selbst schon 85 Jahre alt, ist ein kleiner, schmaler Mann. Im
Regal sammelt er seine Akten, Hunderte, Tausende Akten,
von all den Hundertjährigen Okinawas.
Dieses Okinawa, einst ein eigenes Königreich, gehört erst
seit 1871 zum 515 Kilometer entfernten restlichen Japan; es
hat 1,2 Millionen Einwohner und ist exakt 107 Kilometer
lang und zwischen drei und 31 Kilometer breit.
Wenn man es zusammenfasst, dann hat Suzuki in den vier
Jahrzehnten seiner Arbeit diese zehn Lektionen gelernt:
- Die richtige Ernährung ist wichtig; eine Art Diät-
kultur. Gemüse, Tofu, Obst: Auf Okinawa wächst alles,
was gesund ist. Tabak, Alkohol und Koffein sind tabu. - Kleine Portionen sind schlau, auf Okinawa sind da-
her kleine Teller üblich. Hara hachi bu heißt das hier: »Iss
nur so lange, bis dein Magen zu 80 Prozent gefüllt ist.« - Bewegung ist wichtig. Es muss nicht Sport sein, aber
der Mensch hat Beine, damit er geht. Und der Mensch
kann schwimmen, und wenn nicht, kann er’s lernen. - Mentale und soziale Gesundheit sind wichtig. Man
muss in der Lage sein, Niederlagen und Trauer irgendwann
hinter sich zu lassen.
5. Niemals gestresst, aber immer sinnvoll beschäftigt
zu sein – dieses Gleichgewicht ist gesund.
6. Neugieriges Lernen ist zentral. Der Mensch lernt
das, was er tut, und wenn es immer das Gleiche ist, stumpft
er ab und langweilt sich. Eine neue Sprache, ein neues
Spiel, ein neues Hobby halten uns jung.
7. Familie und Freunde sind wichtig. Auf Okinawa
gibt es das Moai-System: Die Menschen kommen regelmä-
ßig zusammen, essen gemeinsam, diskutieren, versuchen,
Probleme zusammen zu lösen.
8. Konzentration ist ein Schlüssel zum Glück im Alter.
Der moderne Mensch ist abgelenkt. »Das Telefon wegzule-
gen und sich voll und ganz einer Sache hinzugeben ist sehr,
sehr gesund«, so Suzuki.
9. Wir müssen so oft wie nur möglich so lange wie
möglich das tun, was wir wirklich tun wollen. Und wir
sollten so selten und so kurz wie möglich das tun, was wir
tun müssen. Und: Humor hilft.
10. Nicht zu vergessen: Der Mensch sollte schlafen – in
der Nacht sollte nichts als der Schlaf unser ikigai sein, ohne
Smart phone auf dem Nachttisch. Die Zellen und damit
der ganze komplizierte Körper erholen sich im Schlaf.
»Niemand will altern«, sagt Suzukis wissenschaftlicher Part-
ner Craig Willcox, »niemand kann dem Alter entkommen.
Aber wir können verstehen, dass es ein Geschäft ist, ein Han-
del: Wir müssen akzeptieren, dass wir sterben werden. Dass
wir schwächer werden. Zugleich wissen wir, dass wir mehr
wissen als früher und mehr beherrschen. Wir haben eine Fa-
milie, wenn wir Glück haben. Das ist der Handel: Man muss
immer etwas aufgeben für das, was man bekommt.«
Die meisten von uns, mit normalen Genen, könnten in
die Neunziger kommen, sagt er. Ein bisschen Fürsorge in
eigener Sache könne dafür genügen, Vorsorgeuntersuchun-
gen beispielsweise. Und zweitens und drittens: Bewegung
und Ernährung. Die Menschen von Okinawa, das fanden
die Forscher heraus, haben saubere, gleichsam ewig junge
Arterien. »Diät, regelmäßige Bewegung, moderater Alko-
holgenuss, Nichtrauchen, Kontrolle des Blutdrucks sowie
eine psycho-spirituelle Lebensweise, die Stress vermeidet«,
führten zu freien, gesunden Arterien, schreiben Willcox
und Suzuki. Die Menschen von Okinawa haben starke,
robuste Knochen und schlanke, zähe Körper.
Und sie haben ihr Wunderwort: ikigai.
Den Sinn von allem, den Grund zu leben.
22.8.19 N^0 35
Hinter der Geschichte: Die Journalistin Samiha
Shafy und unser Autor Klaus Brinkbäumer lernten
auf ihrer Reise, warum sie täglich eine Handvoll Nüsse
essen sollten und dass man sich auch mit 10 0 noch
leidenschaftlich verlieben kann. Ihr Buch »Das kluge,
lustige, gesunde, ungebremste, glückliche, sehr lange
Leben« erscheint am 28. August bei S. Fischer Foto
Christian Werner
Sinn und Freude im eigenen Leben zu entdecken, darum geht’s.
Helga Weyhe, 9 6, die auch auf unserer zweiten Titel -
seite zu sehen ist, führt noch ihre Buchhandlung in Salzwedel