Der Stern - 12.09.2019

(Sean Pound) #1
Professor Sommer sagt: „Ich kann nichts
Verantwortungsloses darin sehen, mit
50 oder 60 ein Kind zu zeugen.“ Die Ten-
denz zu genetischen Defekten sei „mar-
ginal“. Bemerkenswerter findet er, dass
die späten Väter in seiner Sprechstunde
die gesünderen Männer sind. Sie er-
nähren sich besser, bewegen sich mehr,
haben weniger Bauchumfang. „Nur 8,3
Prozent über 102 Zentimeter. Bei den
jungen Vätern sind es 22,4 Prozent.“ Das
wiederum führe zu besseren Testosteron-
werten und einer stärkeren Libido. Von
jenen, die zwischen 50 und 60 Vater wer-
den, haben 94,4 Prozent regelmäßig
Geschlechtsverkehr im Vergleich zu 69,3
Prozent ihrer Altersgenossen. Wer hätte
das gedacht? Dreht man die Kausalkette
weiter, könnte man sagen, regelmäßiger
Sex ist ein Zeichen für eine stabile Bezie-
hung, und eine stabile Beziehung ist gut
für das Kind.

hristian Dogs hat da eine andere
Theorie: Viagra sei der Grund dafür,
dass es immer mehr alte Väter gibt. „Früher
war das Thema Sex mit 65 durch, jetzt kom-
men 70-Jährige in meine Sprechstunde und
zeigen mir auf Tinder, mit welchen Frauen
sie schlafen.“ Das sei wider die Natur.
Evolutionstechnisch gesehen muss man
Dogs recht geben. Schließlich hat die Na-
tur den Penisknochen abgeschafft, der den
Mann in ständige Zeugungsbereitschaft
versetzte, was dazu führte, dass die Frauen

keinen Indikator hatten, ob sie sich ein
krankes oder ein gesundes Exemplar ge-
sucht hatten.
Für Antons Zeugung war Viagra nicht
nötig, nur die von der Stiftung Warentest
empfohlene App „Lady Cycle“. Aber natür-
lich: Ein Spätvater braucht eine junge Part-
nerin. Die 14 Jahre Altersunterschied, die
meine Frau und mich trennen, liegen zehn
Jahre über dem deutschen Durchschnitt.
Warum sich meine Frau für mich entschie-
den hat, weiß ich nicht. Objektiv gesehen
hätte sie etwas Besseres kriegen können
als einen launigen Eigenbrötler, dessen
Steuer sie erledigen muss und der un-
serem Sohn beibringt, wie man seinen Na-
men rülpst. Sicherheitshalber habe ich
gefragt: „Schatz, hast du einen Vaterkom-
plex?“ Da hat sie aber nur gelacht.
Christian Dogs meint, dass sich junge
Frauen für ältere Männer entscheiden,
habe mit dem Wunsch nach Heimat,
Sicherheit und Identität zu tun. „Viele Frau-
en umgehen auch die soziale Rushhour,
wenn die Männer zwischen 30 und 50 sind,
beruflich reinhauen, was das Zeug hält, und
ohnehin keine Zeit für Kinder haben.“

Es existiert keine Statistik, die sagt, dass
Beziehungen mit großem Altersunter-
schied zunehmen, nur eben, dass in diesen
Beziehungen mehr Kinder zur Welt kom-
men. Und das mag einfach daran liegen,
dass die Stigmatisierung unkonventionel-
ler Familien abnimmt. Es gibt schwule und
lesbische Elternpaare, bei denen die Kin-
der zwischen „Papa“ und „Vati“ oder „Mut-
ti“ und „Mama“ unterscheiden, und der-
maßen komplizierte Patchworkfamilien,
dass es eines Ahnenforschers bedarf, um
sie zu verstehen. Warum sollte sich die
Gesellschaft da noch an 50-plus-Vätern
stören?
Auch Christian Dogs muss zugeben, dass
sich die Spätväter jenseits seiner Praxis gar
nicht so schlecht machen. Sein bester
Freund Armin ist auch einer, ein 64-jähri-
ger Chefarzt, dessen Sohn Matti bald sechs
wird. Das Problem sei nur, meint Dogs, dass
man sich, seit Matti auf der Welt ist, nicht
mehr mit Armin treffen könne. „Denn
wann immer sich Matti regt, und Matti
regt sich viel, geht es nur noch um ihn. Der
Armin ist total im Liebesrausch.“

ogs prophezeit seinem Freund be-
reits, dass er einen kleinen Narziss-
ten großzieht, der ihm bald auf der Nase
rumtanzt. Und auch bei mir sieht er die Ge-
fahr: „Warten Sie mal bis zur Pubertät, Herr
Albes. Dann steht dieser vor Kraft strot-
zende Junge vor Ihnen, und Sie sind nur
der Opa. Vielleicht kommt es noch zum
klassischen Ödipus. Dann sehen wir uns
doch noch in meiner Sprechstunde.“
Hmmh, habe ich da gedacht, Ödipus-
Komplex, das ist nicht schön, Ödipus hat
seinen Vater umgebracht und seine Mut-
ter geheiratet, das muss man nicht haben.
Also habe ich meiner Frau davon erzählt,
und die hat, ganz pragmatisch, Anton ge-
fragt: „Sag mal, Toni, wen hast du lieber,
Mama oder Papa?“ Da hat sich Anton vor
uns hingestellt, wohl wissend, dass man
bei so einer wichtigen Frage nicht mit die-
sem Also-das-kommt-darauf-an-Erwach-
senengewäsch durchkommt. Dann hat er
uns angeschaut und gesagt: „Papa – denn
der ist größer.“ 2

C


D


FITTERE


VÄTER


MIT


50 PLUS


Den halben Tag mit
Sand in den Schuhen auf
dem Spielplatz. Albes
kann sich nicht vorstellen,
dass er daran mit
25 Spaß gehabt hätte

60 1 2.9. 20 19
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