DER BUNDESWEIT E
V O R LESE TAG
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- November 2019
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Illustration: Gert Albrecht
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- August 2019 DIE ZEIT No 35
Am Anfang war ich irritiert. Wenn ich aus dem
Fenster sehe, schaue ich auf einen Platz, auf
dem Bänke stehen. Ich schaue also eines Mor-
gens aus dem Fenster und sehe drei Bänke, und
auf jeder Bank – sitzt ein typ. Nur so. Kein
Handy, keine Zeitung, kein Buch in der Hand.
Einfach dasitzend. Jeder für sich allein.
später, wir machen die Hunderunde, wir um-
runden also vorsichtig diese herumsitzenden Män-
ner und stellen fest – eher unspektakuläre typen.
Mittelalterliche Männer, mitteleuropäisch, mittel-
grau, mittelschick. Männer! Was tun sie hier, jeder
auf seiner Bank, morgens um acht? Man ist
geneigt, zu fragen: »Alles okay mit Ihnen?« sie
sehen aber nicht traurig aus, nicht müde, nicht
verzweifelt, nicht gelangweilt, sie sehen auch nicht
aus, als wären sie des Nachts in einem Club ver-
sackt und versuchten sich nun am Morgen zu
erinnern, in welchem stadtteil sie zu Hause sind.
sie sehen noch nicht einmal aus, als würden sie
auf irgendwen oder irgendwas warten.
sitzen einfach da. Einsame Bänker.
Beschließe, die sache im Auge zu behalten.
später, wir sind am Fluss, und voilà, es finden
sich weitere Bänker. Einer sitzt da, gerade mal
zwanzig, der typ, er trägt ein weißes shirt zu wei-
ßen sneakern, dazwischen shorts in toffee. tolles
styling. Aber allein, auf seiner Bank. Ein wenig
weiter findet sich ein Alter, Bauch wie trommel,
oben wenig Haare, unten Latschen. und hier:
Kerl mit nacktem Oberkörper. trägt zur skulp-
tierten Brustmuskulatur ein Headset in sma-
ragdgrün und dazu smaragdgrüne sneaker. Muss
man erst mal drauf kommen. Augen geschlossen.
Was hört er? Hört er wie seine Mama, bei nahezu
40 grad, also heimlich, Summertime? Denkt er
sich, dass Living nicht immer so easy ist? Fragt er
sich, was aus Fish are jumping werden soll, wenn
jetzt der Fluss kippt, es werden doch schon über-
all Badeverbote ausgesprochen. Mit anderen
Worten: Handelt es sich bei Bänkern um ein
Klima phäno men?
Womöglich befinden sich Bänker in ihrer
eigenen Art von greta-streik. Vielleicht sind die
typen auch zu wenig hitzeresistent, um einer
Arbeit nachzugehen. Oder könnte es sich um einen
Effekt der Ferien handeln? sitzen sie so muttersee-
lenallein herum, weil zu Hause die Kinder über
tisch und Bänke gehen, deren Kitas und schulen
auf ewig geschlossen sind, und sich dazu alle städ-
tischen Bäder mit Ferienbeginn in eine »technische
schließzeit« begeben haben und Oma wieder
selbstlos angeboten hat, die Enkel zu hüten? sind
es Männer im Exil, auf der Flucht vor der Familie?
Vor sich selbst? Zu fragen wäre: Warum sitzen kei-
ne alleinigen Frauen auf Bänken? Na, weil sie dann
keinen zum Quatschen hätten. Just joking.
tatsächlich befinden wir uns in männer-
unfreundlichen Zeiten. Ich stelle es mir schwierig
vor, morgens in die Zeitung zu sehen, und man
sieht einen wie Boris Johnson oder das unver-
meidliche amerikanische trampel, die ewig
blond-rötlichen Kopfflusen, alternativ Putins bal-
listische Oberarmmuskulatur, und immer heißt es
»typisch Mann«. Es ist so üblich geworden, politisch
Bedenkliches als »typisch Mann« zu etikettieren.
Kaum redet einer über die AfD, wird betont, dass es
ein Männerverein ist. Der Niedergang der »Alt«-Par-
teien, der schwächelnde Export, der Brexit oder rus-
sische Raketentests – blödes Männergedöns, mehr
fällt den Leuten nicht ein. Man sollte keine Witze
über Hitler machen, aber wenigstens galt er als Irrer.
Ich hoffe für Männer, dass sich die sache irgendwann
abkühlt. sonst steht noch jemand auf und zeigt auf
AKK oder Merkel oder Baer bock und verhöhnt sie
als Frau. Also das wäre dann echt – Männer!
Bänker
in the sun
VON SUSANNE MAYER
MÄNNER!
Hier lesen sie im Wechsel die Kolumnen »Berliner
Canapés« von Ingeborg Harms, »Jessens tierleben« von
Jens Jessen, »Männer!« von susanne Mayer sowie
»Auf ein Frühstücksei mit ...« von Moritz von uslar
http://www.zeit.de/audio
Oje, das tut weh. Die schriftstellerin Kathrin
Passig hat in ihrem tollen Buch Vielleicht ist das
neu und erfreulich (Droschl Verlag) das deutsche
Feuilleton mit leichter Hand schwer attackiert.
Ob Internet, smartphone, E-Book-Reader: Die
Besserwisserfeuilletonisten hätten alle super-
coolen Erfindungen komplett verschlafen. Kul-
turkritische Männer – alles ahnungslose Penner!
Liebe Frau Dr. Passig, vielen Dank für Ihre
konstruktive Kritik. sie haben uns wachgerüttelt.
Künftig werden auch wir innovativ sein und in
unserer serie »Finis empfiehlt« die Menschheit
voranbringen. Heute möchten wir das Hirnver-
besserungsgerät Neuralink aus dem Hause Elon
Musk vorstellen. Vor der Anwendung wird der
menschliche schädel kurz aufgebohrt und mit
3000 winzigen Elektroden befüllt, die mit einem
Rechner verbunden werden. statt der üblichen
Handbohrer kommen superfeine Laserstrahlen
zum Einsatz. Ist die Ausheilzeit vorbei, erhalten
hirnverbesserte Menschen Zugang zum Neura-
link-App-store. Dort können sie sich neue Fähig-
keiten und Begabungen zeitnah direkt ins Hirn
laden, zum Beispiel »sachbuchautor« oder »tech-
nikfreak«. Die gedanken selbst bleiben frei.
Neu und erfreulich ist auch, dass alle Auf-
gebohrten wie ein normales Endgerät behandelt
werden. sie bekommen eine Internetadresse
nebst Ländercode und tarifbindung; die Einwahl
ins lokale WLAN erfolgt automatisch. Nur auf
Ittoqqortoormiit in grönland, Longyearbyen auf
spitzbergen sowie in Mecklenburg-Vorpommern
erfolgt die Einwahl per Hand. sobald das Men-
tal-Implantat gestartet wird, erscheint vor dem
inneren Auge die Ama zon- Web site; das Weiter-
blättern geschieht durch sanften Druck auf den
rechten Nasenflügel (Vorwärtsfunktion). Jedes
Amazon-Produkt, das länger als zehn sekunden
fixiert wird, gilt als käuflich erworben. Auch die
Funktion »Autopilot« ist neu und erfreulich. sie
kombiniert ein spurhaltesystem mit einem
belohnungsreizoptimierten Abstandswarngerät.
Kommt es zu einer Kollision mit naturbelassenen
Passanten, schaltet sich das system automatisch
ab und wird erst nach vollständigem stillstand
wieder aktiviert.
Erstkunden beachten bitte, dass es in der
postoperativen Eingewöhnungsphase zu unge-
wollten Fehlsteuerungen im Bewegungsablauf
kommen kann. testpersonen fielen durch Hup-
geräusche und zwanghaftes Armausstrecken beim
Links- und Rechtsabbiegen auf. Auch heftige
Wischbewegungen bei einsetzendem Regen
wurden beobachtet. trotzdem steht einer Ver-
leihung der Feuilleton-Fortschrittsurkunde nichts
im Wege. Wir sagen: so geht technik! FINIS
D
iese Musik ist hochabstrakt
- und zugleich eminent
körperlich. sie ist körper-
lich wegen der warmen,
weich schwingenden Bässe,
die unter den Rhythmen
und den Melodien dräuen
und manchmal sich auch plötzlich aus dem
Klanggrund erheben und große Räume eröffnen
und den ganzen Körper umhüllen. sie ist abstrakt
wegen der komplizierten, mal fließenden, mal
stolpernden und stockenden Beats, zusammen-
gesetzt aus klitzekleinen Klangfitzeln, aus den
samples von knisternden tüten oder blökenden
Hörnern, von quakenden Enten oder kiebig
krächzendem Raubvogelvieh. All diese Klänge
werden in weite Echokammern gestellt, in denen
jeder einzelne schlag, jeder einzelne sound sich
in seiner eigenen geschwindigkeit fortzubewe-
gen und zu entwickeln scheint. Manchmal schu-
ckern die geräusche scheinbar fremd ne ben ein-
an der her; aber dann bildet sich aus den unschar-
fen, flirrend vibrierenden Bildern doch wieder
eine musikalische ganzheit.
Equiknoxx heißt das Kollektiv aus Kingston,
Jamaika, das mit Eternal Children jetzt sein bis-
her bestes und farbigstes Album vorgelegt hat.
seit Mitte der Nullerjahre versorgen Jordan
»time Cow« Chung und gavin »gavsborg«
Blair die sängerinnen und sänger ihrer Heimat
mit Riddims, also mit Instrumentalstücken,
über denen dann rappend improvisiert wird.
Doch haben sie dieses musikalische Dienstleis-
tungsgewerbe schon immer mit einem Hang zur
größtmöglich verfeinerten studiotüftelei ausge-
führt: sie sampeln, filtern, fitzeln, schreddern
und modulieren in einem fort; aus welchen
Quellen ihre Beats und sounds stammen,
erschließt sich am Ende auch beim konzentrier-
testen Hören nicht. In jedem neuen Durchlauf
meint man etwas anderes wahrnehmen zu kön-
nen: Naturgeräusche, tierstimmen, steinzeitli-
che Klänge aus einem Modularsynthesizer, wei-
ßes Rauschen aus dem Äther, leichtes tinnitus-
fiepen aus dem eigenen Kopf, all das mischt sich
hier in ein an der.
seit 2016 haben sie mit zwei Ins tru men tal-
alben auch beim europäischen Publikum für
Aufsehen gesorgt. Auf Bird Sound Power und
Colón Man war die stimmung düster und klaus-
trophobisch, die weiten Klangräume wirkten
sonderbar trocken und leer: Vakuum-Dub. Die
Musik auf Eternal Children ist demgegenüber
heiterer und wandlungsreicher geworden, auch
haben Equi knoxx ihre stücke nun durchweg mit
dem gesang wechselnder gäste versehen.
Besonders sha nique Marie, bisher nur 2016 mit
ihrer Debüt-EP Uno und als Mitglied der Equi-
knoxx- Live- Crew aufgefallen, ist eine Entde-
ckung: Mit ihrer schönen, hellen, leicht heiseren
stimme wechselt sie mühelos zwischen den
Registern; den leiernden Duktus der Dance hall-
Rapper mit seinen wiederum ständig schwan-
Da knistern
die Tüten
Die jamaikanische Band Equiknoxx sampelt für ihr Album »Eternal
Children« alle töne und geräusche dieser Erde VON JENS BALZER
Vertreter der globalisierten
Popkultur: Das karibische
Kollektiv Equiknoxx
kenden Metren beherrscht sie ebenso wie das
soulvolle Extemporieren im romantischen song
- wie auch, und das sind vielleicht die tollsten
stellen des Albums, den wortzerschreddernden
und silbenabschmeckenden scat-stil aus dem
frühen Hip-Hop der siebzigerjahre.
so wie das Zeitmaß des gesangs und seiner
Begleitung stets schwankt, so bewegt die Musik
von Equi knoxx sich im ganzen in origineller,
oft unvorhersehbarer Weise vor und zurück in
der Zeit. Die Produzenten, ihre sängerinnen
und sänger graben tief in der geschichte und in
ihrer musikalischen Herkunft und wenden sich
zugleich der gegenwart und der Zukunft der
globalen Verstreuung von popmusikalischen
traditionen zu. Manche Zitate erinnern an den
klassischen ska-Reggae der sechzigerjahre und
an dessen Weiterführung im britischen Punk
(das Intro zu Manchester könnte mit seinem düs-
ter sich im Kreis drehenden Bläsersatz auch aus
einem stück der specials stammen). An anderen
stellen klingt jener gleichsam entkörperlichte,
maschinell-minimalistische Dub-techno durch,
wie er im Berlin der Neunziger- und Nullerjah-
re gepflegt wurde – längst schon wieder ver-
stummte Echos aus zwischengenutzten Nach-
wende-Ruinen, von Jamaika so weit entfernt
wie nur denkbar. In dem stück Manchester
brillieren schließlich Brent Bird und Fox, zwei
Rapper aus der blutjungen swing-ting-Crew,
die auf ihren Partys in der nämlichen stadt die
exzessive Feier des endlosen tanzens mit dem
grimmigen so zial rea lis mus des neuesten grime
verbindet. »We listen to Frisco, Wiley und Skep-
ta«, rühmt sha nique Marie dazu alte und neue
Helden dieser Musik.
Eternal Children ist ein großes Pop-Album,
auf dem sich ein herzzerreißendes, jederzeit hit-
paradentaugliches Liebesduett (Rescue Me)
ebenso findet wie eine bis an die grenzen des
hörerisch Nachvollziehbaren gehende synko-
penspielerei zu außerweltlich flirrenden strei-
chern (Move Along). Vor allem aber ist es ein
Album, das den Zustand unserer globalisierten
Popkultur spiegelt: Es handelt von Herkunft
und traditionspflege, aber auch von Bewegung,
Verwandlung, Entwicklung. Mit Eternal
Children, sagen Equi knoxx, wollten sie die Mu-
sik der jamaikanischen Diaspora zum Erklingen
bringen. An den verschiedensten Orten der
Welt haben sie die sounds ihrer Herkunft und
tra di tion wiedergefunden, die dort zu etwas
anderem geworden sind; dieses andere, Neue
haben sie sich wiederum angeeignet und an sei-
ne Wurzeln zurückgeführt. so wie das Echo im
Zentrum ihrer Produktionsweise steht, so brin-
gen Equi knoxx die globale Popwelt als Echo-
raum zu gehör, in dem die stimmen und
Rhythmen und sounds sich unaufhörlich mit-
ein an der vermischen; und sie feiern die schön-
heit dieser Vermischung und der Hybridität –
keine geringe tat in unserer identitätspolitisch
sonst so verhärteten und verbitterten Zeit.
Letzte
Das
FEUILLETON 43
Foto: Neirin Jones; Illustration: Jindrich Novotny/2 Agenten für DIE ZEIT
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