16
Hans-Georg Küppers raucht draußen eine Zigarette, ob-
wohl es in Strömen regnet. Er steht vor der Tür des Ein-
stein 28, der zweitgrößten Zweigstelle der Münchner
Volkshochschule. Der Ort war Küppers Wunsch, er passt
zu ihm, zu seiner Arbeit, zu der Art und Weise, wie er
zwölf Jahre lang das Münchner Kulturreferat geleitet hat,
bis zum Sommer, als er in Rente ging. Und der Ort passt
auch deshalb, weil sein erster Arbeitsplatz die Volkshoch-
schule Oberhausen war, damals, 1984. Küppers hat einen
allumfassenden Kulturbegriff, Stadtteilbibliotheken gehö-
ren genauso dazu wie Opern. Er nennt das »Grundlagen
arbeit«. Küppers zieht noch einmal an seiner Zigarette,
dann klettert er auf halbe Höhe der »Common Wall«, eines
fünf Meter hohen Kunstwerks von Daniel Man, Ina Kapi-
tola und Sebastian Giussani, bestehend aus schwungvollen
abstrakten Formen in Blautönen, Grün, Gelb und Pink.
Fürs Gespräch zieht er aber doch lieber einen Stuhl vor.
Herr Küppers, Sie sind seit einigen Wochen in Rente. Bisher
hat man Sie in München noch auf keiner Kulturveranstal-
tung gesehen. Ist Ihnen die Lust vergangen?
Nein, natürlich nicht, aber ich halte mich gerade ganz be-
wusst fern. Das hat auch damit zu tun, dass ich es meinem
Nachfolger etwas leichter machen möchte. Das ist ja sonst
eine schwierige Situation. Man ist der Neue, aber der »Alte«
springt noch die ganze Zeit rum. Ich würde das seltsam fin-
den. Deshalb mache ich eine kleine Pause. Allerdings nur
bis zum 28. September, da schauen wir uns König Lear in
den Kammerspielen an.
»Wir« bedeutet?
Meine Frau und ich. Mit ihr gehe ich am liebsten zu Ver-
anstaltungen. Dann können wir gleich über das reden, was
wir gerade erlebt haben.
Musste Ihre Tochter früher auch mit Ihnen ins klassische
Konzert und ins Theater?
Um Gottes willen, das wollte ich dem Kind nicht antun!
Wollten Sie mit 15 oder 16 in ein klassisches Konzert? Ich
nicht! Für mich waren Fußball und Rockkonzerte wesent-
lich wichtiger. Ich bin davon überzeugt, dass es keinen Kul-
turzwang geben darf. Ältere Menschen wie ich dürfen Kin-
der nicht dazu erziehen, das zu mögen, was man selber gut
findet. Sie haben ihre eigene Welt und ihre eigene Kultur,
von der ich manchmal nichts verstehe.
Und wie entstand dann bei Ihnen die Liebe zur sogenann-
ten Hochkultur?
Aus Zufall. Ein Freund hat zu mir gesagt: »Sollen wir mal
auf ein klassisches Konzert gehen? Ich habe zwei Karten
von meinen Eltern.« Und dann fand ich die Idee spannend,
mir eine völlig fremde Welt anzuschauen. Irgendwann
wird man von dieser fremden Welt verzaubert. Ein Bei-
spiel: In der Schule mussten wir den Faust lesen. Furcht-
bar prickelnd fand ich den nicht. Später habe ich Faust im
Theater gesehen. Allein die Stimmgewalt der Menschen
auf der Bühne, die die Sätze mit einer bestimmten Inter-
pretation sprechen! Mit Betonung, Gestik und Mimik hat
der Text auf einmal Sinn gemacht. Das hat mich gewaltig
beeindruckt.
Freuen Sie sich darauf, wenn Sie jetzt Kultur wieder ein-
fach so genießen können – und es nicht als Ihre Arbeit be-
trachten?
Ja, sehr. Ich war in München zwölf Jahre lang niemals
privat auf einer Kulturveranstaltung, sondern immer als
Funktionsträger. Und deshalb wurde ich auch immer –
vorher, in der Pause, hinterher – angesprochen. Ständig
kam jemand und sagte: »Gut, dass ich Sie hier treffe, Herr
Küppers! Ich habe da eine Riesenidee!« Natürlich gehört
das dazu, aber es ist mit den Jahren für mich sehr anstren-
gend geworden, jedem gerecht zu werden.
Das klingt jetzt fast ein bisschen so, als sei eine Last von
Ihnen abgefallen.
Ich habe es als ein sehr schönes Gefühl empfunden, den
Schlüssel vom Büro und auch die Verantwortung fürs Kul-
turreferat abgeben zu können. Im Referat, in dem gemein-
Hans-Georg Küppers, 65, wurde in Oberhausen
geboren und studierte Germanistik, Philosophie
und Pädagogik in Bonn. Er leitete den Fachbereich
Kulturelle Bildung an der Volkshochschule
Oberhausen und war Referatsleiter für Regionale
Kulturpolitik des Landes Nordrhein-Westfalen.
2 0 07 wurde er Kulturreferent in München