Die Zeit - 12.09.2019

(singke) #1
DIE ZEIT: Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich
auch jetzt, mit 74, noch immer wie 25 fühlen ...
Barbara Kruger: An einem guten Tag, ja.
ZEIT: Wie fühlt sich das an?
Kruger: Über die Jahre bin ich selbstbewusster
geworden, und doch fühle ich mich mit dieser
jungen Frau von damals verbunden. Mich inte-
ressieren jetzt noch die neuen Subkulturen in der
Musik und im Film, die jungen Exzentriker
und Schönheiten, die Medien wie Snapchat.
Ich weiß, wer Billie Eilish ist. Ich spüre noch
meinen Enthusiasmus.
ZEIT: Haben Sie als Künstlerin so etwas wie
eine tägliche Routine?
Kruger: Ich liebe den Alltag und die tägliche
Wiederholung. Die Wiederholung erlaubt
mir, über die Bedingungen des Alltags nach-
zudenken, und darüber, wie diese Bedingun-
gen mich und den Rest der Welt beeinflussen.
Was ich weniger mag, sind die Events, die
Reisen, die Gesellschaften, also all das, was
mich aus meiner Arbeitsroutine vertreibt.
ZEIT: Gehört das Schreiben zu dieser Routine?
Kruger: Ja, ich habe schon früher Kolumnen
für Zeitschriften wie Artforum geschrieben.
Zurzeit schreibe ich an dem Drehbuch für
eine neue Videoinstallation.
ZEIT: Worum geht es da?
Kruger: Ich beschäftige mich darin mit der
Macht, mit dem Bildermachen, mit Geld,
Liebe, Tod. Wenn ich es möglichst weit defi-
nieren soll: Ich versuche Kunst darüber zu
machen, wie wir uns zueinander verhalten.
ZEIT: Sie haben Ihre Karriere als Grafikdesig-
nerin begonnen. Wie wurden Sie zur Künst-
lerin? Wie fing alles an?
Kruger: Es gab für mich als Frau keine Vor-
bilder, obwohl die Situation für Künstlerin-
nen damals, in den späten Sechzigerjahren, in
New York immerhin noch besser war als in
Europa. Ich hatte nur kurz studiert, keinen
Abschluss in Grafikdesign, aber schon als
18-Jährige angefangen, gestalterisch für Ma-
gazine zu arbeiten. In der Werbung habe ich
nie gearbeitet, das ist ein wichtiger Unter-
schied, denn Magazingestaltung denkt se-
quenziell, es geht ums Umblättern, um Wie-
derholung. Wenn ich es nicht geschafft hätte,
die Leute zum Hinschauen auf die Seite zu
bewegen, wäre ich gefeuert worden. Aber mir
fehlte immer das, was eine richtige Grafik-
designerin ausmacht.
ZEIT: Was meinen Sie?
Kruger: Ich kann visuelle Probleme nicht für
andere Menschen lösen. Mir fehlt die Kunden-
orientierung. Es dauerte dennoch ziemlich
lange, bis ich mich als Künstlerin bezeichnen
konnte. Ich machte Versuche mit Stoffen und
Webarbeiten, merkte aber nach einem Jahr, dass
dieses Zeug mein Gehirn einschläferte. Das war
nichts für mich, also begann ich zu lesen und
endete schließlich wieder dort, womit ich bei den
Magazinen angefangen hatte: Ich arbeitete mit
Fotos und mit Text.
ZEIT: Ihre Kunst steht in der Tradition von
Künstlern aus den 1920er-Jahren wie John Heart-
field oder Alexander Rodtschenko ...
Kruger: Das sagten auch die Besucher einer mei-
ner ersten Ausstellungen in New York, aber ich
wusste damals nicht, wer John Heartfield war. Ich
hatte kein kunsthistorisches Wissen.
ZEIT: Manche Ihrer Textbilder lesen sich wie Pa-
rolen für Transparente, andere wie Kurzgedichte,
wieder andere wie Witze. Ist Ihre Arbeit ein Vor-
läufer von Twitter?
Kruger: Ich lese jeden Tag die Äußerungen auf
Twitter, auch wenn ich dort nichts schreibe. Des-

halb kann mich das, was in der Welt passiert, nicht
schockieren.
ZEIT: Sie meinen Trump?
Kruger: Seine Präsidentschaft hat viel verändert,
aber es kam für mich nicht überraschend. Ich habe
seit Jahrzehnten seine Interviews in der Howard-
Stern-Radioshow gehört, ich habe mir Trumps
Castingshow The Apprentice acht Jahre lang ange-

schaut. Ich lebe nicht in einer akademischen oder
linken Blase, ich schaue auch Fox News und ver-
folge rechte Seiten wie 4chan oder 8chan. Es gab
einen Mangel an Vorstellungskraft aufseiten der
Linken und in der politischen Mitte, sie hätten sich
stärker engagieren müssen und die Gefahren nicht
trivialisieren dürfen. Der brodelnde Hass ist Reali-
tät. Jeder, der glaubt, dass Donald Trump ein Idiot
ist, ist selbst ein Idiot.
ZEIT: Warum wird Trump gerade von Deklassier-
ten gewählt, die er zuvor als Loser bezeichnet hat?
Kruger: Trump ist ein erfolgreicher Polemiker und
kann mit Sprache umgehen. Hören Sie sich bei-
spielsweise einige Demokraten an, die können
nicht einmal ein Subjekt und ein Prädikat zusam-
mensetzen. Trump weiß, wie man die Menschen
erreicht: kurzer, kalkulierter Satz, den wiederholen;
kurzer, kalkulierter Satz, den wiederholen. Die Me-
thode ist sehr effektiv. Trump ist die »große, weiße

Hoffnung« für all diejenigen, die Hillary Clinton
als »deplorable«, als kläglich bezeichnete.
ZEIT: Gibt es bei den Demokraten einen Kandi-
daten, der es mit ihm aufnehmen kann?
Kruger: Das weiß ich nicht. Elizabeth Warren
und Bernie Sanders verstehen es zumindest, ihre
Leidenschaft auszudrücken. Aber die jungen An-
hänger von Sanders haben 2016 Trump mit mög-

lich gemacht, weil sie aus Gewissensgründen
nicht gewählt haben. Ich wähle nicht nach Zu-
neigung oder Gewissen, sondern rein strategisch.
Trump muss raus aus dem Amt. Er und die Repu-
blikaner haben bereits viel Schaden angerichtet,
schauen Sie sich nur all die Posten im Supreme
Court an, die sie innehaben und besetzen werden,
sowie die wichtigen Positionen im Gerichtswesen
in Städten und Bundesstaaten im ganzen Land.
ZEIT: In New York und anderswo vertrieben
Künstler in den vergangenen Monaten reiche
Spender aus den Museen, weil diese etwa in Waf-
fenfirmen oder in die Vermarktung süchtig ma-
chender Medikamente verwickelt waren. Gefällt
Ihnen diese neue Macht der Künstler?
Kruger: Anders als in Europa funktionierte unser
Museumssystem immer nur wegen sogenannter
Philanthropen. Das hat auch gute Seiten, aber folgt
doch ganz der Idee, dass man sich durch Kultur

Legitimität kaufen kann. Sollen Museen weiterhin
nach dem Spendenprinzip funktionieren? Gibt es
das absolut reine Geld? Das sind sehr komplexe
Fragen. Um Kapital und Sexualität wird jetzt wie
nie zuvor gestritten, und dafür gibt es gute Gründe.
ZEIT: Bekommen die Frauen im Kunstbetrieb
jetzt ihren gerechten Anteil?
Kruger: Man kann nicht von den Frauen reden,
denn auch Frauen sind durch ihre Klassenher-
kunft und Hautfarbe unterschiedlich privile-
giert. Museen müssen endlich mehr People of
Color in ihre Stiftungsräte holen. Als junge Frau
hätte ich meine Kunst in Deutschland niemals
ohne die Hilfe der Galeristin Monika Sprüth
ausstellen können. Man schlägt sich ja noch
heute mit dem Stereotyp des männlichen, trun-
kenen Künstlergenies herum.
ZEIT: Sie äußerten einmal Verständnis für all
die Menschen, die sich von der Kunstwelt aus-
geschlossen fühlen, weil sie sie als Verarschung
wahrnehmen.
Kruger: Als ich zum ersten Mal Galerien be-
suchte, fragte ich mich auch: Was soll das?
Man muss in der Kunst, wie das der Soziologe
Pierre Bourdieu vor Jahrzehnten so gut be-
schrieben hat, erst einmal sehr viele Codes kna-
cken. Manche Kunst ist aber auch für ein grö-
ßeres Publikum zugänglich. Das macht diese
Kunst allerdings nicht automatisch besser.
ZEIT: Sie präsentieren Ihre Kunst nicht nur in
Museen und Galerien, sondern auf Häuserfas-
saden, U-Bahn-Tickets und in Skateparks ...
Kruger: Ich habe kein abgeschlossenes Studi-
um, deshalb tue ich einfach, was ich in meinen
Jobs gelernt habe. Wie Trump, der ein Quack-
salber ist, ein Ganove. Er weiß, was er kann.
ZEIT: Okay...
Kruger: Aber ich bin nicht Trump! (lacht)
ZEIT: Was werden Sie in Goslar zeigen, wo Sie
Ende des Monats mit dem Kaiserring ausge-
zeichnet werden, einem der wichtigsten deut-
schen Kunstpreise?
Kruger: Es wird ein Überblick sein über meine
gesamte Praxis in den vergangenen Jahrzehn-
ten, Rauminstallationen, Plakatwände, auch
Kunst im öffentlichen Raum. Ich habe nie da-
mit gerechnet, berühmt zu werden. Dieses
System der Hierarchien im Kunstbetrieb ist so
kompliziert und willkürlich, aber ich freue
mich, dass meine Kunst wahrgenommen wird.
ZEIT: Früher lauteten die Schriftzüge auf Ih-
ren Bildern »I shop therefore I am« oder »Your
body is a battleground«, man hätte hinter vielen
von ihnen auch ein Ausrufezeichen setzen
können. Warum tauchen in jüngster Zeit im-
mer mehr Fragezeichen in Ihren Werken auf?
Kruger: Antworten sind immer problema-
tisch, weil sie eine Form des Abschlusses be-
deuten. Im polemischen Ton können aber auch
Fragen zu Antworten werden.
ZEIT: Sie wollen die von Ihnen in der Kunst for-
mulierten Fragen nicht beantworten, aber kön-
nen wir trotzdem über zwei reden? Ist blinder
Idealismus reaktionär?
Kruger: Diese Frage basiert auf einem Zitat von
Frantz Fanon, ich habe es in der Vergangenheit
oft umgewandelt. Blinder Idealismus ist nicht re-
aktionär, nicht beängstigend, sondern tödlich.
ZEIT: Gibt es ein Leben ohne Schmerz?
Kruger: Ich würde mir wünschen, die Antwort
wäre Ja. (lacht) Aber sie lautet: Nein.

Das Gespräch führte Tobias Timm

Das Mönchehaus in Goslar zeigt eine Überblicks-
ausstellung zum Werk von Barbara Kruger
(vom 21. September 2019 bis zum 26. Januar 2020)

Als 2018 der Mops eines bekannten Münchner
Feinkosthändlers – genauer gesagt: seiner
Frau – im natürlichen Alter von zwölf Jahren
starb, kam es in den Klatsch- und Boulevard-
medien zu Nachrufen wie sonst nur zum Tode
prominentester Schauspieler. »Er wäre erstickt:
Mops Sir Henry an Krebs gestorben« (n-tv).
Natürlich war dies auch ein Ergebnis gera-
dezu bizarrer Internetpräsenz und eines höchst
abgebrühten Marketings; der Feinkosthändler
hatte eine eigene Produktlinie auf den Namen
des Hundes gegründet. Aber festzuhalten ist
doch, dass Hunde im Kitsch- und Gefühls-
haushalt der Menschen eine herausragende
Rolle besetzen und dass dies keineswegs eine
Verirrung der Moderne darstellt.
Große Herrscher, Könige und Königinnen
haben sich mit Hunden porträtieren lassen.
Die Scaligeri, norditalienische Tyrannen des
Mittelalters, verewigten sich im Grabmal mit
ihren nicht weniger furchterregenden Doggen,
Velázquez hat den spanischen Infanten mit ei-
nem Mastín Español porträtiert, eines der bes-
ten Tiergemälde der Kunstgeschichte über-
haupt. Hunde, so wie wir sie heute haben und
sehen, sind mindestens ebenso sehr Ergebnis
der Kulturgeschichte wie der Naturgeschichte,
durch Zucht und Legende überformt, ein Zi-
vilisationsprodukt.
Deshalb hat es seine Richtigkeit, wenn sich
in München das Bayerische Nationalmuseum
in seiner Ausstellung Treue Freunde dem Ver-
hältnis von Hund und Mensch über kulturhis-
torische Artefakte nähert, über Zeugnisse aus
Literatur, Kunst und Medien. Unmittelbarer
Anlass: Thomas Manns berühmte Erzählung
Herr und Hund, die vor genau 100 Jahren in
München erschien. Und auch diese ist nicht
die erste ergreifende Betrachtung einer ins
Existenzielle spielenden Begegnung, schon
Turgenjew hat Hunde- und Menschenschick-
sale innig, mitunter tragisch verwoben, und
selbst das erste bekannte literarische Zeugnis,
ein Xenophon zugeschriebener Jagdhunde-
ratgeber aus dem 4. Jahrhundert vor Christus,
blickt bereits auf das Tier als höchst zu schät-
zendes, hochgezüchtetes Wesen.
Insofern wäre nur eines noch kitschiger, als
den Hund zu sentimentalisieren: ihn als Zei-
chen ursprünglicher Natur zu missdeuten. Der
Mensch kann gar nicht mehr anders, als sich in
ihm zu spiegeln, und was dabei an Projektio-
nen, Hass und Liebe, Devotionalien und Sta-
tussysmbolen entstanden ist, wird in der Aus-
stellung zu sehen sein, von Abartigem, den
Begräbniskulten und erotischen Beziehungen,
über das Ergreifende, die Hilfseinsätze in Krieg
und Katastrophen, bis hin zu den Geschmack-
losigkeiten und Lustigkeiten in Kunsthand-
werk und Satire. Das Thema weitet sich bei
näherer Betrachtung ins Universelle; dem
Menschen kann der Hund zur Welt werden.


Die Ausstellung läuft im Bayerischen
Nationalmuseum München vom



  1. November 2019 bis zum 19. April 2020
    (www.bayerisches-nationalmuseum.de)


Ein Leben ohne


Mops ist möglich ...


München erzählt von der
Kulturgeschichte des Hundes
VON JENS JESSEN

»Auch ich fragte: Was soll das?«


Über das Unverständliche der Kunst und den gar nicht idiotischen Donald Trump – ein Gespräch mit der US-amerikanischen


Konzeptkünstlerin Barbara Kruger, die jetzt in Goslar mit dem berühmten Kaiserring geehrt wird


Barbara Kruger, die kein Bild von sich in der Zeitung sehen will, gehört zu den bekanntesten
Künstlerinnen der Gegenwart. Hier ihr Werk »Untitled (The War for Me to Become You)«

Abb.: Barbara Kruger »Untitled (The War for Me to Become You)«, 2008/Courtesy Barbara Kruger und Sprüth Magers; Tierfigur: Große Möpsin mit Welpe, Modell von Johann Joachim Kaendler, 1741 (Foto: Karl-Michael Vetters)/© Bayerisches Nationalmuseum München

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68 FEUILLETON 12. SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 38


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