Die Zeit - 12.09.2019

(singke) #1

65


LESEPROBE


Von CHRISTOPH AMEND Fotos SIMON EMMETT

Es ist Anfang Juni, ein Garten in
Rom, am Rand der Stadt, Oliven-
bäume, Sträucher und mittendrin
Willem Dafoe, einer der prägenden
amerikanischen Schauspieler seiner
Ge ne ra tion, mehr als 100 Filme,
vier Oscar-Nominierungen, im ver-
gangenen Jahr auf der Berlinale für
sein Lebenswerk ausgezeichnet. Si-
mon Emmett, der Willem Dafoe an
diesem Tag für das Z E I Tm a g a z i n
MANN fotografiert, hat seine Play-
list angemacht, es läuft Alphabet
Street von Prince. Willem Dafoe
steht vor einem Holztor im Halb-
schatten und tanzt, er bewegt sei-
nen Körper im Beat des Songs hin
und her, klatscht in die Hände, in
seinem markanten Gesicht ist ein
entspanntes Lächeln zu sehen.
»Ich bin ein Tänzer«, sagt Willem
Dafoe später, als wir an einem
Tisch unter einem Sonnenschirm
sitzen. »Ich liebe es auch, auf Büh-
nen zu tanzen, ich liebe Tango, frü-
her war ich deshalb oft in Buenos
Aires, heute bin ich etwas aus der
Übung.« Dass er aus der Übung ist,
kann er nur auf den Tango bezogen
meinen, der 64-Jährige ist in Form.
»Ich mache jeden Morgen direkt
nach dem Aufstehen meine Yoga-
übungen, eine halbe Stunde, egal
wo ich bin«, sagt er.
»Ich bin übrigens wirklich eher ein
Tänzer als ein Schauspieler.« Wie
meint er das? »Ich habe großes Ver-
trauen in die Intelligenz des Kör-
pers. Wäre ich ein Regisseur und
hätte eine bestimmte Rolle zu be-

setzen, würde ich dem Schauspieler
immer sagen: Gehen Sie mal dort-
hin«, Dafoe zeigt auf einen zehn
Meter entfernten Olivenbaum,
»und dann wieder zurück.« Wa-
rum würde er das tun? »Der Gang
eines Menschen, wie er durchs Le-
ben läuft, verrät so viel über ihn.«
Wenn es ums Drehen gehe, so Da-
foe, »beschäftige ich mich weniger
mit Psychologie und Gefühlen,
sondern damit, eine Aufgabe zu er-
füllen. Das ist der Ansatz eines Tän-
zers. Die Aufgabe erfüllen zu wol-
len führt mich in einen Zustand,
in dem ich offener werde, flexibler,
auch emotionaler, und bei einem
guten Regisseur beginnt dann die
gemeinsame Arbeit: Er führt mich
in eine Welt, in der er mich haben
will, und ich helfe ihm, weil ich die
Rolle in dieser Welt übernehme und
ihm von dort erzähle.« Willem Da-
foe macht eine kurze Pause. »War
das jetzt zu abstrakt?« Er lacht.
Wenn der Gang so viel über den
Menschen erzählt, wie würde er sei-
nen eigenen beschreiben? »Darüber
habe ich erst gestern Abend nach-
gedacht. Ich mache Meditations-
übungen, bei denen man viel läuft,
da beschäftigt man sich mit solchen
Fragen. Ich glaube, ich laufe ziem-
lich aufrecht, zumindest hat man
mir das gesagt. Aber es geht schon
bei der Art los, wie Sie Ihre Füße
auf den Boden stellen, da gibt es so
viele verschiedene Möglichkeiten.
Und all das hat auch immer mit
Ihrem gegenwärtigen Zustand zu

tun.« Wie ist sein Zustand gerade?
»Mir geht es gut. Das Fotoshoo-
ting ist gut gelaufen, ich unterhalte
mich mit Ihnen, ich spüre keine
Gefahr, ich kann über Dinge reden,
die ich liebe. Und ich denke über
mein Leben nach.«
Willem Dafoe wird am 22. Juli
1955 in der Kleinstadt Apple ton in
Wisconsin geboren, als zweitjüngs-
tes von acht Kindern eines Chirur-
gen und einer Krankenschwester.
Das heißt: Eigentlich heißt Willem
Dafoe mit Vornamen William.
Stimmt die Geschichte, dass er sich
umbenannt hat, weil er nicht sein
Leben lang Billy genannt werden
wollte? »Das ist richtig«, sagt er.
»Ich bin in einer großen Familie
aufgewachsen, da versuchst du
natürlich, dir dein eigenes Terrain
abzustecken, dir deine eigene Iden-
tität zu erkämpfen. Meine Familie
war so riesig, selbst wenn ich am
anderen Ende der Stadt war, hieß
es sofort: ›Ah, ein Dafoe!‹«

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Das ausführliche Porträt lesen Sie
in der neuen Ausgabe. Außerdem:
Désirée Nosbusch erzählt
von den Männern ihres Lebens und
Ian McEwan von seinen Helden

Der Schauspieler überlegt,


was sein eigener Gang über ihn verrät


»ICH BIN EIN


TÄNZER«

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