Die Zeit - 12.09.2019

(singke) #1

RECHT & UNRECHT 18



  1. September 2019 DIE ZEIT No 38


D


ie Suche endet in beirut. es
ist der morgen des 9. Januar
2019, 10 Uhr, und auf einer
Dienststelle des libanesischen
Kriminalamtes beginnt die
Vernehmung einer Frau, von
der die deutschen ermittler
lange nicht sicher waren, ob es sie überhaupt gibt.
»mein Name ist Zeinab«, sagt sie und ergänzt:
tochter des bahri F., geboren in beirut, wohnhaft
in der Innenstadt. Hausfrau, Libanesin, verheiratet.
Dann beginnt die befragung durch die liba­
nesischen beamten, die Amtshilfe leisten für ihre
deutschen Kollegen. Die Übersetzung der Ver­
nehmung liegt der ZEIT vor. Zeinab bahri F.
spricht darin über Hunderttausende euro bar­
geld und eine Überweisung nach Deutschland.
Und sie spricht über die Immobilien, die in
Deutschland in ihrem Namen gekauft wurden.
monatelang hatten die ermittler in Deutschland
auf diesen moment gewartet. Die Vollmacht für
eine Verwandte in berlin war die einzige Spur,
die Zeinab bahri F. bis dahin hinterlassen hatte.
Ausgestellt in beirut, beglaubigt von der deut­
schen botschaft.
Die Vernehmung könnte das fehlende puzzle­
stück sein in einem der spektakulärsten ermitt­
lungsverfahren der vergangenen Jahre. 77 Immo­
bilien wurden beschlagnahmt, gegen 21 beschul­
digte wird wegen des Verdachts der Geldwäsche
ermittelt. Auf der einen Seite: die Familie r., eine
berüchtigte arabische Großfamilie aus berlin. Auf
der anderen Seite: der deutsche Staat. es ist ein
Duell, das rechtsgeschichte schreiben könnte.
Denn erstmals steht den ermittlern in berlin ein
neues Gesetz zu Verfügung: Ähnlich wie in Italien
dürfen richter jetzt auch in Deutschland das
eigen tum aus mafiösen Strukturen einziehen, ohne
dass dafür eine konkrete Straftat nachgewiesen wer­
den muss. einige Juristen sehen darin das ende des
rechtsstaats. Für andere ist die neue regelung seine
letzte rettung. Für die Familie r. wird sie zu einer
bedrohung. Denn sie ist ein Angriff auf ihre Stel­
lung in der Halbwelt der Hauptstadt.
Immer wieder kam es in den letzten Jahren zu
spektakulären Straftaten, deren Spuren die ermitt­
ler zur Familie r. führten. etwa als mehrere män­
ner eine 100 Kilogramm schwere Goldmünze aus
dem bode­museum stahlen. Ihr materialwert:
3,75 millionen euro. Oder der einbruch in ein
Juweliergeschäft im Kadewe: es wurden Schmuck
und Uhren im Wert von 2,5 millionen euro ge­
raubt. Insgesamt 1146 Vorgänge zählte das berli­
ner Landeskriminalamt (LKA) laut einem Vermerk
zwischen 2008 und 2018, bei denen mitglieder
der Familie r. verdächtigt wurden. Verurteilt wur­
den sie nicht immer. Das LKA schätzt die Höhe
der beute auf rund 17,5 millionen euro. politik
und ermittler wollten ein Zeichen setzen, als im
Juli 2018 die 77 Immobilien beschlagnahmt wur­
den, die der Familie r. zugerechnet wurden; da­
runter auch die von Zeinab bahri F. aus beirut.
»Der rechtsstaat hat wieder gezeigt, wie stark er
ist«, sagte der berliner Innensenator Andreas Gei­
sel (SpD). Doch wie stark ist er wirklich?
Die ZEIT konnte die Akten des ermittlungs­
verfahrens gegen die mitglieder der Familie r. ein­
sehen. Vor vier Jahren haben die ermittlungen
begonnen, laut Akten mit einer zufälligen entde­
ckung. Im Sommer 2015 verdächtigen die ermitt­


ler einen mann aus der Familie r., gemeinsam mit
Komplizen in mindestens eine Sparkassenfiliale
eingebrochen zu sein. Sein Name: Karim r. Der
von einem ermittlungsrichter angenommene
Schaden: »mindestens mehrere 100.000 euro bis
mehrere millionen euro«. Die Staatsanwaltschaft
beantragt, das telefon von Karim r. durch das
LKA berlin abhören zu lassen. Die beamten sollen
an weitere Informationen über die einbrüche ge­
langen – und werden Zeuge von Verhandlungen
über Immobiliengeschäfte. Karim r. kauft im Juli
2015 zwei Wohnungen im Wert von insgesamt
184.000 euro. In den folgenden Wochen hören
die beamten, wie er sich für weitere Immobilien
interessiert und mit einer großen maklerfirma
über Angebote und exposés korrespondiert. r. er­
kundige sich »derzeit permanent nach ankauffähi­
gen Objekten«, notiert ein ermittler. Der preis der
Immobilie scheint dabei keine rolle zu spielen.
Noch im August kauft er eine weitere Wohnung
für 160.000 euro. ein Wohnhaus, für das er sich
offenbar ebenfalls interessiert, hat einen Kaufpreis
von 1,88 millionen euro. Die Fahnder wundern
sich: bis zuletzt hatte der Abgehörte staatliche
Leistungen bezogen. Woher kam das viele Geld?
Im Herbst 2014 hatte ein bruder von Karim r.
bei einem einbruch in eine berliner Sparkassen­
filiale aus mindestens 258 Schließfächern bargeld,
Schmuck und Gold im Wert von mehr als zehn
millionen euro gestohlen. er wurde verurteilt,
aber bis heute ist der Großteil der beute ver­
schwunden. »es bestand daher der Verdacht«,
schreibt ein ermittler des LKA in einem internen
bericht, »dass teile der tatbeute in den Ankauf
dieser Wohnungen geflossen sind.« Während das
ursprüngliche Verfahren gegen Karim r. einge­
stellt wird, erstatten die beamten im September
2015 Anzeige wegen Geldwäsche. bereits vor der
telefonüberwachung hatte ihr mann eine Immo­
biliengesellschaft mit 25.000 euro Stammkapital
gegründet. Außerdem hatte er mit einer Vollmacht
im Namen eines taxifahrers aus beirut, laut er­
mittlern ein Strohmann, für 348.000 euro zwei
weitere Immobilien in berlin gekauft. »er ist an­
gesichts des derzeitigen Zustroms an Flüchtlingen
dabei, Objekte zu erwerben, die dann entspre­
chend den behörden als Unterkünfte angeboten
werden können«, notieren die beamten. Die Spur
des Geldes führt in den Libanon.
In den Kontoauszügen der ehefrau von Karim r.
fallen zwei verdächtige Überweisungen auf. es sind
Grundsteuerzahlungen für zwei Wohnungen in
einem Altbau in der Sonnenallee im Szenebezirk
Neukölln. Vor einigen Jahren gehörten sie der Frau
von Karim r. Dann verkaufte sie die Wohnungen
weiter an eine Frau aus beirut: Zeinab bahri F. Als sie
die Grundsteuern überweist, lange nach Abschluss
des Kaufvertrags, ist F. noch nicht offiziell als eigen­
tümerin eingetragen. Die Zahlungen seien jedoch im
Namen von F. geleistet worden, schreibt eine ermitt­
lerin. bei F. handele es sich um ein mitglied der Fa­
milie r. es könnte sich, so die ermittlerin, um die
ehefrau eines »seit 1992 wegen totschlags gesuchten
flüchtigen« mannes aus der Familie r. handeln. In
ihrer Vernehmung zwei Jahre später in beirut wird
Zeinab bahri F. das bestätigen. Ihr mann ist der
Schwager von Karim r. Das LKA weitet seine ermitt­
lungen auch auf Zeinab bahri F. aus und stößt auf
weitere Immobilien. Allein in dem Haus in der Son­
nenallee besitzt F. rund 30 Wohnungen. Insgesamt

erwarb sie in berlin und brandenburg mehr als 50
Wohnungen, Grundstücke und Häuser. Die Frau aus
beirut ist in Deutschland eine Großgrundbesitzerin.
Die mieteinnahmen der Wohnungen nur aus der
Sonnenallee betragen nach ZEIT-Informationen
knapp 300.000 euro im Jahr.
In ihrer Vernehmung in beirut beteuert Zeinab
bahri F., nie etwas von den einnahmen erhalten zu
haben. Sie habe nicht einmal ein deutsches bank­
konto. Vor Jahren habe sie von einer Freundin in
beirut 300.000 euro in bar erhalten und sie an
deren tochter nach berlin
überwiesen. Sie habe dieser
tochter außerdem die Voll­
macht ausgestellt, in ihrem
Namen in berlin Immobilien
zu erwerben und dafür eine
Firma zu gründen. Sich selbst
trug die Frau als Geschäfts­
führerin ein. Die weiteren
Immobilien seien aus miet­
einnahmen finanziert wor­
den, sagt F. Ihr mann habe
ihr gesagt, dass die Firma zwei Immobilien, ein
Stück Agrarland und einen Ausstellungsplatz für
Autos besitze. »Das ist alles, was ich weiß«, sagt F.
Ihr mann ist auch mit der Geschäftsführerin in
berlin verwandt, ihr ehemann ist sein bruder.
es ist ein schier unmögliches Unterfangen, die
Verwandtschaftsverhältnisse einer arabischen Groß­
familie zu durchleuchten. Laut eines Vermerks der
Staatsanwaltschaft umfasst die Familie r. in berlin
mehr als 150 mitglieder. Die LKA­beamten er­
stellen zur Orientierung ein Diagramm der Fami­
lie r. und unterteilen die beteiligten mitglieder in
zwei Stränge. Auf der einen Seite Karim r., seine
brüder und deren Söhne, die auch mehrere Im­
mobilien besitzen. Auf der anderen Seite Zeinab
bahri F. aus beirut, ihr mann, dessen brüder und
seine Schwägerin. Verbunden werden beide Stränge
durch die ehefrau von Karim r.
ein ebenso unübersichtliches Geflecht aus
mutmaßlichen Strohmännern, Überweisungen aus

dem Libanon und anderen dubiosen Vereinbarun­
gen umgibt die beiden Stränge der Familie. Da
sind die Grundschulden in Höhe von mehreren
millionen euro, die in den Dokumenten der Im­
mobilien von Zeinab bahri F. zugunsten der mut­
ter ihrer Geschäftsführerin eingetragen sind. Da
sind gleich mehrere männer im Libanon, die
sechsstellige eurobeträge nach Deutschland über­
wiesen haben und in ihren Vernehmungen in
beirut erklären, sie hätten das Geld zuvor in bar
oder als Scheck erhalten. Da ist der Notar in ber­
lin, der die Kaufverträge be­
urkundete, einige der Häuser
verwaltete und gegen den
wegen seiner beteiligung an
den zwielichtigen Geschäften
ebenfalls ermittelt wurde. Das
Verfahren wurde eingestellt.
Und dann sind da noch die
beiden Schwager von Zeinab
bahri F., brüder ihres ehe­
manns, einer von ihnen der
mann der Geschäftsführerin.
Keiner der beiden männer taucht als besitzer einer
Immobilie in den Akten auf. Der ermittelnde
Staatsanwalt hält in einem Vermerk sogar fest, dass
sich ein »verfahrensgegenständlicher Zusammen­
hang« bei dem ehemann der Geschäftsführerin
aus den Akten nicht ergebe. Derzeit sitzen beide
jedoch in Untersuchungshaft. Sie sind am Land­
gericht berlin unter anderem wegen gefährlicher
Körperverletzung angeklagt. In der Anklageschrift
vom Januar wirft die Staatsanwaltschaft ihnen vor,
im Streit um ein Grundstück einem mann die
Nase gebrochen zu haben. Vor zwei Jahren wurde
das Grundstück für 700.000 euro verkauft: an
Zeinab bahri F.
Auf Anfrage bestreitet der Anwalt von einem
der männer die Vorwürfe. er ist der einzige An­
walt der betroffenen mitglieder der Familie r., der
auf die Fragen der ZEIT antwortet.
Die ermittler sehen die Kaufpreise der Immo­
bilien, insgesamt mehrere millionen euro. Sie se­
hen Kontoauszüge der beschuldigten, aus denen
nicht einmal ansatzweise erklärbar ist, woher das
viele Geld stammt. Und sie sehen, dass die besitzer
der meisten Immobilien im Libanon leben. In einem
bericht vermerkt eine LKA­beamtin, das Vor­
gehen sei ein »kriminalpolizeilich bekannter modus
operandi der Geldwäsche«. Nur: Wie soll man das
vor einem Gericht belegen?
Andreas Geisel empfängt an einem Julimorgen
in seinem büro in der berliner Senatskanzlei. Seit
fast drei Jahren ist Geisel als Innensenator im Amt,
die bekämpfung der arabischen Clankriminalität
ist einer seiner Schwerpunkte. Im Vergleich mit
anderen bereichen der organisierten Kriminalität,
sagt Geisel, seien die Summen, um die es bei den
arabischen Clans gehe, deutlich niedriger. Das
problem sei ein anderes. »Die menschen haben
den eindruck, dass der Staat seine regeln nicht
mehr durchsetzt«, sagt Geisel. »Das ist die eigentliche
Gefahr.« Der Kampf gegen die Clans, er ist auch
ein politischer Kampf.
Dabei soll eine Gesetzesänderung, beschlossen
im bundestag, vom Juli 2017 helfen. es sind nur
wenige Sätze, ein neuer Absatz in paragraf 76a des
Strafgesetzbuchs. Das neue Gesetz ermöglicht es
den behörden, einen Gegenstand, der etwa wegen
des Verdachts der Geldwäsche beschlagnahmt

wurde, auch dann endgültig einzuziehen, wenn
»der von der Sicherstellung betroffene nicht wegen
der Straftat verfolgt oder verurteilt werden kann«.
Juristisches Neuland. Zwar entscheiden auch in
Zukunft richter über eine endgültige einziehung
und hören dafür die beschuldigten und die Staats­
anwaltschaft an. Doch es ist vorher keine Verur­
teilung wegen einer Straftat nötig. bei der Geset­
zesänderung wurde festgelegt, dass sich die rich­
ter dabei »insbesondere auf ein grobes missver­
hältnis zwischen dem Wert des Gegenstandes und
den rechtmäßigen einkünften des betroffenen
stützen« sollen. es ist, als wäre das Gesetz für die
Familie r. geschrieben.
Wenig später reagieren die beamten des LKA: es
ergebe sich aus den bisherigen ermittlungen gegen
die mitglieder der Familie r. ein »wenigstens ein­
facher Verdacht« auf Geldwäsche, schreiben sie in
einem internen bericht. Die möglichkeit, dass »die
ermittlungen nicht zu einer für eine Verurteilung
hinreichenden beweislage führen«, habe der Gesetz­
geber mit dem neuen Gesetz bewusst ins Auge ge­
fasst. Die beamten schlagen vor, »die (...) Immobi­
lien zu beschlagnahmen«. mehrmals hatte es früher
nicht für Verurteilungen von Clanmitgliedern aus­
gereicht. Das neue Gesetz wirkt wie ein Sicherheits­
netz. Die ermittler könnten vor Gericht scheitern
und trotzdem erfolg haben.
Anwaltsverbände befürchten, dass dieses Gesetz
der erste Schritt ist zur einführung der beweislast­
umkehr an deutschen Gerichten, zur Abschaffung
der Unschuldsvermutung. »Das recht eines be­
schuldigten zu schweigen ist ein hohes Gut des
rechtsstaats. Das wird durch die neue regelung
angegriffen«, sagt etwa Kersten Woweries. Sie ver­
tritt eine der beschuldigten in dem Verfahren.
Wenn man jemandem eine Straftat nicht nach­
weisen könne, sagt die Anwältin, dann sei die per­
son nicht zu verurteilen. »Und dieselben Anforde­
rungen an den Nachweis einer Straftat sollten auch
für die einziehung von Vermögen gelten.« Andere
Länder wie Irland oder Italien kennen ähnliche
möglichkeiten zur Abschöpfung von angeblichen
taterträgen schon länger, sagt thomas rönnau. er
ist professor für Strafrecht an der bucerius Law
School. »Darauf gestützte einziehungsmaßnah­
men sind bisher vom europäischen Gerichtshof
für menschenrechte überwiegend akzeptiert wor­
den«, sagt er. Wie mehrere prozessbeteiligte geht
aber auch er davon aus, dass der Fall der Familie r.
je nach Ausgang bis vor das bundesverfassungsge­
richt getragen wird. Aber auch so werfe der Fall
weitere Fragen auf, sagt rönnau. etwa ob der Staat
auch die mieteinnahmen der Immobilien einziehen
darf. Im April hatte die Staatsanwaltschaft Hun­
derttausende euro mieteinnahmen der Familie r.
beschlagnahmt. Und es stelle sich die Frage, wie
ein Gericht zu der »richterlichen Überzeugung«
gelangen solle, dass die Immobilien mit kriminel­
lem Vermögen erworben wurden.
es ist ein schmaler Grat, auf dem der rechts­
staat balanciert. es wird dabei auch darauf ankom­
men, für wie glaubwürdig die richter die Aussagen
von Zeinab bahri F. in ihrer Vernehmung in beirut
halten. Sie erklärte sich dort bereit, vor einem
deutschen Gericht auszusagen. Als Kind, erzählte
sie noch, habe sie sechs Jahre in Deutschland ge­
lebt. Vor mehr als 20 Jahren sei sie in den Libanon
zurückgekehrt. In Deutschland war sie seitdem
nicht mehr.

bei ermittlungen gegen arabische Clans scheitern Fahnder oft an deren dubiosen Geschäftspraktiken.


eine umstrittene Gesetzesänderung könnte nun die täter in bedrängnis bringen VON FRITZ ZIMMERMANN


Der Staat gegen Familie R.


Foto:

Illustration: Lea Dohle

VERBRECHEN
DER KRIMINALPODCAST

EIN PODCAST ÜBER VERBRECHEN –
UND WAS SIE ÜBER DIE
MENSCHHEIT ERZÄHLEN
JETZT ANHÖREN:
http://www.zeit.de/verbrechen

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In Berlin müssen bislang viele Verfahren gegen die berüchtigten arabischen Großfamilien eingestellt werden

Illustration: Simon Prades für DIE ZEIT

Bei 1146 kriminellen


Vorgängen wurden


Mitglieder der


Familie verdächtigt

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