Süddeutsche Zeitung - 06.09.2019

(Michael S) #1

Viele Leute haben eine solche Liste. Mit Se-
rien, dieman schon immer mal sehenwoll-
te. Bei denen man sichkonsequent dieOh-
renzuhält,wenn Freundedarüberreden.
Man wirdsie doch bestimmt bald, amWo-
chenende, gleich, ja, ganz sicher,anschau-
en. Dochwas, wenn man eine Seriesehen
könnte, bei der man gleich dierestlichen
Must-Watch-Serien derletztenJahremit-
geliefert bekommt?
Eine Serie, in der esexplizite Sexszenen
undverschneite Landschaften gibt wie bei
Game of Thrones?Die aber gleichzeitig ein
gruseliges, glitschigesMonster auffährt
wiedas ausStranger Things?Und einenrät-
selhaften SerienmörderfallàlaSherlock?
Eine solche Serie ist die Amazon-Prime-
ProduktionCarnival Row.Man kann das
einfallslos finden, oder auch klug: DieSe-
rienimmt sich alles,wasbisher recht gut
funktioniert hat, und setzt es neu zusam-
men. Seriensampling, sozusagen.
Trotzdembraucht eswenigstens noch
ein bisschen eigeneGeschichtefür dieFan-
tasyweltvonCarnival Row:Inder fiktiven
Stadt TheBurge, dieaussieht wiedas vikto-
rianische London, begleiten dieZuschauer
eine Elfenamens Vignette Stonemoss (ge-
spieltvonCara Delevingne, diebisher eher
alsModel erfolgreichwar).Nach und nach
erfährt manvonihrer großen Liebe zu ei-
nemMenschen, den Vignette für tot hält.
Das ist er aber nicht, er ist quietschfidel, ar-
beitet alsPolizist und muss einenrätselhaf-
tenMordfall aufklären.
Der Angebetete heißtRycroft Philostra-
te –ja, dieNamen klingen, als hätte sie sich
J. K. Rowling ausgedacht. OrlandoBloom
spielt denPolizisten, einen geheimnisvol-
lenMacker mitMelone. Er kneiftrecht oft
dieAugen zusammen, sodass er aussieht,
als würde erJohnnyDepp imitieren. Viel-
leichtist es auch nurder Ekel. Denn der Kil-
ler(dem glitschigenMonster ausStranger
Things unanständig ähnlich)raubt den
Opfern die Lebern und lässt ihreGedärme
wieLuftschlangen auf der Straße liegen.
Auch an Gesellschaftskritikversucht
sich dieSerie: DieMenschen misshandeln
dieFabelwesen, dieimElendsviertel, der
CarnivalRow,leben,verprügeln und bedro-
hen sie. Ein spannender Ansatz, doch die
Liebesgeschichte samt Geigenklängen
überlädt dann doch alles. Es reicht nicht,
Serien einfach nur zu samplen,wenn zuwe-
nig Eigenes bleibt. maresa sedlmeir


CarnivalRow,auf Amazon Prime.


vonpeter burghardt

F


ährt manvonDeutschland nach Dä-
nemark hinauf, um zum Beispiel die
ZeitungDerNordschleswigerzu besu-
chen, dann stellt sichleicht ein heimeliges
Gefühl ein. Das hatwahrscheinlich damit
zu tun, dass auch die Deutschenvoreini-
ger Zeit das dänischeWorthyggeentdeckt
haben und es seitherwahnsinnig gern be-
nutzen.Unterbrochen wirddie Behaglich-
keit allenfalls,wenn man an der Grenze
hinter Flensburg im Stau steht undvonDä-
nemarksPolizei herausgewinkt wird.
GwynNissen passiert das bei seinen
häufigen Grenzgängen auch immer mal
wieder,erhat über dieKontrollen mehrere
Leitartikelverfasst. „Lästig,weil’smal an-
derswar“,sagt der Chefredakteur desNord-
schleswiger.Denn EU und Schengen haben
dieNachbarn zwar geeint, doch imZuge
der Flüchtlingsdebatte hatKopenhagen be-
schlossen, auch zwischenNordschleswig
und Südschleswig zwischendurchPapiere
zu prüfen.UndeinenWildschweinzaunali-
asVildsvinehegnbauen dieDänen auch
noch an derNaht vonJütland und Schles-
wig-Holstein, wegen der Afrikanischen
Schweinepest. DaswarenimNordschleswi-
gernatürlich alles Themen.
Die Redaktionszentralefindet sichanei-
ner Hauptstraße der schönen Stadt Aaben-
raa, zu deutsch Apenrade, eine gute halbe
Stunde nördlichvonFlensburganeiner
Ostseeförde. Es ist einGebäude mit Turm,
wunderbar renoviert. Oben am Rundturm
dreht sich ein elektronischesNachrichten-
banner: „Skaterhalle in Pattburg kann
Fahrt aufnehmen. Bürgermeister mahnt
Respektvor Demokratie an.“Unter norma-
lenUmständenwäre die gesamteAusstat-

tung für einBlatt dieser Größe unbezahl-
bar:DerNordschleswigerhat kaum mehr
1200 Abonnenten, und am Kiosk wirder
gar nichtverkauft. Doch dieser Exot ist ge-
schütztesKulturgut, Sprachrohr der deut-
schen Minderheit im dänischen Süden.
1946 wardas Blatt eine der ersten freien
deutschen ZeitungenWesteuropas nach
dem Krieg, seither fühltDerNordschleswi-
gerdiesem Grenzgebiet den Puls.„Wir sind
diegrößtedeutschsprachige Zeitung Skan-
dinaviens“,sagtGwynNissen.„Wir sind
auch dieeinzige.“Die kleinste Zeitung Dä-
nemarks sind sie ebenfalls, und jetzt sucht
man mitten in derweltweiten Zeitungskri-
se in diesem Biotop nach neuenWegen.
Im Pressehaus sind auch dänisches
Fernsehen und eine dänische Regionalzei-
tung untergebracht,ein Mäzen ließ es um-
bauen. ImFoyermit Windrose im Marmor-
boden stehen alte Druckmaschinen,Tau-
sendeGäste bestaunen jedesJahr dieRäu-
me.Außerdem wirdDerNordschleswiger
vomBund DeutscherNordschleswiger mit
umgerechnet 2,4 Millionen Euro jährlich
unterstützt und vomKönigreich Däne-
markmit 400 000 Euro. Dasreicht für 21
Mitarbeiter inklusivevierAußenredaktio-
nen, im Zimmer des Sportredakteurs
hängt neben anderen Fußballtrikots ein
Originaldress vonDänemarks Europameis-
tern1992.Sogar eineBeauftragte für Cross-
mediakonnte eingestelltwerden, denn
vierJahrelangkommen je 300 000 Euro
an staatlichenZuschüssen dazu–für den
Übergang inskomplett digitaleZeitalter.
ImFebruar 2021 soll das letzte Mal ge-
druckt werden, zum 75.Jubiläum. Ab-
schiedsschmerzvomPapier?Vonwegen.
FürGwyn Nissenkönnte es noch schneller
gehen, die Doppelbelastung für Printaus-

gabe undNetzversion macht seiner Mann-
schaft zu schaffen,und er schätzt dieVor-
teileimgrenzlosenNetz. Mehr Reichweite,
wenigerKosten, direktererKontakt. Die
Zeitung erreicht nicht mal ein Zehntel der
deutschen Minderheit in Dänemark, das
wären 15 000 bis 20 000Menschen. Die
letztenGetreuen mitJahresabo für 375 Eu-
ro werden immer älter.
Das Internet soll das Publikum erwei-
tern, gleichzeitig ärgert der anstehende
Verzicht dieStammkunden.„Wir nehmen
da ein StückHyggeweg“,sagt der Chefre-
dakteurNissen,Jahrgang 1963. In einigen
Monaten wirdamFrühstückstisch nicht
mehr gemütlichDerNordschleswiger,Un-
tertitelDie deutscheTageszeitunggeblät-

tert. AberGwyn Nissen sagt auch: „Ich bin
nicht in derHygge-Industrie.Ichbin in der
Nachrichten-Industrie.“Erträgt Shorts
und Shirt, draußen kreischen dieMöwen.
Der Strukturwandel treibt diegesamte
Branche um, nur ist es in diesemFall halt
speziell. Es handelt sich um eine gespon-
sorte Stimme einer Sprachgruppe, um ein
Stück bilateraleGeschichte. Online soll
DerNordschleswigerobendrein gratis blei-
ben, dasGeschacher um Bezahlschranken
mache angesichts beschränkter Leser-
schaft und großzügigenGeldgebernkei-
nen Sinn. Schon jetzt nehmen dieKlicks
zu,wasauchdie Aussichten auf digitale
Werbeaufnahmen erweitert. Das Ge-
schäftsmodellbleibt eine Mission, wiebei

anderen deutschsprachigen Zeitungen in
anderen Ländern wie demArgentinischen
Tageblattoder derPrager Zeitung,die be-
reits nur noch online erscheint.„Wir haben
dieVerpflichtung, diedeutsche Minder-
heit zu erreichen“, sagtGwyn Nissen.„Wir
sind Brückenbauer im Grenzland.“
Gerade ist die dänischeKönigin Mar-
grethe nebenan in Schleswig-Holstein zu
Gast, mitroyalerYacht, der Besuch steht
auf derWebsiteweit oben. 2020werden
dieVolksabstimmung und die Grenzzie-
hungzwischenNord-und Südschleswig
100 Jahrealt. Apenradewardeutsch, Aa-
benraa ist dänisch. Der dänische Deutsche
oder deutsche DäneNissen hat einewalisi-
scheMutter,daher derVorname, er ging in
einen deutschsprachigen Kindergarten
und eine deutschsprachige Schule. Er fühlt
sich beiden Ländern zugehörig und spricht
Deutsch mit winzigstem Akzent.
Vorbei dieZeiten, in denen diedeutsche
Minderheit in Dänemark alsNazipack be-
schimpft wurde, das aktuelleFeindbildvie-
lerPolitiker sind Migranten.Nissens Stü-
ckeüber Schulen,Niedrigzinsen oder Syd-
bank prüft imZweifel noch ein deutscher
Muttersprachler.Mit derFlensborgAvis,
der Zeitung der dänischen Minderheit in
Deutschland, und dem Schleswig-Holstei-
nischen Zeitungsverlag kooperiert Der
Nordschleswigerundtauscht übersetzte Ar-
tikel aus, gedruckt wirdinKiel.
Dasvollständig Digitalewürde in der
deutschen Funklochprovinz auch kaum so
gut funktionieren. Im durchdigitalisierten
Dänemarkhat jedes Dorf Breitbandan-
schluss, da sind die Dänenextrem effizi-
ent. „Alle glauben, wir sind zuhyggelig“,
sagtGwyn Nissen. Daskönne täuschen. Dä-
nischeGeschäftsleute seien knallhart.

DieGoldene Kameraals jährliche Preisga-
la im ZDFsolleingestelltwerden. Das teilte
dieFunkeMediengruppeam Donnerstag-
abend mit. DieVeranstalter begründen die
Veranstalter die Entscheidung mit geän-
derten Sehgewohnheiten derFernsehzu-
schauerund sinkenden Quoten.Inden ver-
gangenenJahren seien dieZuschauerzah-
lenimZDF,das die Show übertrug, dem-
nachvon6,5 auf 2,36 Millionen eingebro-
chen.Nichtsdestotrotz hätten „dieGolde-
ne Kameraund das ZDFgemeinsam ein
Stück Fernsehgeschichte geschrieben“,
sagte derGeschäftsführer Andreas Schoo
derBild-Zeitung.
DieGoldene Kamerawurde 1966vom
Axel-Springer-Verlag als Preis derFernseh-
zeitschriftHörzugegründet. 2015 über-
nahm dieFunkeMediengruppedieVeran-
staltung.Zuletzt gerietdie Show jedoch in
dieKritik. ImJahr 2017etwagelang es den
Moderatoren Joko Winterscheidt und
KlaasHeufer-Umlauf,ein Double des ame-
rikanischen SchauspielersRyanGosling
auf die Bühne zu schmuggeln, um den
Preis für den besten internationalen Film
für „La La Land“ entgegenzunehmen.
Die letzteGoldeneKamera soll am 21.
März2020 in Berlin stattfinden. Durch die
ShowsollThomas Gottschalk führen, der
dieVeranstaltung bereits in derVergangen-
heit moderiert hatte. luise checchin


Es ist nicht leicht, Managerin eines herun-
tergerocktenMusikerszusein, der nur ei-
nen einzigen Hit hatte und dasvorlanger
Zeit. Franzi will Alexander Gromberg, ge-
spielt vonSebastian Bezzel, trotzdem fürei-
ne Comeback-Tour wiederherstellen. Als
er beim Abendessen einen Sponsor gewin-
nen soll, ist er allerdings, nach mehreren
Exzessen,nichtvorzeigbar. Im Care-Pa-
ket, das ihreMutter aus der Provinz
schickt,findetFranzi(SusanneBormann)
dieLösung: In der Lokalzeitung, in dieMa-
mas selbstgemachte Marmelade gewickelt
ist, entdeckt sieein Foto vonBauer Sven
und seinem Lieblingsmastschwein Sophie.
Unddieser Bauer(ebenfalls Sebastian Bez-
zel) sieht Alexander Gromberg zumVer-
wechseln ähnlich.
So ist das also in der ARD-Komödiemit
dem ziemlich peinlichenNamenEchte Bau-
ern singen besser:Bezzel spielt sowohl den
sanftmütigen Landwirt Sven, der mit sei-
nen Elternauf einemHofinBrandenburg
lebt, als auch den arroganten,
abgehalfterten RockerGrombergüberzeu-
gend. Laut eigenen Angaben hat sich Bez-
zel für seine SängerrolleanBillyIdol,Farin
Urlaub und Campino orientiert. Gromberg
ist eher einePersiflage davongeworden,
ein arrogantes Ekel, das im transparenten
Slip zu seinem 20Jahrealten Hit „Freier
Fall“ Orgien(wie man siehalt im Ersten zei-
gen will) feiert.
Wie Bauer Sven sich in GrombergsWelt
einfindet, ist amüsant, trotz bemühter Kli-
schees. BeimGeschäftsessen sagt Bezzel,
der Sven spielt, wie er Grombergspielt,
brav seinenText: „Hab mich nie besser ge-
fühlt“,Alkoholund Drogenwaren„mal ein
Thema, habichaber jetzt im Griff“.Und im-
mer dran denken: nicht über dieLieblings-
sau sprechen. Als Grombergnach einerwei-

teren wildenNacht in der Psychiatrielan-
det, soll Sven auch noch für ihn auftreten.
Eine Gitarreund ein Schlagzeug,verstaubt
im Stall, erinnern an den Traumvonder ei-
genen Band, den Sven nieverwirklichen
konnte. Das ist, wievieles in dieserKomö-
die, nicht sehr subtil, und die Entwicklung,
diebeide durchmachen, ist abzusehen –
dieWege dahin allerdings nicht.
Gesangslehrerin Sammy(Thelma Bua-
beng) bringt Sven mit unkonventionellen
Methoden dazu, aus sichrauszugehen: Sie
lässt ihn über eine gut befahrene Straße
laufen und fremdeFrauen ansprechen.
UndGrombergs Mitpatientin Rina (Pegah
Ferydoni) hilft ihm beimAusbruch aus der
geschlossenen Abteilung und dabei, sei-
nen Lebensstil zu überdenken.Untermalt
wirddas Ganzevonstimmigen Songs, die
derRegisseurHolgerHaaseundderKom-
ponist Andy Groll geschrieben haben.

Wie es sich für dasGenredieser gefälli-
genMusikfilme im Ersten gehört, streift
auch dieser die Schattenseiten desMusik-
geschäfts nur am Rande.Echte Bauern sin-
gen besserist Wohlfühlfernsehen im bes-
ten Sinne–mit charmanten Bildern: wie
vonSven, der sichvonseinemVater eman-
zipiert, der nie wollte, dass er Musik
macht, und irgendwann, den Ansagen des
Spurhalteassistenten zum Trotz, kreuz
und quer mit dem Traktor über denAcker
fährt. kathrinhollmer

EchteBauern singenbesser,Das Erste, Samstag,
20.15Uhr.

„Wir sindBrückenbauerimGrenzland“


Der „Nordschleswiger“ hat nicht mal 1200 Abonnenten, am Kiosk gibt es ihn gar nicht mehr.Doch dieses Sprachrohr der


deutschenMinderheit im dänischen Süden ist eingeschützter Exot mit Geschichte, Bedeutungund Ideen für die Zukunft


Ausfür die


Goldene Kamera


Déjà-vu


Eine Serie mitCaraDelevingne
sampeltihr eigenesGenre

SängersuchtBauer


Ein Wohlfühlfilm über einen Doppelgänger im Ersten


Es ist absehbar, wiesichdie zwei
Figuren entwickeln–derWeg
dahinist allerdings überraschend

Agentin Franzi(SusanneBormann)will aus Sven(SebastianBezzel)ein Double für ihren abgehalfterten Star machen.FOTO: ARD

DEFGH Nr.206,Freitag ,6.September2019 MEDIEN HF3 31


EineGazette suchtnach neuenWegen: „Ich bin nicht in der Hygge-Industrie“, sagt
ChefredakteurGwynNissen. FOTO:KARIN RIGGELSEN

LösungenvomMittwoch


7


3


86


2


16


1


1


1


3


2


9


6


SZ-RÄTSEL


637415298
125893746
489267531
954326187
376981425
812754963
791648352
548132679
263579814

Die Ziffern1bis 9dürfen pro Spalte und Zeile
nur einmal vorkommen.Zusammenhängende
weißeFeldersind so auszufüllen, dass sie nur
aufeinanderfolgendeZahlen enthalten (Stra-
ße), deren Reihenfolge ist aber beliebig. Weiße
Ziffern in schwarzen Feldern gehören zu kei-
ner Straße, sie blockieren diese Zahlen aber in
der Spalte und Zeile (www.sz-shop.de/str8ts).
©2010 Syndicated Puzzles Inc. 6.9.2019

Schwedenrätsel Sudoku leicht


9 8 7 1


3 6 7 9


2 7 4


3 9 2


4 6 9 1 8 2


2 6


1 9 2 8 7 4


6 8 7 5


5 7 9


Str8ts: Sogeht’s
21367
43216587
13245768
243 56
65749
67 5324
89 76 324
978621435
8921

9
17
8

5

63

Str8ts mittelschwer

Free download pdf