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riecht, änderte nichts an seiner Meinung. In München
sind die U-Bahnen pünktlich, die Trams sauber und die
Busse klimatisiert. Die Münchner leben im Paradies,
dachte ich, und sie merken es nicht einmal.
Alles, was an dieser Stadt lebenswert und liebenswert
ist, liegt auf der Straße. Die Art, wie Menschen sich hier
fortbewegen, wie sie Rad fahren und Tram und sogar
Auto, sagt etwas über ihre Seele, mehr als in jeder ande-
ren Stadt. Die SUVs zum Beispiel, über die die Münch-
ner natürlich die Nase rümpfen, obwohl die meisten
in Wirklichkeit selbst einen in der Tiefgarage stehen
haben. Man wäre ja eigentlich gern etwas alternativer,
man findet Berlin ganz aufregend – und sitzt am Ende
eben doch am Gärtnerplatz, mit einem Aperol Spritz
auf dem Tisch, in dem ein schwarzer Plastikstrohhalm
steckt. Der Aperol Spritz ist zwar nicht so mies für die
Umwelt wie der SUV, aber er ist eben auch genau das,
was man in München sein darf, und nur hier: schick,
spießig, beides genießend. Deshalb gehören die SUVs
natürlich zu München, genau wie ihre äußerst freund-
lichen Fahrer. In keiner anderen deutschen Großstadt
habe ich als Radfahrerin so viel selbstverständliches Ab-
standhalten erlebt, so wenig Anhupen, so viel Vorbei-
lassen und freundliche Blicke übers Lenkrad. Eigent-
lich gibt es keine Volksgruppen, die zerstrittener sind
als Rad- und Autofahrer. In München hingegen ist man
lieb zueinander, zuvorkommend, ruhig. Ich glaube, das
ist der größte diplomatische Erfolg, den eine Stadt ha-
ben kann. Schade, dass die, die hier schon lange woh-
nen, nicht merken, wie bemerkenswert das ist.
Wobei nicht immer alles friedlich bleibt. Als die oBikes
einzogen, im Sommer 2017, als plötzlich Tausende
orangegelbe Räder mit Vollgummireifen herumstan-
den, zeigten die Münchner ihre ganze Grantligkeit. Die
Fahrräder schwammen in der Isar, sie hingen in Bäu-
men, sie wurden zertreten und aufeinandergestapelt,
sodass es aussah wie moderne Kunst. Manche sagten,
das geschehe, weil die Münchner Fremdes hassen. Weil
sie nicht wollten, dass chinesische Fahrräder die Stadt
verstopfen. Das ist natürlich Quatsch. Denn was die
Münchner tatsächlich hassen, bis aufs Blut, was sie
wirklich, wirklich wütend werden lässt, handgreiflich
sogar, ist schlechte Qualität. Fahrräder sollen etwas her-
machen, sie sollen von Gazelle sein oder von Bianchi,
mit Stahlrahmen und unplattbaren Reifen. Und wenn
das nicht drin ist, dann sollen sie wenigstens nicht ram-
schig daherkommen. Fahrräder sind, genau wie Autos
oder Vespas, Statussymbole. Wer etwa ein schwarz
lackiertes Hollandrad fährt, der möchte, dass man ihn
ernster nimmt als er sich selbst. Wer ein Rennrad von
Peugeot fährt mit rotem Lenkerband, der möchte jün-
ger und cooler sein, als er ist. Und wer ein Klapprad
fährt, dem ist alles egal, der ist erhaben über die Blicke
der anderen. Billige Plastikräder aber sagen nichts, nie-
mand mag sie. Dass den E-Rollern bis jetzt die Zer-
störung erspart bleibt, liegt wohl daran, dass sie so neu sind:
Man hat keinen Vergleich, man kennt nichts, was hochwerti-
ger wäre. Es ist fast eine Ratlosigkeit ausgebrochen in Mün-
chen gegenüber diesen bunten Dingern, die zwar irgendwie
futuristisch aussehen, aber ja trotzdem aus Plastik sind. Die
E-Roller stellen München vor ein Problem mit dem, was diese
Stadt im Kern ausmacht: alles zu haben, trotzdem mehr zu
wollen. Das Schöne noch schöner machen, das Gute zum Bes-
ten verändern. Zweite, dritte und vierte Stammstrecken in den
Boden buddeln, Tramlinien umplanen, Radwege verbreitern,
darüber schweben Flugtaxis durch die Luft. Das ist die Lebens-
einstellung, mit der man zu einem echten Münchner wird, und
wenn man sie sich nicht aneignet, wird man – wie ich – zum
Bequemling, zum Kann-doch-alles-so-bleiben-Sager. Zum
Bremser. Meine Wut auf den Radentscheid war nämlich in
Wirklichkeit keine Zufriedenheit. Sie entstand eher aus Neid.
Neid auf die Träume der Ur-Münchner, auf ihren Trotz und
ihr permanentes Nichtzufriedensein. Seitdem ich das erkannt
habe, versuche ich, mich zu bessern: Werde wütend über den
kleinsten Hubbel im Radweg und über zwei Minuten Bahn-
verspätung. Blöd nur, dass ich inzwischen in Berlin wohne.
Jetzt mal im Ernst.
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