Die Zeit - 12.09.2019

(singke) #1

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Herr Trepte, waren Sie ein guter Schüler?
Nein. Ich war nicht dumm, aber ich habe


mich gelangweilt. Langeweile ist in der
Schule das Schlimmste. Mein Vater musste


da viel ausbaden, weil ich ein Flegel war.
Ich habe aus Desinteresse am Stoff das


Klassenzimmer zur Bühne erklärt. Und ich
suchte die direkte Konfrontation.


Wie sah das aus?
Ich habe mich richtig gestritten mit den


Lehrern. Ich hatte damals schon viel ge­
lesen, Brecht, Schiller, und ich dachte,


das, was ihr mir hier vorsetzt, brauche ich
nicht. Eine Lehrerin ist meinetwegen ein­


mal weinend aus dem Klassenzimmer ge­
gangen. Heute denke ich, das war taktlos


von mir. Aber ich habe mich nach etwas
gesehnt, das mich interessiert. Aus Lange­


weile habe ich damals Kameras und Story­
boards in die Hefte gekritzelt.


Sie haben schon mit 13, in der 7. Klasse,
angefangen zu drehen.


Ja, da war ich gerade aufs Gymnasium ge­
kommen und habe das Probehalbjahr ge­


rade so bestanden, obwohl ich zwischen­
durch einen Tatort gedreht hatte. Dann


gab es weitere Anfragen, und im zweiten
Halbjahr habe ich das nicht mehr ge­


packt. Ich wusste da aber schon, dass ich
Schauspieler werden wollte und dass das,


was ich lerne, nicht zukunftsentscheidend
für mich ist.


Wieso war Ihnen das schon so früh klar?
Das war natürlich eine Entwicklung, aber


ein Erlebnis hat eine wichtige Rolle ge­
spielt: ein Konzert von Rammstein, das ich


2001 in Riesa mit meinem Vater besucht
habe. Das war für mich wirklich einschnei­


dend. Für mich sind Rammstein die Brü­
der Grimm der Gegenwart: mystisch, laut,


böse, provokativ – ein dunkles Märchen.
Das hatte eine totale Anziehungskraft auf


mich. Als ich nach dem Konzert mit mei­
nem Vater, der in der DDR ein bekannter


Rockmusiker gewesen war, wieder im Ho­
tel war, kam plötzlich die Band rein. Ich


habe sie alle auf einem Konzertplakat un­
terschreiben lassen, das mir dann gestoh­


len wurde, sodass ich am nächsten Tag an
den Tourbus klopfte und sie alle noch mal


auf einer CD habe unterschreiben lassen.


Von dem Moment an wollte ich eigentlich
Rockstar werden, ich wollte die Musik, ich
wollte dieses Leben. Ich wollte die Bühne.
Und die habe ich dann in der Schauspiele­
rei gefunden, weil meine Mutter mich bei
einer Castingagentur angemeldet hatte.
Wie lange sind Sie dann noch zur Schule
gegangen?
Ich bin zur achten Klasse auf die Real­
schule gewechselt. Kurz vor dem Realschul­
abschluss habe ich dann angefangen, einen
Kinofilm zu drehen, und meinen Abschluss
mit Ach und Krach bestanden.
Was war für Sie am Set der wichtigste
Unterschied zur Schule?
Dass ich ernst genommen wurde. Als ich
mit 13 den Tatort drehte, saß mir der Re­
gisseur gegenüber, ein erwachsener Mann,
und der stellte mir ganz intelligente Fra­
gen – wie ich das Leben sehe, was mich
interessiert. Lehrer haben ja gar keine Zeit,
so individuell auf Schüler einzugehen, das
verstehe ich auch.

Sie sind am Set erwachsen geworden.
Wie war das rückblickend für Sie?
Während meine Freunde Abitur machten
und studierten, bin ich schon viel gereist,
habe gedreht, eigenes Geld verdient ... Das
war eine große Verantwortung. Und ich
habe mit 16 viel mehr Zeit mit 35­Jähri­
gen verbracht als mit Gleichaltrigen. Ich
war plötzlich unter Menschen, die sich alle
schon gefunden hatten oder bereits in der
Midlife­Crisis steckten. Rückblickend war
das schwierig: Vielleicht hatte ich nicht die
Zeit, mich ruhiger entwickeln zu können.
Zwischen 16 und 23 knallte es bei mir ja
nur so. Filme, Preise, alles flog mir zu. Mit
23 habe ich dann das Gefühl gehabt, ich
muss da mal kurz raus.
Mit 23 wurden Sie auch zum ersten Mal
Vater. Hat Ihnen das geholfen, mehr
Ruhe in Ihr Leben zu bringen?
Ja, total. Ich war vorher zwar nicht nur ge­
trieben, aber als meine Tochter geboren
wurde, fing ich an, Dinge abzustecken: Was
ist denn jetzt wirklich entscheidend? Ich
drehe nicht mehr alles, selektiere stärker, ich
sehne mich auch mehr nach meinem Zu­
hause, während ich es früher geliebt habe,
ständig unterwegs zu sein. Und der Blick
verändert sich: Alles ist weniger schwer, die
Dinge werden kleiner. Ich mache gerade
meinen Flugschein, und beim Fliegen ist
es ganz ähnlich. Alles relativiert sich.
Sind Sie in der Luft angstfrei?
Ich bin grundsätzlich angstfrei. Ich fahre
Motorrad, habe Bootsführerscheine – ich
liebe alles, was motorisiert ist, ich liebe die
Beschleunigung, das Adrenalin. Beim Flie­
gen abzuheben und plötzlich frei zu sein,
die Einsamkeit oben in der Luft, das ist für
mich die schönste Form der Meditation.
Fällt Ihnen das Lernen für den Flug-
schein leichter als in der Schule?
Wenn man das unbedingt will, muss man
da durch. Es ist auch interessant, wie man
plötzlich das Wetter versteht zum Bei­
spiel. Und ironischerweise habe ich frü­
her in der Schule gedacht: Trigonometrie,
wozu brauche ich das? Jetzt weiß ich es:
für den Flugschein. Foto

Christoph Hardt

/^ Geisler

­Fotopres

/^ dpa Picture

­Alliance

Vater zu werden half dem Schauspieler, mehr Ruhe in sein Leben zu bringen


Im nächsten Heft: Die Schauspielerin Andie MacDowell träumt – und sorgt sich um die Zukunft ihrer Enkelkinder.


Die Deutschlandkarte verrät, woher die Intendantinnen und Intendanten der größten Theater stammen


Das war meine Rettung LUDWIG TREPTE


Ludwig Trepte, 31, wurde in Ost-
Berlin geboren. Er gehört zu den
populärsten deutschen Schauspielern,
gewann viele Preise. Ab dem 15. 9.
ist er im ZDF-Dreiteiler »Die neue Zeit«
zu sehen, der die Geschichte des
Bauhauses erzählt. Trepte hat zwei
Kinder, er lebt in Berlin

Das Gespräch führte Anna Kemper
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