Der Unternehmer
Auf die Chefs kommt es an, glaubt
Michael Otto. Und macht es vor
Jetzt mal ehrlich, wo findet man
grüne Unternehmer? Stellt man
Naturschützern diese Frage, dann
fällt immer wieder ein Name: Michael
Otto, der vom Otto Versand. Es folgen
Geschichten, kleine und große, mit dem
Fazit: Der Mann meint es ernst. Er hat
nicht nur einen Versand groß gemacht, er
ist auch der einflussreichste deutsche Um-
weltpionier in der Wirtschaft.
Warum ausgerechnet er? An einem son-
nigen Morgen sitzt der 75-jährige Hambur-
ger dort, wo er hingehört: im Büro des Auf-
sichtsratsvorsitzenden im siebten Stock der
Otto-Hauptverwaltung. Otto ignoriert den
Blick über die ganze Stadt bis hin zur Elb-
philharmonie und spielt mit Bauklötzen auf
dem Tisch vor ihm. »Kein Hunger« steht
auf einem Klötzchen, »sauberes Wasser« auf
einem anderen. 17 Klötze mit 17 Begriffen
sind es, und hinter jedem steckt ein Be-
schluss der Vereinten Nationen: Wenn alle
Regierungen auf dieses Ziel hinarbeiten, so
die Botschaft, dann gehe es der Umwelt gut
und den Menschen auch.
Otto nimmt ein Klötzchen in die Hand.
Er könnte jetzt Geschichten erzählen, was
er alles getan hat, um abstrakte Ideen von
einer besseren Welt Wirklichkeit werden zu
lassen. Wie Arbeiterinnen durch seine Ini-
tiative »Cotton made in Africa« einen guten
Job bekamen. Wie er sich gerade in Sambia
über Biodünger informiert hat, die dort
entwickelt werden, um die Biodiversität zu
schützen. Er könnte auch erklären, durch
welche neuen Verfahren bei der Baumwoll-
produktion und beim Färben Abertausende
Liter Wasser gespart werden. Und wie viel
Energie und Kraft ihm das verleiht. Aber er
wird all das erst sehr viel später erwähnen.
Jetzt sagt er zunächst ganz nüchtern, ganz
zu Anfang habe ihn ein Buch motiviert:
»der Bericht des Club of Rome«.
Der kam 1972 heraus. Wissenschaftler
beschrieben erstmals klar und deutlich, in
welchem Tempo die Menschheit die Natur
vernichtet. Und sie riefen zu einer Umkehr
auf. »Als ich das gelesen habe, wusste ich: So
wie bisher können wir nicht weiter wirt-
schaften«, erinnert sich Otto. Sein erstes
Projekt: ein chlorfreier Katalog, denn Chlor
verschmutzt das Wasser. »Den Katalog ha-
ben wir in Zusammenarbeit mit Greenpeace
herausgebracht. Damals haben die Drucker
gesagt, chlorfrei, das gehe bei den hohen Ge-
schwindigkeiten im Tiefdruck nicht. Aber
natürlich hat es funktioniert.«
Solche Erfahrungen haben ihn geprägt:
Fachleute sagen, eine Sache sei unmöglich.
Er versucht es trotzdem und hat Erfolg.
Zum Beispiel wenn es darum geht, Produkte
haltbarer oder wiederverwertbar zu ma-
chen. Otto sagt: »Schon heute leben wir alle
über unsere Verhältnisse.« Die Wirtschaft
müsse ihre Ressourcen viel effizienter nut-
zen. »Kupferkabel bei Waschmaschinen
sollten beispielsweise nicht verschweißt sein,
sodass man sie leicht entfernen kann« – und
erneut verwenden.
Otto springt hin und her zwischen kon-
kreten Beispielen wie der Wiederverwert-
barkeit von Kabeln und der dahinterste-
ckenden Theorie der »Kreislaufwirtschaft«.
Auch weil er so verständlich erklären kann,
ist er gern gesehen bei öffentlichen Veran-
staltungen: Dort fordert er inzwischen
immer lauter, dass nicht nur Unternehmer
und Umweltschützer, sondern auch die
Politiker mehr tun müssen.
»Ich hoffe sehr, dass der Kohleausstieg
bald kommt«, sagt Otto – und nicht erst
wie geplant 2038. Er erzählt, wie er, um
für klimafreundliche Politik zu werben,
die 2-Grad-Initiative gegründet hat. Mitt-
lerweile sind Manager führender deutscher
Konzerne und die Chefs etlicher Familien-
unternehmen dabei. Alle haben sich da-
rauf verpflichtet, die Klimaerwärmung auf
unter zwei Grad zu begrenzen, und treiben
sich und die Politiker an. Damit die wiede-
rum andere antreiben.
Denn eines ist Otto in den vielen Jah-
ren als Umweltaktivist und Chef auch klar
geworden: Man braucht Chefs, damit et-
was passiert. »Man muss ganz oben klar
ansagen: Wir wollen Klimaschutz.« Und
selbst dann könne es durchaus »ein paar
Jahre« dauern, »bis die große Mehrheit der
Mitarbeiter überzeugt mitmacht«. Am
Ende lohne es sich für alle.
Auch das kann Otto überzeugend dar-
stellen: Nie hat sein Engagement für die
Natur Jobs gekostet. Im Gegenteil: »Es hat
zum Aufbau von Facharbeiterplätzen ge-
führt.« PETRA PINZLER
Die Handwerker
Alte Möbel gehören nicht auf den
Müll, finden zwei Freunde
Die Idee entstand auf einem Festival.
Mark Vomberg, 24, und Philip Dab-
bert, 27, kannten einander vor allem
von Partys, die sie gemeinsam mit Freunden
organisierten. An jenem Nachmittag hockten
sie abseits der DJs und tranken Wein. Vom-
berg erzählte von seiner Mutter, die einen Re-
cyclinghof in Belgien leitet. Er schilderte, was
dort Tag für Tag weggeworfen wird: Schränke,
Kommoden, Tische, alles würde klein gehackt
und verbrannt, obwohl man die Möbel mit
ein bisschen Arbeit doch wieder schön her-
richten könnte. Ja, viel zu viel Brauchbares
lande auf dem Müll – der Meinung war auch
Philip Dabbert, der nicht nur BWL studierte,
sondern ab und zu spaßeshalber auch selbst
Dinge schreinerte. Doch was, wenn sie die
Möbel gemeinsam retten könnten? Und zwar
so, dass nicht nur sie selbst, sondern auch an-
dere davon profitieren?
Der Gedanke ließ die beiden Männer aus
Köln nicht mehr los. Und heute ist ihre fixe
Idee Realität. In einer 200-Quadratmeter-
Werkstatt, die sie sich mit anderen teilen, res-
taurieren Vomberg und Dabbert jetzt Möbel,
die sie zuvor auf dem Recyclinghof oder bei
Haushaltsauflösungen gefunden haben. Alte
Bauernkommoden, Sideboards der Sechziger-
jahre, Retro-Arzneischränke aus Metall. »Den
meisten Leuten ist der Aufwand zu groß, die
Sachen bei eBay reinzustellen«, sagt Vomberg,
»also schenken sie sie uns.«
Manche Möbel sind noch heil, wenn sie in
der Werkstatt ankommen. Andere müssen ab-
geschliffen und neu angemalt werden, manch-
mal fehlt ein Scharnier. Auch Vomberg, der
vorher wenig Ahnung vom Handwerken hatte,
bastelt inzwischen mit. Ist ein Möbelstück fer-
tig, machen die beiden ein Foto vor der Back-
steinwand und posten es auf ihrer Facebook-
Seite. »Möbelkiste vom Dabberg«, heißt die
Seite. Nach einem halben Jahr folgen ihnen
dort schon 1622 Leute. »Die meisten Möbel
sind nach zehn Minuten weg«, sagt Vomberg.
Die Idee passt in einen alten Trend, der
zuletzt neue Fahrt aufgenommen hat. Vor al-
lem junge Akademiker in den Großstädten
überdenken ihr Konsumverhalten. Eine
Kommode vom Flohmarkt ist vielen inzwi-
schen lieber als eine aus dem Möbelhaus. Das
Besondere hier: Im Gegensatz zu vielen ande-
ren Antikhändlern nehmen Dabbert und
Vomberg nur kleine Preise. Meist kostet ein
Stück 50 bis 70 Prozent weniger als ein ver-
gleichbares auf der Website von Ikea. »Letz-
tens haben wir zwar auch eine Vitrine für 300
Euro verkauft, aber da steckten 50, 60 Stun-
den Arbeit drin«, sagt Dabbert. Wenn jemand
den Preis nicht bezahlen könne, lasse man
auch mit sich reden, erzählen die beiden.
Viel verdienen sie damit nicht. Das sei bis-
her auch nicht nötig, sagen sie. Philip Dabbert
lebt in seinem VW-Bus, auch sonst sind seine
Kosten recht überschaubar. Für Mark Vomberg
ist es ein Nebenverdienst, er arbeitet bei der
Bundesagentur für Arbeit mit Jugendlichen,
die in der Berufswelt nicht zurechtkommen.
»Es geht uns auch weniger ums Geld«, sagt
Vomberg. Man wolle den Produktkreislauf ver-
ändern. Während viele sich bei Kleidung mitt-
lerweile Gedanken darüber machen, wie und
wo sie hergestellt wurde, sind ihnen die Arbeits-
bedingungen und das Material bei Möbeln viel-
fach egal. »Sie kaufen billig und denken, ach,
irgendwer hat das schon gebaut«, sagt Vomberg.
»Und wenn sie ein Stück nicht mehr brauchen,
stellen sie es raus an die Straße, wo es nass wird.«
Vomberg und Dabbert wollen auch Möbeln
ihren Wert zurückgeben. Darum schreiben sie
bei jedem Stück, das sie anbieten, ein paar Sätze
zu dessen Geschichte dazu. Die meisten Be-
stellungen fahren die beiden Möbelretter sogar
selbst mit dem Bulli zu den Kunden aus und
nehmen sich die Zeit, die Käufer kennenzuler-
nen. »Letztens haben wir bei jemandem vier
Stunden lang Bier getrunken und konnten am
Ende nicht mehr heimfahren.« Vomberg lacht.
Anfangs waren die Kunden vor allem Studenten,
später kamen junge Mütter dazu, inzwischen
schreiben auch viele Ältere. Und in der Werk-
statt sind sie immer seltener allein. Freunde
kommen vorbei, basteln selbst etwas. Möbel aus
Müll etwa oder kunstvoll verzierte Schränke.
Vor Konkurrenz fürchten sich die beiden
nicht. »Wir wollen ja die Leute motivieren,
das Gleiche zu tun wie wir«, sagt Vomberg.
Vor Kurzem hatten sie schon wieder eine
Idee. Wie wäre es wohl, wenn sie große Mö-
belhäuser dazu bringen könnten, Projekte
wie ihres zu fördern? Leuten beizubringen,
alte Möbel zu restaurieren, um diese dann
weiterzuverkaufen, im großen Stil. »Viel-
leicht verstehen die dann endlich, dass Weg-
schmeißen scheiße ist und viele Kunden das
ebenso sehen.« LAURA CWIERTNIA
Der Unternehmer Michael Otto: »Man muss ganz
oben klar ansagen: Wir wollen Klimaschutz«
Gründer Philip Dabbert (l.) und Mark Vomberg:
»Die meisten Möbel sind nach 10 Minuten weg«
Ursula und Michael Sladek in Schönau:
»Man braucht Starrsinn. Und Humor«
Bürgermeister Eckart Würzner: »Parteipolitisch
bin ich sicher kein Grüner, aber inhaltlich«
1 2
1
3
2
4
Sie machen den Anfang
SERIE: WER RETTET DAS KLIMA? TEIL 3
Foto: Thomas Pirot für DIE ZEIT
Foto: Patrick Runte für DIE ZEIT Foto: Jörn Strojny/wearecity
Foto: Silke Wernet/laif für DIE ZEIT
2 0 WIRTSCHAFT 12. SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 38