Der Stern - 12.09.2019

(Sean Pound) #1
FOTOS: OLIVER FRANKE/FÖHR TOURISMUS

D


iesen Moment möchte ich für die
Ewigkeit festhalten. Oder zumin-
dest für den Rest meines Lebens.
Möchte ihn zu Hause ins Schatz-
kästchen unserer Familien legen
und ihn aufbewahren, zusammen
mit all den Fotos und Andenken, die an be-
sondere Momente erinnern. Dann könnte
ich ihn jederzeit hervorholen und mich an
dieses Gefühl erinnern: Jetzt ist das Glück
vollkommen. Das Föhr-Gefühl.
Ich sitze am Sandstrand von Nieblum im
Süden der Insel und schaue auf die Nord-
see wie auf eine weite, glänzende Bühne.
Gegeben wird: die Flut. Immer weiter rückt
das Meer vor und überspült das Watt, bis
das Wasser den Strand erreicht. Ich staune,
wie schnell das geht. Die Sonne lässt
Tausende Lichter auf dem Meer tanzen.
Manchmal schließe ich die Augen und
lausche den Schreien der Möwen, während
ein leichter Wind durch mein Haar weht.
Vor mir im Sand sitzt mein Sohn Henry,
4, und bemalt Muscheln, die er gestern
gesammelt hat. In all seinen Lieblings-
farben, also in allen Farben bis auf Schwarz.
Meine Frau Sara malt auch, genau wie
Hannah, 6, und deren Mutter, die Pinsel
und Tuschkasten mitgebracht hat. Ihr
Mann baut gerade einen Flugdrachen zu-
sammen, um ihn mit seinem Sohn Max, 4,
steigen zu lassen. Später mal, irgendwann.
Dann beginnt Henry, seine Muscheln
zu verschenken. Eine bekommt Sara, eine
ich. Wir finden sie wunderschön, aber wir
sind natürlich voreingenommen. Auch
Hannah, Max und ihren Eltern gibt Henry
Muscheln. „Die könnt ihr mit nach Hause
nehmen“, sagt er großzügig.

Drehwurm im Wasser


Ein paar Glücksmomente später. Henry
und Hannah gehen mit mir baden. Ich zie-
he sie durchs flache Wasser, das mir bis zu
den Knien reicht, und das bleibt auch so,
als ich weiter ich ins Meer laufe. Die Kinder
jauchzen. Abwechselnd fasse ich sie an den
Händen und lasse sie im Kreis über das
Wasser schleudern. „Noch mal!“, rufen sie,
bis ich einen Drehwurm bekomme. „Noch
mal“ ist ihr Lieblingswort, hier auf Föhr.
Familie Vossen aus Meerbusch haben
wir vor zwei Jahren kennengelernt. Damals
waren sie unsere Strandkorbnachbarn, so
wie in diesem Sommer auch. Anfang der
Woche haben wir sie zufällig am Strand
von Nieblum wieder getroffen. So etwas
passiert, auf der Insel. Die Vossens machen
hier regelmäßig Urlaub, genau wie wir.
Warum gerade Föhr? Weil die Nordseeinsel
glücklich macht. Weil die Erholung von
ganz allein kommt – am Strand, aber 4

Lichtblick am
Strand von
Nieblum: Wenn
die Sonne durch
die Wolken
bricht, beginnt
die Nordsee zu
glitzern


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