Beobachter - 13.09.2019

(nextflipdebug5) #1
FOTO: PD

Sie haben ein Buch über Körpertabus
geschrieben. Was ist Ihnen selbst peinlich?
Yael Adler: Als ich meine erste Liebesreise unter­
nahm, war ich mit einem tollen Mann in einem
Hotelzimmer in Paris und fragte mich: Wie gehst
du jetzt aufs Klo? Ich war furchtbar neidisch auf
meinen Partner, der sich keine Sorgen über die
Geräusche und Duftmarken machte, die er
produzierte. Mir jedoch war, wie vielen Frauen,
alles peinlich, was mit Stuhlgang und Körper­
gerüchen zu tun hatte, und ich konnte in den drei
Tagen nicht ein einziges Mal auf die Toilette.

Heute ist Ihnen nichts mehr peinlich?
Oh doch, ganz viele Sachen, deshalb habe ich
auch so eine besondere Sensibilität für das
Thema. Als ich mein Buch in einer Talkshow vor­
gestellt habe, wollte ich zur Veranschaulichung
zeigen, wie Männer gern sitzen: Mit breiten Bei­
nen und hochgeklappten Armen. Als ich meine
Arme hob, erkannte ich am entsetzten Blick des
Moderators, dass ich Schweissflecken hatte. Die
Kamera hielt natürlich voll drauf, und am nächs­
ten Tag ergoss sich in den sozialen Medien der
Spott über mich.

Sind Frauen mehr Dinge peinlich als Männern?
Frauen sollen immer sauber sein, appetitlich
und reinlich. Archaische Dinge wie Stuhlgang,
Körpergerüche und Schweiss passen da nicht
dazu. Kleine Kinder finden eigene Gerüche noch
gut und sind stolz, wenn der Stuhlgang ins Töpf­
chen geht. Aber dann wird ihnen schnell bei­
gebracht, dass sie ihn nicht berühren dürfen,

dass das eklig ist, Mädchen erst recht. Frauen
werden heute mehr denn je in eine Erwartungs­
haltung gequetscht.

Der weibliche Körper ist mit vielen Tabus
behaftet. Auch die Menstruation gilt als eklig,
obwohl sie etwas ganz Normales ist: Die
Hälfte der Menschheit blutet im gebärfähigen
Alter einmal im Monat.
Die Periode ist nach wie vor ein grosses Tabu.
Tampons und Binden werden sorgsam versteckt.
Es gibt viele Mythen zu diesem Thema. Mens­
truationsblut sei voller Keime beispielsweise –
aber das Gegenteil ist wahr: Die Frau reagiert
während der Menstruation sehr empfindlich auf
fremde Keime, weil das Blut den pH­Wert in der
Vagina erhöht und die Abwehr schwächt. Man­
che Frauen mögen Sex haben in der Zeit, weil
es sie entspannt. Manche Männer mögen das,
andere nicht. Psychoanalytiker haben das als
Kastrationsangst beschrieben, manche Männer
assoziieren mit dem Blut Verletzung oder ekeln
sich vor dem Körpersekret. Dabei handelt es sich
nur um etwas Blut, etwas Schleim, ein bisschen
Milchsäurebakterien und Eiweiss. Oft ekeln sich
Menschen vor Dingen, weil sie nicht darüber
Bescheid wissen.

Viele Frauen befürchten, ihre Vagina rieche
unangenehm. Wie viel Seife braucht es, damit der
Intimbereich gut riecht?
Der Körper möchte gewaschen werden wie in
der Steinzeit – also eher selten bis gar nicht. Auch
heutzutage genügt für den Intimbereich warmes

«Frauen


sollen stets


sauber sein,


appetitlich


und


reinlich.»
Yael Adler ist Dermato-
login mit eigener Praxis
und Autorin. In ihrem
neuen Buch «Darüber
spricht man nicht» macht
die 46-Jährige klar, dass
Körpertabus die Lebens-
qualität mindern.


INTERVIEW: JULIA HOFER | FOTOS: JACQUELINE LIPP


INTIMSPHÄRE. Frauen ist vieles peinlich. Körpergerüche, die Periode, Wechseljahre.


Die Dermatologin und Sachbuchautorin Yael Adler kennt keine Scham. In ihrem neuen


Bestseller «Darüber spricht man nicht» geht es um Tabuzonen.


«Keine Frau sagt,


dass es mit dem Sex


nicht mehr klappt»


88 Beobachter 19/2019

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