GEO - 09.2019

(Nancy Kaufman) #1
Martin Flade
Leiter des Biosphärenreservats
Schorfheide-Chorin, Brodowin

Ohne Fernglas ins Freie gehen?
Undenkbar für Martin Flade. Er
möchte seine Schützlinge von
Nahem sehen: die Feld- und
Heidelerchen, die im Biosphärenre­
servat am Boden zwischen Halmen
nisten. Und die Schreiadler, die über
den Seen segeln. »Die Landschaft
hier ist wie ein Mosaik«, sagt Flade:
Buchenwälder wechseln sich ab mit
Mooren und Steppenrasen. Dabei
ist das Reservat, 50 Kilometer von
Berlin entfernt und anderthalbmal
so groß wie die Hauptstadt, kein
Schutzgebiet. Die Natur teilt sich
den Raum mit der Landwirtschaft.
Flade kümmert sich darum,
dass beides harmonisch koexistiert:
»Gerade Kulturlandschaften können
unglaublich artenreich sein«, sagt er.


wie Klee, Gräser. In die eine Parzelle sä­
ten sie nur eine Spezies, in die nächste
zwei, in eine weitere vier, und so weiter,
bis sie bei 60 unterschiedlichen Arten
angelangt waren. In den ersten Jahren
entwickelten sich die Miniaturwiesen
ähnlich. Doch je länger das Experiment
dauerte, desto größer wurden die Un­
terschiede. Monokulturen warfen im­
mer weniger ab. Die artenreichen Par­
zellen gediehen Jahr um Jahr üppiger.
Warum?
Die oberirdische Vielfalt führte zu
unterirdischem Reichtum. Die musste
über die Jahre reifen. Bodentiere wie
Regenwürmer und Mikroorganismen.
Sie wiederum stachelten das oberirdi­
sche Wachstum an. Und von dem pro­
fitierte dann wieder die Unterwelt. Die­
se Rückkopplungseffekte führen dazu,
dass artenreiche Wiesen mehr Biomas­
se produzieren als artenarme. Selbst
mit gedüngten Flächen halten sie mit.
Beim Jena-Experiment handelt es
sich um Grundlagenforschung. Trotz­
dem liefert es für Bauern wichtige Er­
kenntnise: Eine bunte Wiese ist eine
eierlegende Wollmilchsau. Sie bietet

energiereiches Futter fürs Vieh, puffert
Störungen wie Fluten, Dürre, Schädlin­
ge ab. Allerdings ist das Grünland, und
zwar nicht nur hier, im Nordosten Nie­
dersachsens, in den vergangenen Jah­
ren nicht bunter geworden, sondern
grüner. In vielen Fällen wachsen nur
noch drei besonders ertragreiche Gra­
sarten auf den Flächen. Ihre Halme ste­
hen so dicht, dass kein Wiesenvogel
zwischen ihnen brüten kann. Kaum ein
Insekt findet Futterpflanzen. Die Wie­
sen wirken prall -ökologisch sind sie
tot. Der Grund? Gülle.
Anders als bei den Bressels hat sich
der Viehbestand hiesiger Milchbetriebe
von der Größe der Flächen entkoppelt.
Zu viel Urin und Kot fallen an. Entsorgt
auf den Wiesen, erstickt die Gülle mit
ihrem hohen Nährstoffgehalt alles an
niedrige Werte angepasste Leben.
In Brodowin war ich hoffnungsfroh,
was die Macht der Verbraucher angeht.
Nun sackt mein Mut. Über die Hälfte
der in Deutschland produzierten Milch­
menge von rund 33 Millionen Tonnen
pro Jahr wird exportiert. Ich sehe mei­
nen Hebel als Konsumentin nicht mehr.
Free download pdf