? Kaum. Der
Mann hört nicht auf seine Berater, geschweige
denn, dass er Akten liest. Sein Leitstern ist das
rampenlicht. Wenn gerade nichts Besseres
läuft, feuert er jemanden, um so ins Fernsehen
zu kommen. In dieser Woche werden sie wie‑
der alle nur über the Donald reden. Wie es
die regie der trump‑Show fordert.
http://www.zeit.de/audio
W
er für die eU arbeitet, muss
seine nationale Herkunft ab‑
streifen: Diesen Gedanken
hat Ursula von der Leyen in
etwas abgewandelter Form
geäußert, als sie in Brüssel ihr team vorstellte.
Der Mann aus Ungarn dient nicht Ungarn, die
Frau aus Schweden nicht Schweden, der Mann
aus Italien nicht Italien. Das gilt für alle 27 Kom‑
missare. Und es gilt auch für von der Leyen
selbst. Dass sie Deutsche ist, hat man zuletzt
bei ihrer Nominierung zur präsidentin der eU‑
Kommission wahrgenommen. Also: 13 Frauen
und 14 Männer aus insgesamt 27 National‑
staaten im Dienste der Sache namens europa.
Die Kommission als eine Art Kloster, in dem
die reine Lehre gelebt wird. Man kann diese
Vorstellung gut finden. Aber sie entspricht nicht
der Wirklichkeit.
Von der Leyen hat bei ihrer Mannschafts‑
aufstellung auf nationale Besonderheiten
rücksicht genommen. Italien hat ein problem
mit seiner Haushaltsdisziplin, der Italiener
paolo Gentiloni wird sich als Wirtschaftskom‑
missar darum kümmern. In Osteuropa gibt es
probleme mit der rechtsstaatlichkeit. Die
tschechin Věra Jourová erhält das entsprechen‑
de Dossier in Brüssel, und der Ungar László
trócsányi wird sich um das thema erweite‑
rung kümmern. Die einzelnen Kandidaten
mögen hochkompetent sein, doch ihre Nomi‑
nierung ist ein Signal in richtung jener Mit‑
gliedstaaten, mit denen Brüssel zuletzt aus un‑
terschiedlichen Gründen in Konflikt geriet.
Von der Leyen will befrieden und einbin‑
den. europa hat sie zur alles überragenden Idee
erhoben und dieser das potenziell Abschre‑
ckende genommen. Das ist geschickt. Die Grä‑
ben, die sich in den vergangenen Jahren zwi‑
schen Ost und West und zwischen Nord und
Süd aufgetan haben, wird sie damit aber nicht
zuschütten können. Sie hat Macht, aber die
Mitgliedsstaaten sind mächtiger. Sie wird mo‑
derieren müssen. Das kann sie erfolgreich tun,
wenn alle anderen vergessen, dass sie Deutsche
ist. Keine leichte Aufgabe, aber von der Leyen,
der gebürtigen Brüsselerin, kann sie gelingen.
Lesen Sie auch den politischen Fragebogen mit eU‑
Kommissarin Margrethe Vestager, Politik Seite 7
Buhmann Boris
Der britische premierminister ist ein politischer Abenteurer,
aber eine Gefahr für die Demokratie ist er nicht VON JAN ROSS
Das jüngste Opfer
der Tr u mp - Show
Amerikas Außenpolitik wird damit
nicht diplomatischer VON JOSEF JOFFE
Europas
L e ye n -Tr u p p e
Die neue präsidentin macht sich erst
mal beliebt VON ULRICH LADURNER
EU-KOMMISSION BREXIT JOHN BOLTONS RAUSWURF
Wissenschaft
Titelfoto: Emmanuel Pierrot