Frankfurter Allgemeine Zeitung - 13.09.2019

(lily) #1

SEITE 26·FREITAG, 13. SEPTEMBER 2019·NR. 213 Unternehmen FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


G

ut 15 Milliarden Euro, vielleicht
auch ein Schlag obendrauf: Der
aus dem Verkauf der Thyssen-Krupp-
Aufzüge erwartete Geldsegen könnte
bei aggressiven, auf den schnellen Ge-
winn bedachten Aktionären Begehr-
lichkeiten entwickeln. Noch hat sich
niemand öffentlich mit Forderungen
nach einer Sonderdividende hervorge-
wagt. Aber das ist, so befürchten es die
Stahlkocher des Konzerns, wohl nur
eine Frage der Zeit. Sie sehen schon
die Dollarzeichen in den Augen von In-
vestoren wie Cevian und warnen vor-
sorglich vor einem Griff in die Kasse.
Die Arbeitnehmervertretung hat gute
Argumente auf ihrer Seite. Dass sich
der Essener Mischkonzern von seiner
Ertragsperle trennt, ist der puren Not
geschuldet. Es müssen Löcher in der
Bilanz gestopft und Pensionsverpflich-
tungen, übrigens vor allem für die zu
Recht besorgten Stahlkocher, finan-
ziert werden. Wenn Thyssen-Krupp im
zyklischen Stahl- und Werkstoffge-
schäft dauerhaft vorn mitspielen will,
setzt das ein komfortables Eigenkapi-
tal als Reserve für schlechte Zeiten vor-
aus. Selbst bei optimistischer Rech-
nung dürfte damit ein Großteil der Ver-
kaufserlöse schon verfrühstückt sein.
Und für das, was übrig bleibt, gilt: Thys-
sen-Krupp braucht eine neue Wachs-
tumsperspektive, wenn die Erträge aus
dem Aufzugsgeschäft dahin sind. Der
Weg in die Zukunft führt nicht über
eine Sonderdividende, sondern über In-
vestitionen ins Geschäft.

D

ieter Schwarz ist unglaublich
reich. Den Berechnungen eines
Magazins zufolge ist der Lidl-Gründer
sogar der mit Abstand reichste Deut-
sche. Sein Vermögen wird dort auf
mehr als 40 Milliarden Euro geschätzt.
Das wäre mehr als doppelt so viel, wie
dem auf Platz zwei folgenden Aldi-Mit-
eigentümer Theo Albrecht zugeschrie-
ben werden. Interessant ist, dass
Schwarz in anderen Ranglisten weit-
aus leichter taxiert wird. Das zeigt die
Schwierigkeiten beim Versuch, das Ver-
mögen superreicher Familienclans seri-
ös zu schätzen. Denn die Milliarden lie-
gen nicht einfach auf Festgeldkonten
herum, sondern sind in der Regel in
zahlreichen Investments gebunden.
Das sollte bedenken, wer angesichts
solch gewaltiger Zahlen die Frage nach
der Wiedereinführung der Vermögen-
steuer für eine rhetorische hält. Diese
Schätzungen sind allenfalls Moment-
aufnahmen, denn die Werte variieren


  • und können natürlich auch sinken.
    Die BMW-Erbin Susanne Klatten etwa
    kostete ihre Beteiligung an dem Koh-
    lenstoffspezialisten SGL Carbon durch
    den jüngsten Kursrutsch richtig viel
    Geld, in der Rangliste ging es gleich
    ein paar Plätze nach unten. Und dass
    die Familie des Porsche-Erben Wolf-
    gang auch künftig mit geschätzten 18
    Milliarden Euro in der Spitzengruppe
    geführt wird, wenn die unzähligen Die-
    selklagen erst entschieden sind, ist
    ebenfalls keine Selbstverständlichkeit.


WASHINGTON,12. September


P


urdue Pharma hat einen vorläufi-
gen Vergleich mit wichtigen Kläger-
gruppen erreicht: Der Produzent
des Schmerzmedikaments Oxycontin,
das eine zentrale Rolle in der tödlichen
Opioidkrise in den Vereinigten Staaten
spielt, beantragt dafür den Konkurs und
lebt als Unternehmen im Eigentum einer
öffentlichen Stiftung wieder auf. Die
neue Gesellschaft verteilt die Gewinne
ihrer fortlaufenden Geschäftstätigkeit
auf die Kläger. Die Sackler-Familie ver-
liert im Rahmen dieses Kompromisses
sämtliche Anteile am Unternehmen und
steuert überdies noch rund drei Milliar-
den Dollar über sieben Jahre zur Entschä-
digung der Opfer bei.
Die Familie verkauft dafür ihre interna-
tionalen Unternehmen, darunter die


auch in Deutschland aktive Mundiphar-
ma.Zu den Klägern gegen Purdue Pharma
gehören Bundesstaaten, Landkreise, Kom-
munen und Indianerstämme aus ganz
Amerika, in der Summe mehr als 2000.
Nicht alle haben dem Kompromiss aller-
dings zugestimmt: Der Fernsehsender
NBC berichtete, dass von 45 klagenden
Bundesstaaten 16 den Vergleich zurückge-
wiesen hätten. Der Generalstaatsanwalt
von North Carolina, Josh Stein, teilte mit,
er sei mit dem Vorschlag der Sackler-Fami-
lie nicht einverstanden. „Eine größere An-
zahl von Bundesstaaten vertritt die Auffas-
sung, dass die Sacklers mehr Geld garan-
tieren müssen.“ Sie hätten den Schaden
angerichtet und müssten nun helfen, ihn
zu bereinigen. Er bereite weitere Klagen
gegen die Familie vor, die seit 2007 Milliar-
den mit Purdue Pharma und Übersee-Akti-

vitäten verdient habe. Die größte Fabrik
vonPurdue Pharmasteht in North Caroli-
na. Auch Connecticut hat den Vergleich
abgelehnt. Schmerz, Tod und Zerstörung,
die Purdue und die Sackler-Familie ange-
richtet hätten, überträfen sämtliche Ver-
gleichsangebote bei weitem, teilte Gene-
ralstaatsanwalt William Tong mit.
Tatsächlich hängt die Bewertung des
Vergleichs stark vom Unternehmenswert
von Purdue Pharma und den offenbar zum
Verkauf stehenden internationalen Phar-
mabeteiligungen der Familie ab. Das Volu-
men der Entschädigung wird auf 10 bis 12
Milliarden Dollar beziffert, unter der Vor-
aussetzung, dass Purdue Pharma im Besitz
einer öffentlichen Stiftung weiter Gewin-
ne erwirtschaftet. Dafür müsste das Unter-
nehmen weiterhin Oxycontin und weitere
Opioide verkaufen. Andere Produktgrup-

pen von Purdue wie Mittel gegen Verstop-
fung oder Nahrungsergänzungsmittel spie-
len bisher nur eine kleine wirtschaftliche
Rolle im Vergleich zu den Schmerzmit-
teln. Seit 2017 entwickelt das Unterneh-
men zudem Medikamente gegen Schlafstö-
rungen und Krebs.
Purdue Pharma hat öffentlich mit der
Möglichkeit gespielt, auch ohne Vergleich
einen Konkursantrag zu stellen. Das hat
einige Anwälte offenbar zum Einlenken
bewogen. Bei erfolgreichem Konkurs wür-
de ein Teil der alten Ansprüche gegen die
Firma erlöschen, allerdings müssten ein
Konkursrichter und Gläubiger dem Ver-
fahren zustimmen. Im Juni hatte der Opio-
id-Produzent Insys Konkurs beantragt –
wenige Wochen nach einem Vergleich,
der eine Entschädigung im Wert von 225
Millionen Dollar vorsah.

Super reich


Von Sven Astheimer


FRANKFURT, 12. September


D


as hatte der Automesse IAA gera-
de noch gefehlt. Der Präsident des
ausrichtenden Verbandes VDA
kündigte am Donnerstagnachmittag über-
raschend seinen Rücktritt an. Bernhard
Mattes wolle sich anderen Aufgaben wid-
men und lege das Amt zum Jahresende
nieder, hieß es offiziell in einer knappen
Mitteilung. Nur wenige Stunden zuvor hat-
te Mattes noch Bundeskanzlerin Angela
Merkel (CDU) zur Eröffnung über die
Messe geleitet. Die wahren Gründe für
die Demission liegen jedoch woanders.
Tatsächlich dürfte Mattes entnervt sein
von der derzeitigen Situation im VDA,
ihm fehlt der Rückhalt entscheidender
Mitglieder.
Im Verband und in der Branche rumort
es seit Monaten wegen der schlechten Au-
ßendarstellung. Allerdings fand sich un-
ter den großen Autoherstellern auch kei-
ne einheitliche Linie, wie man auf die
mannigfaltige Kritik reagieren solle. We-
der bei den Themen Zukunft des Diesels
oder mögliche Abgasmanipulationen
noch in der großen Frage, wie mit Geg-
nern des Autos und der Klimaschutzde-
batte umgegangen werden sollte, fand
sich Einigkeit. Mattes, der früher Deutsch-
land-Chef von Ford war und im März
2018 die Verbandsführung von Matthias
Wissmann übernommen hatte, gelang
kein Ausgleich zwischen den Lagern.
Als große Kritiker Mattes’ gelten vor al-
lem die Hersteller Volkswagen und BMW,
Daimler hatte ihn eher gestützt. „Wir be-


dauern den Rücktritt, wir haben bis zu-
letzt gut mit ihm zusammengearbeitet“,
sagte ein Daimler-Sprecher auf Anfrage.
Dem Vernehmen nach ist die Entschei-
dung schon am Mittwochabend gefallen,
während oder nachdem der Verband sei-
nen IAA-Empfang auf einem Schiff am
Main gab. Die Verkündung kam just am
Tag des Merkel-Besuchs.
Dabei hatte die Kanzlerin der Branche
Unterstützung in der Bewältigung der Zu-
kunftsaufgaben zugesichert, die Politik in
die Pflicht genommen und sich Kritik an
der Autobranche gespart.Die IAA sei ein
wichtiger Gradmesser des Fortschritts,


sagte Merkel in ihrer Eröffnungsrede zur
bedeutendsten Automesse Europas. Eine
Rolle, die der Ausstellung nicht in die Wie-
ge gelegt worden sei. Schließlich habe die
Messe, erstmals 1897 in Berlin veranstal-
tet, damals schon Konkurrenz in Frank-
reich und Großbritannien gehabt.Trotz
der wohlwollenden Worte der Regierungs-
chefin wird heftig über die Zukunft der
IAA spekuliert. Bislang gibt es keine Ver-
einbarung über eine nächste Ausstellung
im Jahr 2021. Die Branche steht damit
vor einem Scherbenhaufen.
Schon während der Pressetage war der
Unmut unter den Ausstellern deutlich ge-
worden. „Es gibt keine Bestandsgaran-
tie“, sagte etwa BMW-Finanzvorstand Ni-
colas Peter. Auch Opel-Chef Michael Loh-
scheller äußerte sich kritisch. Opel habe
auf weniger Fläche mehr Autos ausge-
stellt. Er schlug vor, künftig ein Format
zu finden, durch das auch Autos verkauft
werden könnten. „Je mehr Autos man di-
rekt auf der Messe verkaufen kann, desto
attraktiver“, sagte er. Eine reine Ausstel-
lung habe keine große Zukunft. Hinter
vorgehaltener Hand machten noch viele
andere ihrem Ärger Luft.

Im Laufe des Donnerstags traf sich der
VDA-Vorstand zu einer planmäßigen Sit-
zung. Auf dem Programm stand die Pla-
nung zu den Formaten und Konzepten für
das Jahr 2021. Der Rücktritt von Mattes
dürfte die Tagesordnung allerdings über-
schattet haben. Im Vorstand vertreten
sind zum Beispiel der Porsche-Vorstands-
vorsitzende Oliver Blume, Audi-Vor-
standschef Bram Schot, Bosch-Chef Volk-
mar Denner oder auch Daimler-Vor-
standsvorsitzender Ola Källenius. Wann
die Entscheidung über die Zukunft der
IAA und einen möglichen Austragungs-
ort fallen wird, ist derzeit nicht absehbar.
Dass sich an dem Konzept der Messe et-
was ändern muss, zeigen schon die Zah-
len: Anstatt 1000 Aussteller, wie zur Mes-
se vor zwei Jahren, sind es in diesem Jahr
nur rund 800. Große Autokonzerne wie
Toyota oder Fiat-Chrysler kamen gar
nicht oder zumindest nicht mit eigenem
Stand. Auch die Fläche hat sich drastisch
um 16 Prozent auf 168 000 Quadratmeter
reduziert. Während Daimler traditionell
die komplette Festhalle gemietet und um-
gebaut hat, sind in diesem Jahr auch dort
die Flächen reduziert worden. Die Ein-

schränkungen der Aussteller liegen auch
daran, dass nach Diesel-Betrug und milli-
ardenschweren Investitionen in neue An-
triebe und Technologien das Geld nicht
mehr so locker sitzt wie in der Vergangen-
heit. Dazu kommt das schwierige wirt-
schaftliche Umfeld. „Die Autobranche ist
seit einem Jahr in der Rezession“, sagte El-
mar Degenhart, der Vorstandsvorsitzende
des Zulieferkonzerns Continental in aller
Deutlichkeit und forderte Hilfe der Politik.
Dort gibt es Bemühungen, die Leitmes-
se IAA am Main zu halten. Deutliche Wor-
te in diese Richtung fand Hessens Minis-
terpräsident Volker Bouffier (CDU). „Wir
möchten, dass sich diese Tradition fort-
setzt. Wir begreifen diese IAA deshalb
nicht als Abwicklungs- oder Absichtsver-
anstaltung, sondern als Beginn eines neu-
en Weges“, sagte er. Und schoss in seiner
Rede wenig später gegen die Klimaaktivis-
ten, die mit großangelegten Aktionen mit
zigtausend erwarteten Teilnehmern insbe-
sondere das bevorstehende erste Wochen-
ende, an dem die Messe für das breite Pu-
blikum geöffnet ist, stören wollen. Die Kli-
madebatte werde mit „fast pseudoreligiö-
ser Heilsgewissheit“ geführt. Doch weder

Ignoranz noch Untergangsszenarien seien
die Antwort auf diese großen Herausforde-
rungen in der Branche. Während des Mes-
serundgangs der Kanzlerin hatten einige
wenige Aktivisten Störaktionen am Messe-
stand von BMW undVWveranstaltet.
Dabei hat sich die Messe trotz aller Kri-
tik schon in diesem Jahr deutlich verän-
dert. Neben zahlreichen E-Autos und Hy-
bridmodellen werden auch Mobilitätskon-
zepte präsentiert. Erstmals findet zudem
eine Branchenkonferenz mit mehr als 200
Rednern statt. Auch wurden im Vorfeld ei-
nige Forumsdiskussionen zwischen Indus-
trie, Klimaschützern und Politik veranstal-
tet, um die Wogen zu glätten – ein Novum.
So trafen sich am Donnerstag Daimler-
Chef Ola Källenius und Grünen-Vorsitzen-
der Robert Habeck, der zuvor gefordert
hatte, von 2030 an nur noch emissions-
freie Autos neu zuzulassen, zu einer Ge-
sprächsrunde. Habeck lobte die Anstren-
gungen der Automobilindustrie, die viele
Innovationen für alternative Antriebsfor-
men auf den Weg gebracht hätten. „Es hat
sich wirklich was verändert“, sagte er, der
vor allem die Politik zu einem größeren
Engagement aufforderte.

Bloß nicht ausschütten


Von Helmut Bünder


E

ine Erkältung, ein bisschen Fie-
ber. Warum in so einem Fall nicht
Wadenwickel anlegen, vielleicht einen
heißen Ingwer-Zitronen-Tee kochen –
und ansonsten den Körper einfach ma-
chen lassen? Stattdessen bitten Patien-
ten den Arzt um ein Antibiotikum,
oder der verschreibt gar ungefragt ei-
nes. Mit Antibiotika wird vielfach sorg-
los umgegangen. Dabei bewahrt man
sie sich besser für die ernsten Fälle.
Global breiten sich Resistenzen aus. In
Deutschland sterben verschiedenen
Schätzungen zufolge Tausende Men-
schen, weil die sonst lebensrettenden
Medikamente nicht mehr anschlagen.
Seit Jahren gibt es Kritik, die Pharma-
konzerne forschten hier nicht mehr ge-
nug. Ein neuer Bericht über den Aus-
stieg von Unternehmen aus dem Feld
scheint dem Nahrung zu geben. Doch
die Pharmabranche ist in diesem Fall
nicht die Schuldige. Denn es geht expli-
zit um Mittel, die möglichst nicht einge-
setzt werden – nur dann, wenn nichts
anderes mehr hilft; schließlich sollen
die neuen Produkte nicht wieder Resis-
tenzen erzeugen. Man kann von einem
privatwirtschaftlichen Unternehmen
nicht erwarten, an solchen Arzneien
zu arbeiten, wenn es dann je verkauf-
ter Tablette bezahlt wird. Denkbar
wäre stattdessen etwa eine jährliche
Zahlung für die Bereithaltung, eine Ab-
satzgarantie oder eine Prämie für eine
Innovation. Die Pharmabranche for-
dert in diesem Spezialfall zu Recht ein
gesondertes Vergütungsmodell.

Aussteiger:Nur wenige Stunden nach dem Termin mit der Kanzlerin kündigte VDA-Präsident Bernhard Mattes am Donnerstag seinen Abschied an. Foto Frank Röth


FRANKFURT, 12. September


I


n der Diskussion um Antibiotika-Re-
sistenzen pocht die Pharmaindustrie
auf eine gesonderte Vergütung für
Neuprodukte. Es geht um Antibiotika, die
nur im Notfall eingesetzt werden sollen –
wenn die herkömmlichen Produkte we-
gen Resistenzen versagen. Nach dem her-
kömmlichen Geschäftsmodell sei ihre Er-
forschung und Entwicklung nicht zu refi-
nanzieren, argumentiert der Verband der
forschenden Pharma-Unternehmen
(VfA). Sein für Forschung zuständiger Ge-
schäftsführer Siegfried Throm nannte auf
Anfrage der F.A.Z. konkrete Modelle.
„Länderübergreifend wären insbeson-
dere Absatzgarantien für neue Antibioti-
ka gegen Problemkeime ein geeignetes
Mittel“, teilte Throm schriftlich mit. „Zu-
dem sollte es für die erfolgreiche Entwick-
lung solcher Antibiotika eine Prämienzah-
lung geben, um die Entwicklungskosten
wenigstens teilweise zu refinanzieren.
Speziell in Deutschland sollten neue Anti-


biotika auch im Krankenhaus rasch erstat-
tungsfähig werden.“ Damit konkretisiert
der Verband erstmals öffentlich, wie er
sich einen Anreiz zur Antibiotika-For-
schung vorstellt.
Hintergrund ist die Sorge unter Patien-
ten, Ärzten und Gesundheitspolitikern
um die künftige Wirksamkeit von Antibio-
tika. Die meisten bakteriellen Infektionen
lassen sich gut mit Medikamenten behan-
deln, welche schon lange auf dem Markt
sind. Manche Keime aber entwickeln mit
der Zeit Widerstandskräfte. Bei Resisten-
zen müssen Ärzte und Patienten auf ande-
re Antibiotika ausweichen. Im schlimms-
ten Fall hilft gar kein Antibiotikum mehr.
Das Problem wurde besonders bekannt in
Verbindung mit dem multiresistenten
„Krankenhauskeim“ MRSA, aber auch mit
dem multiresistenten Tuberkelbazillus.
Resistenzen nehmen rund um den Erd-
ball zu. In Deutschland sterben nach ver-
schiedenen Schätzungen jedes Jahr Tau-
sende Menschen als Folge von Antibioti-

ka-Resistenzen. Der VfA spricht von jähr-
lich 3300 und beruft sich dabei auf Zah-
len des Europäischen Zentrums für die
Prävention und die Kontrolle von Krank-
heiten (ECDC). In anderen Ländern sei-
en die Zahlen sehr viel höher.
Früher war die Entwicklung der oft le-
bensrettenden Medikamente per se lukra-
tiv. Nach einer Verbandserhebung sind
bislang 80 Breitband-Antibiotika entwi-
ckelt worden, also Mittel, die viele Bakte-
rienarten bekämpfen. Die Präparate gehö-
ren verschiedenen Klassen an, mit unter-
schiedlichen Molekülstrukturen und Wir-
kungsweisen. „Die meisten neuen Klas-
sen wurden in den 1950er und 1960er Jah-
ren sowie in den frühen 2000er Jahren ein-
geführt“, schreibt der Lobbyverband in ei-
nem Dossier zum Thema.
Das reicht aus, um die große Mehrheit
der Patienten zu behandeln. Krankheiten
wie Lungenentzündungen, Wundinfektio-
nen und Syphilis haben einiges von ihrem
früheren Schrecken verloren. So schienen

die Arbeiten an Präparaten gegen Bakte-
rien lange Zeit ausgereizt. Die Patente
der meisten Antibiotika sind abgelaufen,
Nachahmerpräparate (Generika) drü-
cken die Preise.
In so einer Situation ist der kommerziel-
le Anreiz gering, Neues zu entwickeln.
Und die Erforschung und die Tests an Tie-
ren und Menschen kosten üblicherweise
Hunderte Millionen Euro je neuem Präpa-
rat. So zog sich eine Reihe von Großkon-
zernen aus der Forschung zurück: etwa
der Bayer-Konzern, bekannt für seinen
antibiotischen Klassiker Ciprobay. Auch
Roche aus der Schweiz verabschiedete
sich, ebenso Sanofi, der französische An-
bieter, in dem der frühere deutsche Markt-
führer Hoechst aufging. Doch die Folgen
sind schwer. Denn Bakterien verändern
sich, werden resistent gegen alte Wirkstof-
fe. Einige Unternehmen kehrten wieder
zurück. Roche und die amerikanische
Merck erwarben entsprechende Spezial-
unternehmen. Sanofi besann sich auf das

Forschungserbe des Vorgängerunterneh-
mens Hoechst zurück. Anfang des Jahres
hatte der VfA einige Bewegung auf dem
Markt der Antibiotika angekündigt: Meh-
rere Mittel könnten 2019 auf den Markt
kommen, die auch gegen Bakterien wir-
ken, welche gegen ältere Medikamente re-
sistent sind. Auch er sieht die Aktivität
aber als unzureichend an. Der NDR be-
richtete am Donnerstag, fast die Hälfte
von etwa 100 Unternehmen, die 2016
eine gemeinsame Erklärung über mehr
Anstrengungen im Kampf gegen Resisten-
zen vereinbart hatten, seien in dem Be-
reich nicht mehr aktiv.
Damit die neuen Mittel nicht schnell
wieder neue Resistenzen erzeugen, sollen
sie besonders restriktiv eingesetzt wer-
den. Der Anbieter bringt also ein Produkt
hervor, mit dem er ausdrücklich mög-
lichst wenig Absatz erzielen soll. Dann
müsse es für einen wirtschaftlich handeln-
den Hersteller auch besondere Konditio-
nen geben, argumentiert die Industrie.

Sorgen mit Antibiotika


Von Klaus Max Smolka


Holger Appel, Ilka Kopplin,
Sven Astheimer, Oliver Georgi

Pharmaindustrie will Sondervergütung für neue Antibiotika


Sie sollen in Notfällen bei Resistenzen helfen / Aber viele Unternehmen sind aus der Forschung ausgestiegen / Von Klaus Max Smolka


Die Autobranche steht vor einem Scherbenhaufen


Opioidkonzern Purdue erreicht vorläufigen Vergleich


Doch einige Staatsanwälte wollen deutlich mehr Geld von der Eigentümerfamilie Sackler / Von Winand von Petersdorff


Purdue-Schmerzmittel Oxycontin Foto AP


Die bedeutendste


Automesse Europas


steht in der Kritikwie


nie. In dieser Situation


kündigt auch noch der


Chef des Ausrichters


seinen Abgang an.


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