Neue Zürcher Zeitung - 08.09.2019

(John Hannent) #1
NZZ am Sonntag8. September 2019
Kultur 63

«Fürvi eleJungeist

NachzwölfJahren alsGeschäftsführerverlässt DaniLandolfden Schweizerischen


Buchhändler- undVerlegerverband.Erhat Bewegung in dieSzenegebracht. Was


hat er erreicht, undwelcheBaustellenbleiben?Von ManfredPapst


J


eder, der mit Büchern zu tun hat,
kennt denwirbligen Thurgauer,
der inBern wohnt und in Zürich
arbeitet: DaniLandolf, 51, hat
zwölf turbulente Jahre lang die
Geschicke desSchweizer Buch-
händler- undVerlegerverbands
(SBVV) geleitet. Zuvor war dergelernte Pri-
marlehrer und studierte Historiker fürver-
schiedene Zeitungen tätig, zuletzt als stell-
vertretender Chefredaktor beim «Bund». Als
er 2007 sein neues Amt antrat,wurde die
Branchegerade heftig durchgeschüttelt: Im
Mai war nach jahrelangen zermürbenden
Grabenkämpfen die Buchpreisbindunggefal-
len, nachdem das Bundesgericht die Ein-
schätzung derWettbewerbskommission
bestätigt undkeine Ausnahmevom Kartell-
gesetz mehr erlaubt hatte. Es herrschte
Krisenstimmung, das zähe Ringen ging
weit er. 2012 scheiterte dieWiedereinführung
der Buchpreisbindung amRefere ndum.56,1
Prozent der Stimmberechtigten lehnten das
entsprechendeGesetz ab und schrieben
damitfest, dass das Buch in derSchweiz kein
schützenswertesKulturgut ist, sondern eine
Ware wie jede andere auch.Wie sah Dani
Landolf damals dieLage, wie beurteilt er sie
heute, undwo gibt es Handlungsbedarf?


  1. Es gibteinLeben nach
    der Buchpreisbindung


«Als ich meinenJob antrat», sagtLandolf,
«war ichwie damals jederKulturmensch
reflex artig für die Buchpreisbindung, und ich
erlebte die Niederlage an der Urne, nachdem
wir fünfJahre langÜberzeugungsarbeit zu
leistenversucht hatten, alsDebakel.»Heute
sieht er das differenzierter: «Für dieSchweiz
als Importland mit starkemFranken ist die
freie Preisbildung auch eine Chance. Manche
Buchhändler begrüssen sie sogar,weil sie
flex ibler kalkulierenkönnen. Häufig sind die
von deutschenVerlagenfestgelegtenPreise
für unseren Markt schlicht zu tief.Zwölf
Jahre nach Abschaffung der Buchpreis-
bindungzeigen sich dieAuswirkungen nicht
so katastrophal,wie wir damals befürchtet
haben.»Freilich muss man einräumen, dass
die Schweiz vom Weiterbestehen derPreis-
bindung inDeutschland indirekt profitiert,
weil die Programmvielfalt nicht durch einen
deregulierten Markt bedrohtwird.
Landolf sah rasch, dass der SBVV, wenn er
eine Zukunft habenwollte, sich nicht auf die
Rolle als Gralshüter alter Strukturenverstei-
fen durfte, sondern unter sch wierigenBedin-
gungen Rezepte fürsÜberleben der Buch-
branche finden musste. Dazu brauchte es
erst einmal kritischeSelbsterkenntnis, und
die ist bis heutevonnöten.


  1. Soholt man dieKunden
    in dieBuchhandlung


Dass dieAufhebung der Buchpreisbindung
der Hauptgrund für die andauernde Krise
des Detailhandels sei, bestreitet Landolf.
«UnsereZahlen belegen, dass das Buchhand-
lungssterben sich bereits bei intakterPreis-
bindungvollzog», sagt er. «Aber durch Inter-
netanbieterwie Amazon hat der lokale Buch-
handelweit er massivverloren. Etwa ein Drit-
tel des Umsatzes istweggebrochen, etliche
Läden mussten schliessen.Zwei Dri ttel der
Leute gehen aber noch in dieDetailgeschäfte
und zahlenfaire Preise.»
Um dieseKundschaft bei der Stange zu
halten, muss sich der Buchhandel etwas
einfallen lassen.Jammern allein hilft nicht,
und Landolf sieht auch schon positive Verän-
derungen: Anbieter haben ihreLaden-
geschäfteverschönert, und sie sorgen für

Kundenbindung, indem sie ein liebevoll
zusammengestelltesSortimentfeilhalten,
Veranstaltungen organisieren, zumSchmö-
kern bei einerTasse Kaffee einladen und
Bestellungen perVelo ausliefern.Viele Buch-
handlungen sind nicht mehr Orte, in denen
der Kunde seineSchwellenangst überwinden
muss,wenn er sie betritt, um mit einemVer-
legenheitskauf das Etablissement halbreuig
wieder zuverlassen. «Es gibt nicht nur
Schliessungen, sondern auch Neueröffnun-
gen», sagtLandolf, «und fürviele Junge, die
in NewYork oderLondon entdeckt haben,
dass Buchhandlungen auchHotspots sein
können, istLesen plötzlichwieder cool.»


  1. Eine trägeBranche?
    DiesesImagemuss weg


Über nichts kann sich DaniLandolf so auf-
regen wie über die stereotypenReden der
Pessimisten. «Zwölf Jahre lang musste ich
mir anhören, die Branche sei träge, das Buch

ein Auslaufmodell, das Gutenbergzeitalter
am Ende und der Analphabetismus auf dem
Vormarsch, allenfalls das E-Book und das
Self-Publishingwürden überleben.Was für
ein Unsinn!Viele Medien haben offenbar
nichtsGescheitere s zu tun, als uns schlecht-
zureden. Dabei hätten siegenug eigenePro-
bleme.» Die Buchbranche musste zwar
Federn lassen, aber imVergleich mit dem,
was dieTageszeitungen, das Radio undFern-
sehen derzeit durchmachen, schlägt sie sich
immer noch tapfer.


  1. ExLibris: Vom Feind


zum Partner


Vielerorts ist DaniLandolf beliebt. Er eckte
aber auch an – beispielsweise, als er für die
Aufnahme der Migros-Tochter Ex Libris in
den Verband eintrat. Das Unternehmen war
einst eingediegener Buchklub fürs Bildungs-
bürgertum; dannwurde es zumGemischt-
warenladen für knallige Allerweltstitel.

Heute ist es ein führender Online-Händler,
der mit günstigenPreisen lockt.«Wir haben
Ex Librisgern willkommengeheissen», sagt
Landolf, «weil das Unternehmen hierzulande
der einzige ernsthafteKonkurrent zu
Amazon ist und imGegensatz zu diesem in
der Schweiz Steuern zahlt.»


  1. DasBAK muss endlich
    offenerwerden


Zu Landolfs grossenVerdienstengehört, dass
er seinenLaden nicht nurverwaltet, sondern
alles darangesetzt hat, ihnvorwärtszubrin-
gen. Mit LucienLeitess, demVerleger des
Unionsverlags, hat er den Bund überzeugt,
SchweizerVerlage nachhaltig zufördern. Der
in seiner Amtszeit lancierteSchweizer Buch-
preis, der diesesJahr zum zwölften Malver-
geben wird, wurde rasch zu einem Event mit
nationaler und internationalerAusstrahlung.
Auszeichnungen wie jene zumVerlag und
zur Buchhandlung desJahres schaffen
zusätzlicheMotivation. Gastlandauftritte an
den grossenMessen bringen dasSchweizer
Kulturschaffen insGespräch. Diese Initiati-
ven sindwichtig, und sie sind ausbaufähig.
Ein Punkt schmerztLandolf: Das Bundesamt
für Kultur (BAK) hat bisherkein In tere sse
gezeigt, vom Fachwissen im SBVV zu profi-
tieren und mit ihm zusammenzuarbeiten.
Statt Sy nergien mit demSchweizer Buch-
preis zu nutzen, gibt esviel Geld für eigene
Preise aus, die ohne öffentlichesEcho blei-
ben. Die Eroberung derBastionBAK sieht
Landolf denn auch als einewichtigeAufgabe
für seinen Nachfolger DanielWaser an.


  1. Bibliotheken sollen in
    der Schweizeinkaufen


Für verbesserungsfähig hältLandolf die
Zusammenarbeit mit den Bibliotheken.
Doch da knirscht es oft:Sowohl mit dem
Buchhandel als auch mit denVerlagen und
neuerdings –wege n des Urheberrechts – mit
den Autore n gibt es immerwieder Kon-
flikte. Das ist schade. «Die beste Buch-
handelsförderung», soLandolf, «wäre,
wenn man die öffentlichen Bibliotheken,
Bundesorganisationen undSchulen darauf
verpflichten könnte, im Schweizer Buch-
handel einzukaufen. Dawürden Steuer-
geld er und Subvent ionenwieder in den
Kreislauffliessen.Heute kaufen grosse
Bibliotheken oft nur imAusland ein, und
Lehrer raten den Eltern, bei Amazon zu
bestellen. Das ist kurzsichtig.»


  1. DasBuchdreht dem
    E-Book eineNase


UmbertoEco hat einmalgesagt, manche
Dinge werde es immergeben, weil man sie
nicht mehrverbessernkönne. Er hat dabei
das Velo, denLöffel und das Buch angeführt.
Dani Landolfteilt diese Einschätzung. Er hält
fest, dass das E-Book das Buch nichtver-
drängt hat, sondern allenfalls ergänzt, bei-
spielsweise aufReisen. Doch er kennt auch
die neueren Erkenntnisse der Hirnforschung,
nach denen bei derLektüre einesTextes in
Buchform mehr haftenbleibt, alswenn man
ihn am Bildschirm liest. Und erweiss, dass
die Schönheit eines sorgfältig gestalteten
Buches einWert in sich ist und es beispiels-
weise zum begehrtenGeschenk macht.Wer
will schon einenDownloadverschenken?
Und noch etwaskommt hinzu: «30Prozent
der Jungen in derSchweiz geben heute an,
dass sieregelmässig Bücher lesen», sagtLan-
dolf. «Das macht mich zuversichtlich!»

Lesenwiedercool»

Was macht er
als Nächstes?

Dani Landolf lässt
nochoffen,was er
nach seiner Zeit
beim SBVVtun will.
Der Kulturbetrieb
reizt ihn, aber auch
die Schule. Mit
der Literatur ist er
unter anderem
durch seineFrau
Katharina Altas
verbunden: Sie
leitet inBern eine
eigene Agentur.

GABI

VOGT

«Viele Medien haben nichts Gescheitereszutun, als uns schlechtzu reden»: Dani Landolf.(Zürich,5. September2019)
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